Militärische Multinationalität
Militärische Multinationalität
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Ein Projekt von Dr. Ina Kraft
Militärische Multinationalität, also die Zusammenarbeit von mehreren Streitkräften, besitzt eine hohe Relevanz für die deutsche Verteidigungspolitik: Der Einsatz der Bundeswehr ist verfassungsrechtlich wie gesellschaftspolitisch stark sanktioniert und findet fast ausschließlich im multinationalen Rahmen statt. Zugleich fächern sich die Formen multinationaler militärischer Operationen und Strukturen auf. Wer die Bundeswehr verstehen will, muss daher auch jene multinationalen Formate (stehende Verbände, Einsätze und Übungen, Beschaffungsvorhaben) in denen sie agiert, voneinander abgrenzen und analytisch verstehen.
Zeitgleich stehen in vielen Staaten die öffentlichen Haushalte und somit auch die Verteidigungshaushalte unter einem permanenten Rechtfertigungszwang und Kostendruck. Multinationale Kooperation im Grundbetrieb, in den Einsätzen sowie bei der Fähigkeitsentwicklung wird neben der Streitkräftereduzierung nicht nur in Deutschland als Mittel der Wahl begriffen, die Auftragserfüllung auch mit limitiertem Budget zu gewährleisten. Letztlich sind multinationale Hauptquartiere, Übungen oder Einsätze auch Arbeitswirklichkeit für immer mehr Soldatinnen und Soldaten.
Wie die Zusammenarbeit in jenen multinationalen Arrangements die Auftragserfüllung aber auch das militärische Selbstverständnis der Einzelnen und der Organisation beeinflusst, ist Gegenstand dieses Projekts. Dieses hat eine wissenschaftliche sowie eine praktische Relevanz, fließen doch die Ergebnisse der Forschung zurück in Politik und Streitkräfte
Über diese aktuellen Aspekte hinaus fordert das Thema militärische Multinationalität Politik und Gesellschaft grundsätzlich heraus: Konzepte wie Staat, Souveränität und Nation sind ideengeschichtlich auf das Engste mit dem Monopol der legitimen Gewaltanwendung verknüpft. Nationale Streitkräfte werden dabei als jene Organisationen begriffen, die nationale Kriege im nationalen Interesse führen.
Geschichtswissenschaftliche Beiträge zeigen hierzu jedoch, dass Streitkräfte schon zu früheren Zeiten keinesfalls Monolithen nationaler Homogenität waren. Die Hannoverschen Soldaten im Dienst der British East India Company im 18. Jahrhundert oder die jüdischen Soldaten in der Habsburger Monarchie zeigen dies beispielhaft.
Das Thema Multinationalität bildete bereits in den 2000er Jahren einen Forschungsschwerpunkt am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SOWISozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr) in Strausberg, einer Vorgängerorganisation des heutigen ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Die Transnationalisierung von Streitkräften und die damit verbundene Erweiterung des multinationalen Kooperationsportfolios um integrierte Verbände und multinationale Militäreinsätze schuf den Bedarf an sozialwissenschaftlicher Begleitung. Das wurde am SOWISozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr erkannt und entsprechende Forschung wurde initiiert. Im Ergebnis erschienen eine Reihe von Studien zu diesem Thema.
Auch im Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt), der anderen Vorgängerorganisation des heutigen ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, wurden Forschungsbeiträge zu historischen Fällen hervorgebracht, die durchaus mit dem gegenwärtigen Begriff der Multinationalität gefasst werden könnten. Neben Forschungsarbeiten zu ausländischen Soldaten in der Wehrmacht beleuchteten einige Arbeiten auch die Zusammenarbeit von nationalen Armeen im Warschauer Pakt und in der NATO.
Neuer Forschungsschwerpunkt Multinationalität
Der neue Forschungsschwerpunkt Multinationalität knüpft an die Perspektiven und Ergebnisse der Forschungen des SOWISozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr und des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt an und erweitert diese. Das ursprünglich soziologisch geprägte Interesse des SOWISozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr am Thema Multinationalität wird dazu um politikwissenschaftliche Dimensionen erweitert. Zudem werden bisher nur lose verbundene geschichtswissenschaftliche Forschungsbeiträge mit einer konzeptionellen Rahmung gefasst und so der Mehrwert der Forschung zu historischen Fällen von Multinationalität erhöht.
Die Ziele des Forschungsschwerpunkts sind folglich:
- erstens, die theoriegeleitete Untersuchung von Multinationalität als gegenwärtigem Phänomen deutscher und europäischer Verteidigungspolitik und seinen Bedingungen,
- zweitens, die Feststellung geschichtlicher Tatbestände von militärischen (Groß )Verbänden sowie militärischen Operationen und Kriegen, bei denen Menschen oder Organisationseinheiten verschiedener Nationen oder Ethnien zusammenwirkten und deren theoretische Erfassung,
- sowie drittens, die Fortführung der soziologischen Untersuchungen zu den Auswirkungen von Multinationalität.
Kurz gesagt soll mit dem Forschungsschwerpunkt Multinationalität
- sozialwissenschaftlich als Phänomen erfasst und erklärt,
- aus historischer Perspektive und in Verbindung mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen untersucht, sowie
- deren Auswirkungen auf Soldatinnen und Soldaten, Organisationen und Gesellschaften verstanden werden.