Heißer Krieg im Kalten Krieg

Verteidigungsplanungen der Bundesrepublik Deutschland

Verteidigungsplanungen der Bundesrepublik Deutschland

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Ein Projekt von Heiner Möllers

Die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim durch Russland im Jahr 2014 und die Reaktion der NATO darauf (Truppenstationierung im Baltikum im Zuge der Enhanced Forward Presence) und der am 24. Feburar 2022 begonnene verbrecherische Krieg Russlands gegen die Ukraine haben eine Debatte über den Zustand der Bundeswehr und die Sicherheitsvorsorge der Bundesrepublik Deutschland ausgelöst. Einhergehend mit zahlreichen Fragen nach dem unzureichenden personellen Umfang unserer Streitkräfte sowie ihrem desaströsen Ausrüstungsstand wird jüngst immer wieder versucht, Bezüge zu den Verteidigungsplanungen und „Kriegsvorbereitungen“ im Zeitalter der Blockkonfrontation herzustellen, im Sinne von: Was haben wir damals gehabt und vorbereitet? 

Hinweis zum Luftschutzstollen in einer Bundeswehrkaserne

Verlassen, entwidmet, aufgegeben: Unter den Kasernen schlummerten Schutzräume, die nach 1990 schrittweise aufgegeben und nicht instandgehalten werden.

Heiner Möllers 2024

Verschärft wird diese Debatte durch auftretende Klimaereignisse, wie um die Jahreswende 2023/24 die Hochwassereignisse insbesondere in Niedersachsen, zu denen die Bundeswehr nicht, wie in den 1970/80er Jahren noch, „aus dem Stand“ Zehntausende Soldaten als Helfer bereitstellen kann, oder bei Waldbränden, wenn die Bundeswehr nur einen oder zwei Hubschrauber einsetzen kann, weil mehr nicht verfügbar sind. Solche Ereignissen verdeutlichen nicht nur, dass die zivilen Hilfsorganisationen zahlenmäßig überfordert sind. Vielmehr zeigen sie auch, dass die erweiterte Sicherheitsvorsorge der Bundesrepublik Deutschland nach 1990 vernachlässigt wurde.

Die Planungen zur Gesamtverteidigung der Bundesrepublik Deutschland im Verbund mit den Partnern in der NATO gewinnen damit unter den Schlagwörtern „Landesverteidigung/Bündnisverteidigung“ (LV/BVLandes- und Bündnisverteidigung) eine hohe Aktualität.

Bei den Anleihen in der Vergangenheit wird jedoch immer wieder ein Unterschied zwischen LV und BV gemacht, der für die Zeit der Blockkonfrontation nicht sachgerecht ist. Weiterhin wird bei der Debatte über LV/BVLandes- und Bündnisverteidigung die zivile Krisen- und Kriegsvorsorge außer Acht gelassen. Noch mehr erwecken politische Debatten über „kriegstüchtig/kriegsfähig“ wie auch die durch den Generalinspekteur der Bundeswehr in die Diskussion eingeführte Forderung, die Bundeswehr müsse in einem kriegerischen Konflikt „siegfähig“ sein, den Eindruck, als ginge es allein um die Bundeswehr.

Forschungsfragen

Der Operationsbefehl 1/88 für das Wehrbereiochskommando IV.

Im Operationsbefehl 1/88 definierte das damalige Wehrbereichskommando IV den Umfang und die Art und Weise seiner militärischen Landesverteidigung sowie die Verzahnung mit der Zivilverteidigung und den zivilen Behörden.

Bundeswehr via Bundesrachiv-Militärarchiv

Die anzulegende Studie untersucht deshalb die militärischen und zivilen Eventualfallplanungen der Bundesrepublik Deutschland und, soweit möglich, auch der NATO im Zeitalter der Blockkonfrontation. Im Kern geht es um die militärischen Planungen zur Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland und die damit in Beziehung stehenden zivilen Vorbereitungen. Das Problem lässt sich mit drei Fragen bündeln:

  • Wie und was hat die Bundeswehr für den Verteidigungsfall an Planungen angelegt, wie hat sie sich auf den Krieg vorbereitet (Militärische Verteidigung)?

  • Was haben nicht militärische Institutionen des Bundes und der Länder für den Verteidigungsfall vorbereitet und geplant (Zivilverteidigung)?

  • Wie waren militärische und zivile Verteidigung im Rahmen der Gesamtverteidigung verknüpft/verbunden/aufeinander abgestimmt?

Schwerpunkt

Eine solche Untersuchung über die gesamte Zeit der Blockkonfrontation (1955-1990) und ebenso für die gesamte Bundesrepublik Deutschland (von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen) anzulegen, lässt sich mit den vorhanden Aktenüberlieferungen nicht darstellen. Deswegen fokussiert sich die anzulegende Studie 

  • geographisch auf das Territorium des früheren Wehrbereiches IV mit den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland, 

  • das darin eingesetzte III. (deutsche) Korps und das V. (USUnited States) Corps

  • sowie zeitlich auf die 1980er Jahre.

Auffällige Besonderheiten der Verteidigungsplanungen mit überregionaler Bedeutung über diesen zeitlichen und geographischen Fokus hinaus werden berücksichtigt, wenn die Quellen- und Literaurlage dies zulässt. Dabei erfolgt jedoch keine erneut Betrachtung der damals diskutierten Kriegsbilder bzw. Vorstellungen von einem künftigen Krieg.

Hessenkarte

Das Bundesland Hessen und die Mittelgebirge in Deutschland - topographisch auffällig und militärisch herausfordernd

Westermann Verlag Braunschweig, Ausschnittsbearbeitung Heiner Möllers

Forschungsdesiderat

Die geplante Studie ist ein Desiderat der Forschung, wie ein Blick in die existierende Literatur ergibt: 

  1. Die militärische Verteidigung bzw. Operationsplanung der NATO in Mitteleuropa (Ostsee bis Alpen) ist bislang nur oberflächlich beschrieben. Ein größerer Überblick, sowohl geographisch als auch zeitlich, existiert bislang nicht. Die Betrachtung ausgewählter potenzieller Schlachtfelder des Kalten Krieges, wie z.B. des Fulda Gap oder der Norddeutschen Tiefebene, steht hierbei sowohl für eine Fokussierung (Selbstbeschränkung!) verschiedener Autoren entlang oftmals populärer, als auch wenig fundierter Auffassungen, die oftmals als eine Folge unzureichender Quellenrecherche  erscheint. Damit werden langfristig wirkende Narrative erzeugt, die bei genauer Betrachtung der Quellen infrage zu stellen sind.. Zudem ist in diesem Zusammenhang auf die sträfliche Vernachlässigung geographischer Begebenheiten und ihre Rückwirkungen auf militärische Planungen in vielfältigen Darstellungen hinzuweisen. Und weiterhin werden auch nur national geführte Landkriegsszenarien geschildert. Die Einbeziehung der NATO-geführten Luftstreitkräfte erfolgt nicht, von der doch längst vorherrschenden Konzeption eines „Gefechts der verbundenen Waffen“ ganz zu schweigen. Vor allem aber vernachlässigen alle bislang veröffentlichten Untersuchungen die Auswirkungen militärischer Planungen wie auch der Kriegführung insgesamt auf die örtliche Zivilbevölkerung.

  2. Beinahe folgerichtig fokussieren sich Darstellungen zur Zivilverteidigung allein auf die hiermit verbundenen Fragen, ohne Rückschlüsse auf militärische Planungen zu unternehmen. Dies beginnt beispielsweise mit der Behandlung der Zivilbevölkerung in der Forward Combat Zone, die durch die Stay Put-Policy der NATO nur auf den ersten Blick abschließend geregelt war. Schon erste Indizien, dass beispielsweise das III. Korps für den Raum Göttingen-Kassel von mehr als 200.000 zu evakuierenden Zivilisten ausging, zeigen, dass hier schwerwiegende Auswirkungen der Kriegführung auf die Zivilbevölkerung militärisches wie auch ziviles Handeln beeinflussten. 

  3. Die Verantwortung für die Gesamtverteidigung unterlag dem Bundesministeriums des Innern (BMIBundesministerium des Innern). Zuletzt hatte es im Zeitalter der Blockkonfrontation 1989 eine bereits 1980 initiierte Rahmenrichtlinie veröffentlicht. Ihr Vorgänger stammt aus der Mitte der 1970er Jahre. Jüngst wurde eine Neufassung dieser Rahmenrichtlinie veröffentlicht. Diese Federführung des Bundesinnenministeriums bedingt deren Mitverantwortung für die Bundesländer, die sich im Rahmen der föderalen Ordnung der Bundesrepublik mit ihren Landkreisen, Kommunen etc. vor allem in der Umsetzung zivil zu bestimmender und koordinierender Aufgaben niederschlug. Insofern ist ausgehend vom BMIBundesministerium des Innern weniger die rechtliche Normsetzung als mehr die faktische Umsetzung der Planungen zu untersuchen. Was wird vom Bund vorgegeben und von den Ländern etc. umgesetzt und, darüber hinaus, wie wird in entgegengesetzter Richtung auf Vorgaben eingewirkt oder bei der Erstellung solcher mitgewirkt?

Die Wirkungen und Wechselwirkungen militärischer und ziviler Planungen zur Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland sind mithin ein dringendes Desiderat, das es zu untersuchen gilt.

 

 

von Heiner Möllers

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