Überblick Literatur zum 20. Juli 44- Transkript

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9 MIN

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„Noch mehr Widerstand?!“ – „kommt doch jedes Jahr wieder!“ So oder so ähnlich werden viele reagieren, wenn sie hören, dass „Angelesen“ heute neue Bücher zum Widerstand vorstellen will. Da soll es noch etwas Neues geben?

In diesem Jahr ist es 80 Jahre her, dass Oberst Claus Graf Stauffenberg seine Bombe unter Hitlers Lagetisch platzierte und dann einen Staatsstreich versuchte. Vor fünf Jahren also das große Jubiläum, jetzt ein kleineres – aber gerade zum 75. Jahrestag sind eben doch eine ganze Reihe neuer Bücher erschienen, über die zu reden sich lohnt.

Vor langen Jahren, 1969, hat Peter Hoffmann sein gewichtiges Buch „Widerstand – Staatsstreich – Attentat“ herausgebracht, bis heute das Standardwerk zum 20. Juli. Etwas Vergleichbares ist seither nie wieder erschienen. Wolfgang Benz, der inzwischen über achtzigjährige langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, versucht in seinem Buch zum Thema etwas anderes. Sein bei Beck erschienenes Werk „Im Widerstand“ will vielmehr allen Formen oppositionellen Handelns im Dritten Reich gerecht werden, von links bis rechts. Da kommen die bekannten Namen vor, aber auch weniger bekannte Frauen und Männer, die sich vielleicht nur dem Regime in einer bestimmten Situation verweigert haben. 

Benz stellt jene Fragen, die wohl viele heute umtreiben: warum haben nur so wenige gegen das verbrecherische Regime gehandelt, und warum erst so spät? Was ja auch die Frage nach den vielen, nach jener breiten Mehrheit aufwirft, die dem Unrecht tatenlos zugesehen oder sich gar beteiligt hat.

Das Buch richtet sich auch nicht an die Fachwissenschaft, sondern mit seinen eher spärlichen Fußnoten und dem weitgehenden Verzicht auf Originalquellen an ein breites Lesepublikum, dem man diesen gut lesbaren Band sicher empfehlen kann. 

Wer sich lieber auf den 20. Juli 1944, also das Geschehen rund um Stauffenbergs Attentat und Staatsstreich konzentrieren will, dem kann man zu einer Übersicht raten, die Johannes Tuchel und Uwe Neumärker veröffentlicht haben.

Tuchel ist langjährige Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, und Neumärker leitet die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, beide in Berlin. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Geschehen des Tages im Führerhauptquartier „Wolfschanze“ bei Rastenburg in Ostpreußen minutiös zu rekonstruieren. Lagebesprechung, Sprengstoffattentat, Staatsbesuch des Duce – immerhin war es an diesem Tag, dass Hitler und Benito Mussolini das letzte Mal zusammentrafen. Man sollte meinen, auch hier sei längst alles bekannt, aber die beiden Autoren haben gründliche, teils mühsame Arbeit geleistet und können präzise Abfolgen schildern. Einmal mehr wird deutlich, dass es im fernen Ostpreußen lange dauerte, bis man begriff, dass es hier nicht nur um einen Mordanschlag auf das Leben Hitlers ging, sondern dass dahinter ein von langer Hand vorbereiteter Umsturzplan stand. Der Band ist üppig ausgestattet: viele Fotos, viele im Faksimile abgedruckte Quellen und Karten. Manch einen wird auch besonders reizen, dass der erste Teil des Buches eine Geschichte der Wolfschanze als solcher bietet, ebenso mit vielen Illustrationen und Erläuterungen. 

Das 2019 erschienene Buch von Thomas Karlauf über Oberst Stauffenberg soll hier nicht noch einmal diskutiert werden. Aber wohl als Reaktion darauf hat eine Enkelin Stauffenbergs, Sophie von Bechtolsheim, ein Taschenbuch herausgebracht: „Mein Großvater war kein Attentäter“. 

Wenn das Buch auch als Replik auf Karlaufs umstrittene Biographie zu verstehen ist, so ist Bechtolsheim zu klug, als dass sie sich auf längere Auseinandersetzungen mit dieser einlassen würde. Zum einen mag sie sich gedacht haben, dass sie Karlaufs Buch damit ja auch aufwerten würde, zum anderen: wer will seitenlange Tiraden gegen ein anderes Buch lesen? Stattdessen bringt sie auf gut einer Seite das, was zu Karlauf aus ihrer Sicht der familiären Verbundenheit zu sagen ist, und dabei belässt sie es auch schon – sehr elegant.

Nur der Titel dieses ansonsten rundum gelungenen Buch ist schlicht irreführend. Natürlich war Stauffenberg der Attentäter. Worum es Sophie Bechtolsheim geht: Stauffenberg war für sie viel mehr als das. Die1968 Geborene berichtet, was es bedeutete, als Angehörige der Enkelgeneration den Namen „Stauffenberg“ zu tragen – in der Schule, unter Freunden, im Studium. Und sie berichtet von ihrer Großmutter Nina, der Witwe von Claus, die eben auch zuerst den Mann an ihrer Seite, den Vater ihrer fünf Kinder verloren hatte. Vielleicht hätte „Mein Großvater war mehr als ein Attentäter“ den Nagel besser auf den Kopf getroffen, aber das Buch schlägt die Brücke von den Ereignissen 1944 in die deutsche Gesellschaft der Gegenwart und ist ein sehr persönliches Bekenntnis, das man gern auch ein zweites Mal liest.

Nina Stauffenberg hat überlebt, und andere Witwen der Verschwörer auch. Eine – vielleicht die in der Nachkriegszeit profilierteste unter ihnen – ist Freya Gräfin Moltke, die Witwe des Juristen Helmuth James Graf von Moltke, der wegen seiner Zugehörigkeit zum sogenannten „Kreisauer Kreis“ ermordet worden war. Wie Nina von Stauffenberg oder Marion Gräfin Yorck hat auch Freya von Moltke nie wieder geheiratet, sondern stolz den Namen ihres im Widerstand umgekommenen Mannes bis zu ihrem eigenen Tod getragen. 

In den Jahren 1957-1959 wechselte sie eine Reihe von Briefen mit einem jungen evangelischen Pastor aus der Kurpfalz, die jetzt erstmals ediert und publiziert worden sind. Sicher, diese Briefe bringen wenig Neues, wenn es um die Geschichte des Kreisauer Kreises geht, dessen Mittelpunkt Moltke gewesen war. Hier geht es schon um das, was auch in der wissenschaftlichen Literatur immer mehr ins Blickfeld rückt: wie ging die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft mit dem Andenken an den Widerstand – und mit den überlebenden Angehörigen! – um? Die Herausgeber, der Breslauer Historiker Krzysztof Ruchniewicz und sein Kollege, der Germanist Marek Zybura, sehen diese Epoche als die „verlorenen Jahre“, wenn es um die Erinnerung an den Widerstand geht. Ihr Bändchen aber belegt, dass erste Erinnerungs-Pflänzchen in dieser Zeit zu sprossen begannen. So hatten Bücher, die ihm seine Frau geschenkt hatte, das Interesse von Pfarrer Christian Tröbst am Widerstand gegen Hitler und besonders am Kreisauer Kreis geweckt – solche Bücher gab es eben doch schon. Zum Kreisauer Kreis war bis dahin allerdings wenig erschienen, und in dem ersten Zyklus von Briefen erklärt Freya von Moltke ihrem deutlich jüngeren Briefpartner, was das Anliegen und die Ziele dieses Kreises gewesen waren. Im zweiten Teil des hier veröffentlichten Korpus beschreibt dann Tröbst, wie schwer sich seine schwäbische Gemeinde, die von ihm ins Leben gerufene Männerseelsorge etwa, damit tat, das Andenken an die Opposition während des Krieges positiv zu bewerten. Aber auch Tröbst musste noch lernen: In einem Brief vom 6. April 1957 polemisiert er gegen die Katholiken als die „Jünger des Ignatius“ (S. 37), worauf Freya von Moltke dezent die enge Beziehung ihres ermordeten Mannes zu dem Jesuitenpater Alfred Delp erwähnt (S. 84 und passim zu beiden Kirchen). Dass zur Tradition des Widerstands auch ein neuer Umgang der Konfessionen miteinander gehören würde, hatte ihr Briefpartner noch nicht verinnerlicht.

Etwas ganz anderes ist das Büchlein, das Tobias Engelsing über seinen Vater herausgebracht hat: „Kein Mensch, der sich für normale Zeiten eignet“. Der Jurist Herbert Engelsing trat in den späten 1920er Jahren dem Republikanischen Richterbund bei. Dann heiratete er auch noch eine Frau, die nach dem Verständnis der Nazis eine Halbjüdin war – das waren nach 1933 keine guten Vorzeichen für eine Karriere im Öffentlichen Dienst, und so wurde Engelsing dann zunächst Justitiar bei einer Filmproduktionsgesellschaft und bald selbst einer der Filmproduzenten, arbeitete mit Schauspielern wie Erich Ponto oder Heinrich George zusammen. 

Irgendwann lernten die Engelsings Libertas und Harro Schulze-Boysen und andere Angehörige der »Roten Kapelle« kennen; wie eng das Verhältnis zwischen Herbert Engelsing und Libertas Schulze-Boysen genau war, bleibt etwas offen. Unter der Woche drehte Engelsing üble oder auch nur flache Propagandafilme; abends und am Wochenende verkehrte er mit ausgeprägten Hitler- Gegnern. Aber es gelang ihm, von der Gestapo unbemerkt zubleiben, und seine Frau entkam rechtzeitig nach Kalifornien. 

Was hier deutlich wird, ist, dass Widerstand viele Formen annehmen kann – die ganze Spannweite zwischen der Weigerung, sich von einer jüdischen Frau scheiden zu lassen bis hin zum Staatsstreichversuch wird heute unter Widerstand zusammengefasst.

Nicht jeder mag dicke Bücher, manchmal spöttisch „Bleiwüsten“ genannt. Wer es aufgelockerter mag, wird vielleicht zu einem Band von Niels Schröder greifen, überschrieben „20. Juli 1944. Biographie eines Tages“. Niels Schröder ist einer der Pioniere des „Graphic Novel“, also einer Buchform zwischen Sachbuch und Comic Strip. Mit seinen graphischen Mitteln beschreibt er minutiös die Vorgänge am 20. Juli, und wer „novel“ mit „Roman“ übersetzt, liegt hier nicht ganz richtig: dies ist keine Erfindung, sondern ein spannend erzähltes Sachbuch. Schröder hat viel Mühe auf eine saubere Recherche verwandt, und seine Darstellung ist frei von ernstlichen Fehlern. Insofern kann man sein Buch jenen empfehlen, die einerseits wissen wollen, worum es am 20. Juli 1944 denn wirklich ging, die aber andererseits eine Scheu vor dem klassischen Buchformat haben. 

Sammelbände sind die Plage jedes Verlegers – und das Grab manches guten Aufsatzes, der in einem solchen Blumenstrauß von kleineren Texten unentdeckt vor sich hin welkt. Aber oft lohnen sie doch das Durchstöbern: Das eine oder andere wirklich Interessante findet sich dann doch. Wer nicht alles lesen will, sucht sich im Inhaltsverzeichnis heraus, was sie oder ihn mehr interessiert. Ein solcher Sammelband ist „Der Führer Adolf Hitler ist tot“, herausgegeben von Armin Wagner und Magnus Pahl, 2019 Direktor und Sammlungsleiter des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden. Pahl hatte die gleichnamige Sonderausstellung zusammengestellt, zu der dieses Buch als Begleitband erschien.

Das Highlight der Ausstellung war zweifelsfrei der Nachbau von Hitlers Lagebaracke in der „Wolfschanze“, die in den Babelsberger Filmstudios für den Tom-Cruise-Film über Stauffenberg gebaut worden war. Magnus Pahl stellt hier Stauffenberg als Offizier vor – „Brillant oder Dilettant?“ fragt er. Allen denen, die meinen, Stauffenberg abqualifizieren zu können, weil sein Staatsstreichversuch gescheitert ist, rechnet er vor, dass sie da falsch liegen. Immerhin: Der Mann war 36 Jahre alt, seit drei Monaten Oberst und saß schon auf einer Generalsstelle – das schaffte auch im Krieg nicht jeder. So unfähig kann er nicht gewesen sein!

Dass es auch in der Forschung Neues gibt, zeigt das schmale Bändchen „20. Juli 1944. Neue Forschungen zum Widerstand gegen Hitler“, das in der Reihe „Potsdamer Schriften“ des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr publiziert worden ist. Sieben Beiträge, die meisten davon aus einem Workshop zum Thema entstanden, zeigen, wie viel neues Wissen neue Fragestellungen erzielen können – darunter auch ein Appell, spezifisch militärgeschichtlichen Fragestellungen nachzugehen.

Und wo wir schon bei Buchreihen sind: Die Publikationsreihe der „Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944“, die in dem kleinen Augsburger Wißner-Verlag erscheint, bietet – nicht speziell militärgeschichtlich orientiert – immer wieder neue Einsichten und Erkenntnisse zum Thema. Speziell zum Verhältnis von Widerstand und Krieg ist aber im letzten Jahr der Band „Widerstand in Zeiten des Krieges“ herausgekommen. Nun ja – manches findet sich auch schon in anderen hier vorgestellten Büchern. Aber dann, wie gesagt, findet sich unter welken Blättern die eine oder andere bunte Blume – ein Aufsatz, der doch noch Neues bringt. Wer wissen will, wie man unter den Bedingungen des Krieges einen Staatsstreich organisieren kann, und wie sich der 20. Juli 1944 auf das weitere Kriegsgeschehen ausgewirkt hat, hier auf seine Kosten. Wie gesagt, bei den manchmal etwas unattraktiv scheinenden Sammelbänden lohnt sich oft ein Blick zumindest in das Inhaltsverzeichnis.

Über allen diesen Bänden will das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften natürlich auch nicht versäumen, auf zwei eigene Titel hinzuweisen. 2019 erschien der Band „Unternehmen Walküre. Eine Militärgeschichte der 20. Juli 1944“ – aber den haben wir in „Angelesen“ schon vorgestellt. 

In diesem Frühjahr wird auch ein eher ungewöhnliches Buch herauskommen: Josef Blotz hat alle in der Bundesrepublik je entstandenen Denkmäler zum Widerstand erfasst und ausgewertet. Dieses Buch werden wir demnächst gesondert besprechen. Bleiben Sie also „Angelesen“ treu – es gibt doch wirklich immer noch etwas Neues.

von Winfried Heinemann

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