Audio-Transkription: Georg Meyer "Adolf Heusinger"
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Herzlich willkommen zu „Angelesen! Dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute stellen wir das Buch von Georg Meyer: Adolf Heusinger. Dienst eines deutschen Soldaten 1915 bis 1964 vor. Es erschien 2001 im Verlag Mittler & Sohn GmbHGesellschaft mit beschränkter Haftung.
Adolf Heusinger wurde am 4. August 1897 in Holzminden an der Weser als Sohn des Oberstudiendirektors Ludwig Heusinger geboren. Er entstammte dem wohlhabenden Bildungsbürgertum und erlebte im Deutschen Kaiserreich eine weitgehend unbeschwerte, idyllische Kindheit und Jugend. Seine Schulzeit an einem humanistischen Gymnasium in Helmstedt schloss er im Jahr 1915 erfolgreich mit seinem Abitur ab. Heusinger trat im Juni 1915 als Offizieranwärter in das 1. Ersatzbataillon des Infanterieregiments Nr. 96 ein. Er absolvierte eine viermonatige Grundausbildung. Jedoch nahm er die Armee nicht als Vorbild und „Schule der Nation“ war, obwohl sich die kaiserlichen Truppen in der Öffentlichkeit gerne so präsentierten. Vielmehr betrachtete er seine Offizierausbildung als „sinnlosen Schliff“. Seine Vorgesetzten beschrieb er als überalterte Offiziere ohne Fronterfahrung und zudem ohne jede psychologische Sensibilität. In seinen eigenen Memoiren unterstrich Heusinger, dass er aus dieser Zeit Lehren für eine künftige, bessere Ausbildung militärischer Führer gezogen hätte.
Nach seiner Grundausbildung führte ihn sein Weg im Dezember 1915 direkt an die Westfront. Dort erhielt er als Angehöriger des Infanterieregiments 96 in den Materialschlachten seine Feuertaufe. Er bewährte sich in den Schützengräben als mutiger, unerschrockener junger Fahnenjunker. Ebenso fürsorglich kümmerte er sich um seine ihm unterstellten Soldaten. Indes gingen die schweren physischen und psychischen Belastungen des Krieges auch nicht spurlos an ihm vorüber.
Seinem Tagebuch ist zu entnehmen, dass er angesichts des Massensterbens und der harten Entbehrungen an der Front dem Genuss von Alkohol sehr zugeneigt war.
In den Jahren 1915 bis 1917 kämpfte Heusinger an den Stellungen an der Oise, nahm an den Schlachten von Verdun und an der Somme als Kompanieoffizier und später als Nachrichtenoffizier teil. Für seine Tapferkeit erhielt er u.a. das Eiserne Kreuz II. und I. Klasse. Im Juni 1916 erlitt er eine Schussverletzung in der linken Schulter. Nach seiner Genesung kehrte er rund zwei Monate später an die Front zurück. Am 4. Juli 1916 erhielt er seine Beförderung zum Leutnant. Rund ein Jahr später geriet Heusinger mit seiner Kompanie bei den Kämpfen vor der Siegfriedstellung in Flandern in alliierte Kriegsgefangenschaft. Diese Zeit brachte ihm neue Erkenntnisse. Besonders prägte ihn das Gespräch mit einem englischen Offizier, der freimütig die Politik der britischen Regierung kritisierte. Eine derartige Form westlich-demokratischer Meinungsäußerung hatte Heusinger, im monarchischen Geist erzogen, bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekannt.
Nach dem Ersten Weltkrieg erfuhr Heusinger zunächst die Entlassung aus dem Militär. 1920 wurde er jedoch aufgrund seiner persönlichen Leistungen an der Front als Leutnant in die Vorläufige Reichswehr übernommen. Diese Möglichkeit eröffnete sich nur wenigen Männern, da das deutsche Heer infolge des Versailler Vertrages in der Folgezeit auf 100.000 Mann begrenzt wurde.
Heusinger fand zunächst Verwendung als Zugführer und Bataillonsadjutant und wurde 1925 Oberleutnant im Infanterieregiment 15 in Kassel. 1927 bis 1929 absolvierte er erfolgreich die getarnte Generalstabsausbildung der Reichswehr, der sogenannten „Führergehilfenausbildung“. Von 1930 bis 1934 diente er als Generalstabsoffizier in der Operationsabteilung des Truppenamtes, dem verdeckten Generalstab, im Reichswehrministerium. 1932 wurde er zum Hauptmann befördert.
In den Jahren 1934/35 diente er als Kompaniechef im Infanterieregiment 18 in Paderborn. Dies sollte seine erste und einzige Truppenverwendung seit Ende des Ersten Weltkriegs bleiben.
1937 kehrte er nach einer kurzen, weiteren Verwendung als Erster Generalstabsoffizier (vergleichbar dem heutigen G3) der 11. Infanteriedivision in Ostpreußen in die Operationsabteilung zurück. Diese war zwischenzeitlich umgewandelt worden und trug nun die Bezeichnung „Operationsabteilung des Generalstabs im Oberkommando des Heeres“, und er sollte sie bis 1944 nicht mehr verlassen.
Unter nationalsozialistischer Herrschaft und während des Zweiten Weltkriegs stieg Heusinger in nur sieben Jahren, von 1936 bis 1943, vom Major zum Generalleutnant auf. Im Gegensatz zu vielen seiner Kameraden gelang ihm dies ohne Verwendungen in der Truppe oder, im Krieg, an der Front. Seit 1937 versah Heusinger seinen Dienst als Gruppenleiter (heute vergleichbar einem Referatsleiter auf Kommandoebene) in der Operationsabteilung des Generalstabs des Heeres. Im Herbst 1940 stieg er zum Chef der Operationsabteilung auf. In dieser Funktion vertrat er den Generalstabschef des Heeres.
Heusingers innere politische Einstellung entsprach dem damaligen Zeitgeist. Kommunisten und Sozialisten galten aus seiner Sicht als Reichsfeinde, die bekämpft werden müssten. Er verachtete aber auch die Deutschnationalen. Deren Ansinnen, die alte Monarchie wiederherzustellen, hielt er für rückwärtsgewandt und nicht mehr zeitgemäß. Nicht weniger stand Heusinger aber auch der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik kritisch bis ablehnend gegenüber. Er erwies sich als starker Befürworter der Zielsetzungen Generaloberst Hans von Seeckts, dem früheren Chef der Heeresleitung. Seeckt hielt die Reichswehr auf innerer Distanz zur Republik. Heute gängige Vorstellungen vom „Staatsbürger in Uniform“, einer „Armee in der Demokratie“ sowie einer „wehrhaften Demokratie“ waren damals noch unbekannt. Seeckt prägte stattdessen das Dogma vom „unpolitischen Soldaten“. Der Soldat sollte nicht einer bestimmten Staatsform, sondern nur in recht allgemeiner Form dem Staat und dem Vaterland an sich dienen. So wurde Heusinger wie viele seiner Zeitgenossen zu einem vordergründig unpolitischen Soldaten erzogen.
Mit Blick auf das NSNationalsozialismus-Regime erwies er sich während des Krieges als aufstiegsorientierter Nutznießer - allerdings, ohne die Nationalsozialisten aktiv zu unterstützen. Analog seiner bisherigen Prägung in der Reichswehr verharrte er als pragmatischer, unpolitischer Mitläufer des bestehenden Systems. Er war dabei weder Befürworter, noch Sympathisant, noch Gegner des bestehenden NSNationalsozialismus-Regimes. Soldatisches Pflichtbewusstsein, Gehorsam und Loyalität gegenüber seinen Vorgesetzten schienen die Werte zu sein, an welche Heusinger sich in dieser Zeit klammerte. Die Nationalsozialisten beschrieben diese Art von Offizieren verächtlich als „Technokraten“ und „Karrieristen“.
An Kriegsverbrechen in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten war Heusinger nach heutigem Stand der Forschung nicht aktiv beteiligt. Allerdings war er aufgrund seiner dienstlichen Stellung darüber umfassend informiert, er wusste mehr, als viele andere Soldaten. Analog zu seiner politischen Haltung lehnte er beispielsweise den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion weder ab, noch befürwortete er ihn. Dennoch äußerte er im engen und vertrauten Kameradenkreis bisweilen Kritik an der Art und Weise der von Hitlers geforderten und betriebenen Kriegführung.
Innerhalb seiner Operationsabteilung duldete Heusinger kritische Töne über Hitler von Seiten seiner Untergebenen, und gab solche Meinungsäußerungen nicht weiter. Er wusste im Jahr 1944 grundsätzlich von den Verschwörungsplänen gegen Hitler im Dunstkreis des Oberkommandos des Heeres, war darin aber nicht eingebunden. Über den Ort und den Zeitpunkt des geplanten Attentats vom 20. Juli 1944 besaß er keine Kenntnis. Vielmehr befand er sich zum Zeitpunkt der Detonation dieser Bombe rechts neben Adolf Hitler am Kartentisch stehend und erlitt Verwundungen. Die Tatsache, dass die Gestapo ihn trotzdem kurzzeitig verhaftete und verhörte, legt nahe, dass zumindest einer der Verschwörer ihn unter Folter als Mitwisser belastet hatte.
Bis Kriegsende erhielt Heusinger aus diesem Grund auch keine Führungsaufgaben mehr. Aus Sicht der NSNationalsozialismus-Führung galt er seit dem Attentat als politisch unzuverlässig.
Eine bis heute nachwirkende historische Kontroverse entzündete sich an Heusingers Haltung und Rolle in der Partisanenbekämpfung in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs. Ab August 1942 sollte Heusinger als Chef der Operationsabteilung die sogenannte „Bandenbekämpfung“ im Operationsgebiet der Wehrmacht koordinieren. Die tatsächlichen Kompetenzen seiner Abteilung beschränkten sich im Wesentlichen darauf, ein regelmäßig aktualisiertes Lagebild der Partisanentätigkeit zu erstellen. Ob und inwieweit Heusinger auf die Art und Weise der Durchführung der Partisanenbekämpfung der örtlichen Befehlshaber der Wehrmacht Einfluss genommen hat, ist bislang nicht bekannt, die Quellen geben darüber kaum Aufschluss. Aufrufe oder aktive Anweisungen, verbrecherische Handlungen zu begehen, hat er nach heutigem Stand der Forschung allerdings nicht vorgenommen.
Fest steht auch, dass Heusinger - wenngleich nicht unbedingt aus humanitären Motiven - für einen schonenden Umgang mit der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten plädierte. Damit sollte aus seiner Sicht der örtlichen Einwohnerschaft die Motivation zur Unterstützung irregulärer Kräfte entzogen werden. Dennoch stellte er völkerrechtlich kritisch zu betrachtende Überlegungen an. So sollte beiderseits der von der Wehrmacht genutzten Schienenwege jeweils ein 50 Kilometer breiter Streifen geschaffen werden, der von allen dort lebenden Einheimischen geräumt werden müsse. Dieser Vorschlag wurde allerdings nie umgesetzt. Bis heute sind sich Historiker insgesamt uneinig, wie Heusingers Haltung in der Frage des Umgangs mit der sowjetischen Zivilbevölkerung moralisch einzustufen ist.
Heusinger verfasste nach dem Krieg im Jahr 1950 sein Buch „Befehl im Widerstreit“. Darin setzte er sich ansatzweise selbstkritisch mit seiner damaligen Haltung und Prägung vom unpolitisch denkenden Soldaten angesichts der Machtergreifung der Nationalsozialisten und deren Folgen auseinander.
Nach 1945 geriet Heusinger zunächst in USUnited States-amerikanische Kriegsgefangenschaft. Seine genauen Kenntnisse über die Struktur und Kampfweise der Roten Armee wussten die USAUnited States of America sich in Anbetracht des aufziehenden Kalten Krieges nutzbar zu machen. Noch in der Kriegsgefangenschaft arbeitete er bereits für die USUnited States Historical Division, die dem Nachrichtendienst der USUnited States-Army unterstand. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1947 arbeitete er nahtlos für die - ebenfalls dem zunächst dem Nachrichtendienst der USUnited States-Army - unterstehenden Operation Rusty (später Organisation Gehlen) weiter. Dort war er als Chef der Auswertung sowie informell als einer der drei entscheidenden Köpfe der Planungen zur westdeutschen Wiederbewaffnung tätig. Gemeinsam mit den ehemaligen Generalen Hermann Foertsch und Dr. Hans Speidel bildete er die Spitze eines Expertengremiums, das zeitgenössisch als „Die heiligen drei Könige“ bezeichnet wurde. Unter ihrer Leitung und in enger Abstimmung sowohl mit den USAUnited States of America als auch Bundeskanzler Konrad Adenauer verantwortete diese Gruppe das Entstehen der verteidigungspolitischen Konzeption der Bundesregierung. Gleichzeitig legten sie gemeinsam mit wenigen Politikern der damaligen Bundesregierung Grundlagen für eine Streitkraft, die nicht nur in die westlichen Institutionen integriert war. Vielmehr wurde diese auch in das Normen- und Wertegerüst des Grundgesetzes und der parlamentarischen Demokratie eingepasst. Seit Herbst 1950 war Heusinger – gemeinsam mit Speidel – offiziell als Berater von Bundeskanzler Adenauer tätig. Dabei verantwortete er bis zur Aufstellung der Bundeswehr 1955/56 ihren institutionellen Aufbau. 1957 wurde er ihr erster Generalinspekteur ranghöchster Soldat der Bundeswehr und ab 1961 Vorsitzender des Militärausschusses der NATO. 1964 trat er mit 66 Jahren in den Ruhestand. Für seine Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr erhielt er 1963 das Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband. Adolf Heusinger verstarb 1982 in Köln. Unter anderem wurde ein Infrastrukturelement in der Hammelburger Saaleck-Kaserne nach ihm benannt. Zusammenfassend betrachtet war Adolf Heusinger ein deutscher Offizier des 20. Jahrhunderts, der zwei Weltkriege und den Kalten Krieg jeweils als Soldat erlebte. Seine Kindheit und Jugend waren geprägt vom monarchischen Geist des wilhelminischen Deutschlands. Wie viele andere seiner Zeitgenossen musste er sich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg politisch neu orientieren. Seine langjährige Sozialisierung als autoritätshöriger Untertan machte ihn für das Dogma Generalobersts Hans von Seeckt vom „unpolitischen“ Soldaten empfänglich. Dementsprechend unterschätzte und ignorierte er die Gefahr, die von den Nationalsozialisten bei deren Machtübernahme 1933 ausging.
Heusinger kann mit Blick auf seine Karriere im Dritten Reich als Nutznießer des NSNationalsozialismus-Regimes betrachtet werden. Gleichzeitig blieb er aber – nach seinen eigenen Schilderungen – von seiner inneren Haltung her auf Distanz zum NSNationalsozialismus-Regime. Dies unterstreicht seine vage Mitwisserschaft über die Verschwörungspläne gegen das NSNationalsozialismus-Regime, ohne dass er sich aktiv am Widerstand gegen Hitler beteiligte.
Als Chef des Generalstabs der Operationsabteilung im Oberkommando des Heeres war er militärisch an allen Operationsplanungen der Wehrmacht zwischen 1937 und 1944 und insbesondere am Überfall auf Polen 1939 und die Sowjetunion 1941 beteiligt. Dabei war er zwar persönlich nicht in verbrecherische Handlungen verwickelt. Allerdings wusste er von deren Existenz und kannte den Entwicklungsgang zahlreicher verbrecherischer Befehle und Anordnungen, die auch ohne Hitlers Impulse in der Oberkommando der Wehrmacht entstanden. Kontrovers und bislang nicht hinreichend erforscht ist in diesem Zusammenhang Heusingers Rolle als Koordinator der Partisanenbekämpfung im Oberkommando des Heeres.
Fazit:
Heusingers Traditionswürdigkeit für die Bundeswehr speist sich nicht aus seiner Dienstzeit im Kaiserlichen Heer, der Reichswehr oder der Wehrmacht. Vielmehr ist er heute traditionswürdig aufgrund seiner militärfachlichen Beiträge und persönlichen Leistungen um den Aufbau der bundesdeutschen Streitkräfte. Er trug wesentlich dazu bei, die Bundeswehr zu einer Armee im Verbund der NATO zu machen. Mit seinem Vorsitz im NATO-Militärausschuss in den 1960er Jahren leistete er darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Akzeptanz der Deutschen als gleichberechtigte und vertrauenswürdige Bündnispartner innerhalb der Nordatlantischen Allianz.
Heusinger ist somit – ungeachtet seiner kritisch zu betrachtenden Rolle vor 1945 – einer der Gründerväter unserer heutigen bundesdeutschen Streitkräfte. Er ist Teil der Geschichte und Teil der Traditionspflege unserer Armee in der Demokratie, auf die wir als Staatsbürger in Uniform mit Stolz blicken dürfen.
Das war Angelesen. Das Buchjournal des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute zum Buch Adolf Heusinger von Georg Meyer.