International – Interdisziplinär – Interreligiös: Multiple Zugänge zum Thema Krieg und Frieden
International – Interdisziplinär – Interreligiös: Multiple Zugänge zum Thema Krieg und Frieden
- Datum:
- Ort:
- USA
- Lesedauer:
- 5 MIN
Vom 3. bis 7. Juli 2023 fand an der Duke University (USAUnited States of America) die 7. Jahrestagung der International Network for Interreligious Research and Education's (INIRE) statt. Das Programm der Veranstaltung zeigte, dass die aktuellen weltpolitischen Entwicklungen auch im religiösen Bereich eine Rolle spielen, so dass die Konferenz sich mit der Haltung der Weltreligionen zu Krieg und Frieden befasste. Unter dem Tagungstitel “In the Name of God: A Voice for War, a Call for Peace” diskutierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen fünf Kontinenten ganz unterschiedliche Aspekte des Themas.
Was ist INIRE?
INIRE ist ein globales Netzwerk, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen zusammenarbeiten, um sich sowohl in einer interdisziplinären als auch interreligiösen Perspektive mit historischen und aktuellen Fragen auseinanderzusetzen, die gerade für den interreligiösen Dialog und die soziale Verantwortung von Religionsgemeinschaften von großer Bedeutung sind. Kooperationspartner des Netzwerks sind verschiedene Universitäten und Forschungseinrichtungen in Israel (Bar Ilan University), USAUnited States of America (u. a. Duke University), Italien (Fondazione per le Scienze Religiose, Bologna), Deutschland (Universität Leipzig), Niederlande (Universität Groningen) und Großbritannien (University of Southampton).
Zu einem der Ziele von INIRE gehört es auch, Studentinnen und Studenten mit den Fragen und Inhalten des interreligiösen Dialogs vertraut zu machen, so dass auch in diesem Jahr eine Anzahl an Studierenden und Promovierenden aus Deutschland, Israel und den USAUnited States of America mit dabei waren.
Ein gelungener Auftakt
Den Auftakt zur Konferenz bildeten am 4. Juli drei einzelne Vorträge, die ein gutes Bild über die Vielfältigkeit des Themas vermittelten. Zunächst befasste sich Yvonne Friedman von der Bar Ilan Universität unter dem Titel „Holy War and Unholy Peace“ mit den verschiedenen Friedensverträgen, die im 12. und 13. Jahrhundert zwischen den christlichen Kreuzfahrern und den Muslimen geschlossen wurden. Es zeigte sich, dass trotz des religiös überhöhten und bellizistisch umgesetzten Anspruchs der Kreuzfahrer auf das „Heilige Land“ sich vor Ort eine andere Situation ergab, die auf politische und ökonomische Probleme reagierte und praktische Lösungen für die Koexistenz der verfeindeten Parteien notwendig machte. So erklären sich die durch eine interreligiöse Diplomatie zustande gekommenen Friedensverträge, die sowohl dem Konzept des Jihad auf muslimischer als auch dem Konzept des Kreuzzuges auf christlicher Seite zuwiderliefen.
Malachi Hacohen, Professor für Geschichte, jüdische Studien und Religionswissenschaft am Trinity College of Arts & Science der Duke University und derzeit Leibniz-Professor an der Universität Leipzig, hielt einen ideengeschichtlichen Vortrag über jüdische Reaktionen auf den Krieg und arbeitete deutlich die Unterschiede heraus, die zwischen dem Judentum seit der rabbinischen Zeit und den anderen abrahamitischen Religionen im Hinblick auf eine Theorie des Krieges bestehen. Zwar waren die verschiedenen Vorstellungen über den Krieg, wie sie in der Hebräischen Bibel tradiert werden, bekannt, so dass sich jüdische Denker im Lauf der Geschichte auch damit auseinandergesetzt haben, allerdings finden sich in den rabbinischen Quellen, so Hacohen, nicht zuletzt wegen der jüdischen Diasporasituation keine konkreten Antworten auf die Fragen des modernen Krieges.
Matthew Rowley (Fairfield und Quinnipiac) konnte mit seinem Vortrag einen gewissen Kontrapunkt zu seinem Vorredner setzen. Der Frühneuzeithistoriker, der sich in seinen Publikationen mit Strategien christlicher Glaubensgemeinschaften zur Gewaltrechtfertigung beschäftigt hat, stellte ein neues Modell zur Erklärung religiöser Gewalt vor, das die viel- und wechselseitigen Beziehungen zwischen Gerechtigkeit, Heiligkeit und Gewalt zu theoretisieren versuchte. Interessant war hierbei die These, dass die strikte Unterscheidung zwischen Pazifismus, heiligem Krieg und gerechtem Krieg zu kurz greife, da eine solche theoretische Trennung der Bereiche aus Sicht der religiösen Akteure keineswegs immer vorhanden sei und die häufig anzutreffenden Überschneidungen der drei Bereiche unberücksichtigt lasse.
Abdullah Antlepi, Imam und Professor für die Praxis der interreligiösen Beziehungen an der Duke Divinity School, brachte zum Abschluss des Tages eine Keynote, in der er der Frage nachging, wie auch in Zeiten der Krise – neben dem Krieg nannte er das verheerende Erdbeben in der Türkei und Syrien – der Glaube an einen guten Gott bewahrt werden könne. Damit lieferte er einen muslimischen Beitrag zur so genannten Theodizeefrage, die auch in Judentum und Christentum prominent diskutiert wird.
Große Themenvielfalt in den verschiedenen Sessions
In den folgenden drei Tagen wurden in insgesamt neun Sessions unterschiedlichste Aspekte des diesjährigen Tagungsthemas diskutiert. Neben Fragen einer gelingenden friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften und neben einigen länderspezifischen Fallbeispielen für Versöhnungsprozesse religiöser Gruppen nach einer gewaltbelasteten Vergangenheit ging es auch um die theologischen Reaktionen unterschiedlicher religiöser Denkrichtungen auf das Phänomen des Krieges und um religiöse Begründungen für die Notwendigkeit des Militärdienstes. Ebenso wurde das Konzept der konstruktiven Resilienz im Glauben der Bahai diskutiert, die Wiederentdeckung des Humanismus in jüdisch-christlichen Kreisen nach dem Zweiten Weltkrieg besprochen sowie verschiedene Bildungsmaßnahmen in den Blick genommen, die fundamentalistischen und gewaltbereiten religiösen Strömungen mittels Dialog und Aufklärung etwas entgegenzusetzen versuchen. Bei den Vorträgen, die sich mit dem letzten Punkt befassten, zeigte sich, wie wichtig es ist, den Fokus nicht nur auf Forschung, sondern auch auf Bildung zu legen.
Die Situation in der Ukraine kam in einigen der Vorträge direkt wie indirekt zur Sprache. Etwa dann, wenn über die Beziehungen von Juden und Roma in der Ukraine während der Shoah gesprochen wurde oder über muslimische Reaktionen auf die Rolle der Russisch-Orthodoxen Kirche seit dem russischem Angriffskrieg oder wenn überlegt wurde, in welcher Weise das Konzept der Erwählung als religiös-politische Legitimation für den Angriffskrieg dient. Markus Thurau, Katholischer Theologe am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, ging in seinem Vortrag auf die Gewalterfahrungen in beiden Weltkriegen ein und konnte zeigen, dass diese Erfahrungen die christlichen Kirchen während und nach dem Kalten Krieg zu einem Konzept des Gerechten Friedens führten, das trotz der Wiederkehr des Krieges nach Europa nichts an Aktualität eingebüßt hat.
Passendes Begleitprogramm
Zwei Ereignisse begleiteten die Tagung: Am 4. Juli wurde in den USAUnited States of America der Unabhängigkeitstag gefeiert. Die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer nahmen hierfür am Baseballspiel der heimischen Baseballmannschaft, den Durham Bulls, teil. Nach dem Spiel und dem obligatorischen Singen der Nationalhymne als Ausdruck zivilreligiöser Praxis wurde auf dem Rasen des Stadiums das traditionelle Feuerwerk entzündet. Am 6. Juli wurde von einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der 17. Tammus begangen, ein jüdischer Fastentag, der an den Durchbruch der babylonischen wie römischen Belagerer durch die Jerusalemer Stadtmauern erinnert, in dessen Folge es zur Zerstörung des Tempels und der Stadt kam. Die Trauer über die fatalen Folgen kriegerischer Gewalt, die durch das Fasten zum Ausdruck gebracht wird, hier und die Freude über die Unabhängigkeit dort, die erst durch kriegerische Auseinandersetzung erreicht werden konnte, bildeten ganz unbeabsichtigt einen äußerst passenden Rahmen für diese durchweg spannende Tagung.