Forschungsbericht

Bevölkerungsmeinung zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr

Bevölkerungsmeinung zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr

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Rückverlegung aus Afghanistan

Die letzten Soldaten steigen in das Transportflugzeug C17 der USUnited States-Streitkräfte in Mazar-e Sharif/Afghanistan während der Rückverlegung und Ende der Mission Resolute Support (RSMResolute Support Mission), am 29.06.2021.

Bundeswehr/Torsten Kraatz

Zeit, Bilanz zu ziehen

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist nach fast zwei Jahrzehnten beendet. Jetzt heißt es, den Einsatz aufzuarbeiten und aus den Erfahrungen für die Zukunft zu lernen. Dabei sollte auch die öffentliche Meinung zum Einsatz kritisch reflektiert werden. War der Einsatz aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger ein Misserfolg? Gab es eine einsatzbedingte Entfremdung zwischen Bevölkerung und „Einsatzarmee“? Die Bevölkerungsbefragungen des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr geben Antworten auf diese Fragen.

Hohe Bekanntheit

Der anfängliche Stabilisierungs- und spätere Kampfeinsatz ISAFInternational Security Assistance Force in Afghanistan war in der Zeit von 2006 bis 2014 der in der Bevölkerung bekannteste Auslandseinsatz der Bundeswehr (siehe Tabelle 1). Zwischen 43 (2008) und 67 Prozent (2011) der Bundesbürger gaben an, zumindest einen grundlegenden Kenntnisstand zu diesem Einsatz zu haben.

Mit dem Wechsel zum Ausbildungseinsatz Resolute Support (RS) im Jahr 2015 sank die Bekanntheit des Bundeswehr-Engagements in Afghanistan deutlich und nahm im weiteren Verlauf sukzessive ab. Ungeachtet dessen war der subjektive Kenntnisstand in der Bevölkerung selbst zum Einsatz Resolute Support höher als z.B. zur Stabilisierungsmission MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali in Mali, obwohl diese inzwischen der größte und gefährlichste Auslandseinsatz der Bundeswehr ist. Afghanistan eignet sich also nicht als Beleg für eine fehlende öffentliche Kenntnisnahme der Auslandseinsätze der Bundeswehr oder für ein „freundliches Desinteresse“ der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Bundeswehr.

Bekanntheit des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan.

Bekanntheit des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan.

ZMSBw 2021

Differenzierte Erfolgswahrnehmung

In den Jahren 2007 bis 2013 wurden die Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, die unterschiedlichen Auswirkungen des Afghanistaneinsatzes zu beurteilen (siehe Abbildung 1). Die Auswirkungen des Einsatzes auf das Ansehen Deutschlands in der islamischen Welt und die Sicherheitslage in Deutschland wurden im Durchschnitt eher kritisch beurteilt. Dagegen attestierten die Befragten dem Einsatz eher positive Auswirkungen auf den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, die Stabilität in der Gesamtregion und (zumindest zeitweise) die Entwicklungschancen Afghanistans – alles Kernziele der ISAFInternational Security Assistance Force-Mission. Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger hat der Afghanistaneinsatz aber vor allem das gesellschaftliche Ansehen der Bundeswehr in Deutschland verbessert. Diese Befunde belegen, dass in der Bevölkerung ein durchaus differenziertes Bewusstsein für die unterschiedlichen Auswirkungen des Einsatzes bestand und dieser keineswegs ausschließlich als Misserfolg wahrgenommen wurde.

Bewertung der Auswirkungen des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr.

Bewertung der Auswirkungen des ISAFInternational Security Assistance Force-Einsatzes der Bundeswehr.

ZMSBw 2021

Anerkennung für die Einsatzveteranen

In der Medienberichterstattung über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr war und ist oft von fehlender öffentlicher Anerkennung für die Einsatzsoldaten die Rede. Die Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung aus dem Jahr 2010 zeigen, dass 66 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, dass die Bundeswehrsoldaten für Auslandseinsätze wie in Afghanistan eine zu geringe gesellschaftliche Anerkennung erhalten. In der Bevölkerung besteht also ein Bewusstsein dafür, dass den Einsatzsoldaten und -veteranen mehr gesellschaftliche Anerkennung zuteil werden sollte. Dabei sollte die gesellschaftliche Anerkennung aber keineswegs auf die öffentliche Meinung reduziert werden.

An der Einstellung der Bevölkerung sollte dies nicht scheitern, denn eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ist bereit, den Einsatzveteranen mehr Respekt zu zollen. In der Bevölkerungsbefragung 2012 wurde die Zustimmung zu möglichen Unterstützungsmaßnahmen für Veteranen abgefragt. Alle Maßnahmen wurden von einer absoluten Mehrheit befürwortet, insbesondere solche, die einen eher symbolischen Charakter haben.

Dass die Bevölkerung besonders offen für „Symbolpolitik“ ist, zeigen weitere Umfragen des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr: 54 Prozent befürworteten die Einführung einer Medaille für Soldaten, die in Auslandseinsätzen in Gefechten standen (2010), 56 Prozent sprachen sich für die Einführung einer Tapferkeitsmedaille aus (2008) und 57 Prozent stimmten der Aussage zu, dass die in Ausübung ihres Dienstes ums Leben gekommenen Angehörigen der Bundeswehr durch ein Ehrenmal der Bundeswehr gewürdigt werden sollten (2008). Viele dieser Maßnahmen wurden inzwischen umgesetzt:

Rückverlegung aus Afghanistan

Soldaten transportieren den Gedenkstein vom Ehrenhain der Mission Resolute Support (RSMResolute Support Mission) mit einem Tieflader (SLT schwer) nach Schwielowsee im Rahmen der Rückverlegung und Ende der Mission RSMResolute Support Mission, am 27.05.2021.

Bundeswehr/Thomas Bierbaum

Dem Narrativ der fehlenden Anerkennung zum Trotz zeigen die empirischen Befunde, dass in der Bevölkerung ein durchaus selbstkritisches Bewusstsein für die eher geringe gesellschaftliche Anerkennung der Einsatzsoldaten besteht und dass eine große Mehrheit bereit ist, den Einsatzsoldaten und -veteranen insbesondere durch symbolische Maßnahmen mehr gesellschaftliche Anerkennung zuteilwerden zu lassen.

Fazit

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Bevölkerungsbefragungen des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr zum Afghanistaneinsatz erscheint es ungerechtfertigt, der deutschen Bevölkerung ein „freundliches Desinteresse“ an der Bundeswehr als Einsatzarmee zu unterstellen. Gerade die beinahe 20 Jahre andauernde Mission in Afghanistan eignet sich nicht als Beleg für ein fehlendes öffentliches Interesse an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Zudem bestand in der Bevölkerung eine differenzierte Wahrnehmung der vielfältigen Auswirkungen dieses Einsatzes - als totaler Misserfolg wurde dieser nicht wahrgenommen. Aus Sicht der Bürger entfaltete der Einsatz die positivste Wirkung an der „Heimatfront“, indem er das gesellschaftliche Ansehen der Bundeswehr in Deutschland steigerte, was der These einer einsatzbedingten Entfremdung zwischen Bevölkerung und Bundeswehr zuwiderläuft. Ebenso widerspricht dem der Befund, dass in der Bevölkerung eine große Bereitschaft besteht, den Einsatzsoldaten und -veteranen durch eine Vielzahl von Unterstützungsmaßnahmen mehr gesellschaftliche Anerkennung zuteilwerden zu lassen.

Rückkehrerappell in Wunstorf

Der Befehlshaber der Bundeswehr in Afghanistan, Brigadegeneral Ansgar Meyer, spricht zu den Soldatinnen und Soldaten der Mission Resolute Support (RS) nach der Landung beim Rückkehrerappell auf dem Fliegerhorst Wunstorf beim Lufttransportgeschwader …

Bundeswehr/Thomas Hufnagel

Literatur

Graf, Timo (2022). Naive Pazifisten? Die Deutschen und der Krieg in Afghanistan. In: Zeitschrift für Innere Führung, Ausgabe 1/2022: 66–67.

Graf, Timo (2021). Freundliches Desinteresse als Bilanz? Die Einstellung der Deutschen zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan auf dem Prüfstand. In: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik (online first)

Graf, Timo (2021). Mehr als „freundliches Desinteresse“: Die öffentliche Meinung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. In: Zeitschrift für Innere Führung, Ausgabe 4/2021: 74–75

von Timo Graf