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Zugehört 86 - Transkript

Datum:
Lesedauer:
43 MIN

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Michael Gutzeit:
Sehr geehrte Damen und Herren, Herzlich willkommen zu unserer neuen Folge von Zugehört. Heute im Studio hier bei mir Prof. Dr. Sönke Neitzel von der Universität Potsdam. Mein Name ist Michael Gutzeit, ich bin Oberstleutnant und Leiter der Informationsarbeit am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Heute wollen wir uns bei der Folge von Null auf Bündnis über die Bundeswehr unterhalten, anlässlich ihres 70. Gründungstages. Und in dieser Folge geht es speziell um die ersten 20 Jahre. Herr Neitzel, herzlich willkommen.
Sönke Neitzel:
Ja. Hallo Herr Gutzeit.
Gutzeit:
Ich habe hier, auch von Ihnen, ein wunderbares handliches Buch in der Hand: „Die Bundeswehr“. Und daraus möchte ich vorlesen, denn ich denke eine bessere Einleitung für diese Folge würde man nirgendwo anders finden können: „Der Anfang war schwer. Nur 10 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in einem geschlagenen, zerstörten und geteilten Land, eine Armee aufzubauen, ist ein mutiges Projekt gewesen. Außenpolitisch war die Ressentiments gegen die Deutschen, die wenige Jahre zuvor Europa mit Krieg, Gewalt und Unrecht überzogen hatten, bei den Nachbarn verständlicherweise groß war. Innenpolitisch war die Erfahrung der Weltkriege und der Weimar Republik, das Verhältnis der Westdeutschen zu ihren Soldaten grundlegend verändert hatten. Und militärisch, weil diese neue Armee aus dem Nichts aufgebaut werden musste und außerdem fraglich war, ob konventionelle Streitkräfte in der Konfrontation der nuklearen Supermächte im Atomzeitalter überhaupt noch einen Beitrag zur Verteidigung des Landes würden leisten können. Well done. Also dann, Herr Professor, frage ich Sie, wenn wir an den Gründungstag der Bundeswehr denken, was war denn davor? Wie stark war denn zum Beispiel, wenn wir uns in die damalige Zeit hineinversetzen, der Koreakrieg Auslöser für eine westdeutsche Wiederbewaffnung? Oder war es die Angst vor dem Dritten Weltkrieg oder die pure Angst vor Moskau's Eskalation?
Neitzel:
Also mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland unter 1949 beginnen ja Überlegungen. Das hat ja auch hier aus dem Haus der Kollege Loch schon rausgearbeitet, dass Eberhard Wildermuth, der Bundesbauminister, so eine Art Schattenverteidigungsminister ist, die erste Überlegungen losgehen, das auch schon vor Himmerod es schon konzeptionelle Überlegungen gibt. Wie sähe denn eigentlich ein deutscher Verteidigungsbeitrag aus? Wie soll man das organisieren? Das sind alles theoretische Überlegungen, wie würde man das machen? Stay behind Organisationen und wie kann man dann Verbände aufbauen? Das bleibt alles Theorie, vier, fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Und der entscheidende Katalysator ist dann in der Tat im Juli 1950 der Koreakrieg. Warum ist das so? Die kommunistischen Truppen aus Nordkorea, dann später auch mit Unterstützung Chinas, überrollen Südkorea und es gelingt den UNUnited Nations-Truppen, vor allen den Amerikanern, nur mit Mühe und Not, Südkorea zu halten, ein Jahr tobt das hin und her. Und in den USAUnited States of America ist die große Angst, das ist der erste Dominostein. Das ist nur der Auftakt, der kommunistische Block mit seinen Satelliten starten wird, jetzt auch in Westeuropa. Also eigentlich steckt die Sowjetunion dahinter und wird auch Westeuropa überrollen. Und dann beginnt die Überlegung, wie verteidigen wir eigentlich Westeuropa? Dann stellt man fest, dass die Alliierten konventionell massiv abgerüstet haben und dann sind Überlegungen, naja, also wenn wir das konventionell machen, dann können wir die Sowjets vielleicht erst an den Pyrenäen aufhalten. Und dann sind die Amerikaner sehr pragmatisch und sagen, was haben wir denn? Und dann sagt, ach es gibt ja noch die Westdeutschen und die haben noch einst mal einen Krieg geführt in der Sowjetunion und die werden ja im amerikanischen Militär eher bewundert für ihre Auftragstaktik und so weiter. Und sagen ok, na dann müssen die auch einen Beitrag leisten. Und dann kommen die Franzosen rein und sagen, nein, wir wollen nicht, dass die Bundesrepublik Deutschland in die NATONorth Atlantic Treaty Organization geht, wir wollen eine europäische Verteidigungsarmee. Also ja zunächst die Planung in Richtung EVG, Vertrag wird unterzeichnet, dann aber nicht ratifiziert. ´54, die Franzosen vertagen das. Und dann sagt man ja bei amerikanischem Druck, wir müssen einen Westdeutschen Verteidigungsbeitrag haben, dann eben die NATONorth Atlantic Treaty Organization, dann macht man einen Kompromiss, britische Truppen in Deutschland, dass man auch die Deutschen kontrolliert, die NATONorth Atlantic Treaty Organization to keep the Russians out, the Americans in and the Germans down, wie der erste Generalsekretär sagte. Und so hat sich also in diesen fünf Jahren, gut fünf Jahren, von Ende ´49 bis ´55 so viel gedreht an Konstellation und ohne den Koreakrieg, würde ich sagen. Also irgendwann wäre das gekommen, aber ohne den Koreakrieg war es dann der Katalysator eigentlich auch, dass die Amerikaner Druck machten und dann auch die Franzosen überstimmen. Ohne dass hätte der Verteidigungsbeitrag anders ausgesehen und wäre die Bundesrepublik wahrscheinlich nicht 55 souverän geworden, die Bundeswehr nicht am 12. November 1955 gegründet worden.
Gutzeit:
Und wie sehr war das Ganze dann auf amerikanischen Druck entstanden? Oder gab es dann vielleicht auch eine deutsche Initiative? Oder vielleicht, weil man auch Angst hatte, wenn es uns wie Südkorea geht, dann müssen wir das selber machen oder ist hier…?
Neitzel:
Also das beides trifft sich, wie gesagt schon ab ´49 beginnt Adenauer mit Wildermuth, und Wildermuth beginnt dann sein Netzwerk, man beginnt nachzudenken. Und diesem Gründerkreis, also da ist dann eben früh Heusinger dabei, Speidel, Kielmansegg, de Maizière und so weiter, denen ist schon klar, wenn wir ein souveräner Staat sein wollen, brauchen wir Streitkräfte. Und das Interessante ist, dass das nicht nur die Militärs so sehen, vielleicht aus eigenem Interesse, sondern eben auch einem Adenauer klar ist. Also durch und durch Zivilist, dem ist klar, das ganze Streben ist ja Integration in den Westen, Westintegration, aber dabei Souveränität gewinnen auf gleicher Augenhöhe. Und dem ist 1949 klar, man ist noch besetzt, es gibt das Besatzungsstatut noch. Wie erreichen wir das? Und die Mohrrübe, die Adenauer den Amerikanern vorhält, ist die Bundeswehr. Ist die Aufstellung von Streitkräften. Wir machen das? 12 Divisionen in drei Jahren war das Versprechen, dafür kriegen wir aber die Souveränität. Wir können nur Streitkräfte aufbauen, wenn wir ein souveränes Land sind, sonst wären das ja Söldner. Und in diese Mohrrübe, ich sag's jetzt mal ein bisschen vereinfacht, beißen die Amerikaner rein. Und insofern haben wir einen Schulterschluss der politischen Gründergeneration, der Bundesrepublik Deutschland, der militärischen Gründergeneration, die sagen, wir müssen souverän sein und dafür brauchen wir Streitkräfte. Streitkräfte haben immer eine außenpolitische Wirkung. Und das ist ja heute so, das war damals so. Und das kann man wunderbar verdeutlichen, dass sagen die Pariser Verträge, die dann ´54 geschlossen wurden. Die Ablösungsbesatzungsstatuts, hätte es so schnell ohne diese Wiederbewaffnung nicht gegeben. Außenpolitisch ist die Bundeswehr von enormer Bedeutung.
Gutzeit:
Ja, das finde ich auch sehr interessant, dass man durch Schaffung einer Armee die Fahrkarte in Richtung Souveränität und Freiheit löst. Und ich denke, es gibt viele bekannte Adenauer-Zitate, wie „Wir wählen die Freiheit“. Aber eins von 1950 finde ich sehr markant. Nämlich, „Wenn der deutsche Mensch Opfer jeder Art bringen soll, so muss ihm wie allen westeuropäischen Völkern der Weg zur Freiheit offen sein.“ 
Und dass dieser Weg zur Freiheit durch eine Armee gepflastert wird, das finde ich wirklich, ist etwas, woran wir gerade jetzt uns erinnern sollten.
Gutzeit:
Unbedingt. Also da ist diese Vernetzung, diese Verquickung, die außenpolitische Bedeutung. Also die Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland ist in meiner Sicht ganz zentral mit der Geschichte der Bundeswehr verbunden. Also das ist eben nicht nur eine Geschichte jetzt im engeren Sinne des Militärs. Sondern, da kommen wir ja noch darauf in unserem Gespräch, das hat eine erhebliche außenpolitische Dimension, das hat eine innenpolitische Dimension und natürlich die Militärische. Und in diesem Dreiklang müssen wir eigentlich immer Streitkräfte bewerten. Das ist heute genauso wie in den 50er Jahren.
Gutzeit:
Vielleicht fangen wir mal innenpolitisch an, denn ich denke, das Einschlagen in die Richtung Freiheit mit einer Armee war nicht unumstritten, sondern es gab innerhalb Westdeutschlands, gab es große Widerstände, nämlich zum Beispiel die „Ohne-Mich-Bewegung“. Die Angst vor einem neuen Staat im Staate wie mit der Reichswehr in der Weimarer Republik. Können sie was zur innenpolitischen Situation sagen?
Neitzel:
Das war natürlich sehr schwierig, als diese ersten Ideen dann beim Korea-Krieg, als es dann auch öffentlich wurde, mit Wiederbewaffnung, als der Pleven-Plan kommt, also die Europäische Armee. ´52 unterzeichnete Regierungen, ja dann den Vertrag zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft, also da ist man mitten drin auf dem Weg zur Wiederbewaffnung. Und 1950 war noch mehr Mehrheit dagegen, dann ´55 keine Mehrheiten mehr. Aber die Debatten waren heftig. Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen. Heute reden wir immer von Spaltung und so, und wir vergessen eigentlich, wie heftig in der frühen Bundesrepublik auch gestritten wurde. Das Interessante ist, also A, ´55, als dann die entscheidenden Wegmarken kommen zur Bundeswehr, war es keine Mehrheit mehr.  Mein Argument, die Deutschen waren nie in Mehrheit Pazifisten, auch wenn man das vielleicht heute so sehen mag, waren sie nie, können wir empirisch nicht nachweisen. Und diese Bewegung „Ohne mich“ war extrem gespalten. Also da haben wir natürlich die Kirchen, da haben wir Teile der SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands dabei. Da haben wir aber auch rechtskonservative Kräfte dabei. Die argumentieren, wenn wir eine Wiederbewaffnung machen, wird das die Spaltung des Staates zementieren, weil, in der Nation muss ich mich korrigieren. Und wir wollen ja ein wiedervereinigtes Land werden. Und diese Bewegung hat es nicht geschafft, an einem Strang zu ziehen, weswegen sie dann auch verloren haben. Die Bundeswehr ´55, die Gründung. ´56 und ´57 gewinnt Adenauer mit absoluter Mehrheit, die Bundestagswahl. Und also das ist eine große Debatte gewesen. Und auch nochmal, weil es so aktuell ist, als dann 56 das Wehrpflichtgesetz, also verabschiedet wird. Erst mal gibt es das noch nicht. In 55 die Aufstellung der Bundeswehr ist ja, wird improvisiert, auch das Gesetzgebungsverfahren. Dafür lässt man sich Zeit, ist ein Plan des Verteidigungsministeriums wird es dann durchpeitschen, sagt die SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands, nein, wir müssen Soldatengesetz, Wehrdisziplinarordnung alles machen. Auch Wehrdienst müssen wir entscheiden. Und dann ist es interessant, dass das ja auch im Bundestag viel dagegen stimmen, zum Beispiel die SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands. Wobei das auch immer Hintergrund hat, war in der Opposition. Und man stimmt ja nicht für die Regierung. Aber Adenauer kann mit den Stimmen der CDUChristlich Demokratische Union und der Deutschen Partei, seinem Koalitionspartner, das dann durchsetzen. Das sind heftige Debatten. Und für uns heute ist so interessant daran, weil diskutiert wird jetzt auch wieder, Wehrdienst/Wehrpflicht. Ja, die Bevölkerung ist noch nicht so weit, und so. Es gab in der Geschichte der Bundesrepublik immer auch Opposition gegen Themen, der Sicherheitspolitik. Aber es wurde entschieden. Also Adenauer hat nicht gesagt, ich muss jetzt 90 Prozent der Bevölkerung überzeugen. Adenauer war überzeugt, es geht nur mit Wehrpflicht. Und da hatte er Recht. Es geht nur so, diese 500.000 Mann wurden ja wirklich auf den Mann erst 1977 erreicht. Ohne Wehrpflicht wäre das nicht gegangen. Und er hat entschieden. Also wenn wir heute debattieren und sollen wir nicht und kann nicht und hin und her, müssen wir uns auch an diese Zeit erinnern, da wurde entschieden.
Gutzeit:
Wenn wir über die Opposition gegen die Bundeswehr sprechen, welchen Stellenwert hatte die atomare Frage? Hat man gesagt, wir wollen keine Armee, weil wir in einem Atomzeitalter leben und deswegen eigentlich ein Massenheer obsolet geworden ist? Oder hat man gesagt, weil wir in einem Atomzeitalter leben, wollen wir uns nicht beteiligen, weil dann werden diese Waffen eingesetzt werden. Und Deutschland stand ja auch vor der Frage: Atomwaffen ja oder nein oder nukleare Teilhabe?
Neitzel:
Also all diese Argumente spielen eine Rolle. Sie werden dann noch mal viel virulenter als dann Strauß Verteidigungsminister wird, der Nachfolger von Blank. Und Strauß ganz öffentlichkeitswirksam mit dieser Frage ab 58 spielt. Und man das auch ein bisschen offen lassen will. Man fühlt sich diskriminiert, auch Strauß gerade sagt, also Gott, wir werden, wir brauchen Atomwaffen, wir wollen gleichberechtigt sein. Und für den Moment verzichten wir, aber das kann ja in Zukunft irgendwie auch anders sein. Und dagegen gibt es dann auch große Widerstände, die sagen nein, also die Bundesrepublik Deutschland nicht und das ist ja alles ein Wahnsinn, in welche Richtung das geht. Und die Bundesrepublik Deutschland löst das dann ja mit der nuklearen Teilhabe, indem man dann sagt, man ersetzt auch ab 58, wenn ich es richtig im Kopf hab´, bekommt die Luftwaffe, dann ja taktische Nuklearwaffen, die sie dann auch einsetzen soll, in der Strategie der Massive Retaliation.
Gutzeit:
Wenn wir mal von solchen Doktrinen und Strategien wie der massiven Vergeltung zurückgehen, zum Beispiel noch mal acht Jahre vorher, 1950, wo es wirklich um die Grundkonzeption der Bundeswehr geht, dann möchte ich mit Ihnen über die Himmeroder Denkschrift sprechen. Da haben sich ehemalige Generale getarnt als Versicherungsvertreter in einem Kloster in der Eifel und haben eine Denkschrift verfasst. Welchen Stellenwert hat dieses Dokument für die Bundeswehr?
Neitzel:
Also es gilt ja so ein bisschen als das Gründungsdokument der Bundeswehr, die Magna Carta der Bundeswehr. Aber auch durch die Forschung hier am Haus, im ZMSBW, ich habe Herrn Loch schon erwähnt, wissen wir, also diese Denkschrift fällt ja nicht vom Himmel. Sondern es gibt Vorüberlegungen seit 1949, Wildermuth in seinem Kreis. Heusinger und andere, gibt es auch schon Vorläuferdokumente schon aus dem Jahr 1950 und dann ist Himmerod eine ganz wichtige Zusammenkunft, wie Streitkräfte strukturiert werden sollen. Aber auch etwas ganz wichtig in der Debatte auch nach Innen etwas grundlegend Neues zu schaffen. Also auch eine Geburtsstunde der inneren Führung, Baudissin ist dabei, als Jüngster… Ist eine ein bisschen wilde Geschichte, wie er überhaupt dazukommt, als Major. Aber das ist sozusagen Himmerod. Ja, es wird dann immer natürlich auch ein bisschen einfacher gemacht, als es wirklich war. Wir Stalker sagen immer, es ist komplizierter. Er gilt dann so ein bisschen als der Starting Point der Bundeswehr. Und gewisse, dass wir sind auf einem Weg. Es ist ein Prozess hin, wie soll eigentlich eine Bundeswehr aussehen und dass es eben einerseits Kontinuitätslinien gibt, es keinen harten Cut gibt, aber dass eben der Gründergeneration auch klar ist, das soll jetzt nicht nur die Wehrmacht in neuem Gewande sein, sondern wir müssen auch diese Armee in eine Armee, nicht nur in der Republik, sondern in eine Armee DER Republik verwandeln. Und das ist damit auch etwas grundlegend Neues.
Gutzeit: 
Wenn es um das neue Gewand geht, dann möchte ich aber gerade mal über das Innere sprechen. Weil, Sie haben es ja schon gesagt, das innere Gefüge, noch so benannt in der Himmeroder Denkschrift, das wird die innere Führung. War das damals eigentlich eher so eine intellektuelle Maskerade eigentlich für den archaischen Kämpfer oder war das wirklich gelebte Praxis, 10 Jahre nach Ende II. Weltkrieg?
Neitzel:
Also wir haben ja bis heute diese große Debatte und ich würde sagen, die innere Führung ist einer der großen Mythen der Bundeswehr bis heute. Und es gibt einen Doktoranden bei mir, Timo Feilen, der dazu promoviert, und von dem kommt der Satz: „Das ist eigentlich eine Art Religionsersatz für die Bundeswehr!“. Jetzt müssen wir mal seine Arbeit abwarten und sehen, wie er das begründet. Ich würde mal jetzt vorläufig sagen, die Gründergeneration meint das wirklich ernst, 
dass man etwas, nach Innen was Neues schafft. Das meint die wirklich ernst. Auf der anderen Seite, was nicht gesehen wird, ist die Menschenführung der Wehrmacht viel moderner, als wir glauben. Also auch der damaligen Zeit. 08/15, der Roman von Kirst, nur Schleiferei und so. Also so hätte die Wehrmacht sicherlich nicht sechs Jahre kämpfen können. Und es ist dann oft so, dass de facto man meint, gute Menschenführung. Vom Konzept ist es viel mehr, die Übertragung der Werte, Normen des Grundgesetzes auf die Bundeswehr. Um das jetzt mal in meiner Sprache zu sagen. Was das dann konkret heißen soll, da sind viele überfordert. Und zwar vor allen Dingen, es hat gar nicht mit der Wehrmachtvergangenheit zu tun. Vor allen Dingen die jungen Unteroffiziere, die da, was soll das irgendwie?... während die Stabsoffiziere, das zeigen schon Umfragen Ende der 60er Jahre, sich durchaus dafür interessieren, für diese neuen Konzeptionen. Das auch gut finden. Auch ein Albert Schnez zum Beispiel, „Schnez-Studie“ 1969, kommen wir noch drauf, hat einen Prolog, wo er sich ganz klar zu inneren Führungen bekennt. Aber in der Praxis ist dann die große Frage, was heißt das eigentlich? Und jeder Bundeswehroffizier, sie inklusive Herr Gutzeit, kann ja auch nachts, wenn er um drei geweckt wird, dann irgendwie die vier Grundsätze aufsagen. In der Bundeswehrrealität interessiert sich kein Mensch dafür und sagt, klar, ich lebe diese Werte der Gesellschaft logischerweise, weil ich ja auch in dieser Gesellschaft lebe. Und wir wissen es auch so ein bisschen von unserer hoffentlich guten Kinderstube, was sich gehört und was sich nicht gehört. Und mein Punkt ist, die Bundeswehr brauchte auch ein Stück weit ein Label, Corporate Identity, Mission Statement, würde wir sagen. Was sie nach Außen zeigen konnte. Weil, sie waren natürlich immer bis heute mit den Skandalen unter permanentem Verdacht. Es ist eine Organisation von Rechtsradikalen, von Rechtsextremisten. Wir haben es bis heute bei jedem Skandal und dann kommt die Bundeswehr, wir haben aber die innere Führung. Und die Bundeswehr ist sicherlich in vielen Dingen auch damals heute moderner, würde ich sagen, als andere Armeen, spanische Armee oder die britische Armee in vielen Dingen in dieser Zeit, aber es ist eben auch ein Mission Statement. Als was die meisten es nicht erkennen und ich würde sagen, das muss man als solcher sehen, das ist nicht falsch. Jede Institution, auch die Uni Potsdam, hat sowas, alle möglichen Institutionen. Und ich würde immer sagen, es ist ein Gewese, was man um die innere Führung macht. Und wenn man es als eine Art Mythos, den man als Außendarstellung braucht, sieht, wenn man es auch als ein Versuch sieht, natürlich, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Werte auf die Streitkräfte übertragen und selbstverständlich, ja was soll man anders machen? Jeder Staat macht das. Das hat das Kaiserreich gemacht, das hat das Ritterreich gemacht, das hat DDRDeutsche Demokratische Republik gemacht. Alle Staaten sind daran gescheitert und dann natürlich nicht die Bürgerinnen und Bürger so politisiert, wie sie das wollten. Das gelingt auch, glaube ich, der Bundesrepublik Deutschland nicht. Verfassungspatriotismus und so ist nicht so stark, wie wir das eigentlich wollen. Also da ein bisschen mehr Realismus reinbringen und weniger Mythenerzählungen von Baudissin, fände ich ganz gut. Aber das ist jetzt wieder meine wissenschaftliche Perspektive. Ich sage mal, Narrative haben ja ihren Sinn. Und dieses Narrativ um die innere Führung hat für die Bundeswehr ihren Sinn. Also es geht nicht darum, was ich jetzt sage richtig falsch, sondern nur, dass wir Teil des Narrativen sind, aber es als Narrativ erkennen sollten.
Gutzeit: 
Also für mich muss ich sagen großen Sinn. Also für eine innere Führung denke ich im Werten unseres Grundgesetzes und vielleicht liegt es auch daran, dass die Bundeswehr die älteste deutsche Armee ist, also nationalstaatlich, gedacht, die wir je hatten.
Neitzel:
Das würde ich wieder Teil eines Mythos sehen. Es gibt ja auch die, wegen der inneren Führung haben wir in Afghanistan keine Kriegsverbrechen begangen. Das würde ich sagen, ist Teil eins institutionellen Narrativen. Ich halte das für Quatsch, aber ich kann verstehen, dass es institutionelle Narrative gibt. Also es gibt es in jeder Organisation. Das kann, jeder Fußballverein kennt das. Ich bin
HSV-Fan. Ich stehe gerne als Zeitzeuge zur Verfügung über Narrative aus den 80er Jahren, die, natürlich ja, dem Made-Up... Und von daher wir beschäftigen uns. Es ist so, wir dekonstruieren ein Narrativ, aber wir sollten immer sehen, es macht Sinn. Und andere Streitkräfte, haben andere Narrative, die dann weiter in die Geschichte zurückgehen. Und wenn wir uns die Value System der britischen Armee ansehen, da kommt ein Humor vor. Das wäre jetzt vielleicht für die Bundeswehr gar nicht vorstellbar. Also für mich als Außenstehender, als Zivilist, als Nichtsoldat, als Wissenschaftler ist das immer so ein bisschen drollig mit der inneren Führung. Und es ist auch für Außenstehende so.
Also, wenn man die Militärattaché-Berichte der Briten liest, aus dem Kalten Krieg, dann rollen die immer mit den Augen und sagen, jetzt kommen die Deutschen wieder und einer sagt, Democratic is the most overworked World in the German Armed Forces. Die können das alle nicht mehr hören, weil die auch demokratisch sind und die Deutschen so bisschen das so vor sich her tragen. Aber wir haben eben eine besondere Geschichte. Wir haben die Brüche, wir haben eben diese Abgrenzung auch. Und natürlich ist die Bundeswehr die unterscheidet sich natürlich von der Wehrmacht, aber in gewissen Ding eben auch nicht. Also in der Menschenführung vielleicht am wenigsten. Das natürlich in der Bundeswehr keiner wahrhaben will, aus nachvollziehbaren politischen Gründen. Aber die Wehrmacht war, also auch verbrecherische Organisationen können moderne Konzepte von Menschenführung können. Leider, deswegen sind sie ja, sagen wir auch so erfolgreich gewesen, in Anführungsstrichen bitte. Also das ist ein interessantes Thema und ich würde immer sagen, die Bundeswehr brauchte das am Anfang. Aber sie hat, das darf man nicht vergessen, also das war nicht nur Show oder so. Ich glaube wirklich, die Bundeswehr, wenn man sich in der inneren Verfasstheit ansieht, in ihren Regelsystemen ansieht, in ihrer Strafordnung ansieht, in ihrem Kasernenalltag ansieht, dann ist die Bundeswehr keine Wehrmacht in neuem Gewande, sondern sie ist eine neue Armee. Da kommen auch amerikanische Einflüsse, da kommen französische Einflüsse, da kommen britische Einflüsse rein. Und sie lebt ja auch mit der Zeit. Das merkt man ja auch bei der Bundeswehr. Die Bundeswehr verändert sich über ihre 70 Jahre, sie lebt in dieser Gesellschaft.
Gutzeit:
Vielleicht setzt es mir da mal an, also neue Armee, eine Armee der Demokratie, aber mit dem Erbe der Wehrmacht. Und das Erbe hatte ja auch eine gewisse Belastung für den neuen Körper, für den neuen Geist. Zum Beispiel gab es den Personalgutachterausschuss, es gab aber auch das operative Know-how der ehemaligen Wehrmachtsangehörigen. Wie bewerten Sie dieses Erbe? War es ein Ballast oder war es eher vielleicht ein Stumpf, auf dem man mit neuer Ausrüstung aufgesattelt hat?
Neitzel:
Also die Bundesrepublik Deutschland entscheidet sich anders als die DDRDeutsche Demokratische Republik für eine Elitenkontinuität. In allen gesellschaftlichen Bereichen, auch im Militär. Und wir haben die 40.000 ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die die Bundeswehr aufbauen, die 44 Generale, die 13.000 Offiziere. Anders als in der DDRDeutsche Demokratische Republik. Also da sind es, glaube ich drei Wehrmachtgenerale und die werden dann 58 ausgeschmissen. Natürlich haben wir irgendwelche Mannschaften Unteroffiziere. Aber die Kontinuität ist natürlich viel, viel größer in der Bundesrepublik. Das hat ja den Vorteil, dass die Bundeswehr schneller eine professionelle Armee war, weil sie im Führungspersonal doch recht qualifiziert war. Das hatte die NVANationale Volksarmee nicht. Das Problem war natürlich immer, eigentlich alle Staaten haben Kontinuitäten und machen einfach so weiter, das war ja allen klar, das kann so nicht funktionieren. Und es gibt ja auch die Brüche. Diejenigen, die in die Wehrmacht kommen, dass, Peter Lieb untersucht das hier im Haus oder mal in der Studie, sind eigentlich die Liberalen der Wehrmacht. Also wenn man sieht, es sind 5 Prozent des Offizierschors, der Wehrmacht gehen in die Bundeswehr. Und wer sind diese 5 Prozent? Nach meinem Argument, das wird Peter Lieb nochmal weiter ausführen, sind das wiederum in der Wehrmacht die Liberalen. Die Radikalinskis, also die
Rammkris-Schörners, und die gibt es auch auf allen Dienstgraden, die gehen eben nicht in der Regel in die Bundeswehr. Und natürlich sind das im System der Bundeswehr wieder Konservative. Und natürlich sprechen die öffentlich über ein Thema nicht, nämlich über Kriegsverbrechen. Die waren alle Teil eines verbrecherischen Systems, die wissen aber alle da drum. Und wir haben aber soweit ich weiß, auch keine Massentäter in der Bundeswehr. Die haben wir in der Bundespolizei, im BKABundeskriminalamt, die haben wir in bestimmten Ministerien, natürlich in den Firmen, Bertelsmann. Da kann man ja sehen, wo gehen die Leute hin aus den Einsatzgruppen. Die gehen eben nicht ins Militär. Und interessant ist, dass beim Personal-Gutachterausschuss relativ wenige abgelehnt werden, die meisten werden vorher aussortiert. Also dann ist klar, du bewirbst dich bitte nicht, du bist nicht erwünscht. Man nimmt dann auch einige wenige von der Waffen-SSSchutzstaffel, gibt es auch internationale Proteste, aber es sind nur wenige hundert. Also die Bundeswehr repräsentiert eben diesen Staat. Man kann ja nur in die Kabinettsliste, Globke und andere, die haben alle eine Vorgeschichte. Weil auch Adenauer der Meinung ist, ich muss eine funktionierende Verwaltung aufbauen. Ich kann das nicht sagen von null. Ich muss einen stabilen Staat aufbauen, um diese Bevölkerung, die ich nun mal habe, mit der Republik zu versöhnen. Und das gelingt ja. Und auch das haben Loch, Kesselring und andere ja wunderbar dargestellt, dass man einfach so ein Kompromiss, Ehrenerklärung, die ist natürlich aus Sicht des Historikers so höchst problematisch. Aber sie hat den Vorteil, dass man die Berufsoffiziere gewinnt und diese 9 Millionen ehemaligen Wehrmachtsoldaten eben nicht NPD wählen, sondern die wählen CDUChristlich Demokratische Union oder SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands. Und wir in einer Gesellschaft, die viel konservativer war als heute, eben keine rechtsradikale Partei im Bundestag haben. Also es ist eine große Integrationsleistung um den Preis, also sag mal salopp formuliert, eines verstrahlten Geschichtsnarratives. Also wir waren eigentlich die besten Soldaten der Welt, wenn der Führer nicht eingemischt hätte, hätten wir eigentlich den Krieg gewonnen. Und der Vernichtungskrieg wird natürlich mehr dargestellt, als man glaubt. Wir haben etliche Prozesse, um ein Einsatzgruppenprozess und so weiter. Auch die Frankfurter Auschwitzprozesse gehen früh los. Wir haben Generale, die angeklagt werden und so, aber wir haben natürlich die meisten Täter entkommen natürlich und das Wissen ist viel limitierter, als wir es heute haben. Insgesamt finde ich es schon eine ganz erstaunliche Aufbauleistung mit diesem Staat, mit dieser Bevölkerung, also 9 Millionen ehemalige Wehrmachtveteran, 250.000 von der Waffen-SSSchutzstaffel, Millionen Vertriebene, diese stabile Demokratie aufzubauen. Und das ist auch schon eine Leistung und man muss, wenn man die Gründergenerationen ansieht, natürlich kommen die, keiner von denen kommt mit einer weißen Weste aus diesem zweiten Weltkrieg raus, wie auch. Aber nur mal die Biografie von Heusinger. Also der dient erst dem Kaiser, dann dem Reichspräsidenten, dann dem Führer und dann der Bundesrepublik Deutschland. Das geht, also Leute können sich einstellen und wer würde bezweifeln, dass Heusinger ein Demokrat war? Oder Kielmansegg und so weiter, obwohl die natürlich Teil des Vernichtungskriegs auch waren. Die waren jetzt nicht Chef einer Einsatzgruppe, aber natürlich Heusinger war Chef der Operationsabteilung, brauch man nicht weiter ausführen. Aber die haben dann eben gesagt, nein, unser Referenzpunkt ist dieser neue Staat. Und das ist, sagen, eine große Aufbauleistung und sie bringen eben ihre militärische Professionalität mit in die Bundeswehr. Deswegen habe ich mit dieser Gründergeneration der Bundeswehr kein Problem als Bürger dieses Landes.
Gutzeit:
Ja, Sie sagten, der Referenzpunkt ist der neue Staat. Wenn wir an den Gründungstag denken der neuen Armee, der 12. November 1955, dann ist wahrscheinlich auch ein Referenzpunkt, dass Scharnhorst sein 200-jährigen Geburtstag gefeiert hätte, wäre er damals noch am Leben gewesen. Und wie viel kommt eigentlich von dieser historischen Referenz in die Bundeswehr? Denn auf Scharnhorst gehen ja Ideen und Zitate zurück, wie zum Beispiel „Alle Bürger eines Staates sind, Verteidiger desselben“. War damals schon dieser Gedanke in die Bundeswehr bewusst gepflanzt worden, auch als Wehrpflicht am Mäh zu funktionieren?
Neitzel:
Ganz interessant, dieser 12. November. Wie kommt das eigentlich zustande? Es ist ein reiner Zufall und da wird im Nachhinein viel mehr reininterpretiert. Ich finde trotzdem, dass es richtig war. Kurz erklärt: also es gibt die Pariser Verträge, es gibt die Deutschlandverträge, ´55 im Sommer geht es los. Und die Amerikaner sagen jetzt mal, husch husch, wo sind eure Divisionen? Und dann sagen die Deutschen dann, nein, so schnell geht das nicht. Wir haben erstmal den Gesetzgebungsprozess. Und eigentlich sagt das Militär, wir müssen erst den Gesetzgebungsprozess, Soldatengesetz und so weiter, Wehrpflichtgesetz abwarten. Und dann können wir die Bundeswehr aufbauen. Die Amerikaner machen aber Druck, die NATONorth Atlantic Treaty Organization macht Druck und die NATONorth Atlantic Treaty Organization zweifelt. Diese Deutschen meinen die das wirklich ernst, wenn die jetzt erstmal hier im Parlament ein Jahr diskutieren wollen. Und dann wird Blank nervös und sagt, wir müssen einen öffentlich sichtbaren Beitrag, wir müssen zeigen, das wird das ernst meinen. Also das ist die Diskussion im Oktober und dann sagen wir, ja am 12. November verleihen wir die ersten 100 Urkunden. Und dann kommt Ernst Ferber, da wird später nochmal 4-Sterne-General, damals Oberstleutnant auf die Idee: „Hey, 12. November, das ist doch der Geburtstag von Scharnhorst. Oh, so machen wir das!“ Und dann schreibt man in die Rede von Blank noch schnell drei Absätze über Scharnhorst rein. Und intern, Meier-Welcker, der erste Amtschef des militärgeschichtlichen Forschungsamtes, damals auch im Amt Blank, und sagt: „Naja, dieser Geburtstag von Scharnhorst, ick weeß nich, kennt doch keiner und was soll denn das?“. Und das ist doch ein Theaterspiel. Ist dann ja auch ein Theaterspiel mit diesen 100 Leuten, aber ist eine Idee von Ernst Ferber gewesen. Und im Nachhinein, also jetzt schnell Situationen, man macht das irgendwie, und die ersten wirklich Freiwilligen kommen dann ja erst im Anfang Januar 56, die ersten Wehrpflichtigen, erst in 57. Ich glaube aber, dass Scharnhorst so in der Hektik gut gewählt war. Weil, er einerseits die Idee der Wehrpflicht, der Bürger als Verteidiger des Staates. Das ist auch eine Konzeption, die keiner bestreitet der Gründergeneration. Wir brauchen eine Wehrpflicht. Das ist auch Adenauer und den Leuten klar. Aber Scharnhorst ist ja eigentlich noch viel mehr. Scharnhorst, also gerade heute, steht eben für Reform. Das ist eines der Grundprobleme heute, dass wir...
Gutzeit:
Vielleicht sollten wir da nochmal kurz erklären. Also Scharnhorst, auch als preußischer Heeresreformer nach,…
Neitzel:
…der war der Vorsitzende der Militärreformkommission, Friedrich Wilhelm III. hat ihn eingesetzt, 1807. Und die preußische Militärreform ist ganz deutlich Scharnhorst-Werk. Also die Idee der Wehrpflicht, aber auch die Abschaffung der Prügelstrafe, die Akademisierung, Generalstabsdenken noch in früher Phase, aufgelockerte Taktik, Mehrflexibilität und so, das ist alles Scharnhorst. Also er ist sicherlich das Brain. Also Reform, das ist ja einer unserer heutigen großen Probleme. Und Scharnhorst hat eben, als die Revolutionskriege ausbrechen, 1792, sehr früh gedacht, wir müssen grundlegend diese Armee und den Staat reformieren. Also ich würde mir heute mehr Scharnhorst wünschen und frage mich, wo ist der Scharnhorst, der neue Scharnhorst in der Bundeswehr? Und dann ist Scharnhorst aber auch das, das ist mir ganz wichtig, von ihm kommt auch der Satz, „Man muss sterbelustig sein“. Und er ist ja nicht am Schreibtisch an einem Herzinfarkt gestorben, sondern an einer Wunde, die er sich in einer Schlacht zu getragen hat, 1813, in einer letzten Kavallerie-Attacke. Also Scharnhorst war durch und durch Reformer. Aber er war auch durch und durch Soldat. Und wenn wir angesichts der vielen Bürosoldaten, die wir in der Bundeswehr haben, dann möchte ich sagen: „Schaut euch mal Scharnhorst an.“ als Vorbilder. Ja er war ein Denker. Ja er war ein Intellektueller. Der war aber auch ein Kämpfer. Ein Problem, das wir heute meines Erachtens in der Bundeswehr haben. Insofern ist Scharnhorst als Vorbild, als Referenzrahmen, der Dinge vorweggenommen hat, sag nicht, entweder oder, sondern beides ist mich wichtig. Bildung ist wichtig, der gebildete Offizier. Wir müssen uns anpassen an neue Strukturen. Wir sind aber auch nicht bei „Kühne und Nagel“, sondern wir sind Soldaten. Wir haben auch zu kämpfen und der Offizier hat auch vorzuleben seinen Soldaten. Dafür ist Scharnhorst eigentlich wunderbar und ich bin auch persönlich tief betroffen, dass manche Abteilungsleiter im BMVG mit Scharnhorst so gar nichts anfangen kann. Sollte was das denn? Aber es steckt, meines Erachtens, in der DNA. Ich bin sehr gespannt, wie die Bundeswehr…, wir feiern ja demnächst am 12. November, diesen Jahres den 70. Geburtstag, … bin sehr gespannt in den Reden des Ministers, der Generale, die kommen, ob die mit Scharnhorst irgendwas anfangen können. Ich würde auf jeden Fall allen Angehörigen der Bundeswehr, die Lektüre von Scharnhorst, wir haben die ganzen Briefe ediert, sehr ans Herz legen.
Gutzeit:
Wenn wir über Vorbilder und so weiter sprechen, ich möcht auch mal über den Namen sprechen damals. Wissen Sie eigentlich wie der Name Bundeswehr entstanden ist?
Neitzel:
Ja, also das ist ironischerweise eine Erfindung, soweit kenne ich das von ich das von Hasso von Manteuffel, also einem Wehrmachtgeneral, Brillantenträger. Der später auch angeklagt war, der Leute hat erschießen lassen, weil der FDPFreie Demokratische Partei war. Und meines Erachtens bringt er über die FDPFreie Demokratische Partei, also von der neuen Wehrmacht ist lange noch die Rede, und dann bringt er diesen Namen ins Spiel. Wir sind in einer ganz interessanten Phase, in den 50er Jahren. Also auch der Eid wird irgendwie ausbaldowert, ausverhandelt. Da hat ja Sven Lange, der ehemalige Kommandeur des Hauses, seine Dissertation zu geschrieben. Die Frage des Eides, ganz interessant, deutsches Volk, deutsche Nation, was kommt da rein? Wie nennt man diese Streitkräfte? Das sind alles Dinge, auch die Idee der inneren Führung, erst inneres Gefüge, Sie haben es schon erwähnt. Das sind alles ganz spannende Entwicklungen in dieser frühen 50er Jahre und dann sagt man irgendwann, ich glaube ab ´57, ja Bundeswehr. Und ´wehren´ ist eben noch da drin. Und `Bund´ mit dem Bezug auf die Bundesrepublik.
Gutzeit:
Das finde ich wirklich sehr interessant, also auch in dieser Gründungsphase, diese ganzen Konflikte, über die man sich heute gar keine Gedanken macht. Also soll das eine Wehrpflichtarmee werden? Wird sie! Aber von Anfang an gedacht als Bündnisarmee. NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mitglied, bevor diese ersten Urkunden am 12. eigentlich ausgehändigt werden. Und ich finde, das ist wirklich eine große historische Leistung, wie das geschaffen wurde.
Neitzel:
Unbedingt. Und vor allem muss man mal sehen, also wirklich aus dem Nichts aufgebaut, die ersten Wehrpflichtigen, General von Ondarza hat das mal in der FHZ in einem Leserbrief geschrieben, haben dann in Andernach im Bürgerquartier gewohnt, weil es noch keine Kasernen gab. Also die Fähigkeit, der Wille zur Improvisation. Und das ist auch eine Sache, die wir meines Erachtens der Gründergeneration verdanken. Die waren natürlich…, deren Haupterfahrung ist der Krieg. Und der Krieg ist Improvisation. Und die konnten natürlich auch, und dann mussten ja auch improvisieren. Also wenn man sieht, dass schon nach 10 Jahren, nach dem Aufwuchs, die Bundeswehr schon 440.000 Soldaten umfasst, bei allen Problemen, die man hatte. Also ich würde mir sehr, heute, eine Aufwuchs-Geschwindigkeit wünschen, wie sie damals vorhanden war. Und wenn die heutige Aufwuchs-Geschwindigkeit, wenn wir die mal zugrunde legen, dann… Wenn die Bundeswehr in einer solchen Geschwindigkeit aufgewachsen wäre, wie wir es jetzt planen, dann hätte es 100 Jahre gedauert, bis die Bundeswehr 500.000 Mann erreicht hätte. Also da kann man schon auch mal schauen, wie diese junge Bundesrepublik Streitkräfte aufgebaut hat, was hat auch funktioniert, bei allen Problemen, die es ja auch gab damals.
Gutzeit:
Ja, eine große Leistung, eine große Geschwindigkeit, aber auch unter großen Schmerzen und unter großen Zweifeln. Weil, ich möchte auch über Skandale sprechen. Also zum Beispiel der Spiegelskandal. Deutschland ist bedingt abwehrbereit. Die Quick-Affäre, wo innere Zustände bekannt werden. Dann auch das Nagold-Unglück oder das Iller-Unglück. Was sagen uns diese historischen Ereignisse?
Neitzel:
Also es gibt eine Lesart nach dem Motto, ich überziehe mal ein bisschen nachher, also die Adenauer Zeit, das ist eigentlich eine Fortsetzung der Nazi-Zeit. Das sind überall diese Nazis so schrecklich konservativ. Und dann sieht man doch Drill und Misshandlung der Soldaten und so weiter. Und die Sonne beginnt erst zu scheinen, als Willy Brandt Kanzler wird. Wie man sich denken kann, bei mir, jeder, der mich kennt, weiß, das ist jetzt nur nicht meine Sicht. Und sie ist meines Erachtens auch nicht beim Blick in die Quellen gedeckt. Das Problem der Bundeswehr ist, und das drückt sich dann auch in diesen Skandalen aus, dass sie einfach zu wenig qualifiziertes Personal hat. Also die Nagold-Affäre, wenn man mal die als Beispiel was passiert da. Ist 63, eine Ausbildungskompanie in Nagold in Baden-Württemberg stirbt der Jäger Trimborn bei einem Dauerlauf und dann wird das untersucht im Gericht. Und da kommen also schikanöse Verhältnisse dieser Kompanie, die Soldaten werden geschlagen, misshandelt und so. Es gibt nur einen Offizier in dieser Kompanie, der völlig überfordert ist, der dann Gefreite zur Hilfsausbildung macht und die dann auch überfordert sind und dann zu Gewalt und solchen rüden Methoden greifen. Das ist ein Grundproblem, die Bundeswehr klagt, sie hat nicht genug Unteroffiziere und Offiziere, die qualifiziert sind. Die wissen, wie man im Frieden jetzt Leute ran führt, wie man die gut ausbildet. Und deswegen hat die Bundeswehr, die frühe Bundeswehr, ein massives Disziplinarproblem. Es gibt auch Unteroffiziere, die sind überfordert mit der inneren Führung, die dann auch nichts machen. Daher kommt der Begriff weiche Welle, den gibt es schon seit 1957, weil Leute sagen, was heißt denn das eigentlich? Dann darf ich vielleicht gar keine Befehle geben und so. Es gibt die einen, die gar keine Disziplinen ausüben und die anderen, die völlig überziehen. Und wenn wir uns diverse Disziplinar-Fälle uns ansehen, da haben wir ja Statistiken im Archiv, dann geht es rau zu in der Bundeswehr. Und das ändert sich erst in den 70er Jahren, als man dann auch genug Unteroffiziere und Offiziere hat, die ausgebildet sind, die ihre Lehrgänge machen. Und dann, also von Ende der 60er Jahre geht die Zeit der Disziplinarvorfälle bis Ende der 80er Jahre massiv zurück, mit der weiteren Qualifikation. Also wenig was mit irgendwelchen Nazis oder Wehrmachtsleuten zu tun. Also der Kompaniechef, dieser Ausbildungs-Kompanie war nicht in der Wehrmacht, war eigentlich eher überfordert. Die haben die Gerichtsakten, alles relativ gut dargestellt. Auch das Iller-Unglück, da sterben 57 Rekruten bei der Überquerung der hochwasserführenden Iller. Die einzigen Wehrmachtssoldaten in diesem Verband sagten, sie haben es verboten, diese Überquerung. Und es waren Unteroffiziere, die nicht in der Wehrmacht waren, die dann dafür verantwortlich waren. Also das sind Probleme des Aufbaus, Probleme des schnellen Aufbaus, den man aus außenpolitischen Gründen wollte. Weil die Bundesrepublik Deutschland, Adenauer, auch der Generalinspekteur, übrigens auch kriegsgedient, Trettner, sagten, wir müssen schnell diese 12-Division aufbauen. Wir müssen immer wieder die Primärgruppen auseinanderreißen, immer wieder neue Einheiten aufstellen. Die Truppe sagte, um Gottes Willen, so funktioniert das nicht. Aber es ging um das außenpolitische Ziel, möglichst schnell, möglichst viel Division der NATONorth Atlantic Treaty Organization zu assignieren. Und das Ziel erreicht man seit ´65, als die 12. Panzerdivision, als letzte Heeresdivision der NATONorth Atlantic Treaty Organization unterstellt wird. Um den Preis, dass das innere Gefüge die Ausbildungsqualität natürlich massiv gelitten. Aber wie wir gesagt haben, Militär hat immer drei Perspektiven, die außenpolitische, die innenpolitische und die militärische. Also ja, Skandalgeschüttert, große Probleme, weil man eben auf die Tube gedrückt hat, weil man aus dem Nichts diese Armee aufbaut, weil viele, gerade immer unter Führerchor eigentlich überfordert waren mit ihren Aufgaben.
Gutzeit:
Ja, und diese Schmerzen fanden ja auch in der Öffentlichkeit statt, oder vielleicht diese Schatten. Aber es gab auch Lichtblicke, haben dann Lichtblicke wie zum Beispiel Einsatz der Bundeswehr im Inneren 1962 in Hamburg, auch als ein großes Novum. Waren das Lichtblicke, die dann eigentlich die Schattenseiten überstrahlt haben?
Neitzel:
Das war bestimmt für die Bundeswehr ein ganz wichtiger, ein ganz wichtiges Pro. Sie haben ja auch dann die ersten Auslandseinsätze in Marokko bei der Katastrophenhilfe. Aber ich glaube, dass auch die Bundeswehr dann durch ihre großen Gefechtsübungen, die sie in den 60er Jahren begonnen hat, auch selber auch immer konstruktiver mit der Presse umgegangen ist. Auch sich zu den Missständen gestellt hat und sagt, ja, da sind Dinge schief gelaufen. Auch Dinge wirklich untersucht hat. Auch der Kompaniechef bei der Nagold-Affäre wurde ja verurteilt. Also, dass die Bundeswehr auch deutlich machen kann, ja, wir reagieren auch auf unsere Missstände. Insofern hat sich die, war die Haltung zur Bundeswehr dann eben in der Mehrheit auch relativ positiv. Und weil die Bundeswehr sich auch gezeigt hat und Mühe gegeben hat, ja, wir müssen eine Armee der Republik werden. Bestimmte Dinge darf es nicht geben, die kommen vor. Es ist interessant, dass zum Beispiel nach der Nagold-Affäre ist zwei Jahre später, glaube ich, wieder ein Rekrut stirbt in der Ausbildung. Und Rekruten sterben manchmal. Also, wir können auch Statistiken führen. Das kommt immer mal wieder vor, bis in unsere Tage, im Übrigen. Und dann geht aber die Luftlandedivision damit anders um. Sie geht gleich in die Öffentlichkeit, untersucht das, Gericht, wir sind ein Rechtsstaat. Und dann kommt es eben auch nicht zu einem Skandal, weil man sieht, die haben offenbar gelernt und wollen das nicht vertuschen. Also, ich glaube, dass die Bundeswehr ist ein Stück weit bis heute vielleicht auf der Suche nach sich selbst, aber sie gewinnt in den 60er-Jahren immer mehr Tritt. Was ist unsere militärische Rolle, was ist unsere Rolle mit der Öffentlichkeit und professionalisiert sich auch in dem Umgang nach innen und nach außen?
Gutzeit:
Ja, ich glaube, das ist sehr wichtig. Also, einmal natürlich die Suche nach sich selbst. Wer bin ich? Wer will ich sein? Das fragt sich jeder Mensch, glaube ich, in seinen frühen, späten oder mittleren Jahren. Aber auch dann der Umgang mit der Ambivalenz, das war ja in der Bundeswehr intern genauso. Und da gab es, finde ich, drei sehr interessante Fälle. Einmal die Leutnante von Hamburg gegen die Hauptleute von Unna. Und dann, da hatten wir schon mal kurz drüber gesprochen, die Schnez-Studie. Könnten Sie zu diesen drei Teilen etwas sagen?
Neitzel:
Letztlich sind wir in einer ganz interessanten Phase, 1969, innenpolitisch, außenpolitisch. Und der Inspektor des Heeres, Albert Schnez, dessen Aufgabe ja nun die Landesverteidigung ist, schaut sehr kritisch auf den inneren Zustand des Heeres und sagt eigentlich: „Wie soll ich mit dieser Armee das Land verteidigen?“ Und diese, ja auf jeden Fall doch sehr konservativen Offiziere, wissen natürlich auch nicht, was da innenpolitisch alles passiert, wohin das führt. Also wir wissen heute, dass wir, 68/ 69, bereits den Peak der Aktion der Apo gegen die Bundeswehr, die es auch gab, auch wenn es vor allem gegen Vietnam ging, schon überschritten haben. Und für Schnez ist es der Untergang des Abendlandes. Also die Zahl der Wehrdienst-Verweigerer steigt an. Um Gottes Willen! Kriegen wir auch noch genug Unteroffiziere, Offiziere? Wie geht das eigentlich weiter, wenn das jetzt exponentiell weiter steigt? Interessanterweise amerikanische Generale sagen zu Schnez, also heute würde man sagen: „mach dich mal locker. Das ist halt so, wir haben eine andere Jugendkultur.“ Aber Schnez ist eigentlich in Panik, weil er auch sieht, man darf ja eigentlich nur aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern und er sieht, das ist natürlich nicht so, dass es Leute aus politischen Gründen verweigern. Aber so war es nicht gedacht. Also er kriegt den Auftrag vom Verteidigungsminister zu sagen: „Also beschreiben sie doch mal zusammen, was man machen müsste, um die Kampfkraft zu erhalten.“. Und er bekennt sich zur inneren Führung und diesen ganzen Dingen und sagt, aber wir müssen bestimmte Grundlagen verändern, wir müssen zum Beispiel die Wehrdienst-Verweigerung einschränken und dafür das Grundgesetz ändern und so weiter und so weiter. Das wird dann durchgestochen und dann kommt der Spiegel und der Augstein und sagt, also Schnez, Nazi und so weiter und so weiter. Aber es ist Teil einer Haltung, weil Schnez die Bundeswehr vom Krieg her gedacht hat. Wie muss ich, welche Armee brauche ich, um das Land zu verteidigen und das muss der Fokus sein. Und Rudolf Augstein denkt natürlich, die Armee nicht vom Krieg her, sondern er denkt sie eben politisch in seinen wilden Jahren, in der 60er Zeit. Es entsteht aber natürlich was in der Bundeswehr. Also die Bundeswehr verändert sich und diese Leute unter 70 in Hamburg sagen, ja Gott, dieses ganze Gerede vom Krieg und die Alten und so, wir wollen eine moderne Armee sein, wir wollen Soldaten sein, wir sind auch bereit zu kämpfen, aber dieses ganze alte Wertekostüm, das ist nichts mehr für uns. Einer der ehemaligen Kommandeure hier vom Haus vom ZMSBW Hans Ehlert, war ja Teil der Leutnanten 70. Also ganz interessant, die sind alle eher auf der SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands-Seite. Auch das ist so, man politisiert sich, man ist politisch aktiv. Und die Leutnante von Unna sind Kompaniechefs aus der 7. Panzer Grenadier-Division, das ist ja im nordrheinwestfälischen Unna, die von ihrem Divisionskommandeur zusammengerufen werden, also ein bisschen lebensälter und die sagen: „Leute, hier mit Partizipativ und so weiter, das geht alles nichts. Unser Interesse ist, wir haben zu kämpfen und wir müssen kampffähig sein.“ Die denken auch die Bundeswehr vom Krieg her und die sagen, so geht es eigentlich nicht. Und auch das ist interessant, da geht sogar der Generalinspekteur hin, Ulrich de Maizière, und er schreibt in sein Tagebuch. Die gehen den wirklich hart an. Ein Oberleutnant sagt dann: „General, wann treten sie denn zurück?“ Und dann schreibt De Maizière sie in sein Tagebuch. Also am Rande des Erträglichen für einen Generalinspekteur.
Und Helmut Schmidt ist da ganz geschickt, da drin dieses Protestpotenzial weg zu moderieren. Da macht man, wie macht man das? Tagung, aller Hauptleute der Bundeswehr, und dann gehen diese Stimmen natürlich im Chor der Stimmen unter. Und die Bundeswehr bekommt dann auch immer mehr Mittel. Es ist eine andere Generalitätsgeneration, die dann in die Ämter kommt. Also diese knochige, erste Kriegsgeneration, die tritt dann ab und die dann die in die führenden Rollen kommen, die begreifen schon, sie müssen anders kommunizieren. Also sagt man auch Schnez, so funktioniert das nicht. Und da hat auch da einige wirklich sehr unglückliche Formulierungen drin. Der Kern, würde ich sagen, ist ja richtig. Aus Sicht eines Heeresgenerals, wir müssen die Streitkräfte müssen kämpfen können. Die Art und Weise, wie er das verpackt, ist natürlich sehr vom militärischen Punkt gedacht und ist sicherlich unglücklich in den Formulierungen an einigen Punkten. Und die Generation, die dann kommt, die passt sich geschmeidiger dem politischen Diskurs an. Und das ist auch leicht, weil, das geht ja immer bergauf. Es gibt immer mehr Geld, es gibt immer mehr Soldaten, es gibt immer mehr Offiziere, es ist eben leicht in den 70er Jahren, in den 80er Jahren, General zu sein. Weil, das eigentlich die Happy Time der Bundeswehr ist. Ressourcenaufstellung, die Bundeswehr ist dann Mitte der 70er Jahre fertig aufgestellt, erreicht die 475.000 Mitte der 70er Jahre nahezu. 493.000 glaube ich, und die 495.000 ´77 zum ersten Mal. Und dann sind diese, rütteln sich, schütteln sich, wie in der Gesellschaft auch, dann auch in der Bundeswehr. Und wir sollten das als Teil eines gesellschaftlichen Prozesses wahrnehmen. Die Leutnante `70 haben das genauso ernst und gut gemeint wie die Hauptleute von Unna. Die hatten alle ihren Punkt und ihren Sehe-Punkt, was meiner Sicht die Legitimität hatte, sie kommen von unterschiedlichen Seiten.
Gutzeit:
Ja, wirklich sehr interessant, auch wie Sie es sagen. Also dann Mitte der 70er, 20 Jahre nach ihrem Gründungstag, bei der Happy Time angelangt, mit fast einer halben Million Soldaten. Aber auch diese Soldaten so ambivalent gespalten, aber dann doch vereinigt. Der innere Führer gegen den archaischen Kämpfer. Aber trotzdem eine Armee verteidigungsbereit, abschreckend gegenüber dem Warschauer Pakt.
Neitzel:
Und ich würde sagen, die meisten zumindest im Heer, aber auch in anderen TSKs hätten wahrscheinlich zwischen dem inneren Führer und dem archaischen Kämpfer, sage ich mal, eher im Begriff aus unserer Zeit, wir haben gar keinen Widerspruch gesehen. Also es ist eben beides, oder sollte beides sein. Und, dass die, also, zumindest wenn Sie mal in die Divisionsakten, die Chorakten schauen, den allermeisten, es gibt es natürlich immer alles in so einer Organisation, den allermeisten war klar, unser Auftrag ist die Verteidigung des Bündnisses und dieses Landes. Und dafür haben wir kriegstüchtig zu sein, kriegsbereit zu sein. Und das übt man endlos, endlos, endlos. Also wenn Sie den typischen Werdegang eines Bundesoffiziers im Heer sehen, ist ständig draußen bei den Kampfgruppen, ist ständig draußen, ständig auf Übung, auf Brigade-Level, Bataillon-Level, Divisions-Level-Chor, alle, jedes Jahr eine große Chor-Gefechtsübung mit 80.000 Mann. Das war den Leuten schon klar, es geht darum. Und damit leisten wir einen Beitrag zur Abschreckung. Und das ist das, was die Politik von uns erwartet. Und gleichzeitig, gleichzeitig müssen wir modern sein, müssen wir die Leute motivieren. Wie weit das immer gelungen ist, ist eine andere Frage. Aber es ist eben kein Widerspruch eigentlich. Und so war es ja auch vom Baudissin ursprünglich nicht gedacht. Jetzt ist der früher Baudissin was anderes als der später Baudissin. Wie weit das immer klappt, ist eine andere Sache. Aber der Fokus, also deswegen kommt ja 1985 vom Heeresamt kriegsnah ausbilden. Das machen die deswegen, weil die Kriegsgeneration aus der Bundeswehr weg ist, weil sie sagen, wir brauchen die Erfahrung, wir brauchen die Inprovisationsfähigkeit. Und wir müssen aus der Geschichte lernen. Das Buch ist natürlich in vieler Hinsicht, es ist unglücklich, weil man welche Literatur zitiert hat. Aber das ist eigentlich die Idee. Und diese Form des Militärs, die Bundeswehr ist zur Androhung und Anwendung militärischer Gewalt da. Was wirklich in der DNA der Bundeswehr meines Erachtens, des Kalten Krieges drin ist, das geht uns dann natürlich nach 1990 verloren und da müssen wir wieder hinkommen. 

Gutzeit:
Ja, ich glaube, das ist wirklich ein guter Schlusssatz. Das ist echt eine sehr gute Bilanz. Aber ich wollte das eigentlich noch fragen. Jetzt haben Sie es schon gemacht.
Neitzel:
Fragen Sie es nochmal.
Gutzeit:
Ja, wollen Sie das vielleicht nochmal kurz, kompakt zusammenfassen? Einmal Bilanz, erste 20 Jahre Bundeswehr. Was können wir aus der Geschichte lernen, für die Situation von heute, für die Gegenwart? Wo finden wir Antworten auf die großen Fragen, vor denen wir stehen?
Neitzel:
Also die ersten 20 Jahre sind für mich ein Erfolgsgeschichte der Bundeswehr. Sie wird aufgebaut aus dem Nichts und sie schaffen es nach 20 Jahren, eine in der Republik integrierte kriegstüchtige Streitmacht aufzubauen, die ihren Beitrag zur Abschreckung leistet. Natürlich waren die Rahmenbedingungen damals ganz anders, weil man zum Beispiel viel weniger Bürokratie hatte als heute. Weil das auch eine andere Gesellschaft war. Aber was wir lernen können, ist, ich muss eine Struktur finden, in dem ich den ur-preußischen Werten folge, nämlich dezentral arbeiten, Auftragstaktik. Ich muss meinen gebildeten Offizieren vertrauen. Ich muss ihnen vertrauen, ich muss sie machen lassen. Ich muss die kreativen Kräfte in den Streitkräften zum Schwingen bringen. Ich darf nicht eine große Bürokratie, kein Verwaltungsapparat. Dieser Aufbau ist nur gelungen, weil wir Entscheidungsstrukturen in Streitkräfte hatten, weil wir Entscheidungskulturen hatten und weil wir Entscheidungspersönlichkeiten hatten. Da müssen wir wieder hin zurück. Es geht um Strukturen, kann man überhaupt Entscheidungen treffen. Es geht um Kulturen, ist die Kultur da und haben wir auch die Persönlichkeiten. Haben wir die Generalität auf allen Ebenen, aber natürlich von oben gedacht, die sagen, wir treffen mutige Entscheidungen, wir machen das. Ohne diese Entscheidungskulturen, Strukturen und Persönlichkeiten wäre der Aufbau so nicht möglich gewesen. Und da können wir uns, glaube ich, schon Vorbilder nehmen. Wie ist das passiert? Wir hatten 8% Offiziere in den Streitkräften. Heute haben wir 22%. Und wir müssen ein Stück weit, natürlich ist heute wieder eine andere Zeit und die Bedingungen sind andere, wir müssen ein Stück weit zum Kalten Krieg zurück. Wir müssen ein Stück weit diese tollen Soldatinnen und Soldaten, die es gibt, die ganzen Fähigkeiten, die da sind, die müssen wir zum Schwingen bringen. Das ist eine Aufgabe der Leitung. Die Leitung muss mutig sein, die Leitung muss vorangehen.
Gutzeit:
Unsere Fähigkeiten zum Schwingen bringen, zurück in die Zukunft des Kalten Krieges mit dem Einsatz unserer Leitung. Also, ich hoffe, ich habe sie da gut getroffen. Ich freue mich sehr, dass wir uns heute hier getroffen haben, Herr Professor. Vielen Dank, dass Sie bei uns waren.
Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank fürs Zuhören. Das war unsere Folge zur Gründung der Bundeswehr, Ihre ersten 20 Jahre auf Zugehört dem Podcast des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Herr Professor, vielen Dank.
Neitzel:
Ich habe zu Danken.
Gutzeit:
Auf Wiederhören

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