Zugehört 83 - Transkript

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Lesedauer:
27 MIN

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Silvia-Lucretia Nicola: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Zugehört, dem Podcast des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Mein Name ist Silvia Nicola und ich arbeite als Sozialwissenschaftlerin im Forschungsbereich Einsatz. Heute freue ich mich ganz besonders, eine sehr geschätzte Wissenschaftlerin und liebe Freundin zu Gast zu haben, deren Arbeit ein lange unbeachtetes Kapitel transnationaler Geheimdienstgeschichte beleuchtet, Frau Dr. Noura Chalati. In dieser beeindruckenden Dissertation untersucht sie die Beziehungen zwischen dem syrischen Machthaber Assad, das heißt den syrischen Geheimdiensten und der ostdeutschen Stasi in den Jahren 1960 bis 1990.

Eine Geschichte, wie wir heute zusammen erfahren werden, von Zusammenarbeit, aber auch gegenseitigem Misstrauen und geteilten Praktiken staatlicher Repression. Als Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen studierte Dr. Chalati in Berlin, Lyon und Edinburgh, bevor sie am Zentrum Moderner Orient in Berlin-Nikolassee in der Forschungsgruppe Learning Intelligence als wissenschaftliche Mitarbeiterin ihre Dissertation entwickelte. Parallel dazu hat Dr. Chalati im Wintersemester 2022/2023 die Juniorprofessur Islamwissenschaften an der Universität Hamburg.

Liebe Noura, herzlich willkommen! Schön, dass Sie heute bei uns sind.

Dr. Noura Chalati: Herzlichen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr, heute hier zu sein.

Nicola: Dann würde ich vorschlagen, dass wir direkt los starten. Kaum ein anderes Thema zeigt so deutlich wie eng historische und gegenwärtige Ereignisse miteinander verknüpft sind, wie die von Ihnen analysierten syrisch-deutschen Geheimdienstbeziehungen während des Kalten Krieges. Bevor wir jedoch den Bogen in die Gegenwart spannen, lassen Sie uns von vorne anfangen. Was sind Geheimdienste im Allgemeinen? Was dürfen wir uns darunter vorstellen?

Chalati: Das ist eine richtig gute, aber gar nicht so leicht zu beantwortende Frage. Also im Großen und im Allgemeinen sind Geheimdienste im Verborgenen arbeitende Institutionen des Staates. Ihr Zweck ist, Informationen zu beschaffen, die allgemein und öffentlich nicht jedem zugänglich sind, diese auszuwerten, zu analysieren und damit weiterzuarbeiten. Allerdings muss man sagen, dass sich die Arbeit, die die Aufgaben und die Befugnisse von Geheimdiensten weltweit stark unterscheiden und das liegt daran, in welchem staatlichen System sie angesiedelt sind, aber auch eben in der Konzeption von nationaler Sicherheit, die dem Arbeitsauftrag von Geheimdiensten zugrunde liegt.

Also eigentlich sollen alle Geheimdienste weltweit nationale Sicherheit schützen und stärken. Aber was dann eben nationale Sicherheit ist, unterscheidet sich eben sehr stark. Wenn wir jetzt beispielsweise den Blick auf Syrien werfen, darauf wollen wir ja heute unter anderem gucken, dann hat nationale Sicherheit vor allem den Schutz der herrschenden Elite des Assad Regimes umfasst. Der DDRDeutsche Demokratische Republik war es beispielsweise der Schutz der SEDSozialistische Einheitspartei Deutschlands.

Wenn wir allerdings uns heute in Deutschland umschauen, in der Bundesrepublik, dann sind Geheimdienste dafür zuständig, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen und zu sichern. Und diese unterschiedlichen Konzeptionen davon, zu welchem Zweck Geheimdienste dienen und welche Art von nationaler Sicherheit sie schützen sollen, beeinflusst dann eben auch sehr stark deren Befugnisse und deren Praktiken. In Deutschland dürfen Geheimdienste beispielsweise nicht einfach jemanden von der Straße wegschnappen und in ein Gefängnis stecken. Das ist nicht Aufgabe der Geheimdienste. In Syrien oder in der DDRDeutsche Demokratische Republik war das aber unter anderem geheimdienstliche Praxis.

Nicola: Sie haben uns gerade erklärt, wie die Geheimdienste Institutionen sind, die im Verborgenen arbeiten. Wie kommt es aber dazu, dass Geheimdienste miteinander kooperieren?

Chalati: Also der Blick in die Geschichte zeigt uns, dass Geheimdienste eigentlich noch nie nur als einsame Wölfe fungiert oder gearbeitet haben, sondern dass sie immer schon in Austausch miteinander standen und miteinander kooperiert haben. Es gibt natürlich viele Erkenntnissinteressen, die Geheimdienste nicht ganz alleine bestreiten können. Dafür brauchen sie Informationen von Partnern oder eben Ad-hoc Austausch mit anderen Geheimdiensten.

Dabei wird natürlich darauf geachtet, die eigenen Geheimnisse zu hüten und nicht alles preiszugeben, was man durch verdeckte Spionagetätigkeit selber sich erarbeitet hat. Aber es gibt eben auch Situationen, wo ein überschneidendes Interesse besteht. Blicken wir beispielsweise auf die Terrorismusabwehr. Das ist ein Bereich, in dem Geheimdienste weltweit viel kooperieren, um da natürlich keiner der Staaten Interesse hat, auf seinem Territorium von Terrorismus betroffen zu sein und da wird beispielsweise kooperiert.

Aber es gibt auch allgemein Interesse an Erfahrungsaustausch und auf mehr organisationaler Ebene. Und das war beispielsweise ein Bereich, in dem die Geheimdienste der DDRDeutsche Demokratische Republik und Syriens auch miteinander kooperiert haben.

Nicola: Sie hatten eingangs erklärt, dass die Logiken, wie die Geheimdienste in Syrien und in der DDRDeutsche Demokratische Republik funktioniert haben, sich schon ein bisschen unterschieden haben. Also sie haben Unterschiedliches bezweckt. Wie kam es zu dieser Annäherung, während des Kalten Krieges in diesem Bereich der Geheimdienste sich angenähert haben und die den Entschluss gefasst haben, zu kooperieren?

Chalati: Ja, das stimmt. Also die beiden Geheimdienste haben sich durchaus auch stark unterschieden in strukturellen Dingen, in ihrem Aufbau und auch in vielen Praktiken. Aber es gab eben auch Überschneidungen. Also ganz grundsätzlich wurde die Bevölkerung von beiden Geheimdiensten erst mal als potenzielle Bedrohung wahrgenommen und wurde umfassend überwacht. In beiden Staaten gab es umfassende Spitzel-Netze, die bis tief ins Privatleben hinein gereicht haben.

Das einmal so als Grundvoraussetzung, also so ein grundlegendes Misstrauen der eigenen Bevölkerung gegenüber. Das war in beiden Staaten vorhanden. Und dann müssen wir natürlich auf die politisch wirtschaftliche Ebene schauen. Beide Staaten waren sozialistisch ausgerichtet, die DDRDeutsche Demokratische Republik natürlich viel stärker als Syrien. Syrien war nicht Teil des Warschauer Paktes, sondern Mitglied der Blockfreien Bewegung. Aber dennoch sozialistisch orientiert und verfolgte auch eine Planwirtschaft.

Und so gab es auf ideologischer Ebene erst einmal auch grundlegende Überschneidungen, die sehr wichtig waren, damit diese beiden Staaten überhaupt in einen Austausch treten konnten. Insbesondere auf der Seite der DDRDeutsche Demokratische Republik, die da deutlich ideologiefester war. Aus den Akten geht auch hervor, dass Syrien da deutlich pragmatischer gehandelt hat und sich sowohl nach Westen als auch nach Osten orientiert hat, wie es gerade gepasst hat.

Und im Rahmen dieser größeren politisch, wirtschaftlich und eben auch diplomatischen Annäherung und Nähe gab es eben auch die Möglichkeit, auf geheimdienstlicher Ebene in Austausch zu kommen.

Nicola: Wenn wir jetzt gezielt an Ihre Arbeit denken, wie darf ich mir das vorstellen, dass so was funktioniert? Also wie haben Sie es festgestellt während Ihrer Recherche Tätigkeit, ab wann Sie sich diese Kooperation anschauen? Gibt es so was wie einen offiziellen Kooperationsbeginn zwischen den beiden Geheimdiensten Und vielleicht. Ja, ich würde mich freuen, wenn Sie uns ein bisschen mehr erzählen könnten aus Ihrer Arbeit aus Ihrer Recherche Tätigkeit.

Chalati: Tja, das ist eben die Crux der empirischen Recherche, würde ich sagen. Da das Neuland war, das ich hier betreten habe und es vorab keine Forschung zu diesen konkreten Beziehungen gab, wusste ich nicht, ab wann es tatsächlich die ersten geheimdienstlichen Beziehungen gegeben hat. Das war unter anderem die Hoffnung, dass ich das würde herausfinden können mithilfe meiner vor allem Archivarbeit, also vor allem war ich im Stasi Unterlagen Archiv tätig.

Das war zu Beginn meiner Recherche noch eigenständig. Mittlerweile ist es Teil des Bundesarchivs geworden, und dort ließ ich mir von der für mich zuständigen Sachbearbeiterin ganz viele Unterlagen vorlegen. Viele, viele Akten und bin einfach erst mal auf gut Glück und offen durchgegangen. Und tatsächlich bin ich dann im Laufe der Recherche über den ersten Hinweis gestolpert, wann diese Beziehung, diese geheimdienstliche Beziehung losging.

Und zwar habe ich ein Dokument gefunden von 1966, in dem der Leiter des DDRDeutsche Demokratische Republik Auslandsgeheimdienstes, der HVA, Markus Wolf, seinen Vorgesetzten Erich Mielke, also den Minister für Staatssicherheit der DDRDeutsche Demokratische Republik, informiert, dass die Syrer im Interesse hätten, in Kontakt zu treten. Und das geschah wohl während einer DDRDeutsche Demokratische Republik-Innenministeriums-Delegationsreise in Syrien. Und da trat das syrische Innenministerium oder eben ein Vertreter des syrischen Innenministeriums an diese Delegation Teilnehmer heran und äußerte die Bitte, dass die syrische Seite direkt in Kontakt auch mit dem Ministerium für Staatssicherheit, also der Stasi, kommen wolle, um sich konkreter auszutauschen auf sicherheits- und nachrichtendienstlicher Ebene.

Und da hatte ich halt wirklich nur eine Seite, diesen einen Brief von dem Markus Wolf Erich Mielke darüber informiert, dass das stattgefunden habe. Und das hat mich natürlich angefixt und da wollte ich sehr gerne mehr darüber erfahren. Tatsächlich habe ich das dann auch, als ich im Bundesarchiv in Lichterfelde Akten des DDRDeutsche Demokratische Republik-Innenministeriums mir ansah und da fand ich dann den Kontext zu dieser Delegationsreise nach Syrien und konnte dann tatsächlich genauer nachvollziehen, welche syrischen Akteure da tatsächlich auf die Delegation zugekommen sind und dass es sich tatsächlich um eine Anfrage nach Kontaktaufnahme zwischen und jetzt wird es ein bisschen spezifischer zwischen der Abteilung für politische Sicherheit im syrischen Innenministerium und der Stasi handelte. Und die Abteilung für politische Sicherheit im syrischen Innenministerium war einer der vier großen Geheimdienste in Syrien. Obwohl es eine Abteilung im Innenministerium ist, ist es ein Geheimdienst, die wir unter diesen Begriff Muchabarat fassen. Also das ist ein Sammelbegriff für die vier großen Geheimdienste, die es in Syrien gibt: Das ist einmal diese Politische Sicherheit, der allgemeine Geheimdienst, der Militär- und der Luftwaffen-Geheimdienst.

Nicola: Weil Sie jetzt gerade das angesprochen haben, könnten wir vielleicht für unsere Zuhörerinnen und Zuhörern das noch mal aufdröseln von welchen Gemeinsamkeiten, Unterschieden oder vielleicht sogar Widersprüchen die syrischen und ostdeutschen Geheimdienste geprägt waren?

Chalati: Also Gemeinsamkeiten, da habe ich das angesprochen, dass es erst einmal dieses große Misstrauen gegenüber der Bevölkerung gab, das dazu geführt hat, dass es dieses unglaublich weit verzweigte Spitzel-Netz gab. Und nicht nur das. Es gab nicht nur Spitzel im quasi jedem Bereich des privaten und öffentlichen Lebens, sondern eben auch unglaublich viele, in der DDRDeutsche Demokratische Republik nannte man die hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi und in Syrien eben auch die Mitarbeitenden der Muchabarat.

Das war eine eigentlich schier ungeheure Zahl an Menschen, die in diesen Institutionen gearbeitet hat. Es gibt eine Schätzung der Stasi, ich glaube aus dem Jahr 1984, dass in Syrien circa 150000 Menschen für die syrischen Geheimdienste gearbeitet oder bespitzelt haben, ist also nicht ganz präzise, weil das sowohl die festen Mitarbeitenden als auch die gelegentlichen Quellen und Informanten beinhaltet. Aber die Zahl ist trotzdem natürlich enorm hoch.

Zum Vergleich Ende 1989 gab es so circa 90000 hauptamtliche Mitarbeiter, die für die Stasi gearbeitet haben. Also sind wirklich enorm große Zahl, insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass die Bevölkerungen in beiden Staaten eigentlich nicht so unfassbar groß waren. Also dieser Umfang der der Überwachungstätigkeit ist definitiv etwas, was die beiden geheimdienstlichen Systeme würde ich mal sagen verbindet.

Ebenso die Tatsache, dass beide Geheimdienste sehr viel Archivmaterial hinterlassen haben, also wirklich sehr bürokratisch an ihre Arbeit herangegangen sind. Es wurde fast alles dokumentiert und niedergeschrieben. Davon habe ich in meiner Forschung sehr stark profitiert, weil ich eben durch das Stasi-Unterlagen-Archiv Zugang zu vielen dieser Dokumente hatte. Kleiner Einschub Viele dieser Dokumente wurden um 1989/90 zerstört. Beispielsweise durfte die HVA, der Auslandsgeheimdienst der DDRDeutsche Demokratische Republik, sich selbst auflösen. Deshalb sind viele Dokumente leider für uns nicht mehr zugänglich. Aber es ist immer noch eine Menge an Material vorhanden, mit der man arbeiten kann. In Syrien ist das ähnlich. Es gibt unglaublich viel geheimdienstliches Archivmaterial. Problem ist der Zugang zu diesem Material. Darüber können wir gerne auch später noch einmal ein bisschen genauer sprechen.

Aber zu den Unterschieden lässt sich auch einiges sagen. Also das Ministerium für Staatssicherheit beispielsweise war sehr zentralistisch aufgebaut. Es hieß ja auch schon Ministerium für Staatssicherheit. Unter der Leitung von Erich Mielke arbeiteten verschiedene spezialisierte sogenannte Hauptabteilung zu verschiedenen Themen. Auch die HVA, die Auslandsaufklärung, war formell auf jeden Fall Teil des Ministeriums, auch wenn sie eine Art Sonderstatus hatte. In Syrien war das eben nicht so, also wie bereits erwähnt, gab es vier komplett voneinander unabhängig agierende Geheimdienste, die teils auch in Konkurrenz miteinander standen und sich gegenseitig überwacht haben.

Und das war keine Ineffizienz, sondern geheimdienstliches Arbeitsprinzip, könnte man sagen. Keiner dieser Dienste sollte zu mächtig werden. Und dafür hat man durchaus auch angeregt, dass diese Dienste miteinander in Konkurrenz treten.

Nicola: Was waren für Sie die drei überraschendsten Erkenntnisse Ihrer Arbeit?

Chalati: Okay, schwierig. Also ich würde zum einen sagen, dass man eben zu Geheimdiensten arbeiten kann, war schon eine Erkenntnis. Ich habe diese Forschung begonnen und war mir gar nicht sicher, wie einfach es sein würde, Informationen zu diesen geheimsten Akteuren des Staates zu finden. Aber es hat sich dann im Laufe der Recherche herausgestellt, dass mithilfe von Archivarbeit, wenn man weit genug zurück in die Vergangenheit geht und der Zugang zu den Akten bereits möglich ist, dass man durchaus einiges herausfinden kann und das ist wirklich eine unglaublich spannende Arbeit sein kann.

Also beispielsweise zu der Zeit, vielleicht kommen wir darauf, auch noch zu sprechen, vielleicht auch nicht. Ansonsten erwähne ich das jetzt hier einmal kurz zu der Zeit rund um die 1940er und 50er Jahre, als in Syrien Nazi-Militärberater tätig waren. Zu dieser Zeit kann man sehr gut die Akten einsehen und dazu einiges finden. Der Block der Kooperation zwischen der DDRDeutsche Demokratische Republik und Syrien ist auch sehr gut zu bearbeiten aus historischer Sicht, weil die DDRDeutsche Demokratische Republik nicht mehr existiert und damit diese Dokumente zur Recherche, zur wissenschaftlichen Arbeit freigegeben worden sind.

Auf der syrischen Seite ist das deutlich schwieriger. Da ist die politische Situation auch noch sehr verzwickt. Da kommen wir nicht so einfach an diese Dokumente. Das kann sich in der Zukunft natürlich aber auch ändern. Also das ist, glaube ich so, die die Erkenntnis Nummer eins: Recherche zu Geheimdiensten lohnt sich auf jeden Fall und es superspannend. Die zweite Erkenntnis, die ich hatte, ist, dass es gar nicht immer so einfach ist zu definieren und abzugrenzen, was denn nun eigentlich ein Geheimdienst ist. Ich erwähnte bereits die Politische Sicherheit in Syrien. Ich habe ganz lange damit gerungen, in wie fern diese Politische Sicherheit nun eigentlich ein Geheimdienst ist oder nicht. Sind sie es ja im Innenministerium angesiedelt und habe dann den Blick eben gelenkt auf geheimdienstliche Praktiken und habe mir angeschaut, wenn sie geheimdienstliche Praktiken anwenden, na dann ist das auch als Geheimdienst zu definieren.

Ebenso gab es Polizei-Kooperation zwischen Syrien und der DDRDeutsche Demokratische Republik und unter anderem gab es einen Lehrgang oder Lehrgänge zu nachrichtendienstlichen Mitteln. Also es ging um Funk Überwachung und da stellte sich dann die Frage Moment, das ist ja im Kontext einer Polizei-Kooperation. Aber eigentlich ist das auch Kernarbeit nachrichtendienstlicher Tätigkeit. Also so diese Grenzziehung zwischen Was ist Geheimdienst und geheimdienstliche Tätigkeit und wo hört diese auf? Die hat sich in der Praxis teilweise als sehr schwierig erwiesen. Um vielleicht noch ein letztes Beispiel hier zu benutzen, das den Zuhörenden das ganz gut vor Augen führt, wäre beispielsweise, dass militärische Nachrichtenwesen. Das militärische Nachrichtenwesen, das sagte schon der Name, beschäftigt sich mit nachrichtendienstlichen Fragestellungen und nutzt nachrichtendienstliche Mittel zur Erkenntnisgewinnung. Es ist natürlich aber nicht Teil beispielsweise des BNDBundesnachrichtendienst, sondern im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums, des BMVgBundesministerium der Verteidigung angesiedelt. Und damit stellt sich die Frage natürlich zwischen der Abgrenzung, zwischen Was ist denn hier Militär und was ist hier eigentlich Geheimdienst? Die dritte Erkenntnis, die ich aus der Arbeit gezogen habe, die beruht wahrscheinlich stark auf meinem theoretischen Konzept, auf dem theoretischen Konzept, das ich der Arbeit zugrunde gelegt habe. Und das ist die Erkenntnis, wie wichtig transnationale Interaktionen für die Konstitution von Geheimdiensten waren und sind. Dass dieser Austausch zwischen Geheimdiensten kein Nebeneffekt ist, sondern essenziell für die Konstitution von Nachrichtendiensten.

Nicola: Für mich zum Verständnis, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe. Das heißt, es gibt unterschiedliche Akteure. Manchmal können sie offiziell bei der Polizei arbeiten oder beim Militär. Und trotzdem haben sie Gemeinsamkeiten mit den Geheimdiensten durch die Praktiken, die sie anwenden. Habe ich das richtig verstanden?

Chalati: Genau. Also für mich war in meiner soziologisch inspirierten Forschung zu diesen, zu der Kooperation zwischen Stasi und Muchabarat der Blick auf Praktiken der entscheidende. Also ich habe mir immer angeschaut, wenn das eine geheimdienstliche Praktik ist, dann ist es Teil, dann sollte es Teil meiner eines Blickes sein, dann beziehe ich das ein.

Nicola: Wie ich aus Ihren Ausführungen entnehmen kann, waren Archive ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Forschung. Sie haben uns ein bisschen erzählt, wie die Archivarbeit auf deutscher Seite funktioniert hat. Wir dürfen wir das uns im Falle Syriens vorstellen? Welche Rolle spielen Archive in Syrien, wenn überhaupt?

Chalati: Also natürlich gibt es in Syrien Archive, es gibt staatliche Archive und es gibt Archive für die einzelnen Dienststellen der Geheimdienste. Aber natürlich ist ein Zugang zu diesen Archiven nicht möglich und ist es auch im Allgemeinen immer noch nicht. Also ich wollte mal ein wenig weiter ausholen. Jeder der vier genannten Geheimdienste führt sein eigenes Dokumentationssystem und hat seine eigenen Archive.

Diese sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Ist es nicht möglich einen Antrag auf Akteneinsicht zu stellen und dann als interessierter Bürger oder interessierte Bürgerin Einblick in diese Archive zu bekommen? Das ist natürlich grundsätzlich auch erst mal nachvollziehbar, denn das ist geheimdienstliche Material, das zum Teil sehr sicherheitsrelevant ist. Auch in Deutschland bekommen wir keinen Zugang zu aktuellem geheimdienstlichen Material, das ist ja klar.

Was sich unterscheidet, ist, dass das auch nicht mit Blick auf 50, 60 Jahre alte Dokumente möglich ist. Zur Zeit meiner Forschung war es auch nicht möglich, nach Syrien zu reisen. Das wäre einfach sicherheitstechnisch viel zu gefährlich gewesen. Aber eine andere wichtige Informationsquelle könnten in der Zukunft Dokumente sein, die bereits in den vergangenen Jahren aus Syrien herausgeschmuggelt wurden.

Von verschiedenen Organisationen, die sich mit der Aufarbeitung der Verbrechen des Assad Regimes beschäftigen. Also zum Beispiel 2013 und 2015 gab es zwei große Wellen, in denen wirklich Tausende an Dokumenten aus Syrien herausgeschafft wurden. Immer dann, wenn Regierungstruppen Regierungsgebäude verlassen haben und sich in diesen Gebäuden Dokumente befunden haben, dann sind bestimmte geschulte Leute in diese Regierungsgebäude eingedrungen und haben entweder ganz viele Fotos gemacht oder so viele Akten, wie sie tragen konnten, mitgenommen und außer Landes geschafft, um diese Dokumente zu sichern.

Das hat natürlich aus archivarischer Perspektive ganz, ganz viele Probleme und da werden bestimmt allen Archivaren unter den Zuhörenden die Alarmglocken schrillen, weil diese Dokumente aus ihrem Entstehungskontext herausgerissen wurden. Aber es war eine Möglichkeit zu verhindern, dass diese Dokumente erstens vernichtet werden und zweitens, dass mit diesen Dokumenten auch überhaupt gearbeitet werden kann. Viele dieser Dokumente wurden nämlich schon in Gerichtsprozessen verwendet.

Als Beweismaterial. Und das ist natürlich auch eine wichtige Funktion, die diese Dokumente einnehmen kann, jenseits der wissenschaftlichen Betrachtung. Und nun, da glücklicherweise am 8. Dezember des vergangenen Jahres das Assad Regime gestürzt wurde, werden wir noch abwarten müssen, wie sich die Archiv-Situation in Syrien entwickelt. Also es gab schon Möglichkeiten für einige Organisationen an Archiv-Dokumente in Syrien zu kommen und Dokumente einzusehen. Aber im Großen und Ganzen ist ein strukturierter Zugang zu syrischen Geheimdienst- und Sicherheitsarchiven noch nicht möglich und wir werden abwarten müssen, wie sich das jetzt in der näheren Zukunft entwickelt.

Nicola: Falls wir den Bogen ein bisschen weiterspannen als Ihre Arbeit. Jetzt eine Sache, was ich entnommen habe bis jetzt ist es im Falle sowohl Syriens als auch der DDRDeutsche Demokratische Republik, dass es sich um stark repressive Systeme gehandelt hat. Und auf der anderen Seite haben sie uns auch ganz eindeutig erklärt, wie viel Dokumente beide Regime produziert haben. Dadurch, dass man diese auch im Stasi-Archiv jetzt für die DDRDeutsche Demokratische Republik finden kann und anscheinend auch im Falle Syriens, gibt es eine große Anzahl an Quellen, die man heranziehen kann, um bestimmte Kontexte besser einordnen zu können.

Welche Rolle spielen überhaupt Bürokratien in repressiven Systemen? Und ist es ein sich nicht ein bisschen verrückt, dass das ein Staat hier ganz konkret der syrische Staat beispielsweise, die Ermordung von Menschen, die der Stadt auch noch dazu gefoltert hat, selbst dokumentiert?

Chalati: Ich denke, es gibt, es gibt bestimmt sehr viele Erklärungsmuster, die man heranziehen kann. Es gibt auch viel Forschung dazu, aber so aus dem Stehgreif würde ich jetzt zwei nennen. Zum einen ist das eine Kontrollfunktion, die diese Dokumentation erfüllt und zum anderen zumindest den Anschein von einer Legalität und Legitimität zu erwecken. Also um auf das erste einzugehen, eine Art von Kontrollfunktion. Sie haben die Dokumentation von Folter erwähnt. Da könnte man beispielsweise auf die sogenannten Caesar-Files blicken. Das sind Fotos, die ein Militärfotograf aus Syrien herausgeschmuggelt hat. Er wurde gezwungen, die Leichen von gefolterten Menschen zu fotografieren und zu dokumentieren. Und als einziges Erklärungsmotiv fällt mir da ein, dass das eine Art, also neben einfach dokumentarischen Zwecken einer Art Kontrolle dienen soll. Also dass quasi allen, die irgendwie daran beteiligt sind, bewusst gemacht wird. Das wird, das wird festgehalten und damit ist man involviert. Also alle die, die gefoltert haben, denen es bewusst die Resultate ihrer Folter werden hier festgehalten und damit können sie sich auch nicht einfach mehr gegen das Regime wenden, also sie werden so an der Leine gehalten. Einmal das ich mir wirklich eine Kontrolle nach innen und jetzt weniger bei diesen Fotos von Leichen, aber bei sonstiger wirklich bürokratischer Dokumentation bis ins kleinste minutiöse Detail hinein würde ich sagen, Das dient auch dem Anschein von Legalität und Legitimität. Das ist sowohl nach innen als auch dann in der Wirkung nach außen relevant, nach innen, damit die ganzen Räder im Getriebe das Gefühl bekommen, sie sind Teil eines legitimen, bürokratischen, objektiven, nach Regeln agierenden Apparates und nach außen wirkt natürlich eine Institution, die eine ordentlich geführte Bürokratie mit Dokumenten und Ablagen und Registerkarten und weiß ich nicht, was hat, die wirkt natürlich viel seriöser und entspricht mehr dem Bild, das wir heute von Staatlichkeit haben, als eine Institution, die all das nicht hat.

Und das wird natürlich auch eine Kooperation erleichtern, wenn es möglich ist, beispielsweise in einem Kommunikationsverlauf zurückzuführen, wann in der Vergangenheit schon mal zu diesem Thema geredet wurde, was wurde damals besprochen? Und so weiter. Also ich glaube, das erfüllt wirklich mehrere Zwecke, aber es kann teilweise einfach wirken auf uns, wie das, was Hannah Arendt als so als die Banalität des Bösen beschrieben hat.

Nicola: Wenn wir jetzt kurz bei dem Stichwort Folter bleiben. Ich bin im Rahmen meiner Recherchen auf einen immer wiederkehrenden Mythos syrisch-deutscher Geheimdienst Beziehungen gestoßen, den sogenannten Deutschen Stuhl. Ob in Spiel- oder Dokumentarfilmen, in der Literatur oder sogar in Beiträgen anderer renommierter WissenschaftlerInnen wird diese totale Foltermethode häufig mit Ostdeutschland in Verbindung gebracht. Wie lässt sich dieser Mythos überhaupt historisch einordnen?

Chalati: Ich denke, der Deutsche Stuhl an sich ist kein Mythos, der existiert. Das ist, wie Sie gesagt haben, eine furchtbar brutale Foltermethode, die in syrischen Gefängnissen angewandt wird. Allerdings ist die Erzählung rund um seinen ostdeutschen Ursprung möglicherweise ein Mythos. Ich sage das, weil ich mich selber auch intensiver damit auseinandergesetzt habe und sehr interessiert war, mehr dazu herauszufinden. Und egal, wie tief ich gesucht habe, ich habe bisher zumindest noch keinen Hinweis darauf gefunden, dass das eine Foltermethode ist, die aus der DDRDeutsche Demokratische Republik exportiert wurde nach Syrien. Das heißt nicht, dass das nicht so stattgefunden hat, aber es sagt uns, dass es darüber keine Aufzeichnungen gibt. Um noch mal auf die Rolle von Bürokratie und die Macht von Dokumenten zurückzukommen Also ich habe dazu zumindest keine materiellen Belege finden können, die darauf hindeuten. Und ehrlich gesagt kann ich es mir auch nicht ganz so gut vorstellen. Das liegt daran, dass spätestens ab den 70er Jahren die DDRDeutsche Demokratische Republik und insbesondere die Stasi eben kaum Folter in dem Sinne an physische Folter angewandt hat, sondern sich spezialisiert hat auf etwas, das sich Zersetzung nennt. Und das kann man eigentlich als eine Art psychologische Folter umschreiben. Also das diente dazu, ein Individuum so sehr in seinen Grundfesten zu erschüttern mithilfe von Lügen und Verleumdung und aber auch Folter wie beispielsweise Schlafentzug und Licht und diesen Dingen, die weniger sichtbare Folgen am Körper des Gefangenen oder der betroffenen Person hinterlassen. Und der Deutsche Stuhl ist eine Methode, bei der einer Person das Rückgrat gebrochen wird.

Das ist wirklich äußerste, krasseste physische Folter. Insofern kann ich mir irgendwie schwer vorstellen, dass das das von der Stasi oder allgemein aus der DDRDeutsche Demokratische Republik gekommen ist. Das passt nicht so ganz in die Methodik herein, weil die Stasi eben nicht wollte, dass man den Leuten, wenn sie irgendwann wieder entlassen würden, ansehen würde, was ihnen angetan wurde. Aber irgendwie hält sich diese Geschichte sehr hartnäckig, was vielleicht daran liegt, dass das irgendwie eine interessante Erzählung ist, denn es hat ja Geheimdienst Beziehungen zwischen der DDRDeutsche Demokratische Republik und Syrien gegeben und die DDRDeutsche Demokratische Republik war ein unfassbar repressiver Staat, ebenso wie Syrien unter den Assads.

Insofern ist es, glaube ich, irgendwie etwas, woran sich Menschen knüpfen oder halten. Ich halte allerdings einmal ein anderes Erklärungsmuster für deutlich wahrscheinlicher, und zwar, dass wenn es denn einen deutschen Ursprung gibt, und das ist ja auch durchaus möglich, dass dieser noch weiter zurückliegt, und zwar sind Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre verschiedene Beratergruppen in Syrien aufgelaufen und das waren ehemalige Nazis, entweder aus der SSSchutzstaffel oder der Wehrmacht.

Und diese Berater waren von vom syrischen Generalstab angestellt, um die syrische Armee zu modernisieren und strukturell neu aufzubauen. Und nicht nur die syrische Armee und das Militär, sondern auch den Militärgeheimdienst und auch im Rahmen dieser historischen Zusammenarbeit könnte es sein, dass diese Foltermethode entwickelt wurde. Das ist natürlich sehr gut vorstellbar. Einfach wir haben hier schlimmste Kriegsverbrecher, die in Syrien ihr Unwesen nach dem Zweiten Weltkrieg weiter getrieben haben und die sehr vertraut waren mit diversen Foltermethoden, die sie an Jüdinnen und Juden im Zweiten Weltkrieg ausprobiert haben.

Insofern das ist deutlich für mich ein plausiblerer Hintergrund für diesen deutschen Stuhl.

Nicola: Sie hatten gerade auch die Assads erwähnt und davor haben wir auch darüber gesprochen, dass das ist die DDRDeutsche Demokratische Republik als Staat jetzt nicht mehr gibt. Auf der anderen Seite aber in Syrien hatten wir bis Dezember letzten Jahres dieselbe Familie an der Macht über mehrere Dekaden. Wie haben sich die Muchabarat im Laufe der Zeit unter den Assads, unter dem Vater und dem Sohn verändert?

Chalati: Unter Hafis al Assad, dem Vater des gestürzten Präsidenten Baschar al Assad, wurde der Geheimdienst Komplex, die Muchabarat, ungefähr so aufgebaut, wie sie dann auch noch bis Ende vergangenen Jahres existiert haben soll. Assad putschte sich 1970 an die Macht, und seitdem hat er dieses unglaublich detaillierte, weitverzweigte Geheimdienst-Netz aufgebaut, das sich bis so in die ja ich würde sagen 90er 2000 Jahre wirklich hin professionalisierte.

Und auch wenn es zu Beginn der Machtübernahme seines Sohnes Baschar, nachdem der Vater gestorben war, so schien es, dass er vielleicht das Land ein wenig öffnen und liberalisieren möchte. Dem war gar nicht so, also Baschar al Assad war mindestens so repressiv wie sein Vater und behielt dieses Geheimdienst-Netzwerk bei, kam dann zu einigen personellen Brüchen. Es wurden die alte Garde wurde in den Ruhestand geschickt und es kamen neue, dem Sohn loyale Personen in entscheidende Posten.

Aber diese Struktur mit den vier Geheimdiensten und die zahlreichen vielen Unterabteilungen unter den vier Geheimdiensten, das wurde weiter fortgeführt und das haben wir dann auch in der Niederschlagung der Demonstrationen, der wirklich gewaltsamen und brutalen Niederschlagung der Demonstrationen 2011 gesehen und von 2011 bis 2024 waren die Geheimdienste die Muchabarat in Syrien das Mittel für die Niederschlagung jeder, jedes Dissens, jeder jedes Protestes in Syrien.

Da wurden Menschen einfach von der Straße weggeschnappt und sind verschwunden. Familien wissen bis heute nicht, wo ihre Angehörigen sind. Um die 100 bis 150000 Menschen werden immer noch vermisst in Syrien. Die werden vielleicht auch nie wieder auftauchen. Die sind in irgendwelchen Folterkellern verschwunden. Es gab diese massenhafte Überwachung, was zu einem enorm großen Misstrauen in der Bevölkerung auch untereinander geführt hat und daran also das war natürlich die Kern Arbeit, der Muchabarat und eigentlich hat sich da strukturell zwischen Vater und Sohn sehr wenig geändert.

Nicola: Wenn ich das jetzt richtig verstehe. Man kann schon sagen, dass das Sicherheitsapparat in Syrien bei der Unterdrückung der syrischen Revolution eine wichtige Rolle gespielt hat. Wenn ich Ihnen zuhöre, fällt mir auf, wie stark die Muchabarat und wie tief sie in das syrische Gesellschaftsgefüge eingedrungen waren und ein komplexes System an Repression und Überwachung geschafft haben. Und wenn ich mich jetzt an Ihre Arbeit, die ich sehr gerne gelesen habe und wir freuen uns, wenn Ihr Buch demnächst rauskommt, damit unsere Zuhörerinnen und Zuhörer auch diese Chance bekommen, mal reinzuschauen, Sie schreiben in Ihrer Arbeit, dass es ein Mitglied des syrischen Geheimdienstes je 153 erwachsene Bürger in Syrien gab. Wenn man sich diese zwei Punkte vor Augen führt, wie könnte jetzt nach dem Sturz des Assad-Regimes eine gesellschaftliche Aussöhnung aussehen? Oder wie kann man, darf man sich überhaupt erhoffen, dass geheimdienstliche Tätigkeit aufgearbeitet werden würde in Syrien?

Chalati: Ja, das ist natürlich jetzt die große Frage und das wird ein ganz langer Prozess, der die syrische Bevölkerung über Jahre begleiten wird und auch muss. Und wenn wir blicken einmal in die deutsche Geschichte, wir haben das ja nun auch schon ein paarmal und zweimal genau zu sein, dann sehen wir, es gibt vieles, was die syrische Bevölkerung auch aus Erfolgen und Misserfolgen Deutschlands lernen könnte.

Also ganz klar ist, dass die Vergangenheit auf keinen Fall unter den Teppich gekehrt werden darf. Sie muss aufgearbeitet werden. Also wenn man nicht in die Vergangenheit zurückschaut und ganz klar die Verbrechen des Assad Regime aufarbeitet, dann würde sich das irgendwann in der Zukunft rächen und zurückschlagen. Also wir haben in den vergangenen Monaten jetzt auch schon gesehen, dass es Spannungen in der syrischen Bevölkerung gibt und diese können nur aufgelöst werden, wenn eine ganz detaillierte Aufarbeitung stattfindet der Verbrechen des Assad-Regimes, aber auch der Verbrechen aller anderen Akteure, die in diesem Krieg Menschenrechtsverletzungen begangen haben.

Wo sind diese 100 bis 150000 verschwundenen Personen gelandet, die ich erwähnt habe? Wer waren die Verantwortlichen für die zahlreichen die Gefängnisse, die es in Syrien gibt? Es gibt Militärgefängnis, es gibt zivile Gefängnisse, es gibt geheimdienstliche Gefängnisse. Wie sah es mit der Befehlsgewalt aus? Wer hat Befehle gegeben? Wer hat sie ausgeführt? All diese Fragen, das muss bis ins kleinste Detail aufgearbeitet werden.

Dazu gab es schon einige erste Schritte. In den vergangenen Monaten wurden zwei Kommissionen gebildet, einmal zur Aufklärung der Frage nach den Vermissten Personen und eine andere Kommission, die sich mit Übergangs-Gerechtigkeit, also transitional justice, beschäftigen soll.

Nicola: Auch wenn vieles immer noch ungewiss und fluide ist, was jetzt die Entwicklungen in Syrien angeht. Wir haben bereits das erste halbe Jahr ohne die Assad-Diktatur hinter uns. Was wäre Ihrer Meinung nach das Best-Case und was wäre das Worst-Case Szenario für die Zukunft Syriens?

Chalati: Das Worst-Case Szenario wäre ganz klar, wenn die eben besprochene Aufarbeitung und damit Aussöhnung nicht stattfindet. Es muss ein Fokus darauf liegen, neben der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Aufbau von Infrastruktur in Syrien muss ganz klar der Fokus auch darauf liegen. Und es gibt zahlreiche Diaspora Organisationen, die sich darauf in den vergangenen Jahren spezialisiert haben, enorm viel Expertise aufgebaut haben und die müssen in diesen Prozess mit einbezogen werden.

Es darf wirklich nichts unter den Tisch gekehrt werden, das ist ganz wichtig. Für mich wäre persönlich ein Worst-Case Szenario, auch wenn irgendwann im Stadtzentrum von Damaskus der TrumpTower steht. Also ich glaube, was wir brauchen und damit leite ich quasi zum Best-Case Szenario über, ist eine Unterstützung für die syrische Gesellschaft dahingehend, dass sie selber politische Teilhabe ausüben kann.

Natürlich wird es internationale Unterstützung geben und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Und das ist auch alles gewünscht und gut. Aber ich denke, was nicht gut ist, ist, wenn wir am Ende eben so einen TrumpTower, der ja symbolisch für einiges steht, in Damaskus haben und die Abhängigkeit von Russland durch eine Abhängigkeit von den USAUnited States of America ersetzt wird. Auf wirtschaftlicher und politischer Ebene.

Und was ganz wichtig ist, ist, dass die syrische Zivilgesellschaft eingebunden wird in politische Aushandlungsprozesse und Gehör findet.

Nicola: Heute ist es uns, glaube ich, sehr gut gelungen, unseren Zuhörerinnen und Zuhörern nicht nur einen kleinen Einblick in ihre Arbeit über die Kooperation der syrischen und ostdeutschen Geheimdienste zwischen 1960 und 1990 zu geben, sondern auch aufzuzeigen, wie uns historisches Wissen und historische Erfahrungswerte dabei helfen können, strukturelle Kontinuitäten nachzuzeichnen sowie unterkomplexe Verallgemeinerungen zu vermeiden. Liebe Frau Chalati, herzlichen Dank, dass Sie heute bei uns waren.

Wir hoffen, Sie bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen, um die Entwicklungen in Syrien gemeinsam zu verfolgen und für unser Publikum einzuordnen.

Chalati: Ganz herzlichen Dank! Ich freue mich sehr.

Nicola: Vielen Dank fürs Zuhören und bleiben Sie uns gewogen.

 

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.