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Herzlich willkommen zu „Angelesen. Das Buchjournal des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr“. In dieser Folge stellen wir ein Kapitel zum Irakkrieg 2006/2007 aus dem Buch von Lawrence Freedman „Command. The Politics of Military Operations from Korea to Ukraine vor.
Es erschien im Jahr 2022 im britischen Allen Lane Verlag.

Sir Lawrence Freedman ist Politikwissenschaftler und Militärhistoriker aus Großbritannien. Er ist Professor emeritus des renommierten Kings´s College in London.
In seinem Buch „Command“ widmet sich Freedman der Frage, wie die militärische Führung von Operationen und deren strategische und politische Leitung zusammenhängen. Er zieht dazu einen weiten Bogen von den frühen Tagen des Kalten Krieges und Konflikten in Asien über die Kriege unterschiedlichen Ausmaßes vom Falklandkrieg über die kleineren und größeren Konflikte nach 1990. Und er endet beim Russland-Ukraine-Krieg und allgemeinen Überlegungen zur Zukunft der politischen Führung von militärischen Operationen.

Ein Beispiel der Konflikte soll im Fokus dieser Folge von „Angelesen“ stehen: Der Krieg im Irak in den Jahren 2006 und 2007. Dieser Zeitraum im bereits seit 2003 andauernden Krieg war ein entscheidender Wendepunkt hin zu mehr Aktivität und Siegeswillen auf Seiten der USAUnited States of America, der letztlich auch die britischen Koalitionstruppen betraf. Grundsätzlich geht es Freedman aber darum zu schildern, wer Politik und Strategie letztlich maßgeblich beeinflusst: das Militär oder dessen gewählte Vorgesetzte in den politischen Ämtern.  

Im Feldzug der „Koalition der Willigen“ gegen den Irak 2003 war die Absetzung des Diktators, Saddam Hussein, und seines Regimes Teil des Kriegsplans.
Während die militärische Operation zum Sturz Saddam Husseins nach etwa vier Wochen schnell beendet war, war im Verhältnis dazu die folgende Aufstandsbekämpfung und Unterstützung neuer politischer Strukturen schwierig. Dies betraf alle Staaten der „Koalition“, aber vor allem Großbritannien als „Juniorpartner“ der USAUnited States of America. Bis 2007 gingen beide mehr oder weniger gleiche Wege in der Kriegführung und Aufstandsbekämpfung. Als dann die militärische Lage im Irak außer Kontrolle geriet, wollten die USAUnited States of America sich aktiver einbringen, während die Briten das Gegenteil im Sinn hatten. Das Bündnis der traditionell „Schulter-an-Schulter“ kämpfenden Partner war sich in strategischen Fragen, wie man im Irak agieren wollte, nicht einig oder beriet sich erst gar nicht.

2004 war bereits nach einem Jahr der Besatzungsherrschaft ein innerer Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten zu bedrohlicher Größe gelangt. Ab 2005 war es das Ziel der Koalition, dass die neuen irakischen Streitkräfte die Beherrschung des Landes langsam übernehmen, während die „Koalition“ ihre Anstrengungen auf „Hochwert-Ziele“ konzentrieren wollte. USUnited States-Präsident George Walker Bush sagte es so: „As the Iraqi security forces stand up, coalition forces can stand down.“

In dieser Phase des Kontrollverlustes standen sich zwei Ziele scheinbar unvereinbar gegenüber. Zum einen wollte die Koalition die Bevölkerung vor den Anschlägen der Aufständischen schützen und zum anderen wollte sie gleichzeitig die Verluste der eigenen „Koalitionstruppen“ niedrig halten. Anstatt an der Trennung von Aufständischen und Bevölkerung zu arbeiten, sollten die Aufständischen in erster Linie getötet werden. Aber weil die Aufständischen sich in der Bevölkerung teilweise verdeckt bewegten, gefährdete der sich intensivierende Kampf gegen sie auch unbeteiligte Irakis und deren Eigentum. Die Unterstützung der Bevölkerung schwand so parallel zur laufenden militärischen Operation enorm.
Dazu trug auch bei, dass die Truppen sich in befestigten Basen außerhalb der Städte schützten, um Verluste zu verringern, während die Bevölkerung quasi ungeschützt in einem undefinierbaren Kampfgebiet zurückgelassen wurde. Die Moral der Truppe und der Führungsanspruch der Offiziere wurden ebenfalls geschädigt, wenn der Wille zum Sieg hinter dem Ziel der Minimierung von Verlusten zurückstehen musste. Dazu kam, dass bei der Rückkehr von militärischen Einheiten in einem späteren Kontingent die ausbleibende Entwicklung, ja die Stagnation oder gar der Rückschritt auf dem Feld der Sicherheit, im Land wohl bemerkt wurde.

2006 mussten die USAUnited States of America schließlich das strategische Ziel im Irak neu bewerten. Sollten sie ihre Soldaten abziehen oder sich stärker einbringen? In dieser Situation galt für die Führung des USUnited States-Verteidigungsministeriums scheinbar ein „weitermachen wie bisher“. Dabei fügten sich Untergebene in die schwierige Situation, dass vom Ministerium ein allgemeines „Vorwärts!“ kam, aber keine Information über das „wohin“ und das „wozu“. Dieses blieb den allein gelassenen Vorgesetzten im Irak überlassen.
Die politische Führung mischte sich dort ein, wo die Soldaten ausreichende Kompetenzen hatten. Sie lieferte allerdings keine Lösungen, wo sie von der Politik verlangt werden mussten. Die Stabschefs der USUnited States-Streitkräfte meinten intern, dass die Probleme im Irak eher politischer als militärischer Natur wären. Selbst öffentliche Kritik ehemaliger Generale wurde nicht weiter überprüft. Und der USUnited States-Präsident fühlte sich als Oberbefehlshaber zu keiner Erklärung seiner Aussagen verpflichtet, wie er damals einem renommierten Journalisten sagte. Andererseits begegnete der Präsident den vereinigten Stabschefs auch kaum mit eigenen Ideen und Forderungen. Und kein General wurde im Irak wegen mangelnder Effektivität abgesetzt. Die politische und militärische Einsatzführung lag eher beim Verteidigungsministerium.
USUnited States-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wird rückblickend die maßgebliche Schuld am Scheitern des Irakeinsatzes zugerechnet. Schließlich riet die von Demokraten und Republikanern unterstützte „Iraq Study Group“ zum Abzug für das Jahr 2008.

In dieser Situation wollte USUnited States-Präsident Bush 2007 aber keine Niederlage einräumen. Stattdessen forderte er einen neuen Anlauf zum Erfolg. Dieser Plan wurde am Verteidigungsministerium vorbei vorbereitet. Und dabei wurde abgesetzt oder versetzt, wer sich dem neuen Plan entgegenstellte.
Mit General David Petraeus kam ein Truppenführer zur Multi-National Force Iraq, der sich dort auskannte und in seiner letzten Verwendung die Vorbereitung der Dienstvorschrift zur Aufstandsbekämpfung verantwortet hatte. Sein neuer Plan bezog die irakische Politik und die innerstaatlichen Konfliktgruppen in die Planung mit ein. Und es war klar, dass USUnited States-Truppen im Land bleiben mussten. Am Ende der Bush-Präsidentschaft 2008 hatte sich die Lage erheblich verbessert. Erst unter dem neuen Präsidenten Barack Obama und der irakischen Innenpolitik gegen die Sunniten verschlechterte sich die Situation im Land wieder.

Der Blick auf den britischen Juniorpartner der USAUnited States of America zeigt eine andere Perspektive des neuen Plans. Der britische Premierminister Tony Blair stand seit Jahren an der Seite der USAUnited States of America in den Konflikten der Zeit. 2002 dachte Blair, dass die USAUnited States of America auch für den Irak ein „winning concept“ hätten. Man wollte eigentlich mit britischen Landstreitkräften von der Türkei aus eingreifen, was die Türkei ablehnte. Großbritannien trug später die Verantwortung im Süd-Irak und bei Basra.
Die britische Operation TELIC war eine der größten britische Operation seit dem Zweiten Weltkrieg und wurde bis 2011 im Irak geführt.
Der Abzug der britischen Truppen war bereits fest einkalkuliert, als die regierung des Königreichs Ende 2007 vom Weitermachen der USAUnited States of America erfuhr. Dabei hatte sie geglaubt, dass sie wegen der Unterstützung der USAUnited States of America auch eine Art Mitspracherecht bei der Militärstrategie haben sollte. Wie der britische Regierungschef zu Informationen kam, hing von der Kommandostruktur der unterschiedlichen Hauptquartiere und deren Meldestränge zum britischen Verteidigungsministerium ab. Verglichen mit dem Zweiten Weltkrieg, gab es aber in Washington diesmal keinen britischen Offizier, der die Ansichten der Vereinigten Stabschef kannte.
Großbritannien wollte sich mit seinen Erfahrungen von Aufstandsbekämpfung einbringen, scheiterte aber an der Einstellung der Führer vor Ort. Der britische General David Richards bemerkte den schon aufgrund der Sonnenbrillen fehlenden Blickkontakt mit der Bevölkerung und tadelte die USUnited States-amerikanische Tendenz, Checkpoints mit Stacheldraht zu umgeben und dann fast nichts zu tun.
Die britischen und amerikanischen Truppen- und Kommandostrukturen im Irak entwickelten in den Jahren des Einsatzes ein fast unverbundenes Nebeneinander. Jeder der beiden Partner hatte vor allem seine maßgebliche Stadt im Blick: die Amerikaner Bagdad und die Briten Basra. Hier überwog die organisierte Kriminalität die Aufstandsbewegung. In der Millionenstadt Basra konnte man als Besatzungsmacht jedoch zeitweilig gerade einmal 200 Soldaten auf die Straße bringen. Trotzdem war für die Briten im Grunde der Iraq wichtiger als Afghanistan.
Es bildeten sich auch eigene Frontlinien in der Politik, denen man gerecht werden wollte. Interessant ist zum Beispiel, dass der britische Befehlshaber, General Richard Shirreff, in London und im Hauptquartier Northwood vor allem „Defätisten“ am Werk sah, die er mit einem alleinigen britischen Sieg in Basra herausfordern wollte.
Aber als die Briten später mit der Operation SINDBAD doch die Reduzierung ihrer Truppen für 2007 ausplanten, wendete sich bekanntlich die Absicht in den USAUnited States of America in das genaue Gegenteil. Dies konnte Premierminister Blair gegenüber USUnited States-Präsident Bush kurz vor dem Jahreswechsel am Telefon erklären. Letztlich setzten die Briten ihre Reduzierungspläne fort. Blair machte dazu im britischen Parlament deutlich, dass aus seiner Sicht der Abzug der Briten den Aufständischen in Basra den Wind aus den Segeln nehmen würde. Die irakische Armee könnte dann leichter zum Zuge kommen und für Sicherheit sorgen.

Unter Blairs Nachfolger als Premierminister, Gordon Brown, setzte die britische Regierung die Truppenreduzierungen zwar fort, aber der von USUnited States-Präsident Bush angestoßene USUnited States-amerikanische Impuls hatte auch positive Wirkungen auf die Operationen im britischen Bereich. Die britischen Truppen gaben letztlich die Abschottung gegenüber den USUnited States-Amerikanern im Irak auf. Beim Abzug des Großteils der Briten 2009 war die Sicherheit in Basra weitaus besser als man je erwartet hatte.  

Die Betrachtung der kritischen Wendephase im Irak 2006 und 2007 zeigte die Herausforderungen des politischen und militärischen Oberbefehls sowie Ansätze zu künftigen Lehren auf. Es kommt demnach darauf an, dass in Koalitionen Militärstrategien gemeinsam mit Verbündeten erarbeitet, gemeinsam umgesetzt und gemeinsam angepasst werden. Die Politik muss dabei die ihr zustehende Führung wahrnehmen und das Militär diese politische Führungsleistung notfalls auch einfordern. Wo die Politik keine Orientierung gibt, soll das Militär die Lücke nicht mit eigenen militärstrategischen Überlegungen füllen. Dafür fehlten letztlich sowohl im britischen und amerikanischen Militär die Kompetenzen als auch für die Regierungen das politische Mandat.

Das war „ANGELESEN! Das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr“. Heute mit einem Blick auf ein Kapitel zum Irakkrieg 2006/2007 aus dem Buch von Lawrence Freedman „Command. The Politics of Military Operations from Korea to Ukraine“. Es erschien im Jahr 2022 im britischen Allen Lane Verlag.

Text von Heiner Bröckermann.
Gelesen von: Heiner Möllers


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