Winfried Heinemann. Unternehmen "Walküre"- Transkript

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Herzlich Willkommen zu „Angelesen, dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute zum Buch von Winfried Heinemann, Unternehmen „Walküre“ Eine Militärgeschichte des 20. Juli 1944. Es erschien 2019 im DeGruyter Oldenbourg Verlag.
Also, zum Widerstand gegen Hitler wissen wir doch alles schon: Nazis böse, Widerstand gut, fertig. Wozu dann noch ein neues Buch?
So werden vielleicht viele denken, aber was wissen sie denn wirklich über die Männer im Widerstand? Dass die einen „gut“ und die anderen „böse“ waren, ist eine moralische Wertung, aber noch kein Wissen. 
Die ersten fünf Toten, die in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli vom Bendlerblock auf den Alten Matthäikirchhof gefahren und dort in aller Eile begraben wurden, waren alle Soldaten. Was haben sie eigentlich hauptberuflich gemacht, und: hat das ihre Entscheidung zum Widerstand beeinflusst?

Es gibt dicke Bücher, die sagen, Stauffenberg habe aus nationaler Überzeugung Widerstand geleistet. Andere dicke Bücher beschreiben, Stauffenberg habe aus christlicher Überzeugung gehandelt. Vor fünf Jahren machte ein Buch Aufsehen, das Stauffenbergs Handeln damit begründete, dass er zu dem Kreis um den esoterischen Dichter Stefan George gezählt hatte. 
Nur dass Stauffenberg Berufsoffizier war, an einer zentralen Stelle im fünften Kriegsjahr, und zu den „kommenden Männern“ im Generalstab gehörte – das steht kaum irgendwo. Die Militärs lehnten Hitlers Kriegführung ab – aber den Krieg als solchen lehnten sie nicht ab. Generalstabsoffiziere waren damals und sind heute keine Radikalpazifisten. Wie stellten sie sich also das Militär der Zukunft vor, wie die Weiterführung oder die Beendigung des Krieges? Politiker und Diplomaten im Widerstand, Männer wie Carl Goerdeler oder Ulrich von Hassell, hatten mehr oder weniger klare Vorstellungen, darüber wissen die Historiker viel, und das seit langem. Nur was die Soldaten militärisch dachten, das hat bisher niemanden interessiert. Wenn es jemanden interessiert, dann findet sie oder er in dem Buch von Winfried Heinemann Antworten auf viele ihrer oder seiner Fragen. 
Über die Politiker im Widerstand wissen wir, dass viele von ihnen in den Kategorien des Kaiserreichs dachten – die wenigsten waren Vertreter der Weimarer Demokratie. Für die Offiziere gilt, dass die älteren sich ebenfalls an der Armee ihrer Jugend, also am Heer von vor dem Ersten Weltkrieg orientierten. Die jüngeren Offiziere waren in der Reichswehr sozialisiert worden, die sich aber ihrer Vorgängerarmee in vieler Hinsicht nicht allzu sehr unterschied. Den meisten von ihnen war das Regiment ihre Heimat: da war man unter sich, da konnte man offen reden, und da konnte man auch kontrovers diskutieren, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Das erklärt vielleicht ein Stück weit, wie es gelingen konnte, 1943 und 1944 eine Staatsstreichorganisation aufzubauen, ohne dass davon etwas nach außen drang: man „petzte“ eben nicht.
Beim Kapp-Putsch 1920 hatte die Reichswehr erleben müssen, wie ein militärischer Staatsstreich zusammenbrach, weil die Arbeiter zum Generalstreik aufriefen. Das scheint für einige Offiziere eine traumatische Erfahrung gewesen zu sein – das durfte sich 1944 nicht wiederholen, und deshalb bezog der Kopf der Umsturzplanung, Oberst Claus Graf Stauffenberg, den SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands-Politiker und Reserveoffizier Julius Leber mit ein. Andererseits hatte der Reichspräsident der Reichswehr 1923 während des Hitler-Ludendorff-Putsches die vollziehende Gewalt im Inneren übertragen, also quasi eine befristete Militärdiktatur ausgerufen. 
Was für uns heute fast unvorstellbar ist, dass nämlich die Soldaten die Macht im Inneren übernehmen, das war für die Reichswehr so ungewöhnlich nicht. Noch 1932 hat sie geprüft, ob man statt einer NSNationalsozialismus-Diktatur eine Militärdiktatur ausrufen könne – der Reichspräsident von Hindenburg machte dabei aber nicht mit. Die Überlegungen dieses Planspiels Ott sind aber, so zeigt dieses Buch auf, in die Staatsstreichplanungen vom Sommer 1944 eingeflossen. 
In den 1920er Jahren gab es eine heftige Diskussion in der Reichswehr, ob man für die Zukunft eine kleine, hochtechnisierte und elitäre Armee brauche oder im Gegenteil eine allgemeine Volksbewaffnung vorbereiten müsse. Die Reichswehr entschied sich am Ende für das kleine Elitenheer mit einem in sich geschlossenen Offizierkorps, das „Deutschland“ dienen wollte, nicht einer bestimmten Staatsform wie der Republik. 
Die Nationalsozialisten hatten mit der Wehrmacht eine breit angelegte Wehrpflichtarmee geschaffen, und während des Krieges wurde immer deutlicher, dass nach dessen Ende die Waffen-SSSchutzstaffel die Rolle einer elitären, hochbeweglichen Truppe übernehmen sollte. Auch dagegen richtete sich militärischer Widerstand. 
Aber wie schon gesagt: Diskussionen wie die über den Krieg der Zukunft konnte man im in sich geschlossenen Offizierkorps sehr offen führen. Da drang es eben auch noch 1943 und 1944 nicht nach draußen, wenn jemand wie Stauffenberg andere, ähnlich denkende Offiziere recht offen darauf ansprach, ob man denn mit diesem Führer an der Spitze noch Erfolg haben könne. 
Militärische Motive für einen Umsturz gab es ja genug: da waren die verheerenden Personalverluste, die schon lange nicht mehr auszugleichen waren. Nirgendwo wusste man das besser als beim Befehlshaber des Ersatzheeres, dessen Chef des Stabes Stauffenberg war. Woran lag es aber, dass die Kriegsaussichten so düster waren? Schon als Major hatte Stauffenberg seine Witze über die völlig verkorkste Spitzengliederung des Reiches gemacht, bunte Linien kreuz und quer über eine Tafel gezogen und am Ende die verdutzten Zuhörer gefragt, ob sie glaubten, dass man so den Krieg gewinnen könne.
Oder die Verbrechen im Osten – über die man ja auch genug wusste. Wer würde denn mit Hitler Frieden schließen, mit jenem Hitler, der alles dieses zu verantworten hatte? Überhaupt: wann sollte denn wie Frieden werden? War nicht der NSNationalsozialismus-Staat darauf angewiesen, immer weiter Krieg zu führen, obwohl die Ressourcen dafür gar nicht vorhanden waren?
Stauffenberg und seine Mitverschwörer hatten sich diese Fragen gestellt, und sie stellten sie auch anderen Offizieren – eben mit jener schonungslosen Offenheit, mit der man in den Offizierkorps traditionellen Zuschnitts reden konnte.
Aber auch das drohte ja zu kippen. Neunzig Prozent der Offiziere des Jahres 1944 waren Reserveoffiziere; die meisten von ihnen waren Leutnante, Oberleutnante oder junge Hauptleute aus jener Hitlerjugend-Generation, die zu fanatischen Hitlerjüngern erzogen worden war und die mit dem traditionsreichen Milieu der verschwiegenen Offizierskasinos nichts anzufangen wusste. 
Schon 1938 hatte es Umsturzplanungen gegeben; da hatte die Verschwörung noch auf das Prinzip von Befehl und Gehorsam gesetzt. Das würde im fünften Kriegsjahr nicht mehr funktionieren – die jungen Offiziere und die Mannschaften würden gegen einen lebenden Hitler nicht mehr marschieren, das stand für Stauffenberg fest.
Wie also sollte dann ein Staatsstreich, eigentlich ja ein Militärputsch, gelingen? Dass Stauffenberg seit dem Herbst 1943 wichtige Dienstposten im Ersatzheer übernommen hatte, also in der Führung aller Wehrmachtstruppen im Reichsgebiet, das eröffnete natürlich Möglichkeiten. 
Es gab in der Verschwörung solche, die aus religiösen, moralischen, juristischen oder politischen Erwägungen heraus ein Attentat auf Hitler ablehnten – vor allem ein Bombenattentat, bei dem auch Umstehende zu Tode kommen würden. 
Der zivile Kopf der Opposition etwa, Carl Goerdeler, wollte Hitler vor ein deutsches Gericht gestellt und verurteilt sehen. Aber da war Stauffenberg sehr viel realistischer: Wenn Hitler nicht tot war, würde der Staatsstreich nicht funktionieren. 
Erst wenn der Führer ausgeschaltet war und wenn es gelang, wenigstens eine Zeit lang die Fiktion aufrechtzuerhalten, die Partei oder die im Heer verhasste SSSchutzstaffel habe Hitler umgebracht, erst dann konnten die vielen sorgsam geplanten Maßnahmen zum Erfolg führen. Da sollten Infanterie- und Panzerkräfte die Hauptstadt sichern, das Regierungsviertel, die Rundfunksender, das Haus des Rundfunks. Andere sollten gegen die Ersatztruppenteile der Waffen-SSSchutzstaffel-Division „Leibstandarte“ in Lichterfelde aufklären –die Umsturzplaner sahen in diesen Verbänden die größte Gefahr für ihr Vorhaben. 
Verbindungsoffiziere mussten eingeteilt werden, Fernmeldeverbindungen unterbrochen oder aber für den Umsturz nutzbar gemacht werden. Stauffenberg war, wie gesagt, einer der kommenden Männer im Generalstab, 36 Jahre alt, gerade Oberst geworden, aber schon auf einer Generalsstelle verwendet – jetzt konnte er zeigen, wie brillant er zu planen verstand. Wer wissen will, wie im Berlin des Jahres 1944 ein Umsturz zu planen war, der kann es hier nachlesen.
Aber das alles hing eben von einem erfolgreichen Attentat ab, und unter den wenigen Verschwörern, die überhaupt noch Zugang zum „Führer“ hatten, waren einige nicht dazu bereit, es auszuführen. So blieb am Ende nichts anderes übrig, als dass der schwer kriegsversehrte Stauffenberg mit seiner einen verkrüppelten Hand die Bombe selbst legen musste. Danach aber musste er sofort nach Berlin fliegen, weil er an der Spitze der Staatsstreichorganisation stand; nur er konnte – angeblich im Auftrag seines Befehlshabers – dem Ersatzheer Befehle erteilen. 
Wir wissen, was daraus geworden ist: das Attentat schlug fehl, und während des Nachmittags und Abends bewahrheitete sich, was Stauffenberg immer gesagt hatte. Als es sich herumsprach, dass Hitler noch lebte, brach der Militärputsch in sich zusammen.
Heinemanns Buch bleibt aber bei dem Scheitern des Aufstands vom 20. Juli 1944 nicht stehen. Wie hat sich diese tiefe Erschütterung auf das Regime, auf den NSNationalsozialismus-Staat als ganzen ausgewirkt? Zu welchen Verschiebungen hat er geführt, wie haben die alliierten Kriegsgegner ihn wahrgenommen?
Die Frage nach der Haltung der Westalliierten zum Widerstand führt dann ja gleich weiter zu der Frage, wie die junge Bundeswehr es mit der Tradition des Widerstands halten sollte. 
Einerseits sollte sie sich natürlich von der Wehrmacht unterscheiden und eine Armee in der Demokratie werden – was ihr ja auch gelungen ist. Andererseits brauchte man für ihren Aufbau aber auch die kriegsgedienten Wehrmachtssoldaten und -offiziere, von denen viele den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 nach wie vor als „Verrat“ auffassten. 
Darüber, wie die junge Bundeswehr mit dem Erbe des Widerstands umgegangen ist, ist schon viel Tinte vergossen worden. Neu ist an Heinemanns „Unternehmen Walküre“, dass der Band dieselbe Frage auch an die Nationale Volksarmee der DDRDeutsche Demokratische Republik und an das österreichische Bundesheer stellt – beide in mancher Weise eben auch Nachfolgearmeen der Wehrmacht. Gerade der Vergleich, so viel sei vorweggenommen, ermöglicht es, die Entwicklungen in den drei Armeen besser zu verstehen. 
„Nazis böse“ – „Widerstand gut“ – so einfach ist es eben nicht. In diesem Buch findet man erstaunlich wenig moralische Wertungen und stattdessen viel Erklärung, warum etwas in einer bestimmten Weise geschehen ist. Eine „unaufgeregte Sprache“ hat ein Rezensent Heinemann und seinem Buch bescheinigt. Das ist nicht das gleiche wie eine langweilige Schreibe, so dass der Band immer wieder fesselnd und spannend ist – obwohl man das Ende ja kennt. 
In diesem Jahr wird in Deutschland der 80. Jahrestag des 20. Juli 1944 begangen. 
Wer sich über den militärischen Teil der Umsturzplanung informieren will, oder wer in der Truppe einen Unterricht zum Jahresthema der historischen Bild „Gehorsam und Widerstand“ halten soll – sie alle werden diesen Band mit Gewinn in die Hand nehmen. 
Das war „Angelesen! Das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute zum Buch von Winfried Heinemann, Unternehmen „Walküre“ Eine Militärgeschichte des 20. Juli 1944. Es erschien 2019 im DeGruyter Oldenbourg Verlag.

von Winfried Heinemann

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