Angelesen - Audio-Buchjournal

Unwinnable. Britain's War in Afghanistan 2001-2014.

Unwinnable. Britain's War in Afghanistan 2001-2014.

Datum:
Lesedauer:
13 MIN

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Herzlich willkommen zu „Angelesen“, dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr! Heute stellen wir Ihnen die Studie von Theo Farrell mit dem Titel Unwinnable. Britain’s War in Afghanistan, 2001-2014 aus dem Jahre 2017 vor. Angesichts der Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen ist es um das Thema Afghanistan ruhig geworden. Wer sich dennoch dafür interessiert, wird vor allem in der angelsächsischen Literatur fündig. Neben der beeindruckenden Gesamtdarstellung The American War in Afghanistan von Carter Malkasian aus dem Jahre 2021 ist die hier Vorzustellende von Theo Farrell die bisher wohl Überzeugendste. Der Autor, lange Jahre Leiter der War Studies am King’s College in London, hatte einen privilegierten Zugang zu amtlichen Quellen, führte viele Zeitzeugengespräche und wertete darüber hinaus alle greifbaren Veröffentlichungen aus. Sein flüssig geschriebenes Buch wird Standard sein, bis die Offenlegung der noch geheim eingestuften britischen Regierungsunterlagen eine breitere Quellenbasis bieten wird. Das Buch ist in elf Kapitel gegliedert, wobei die Einleitung und der Schluss leider etwas knapp ausfallen. Die ersten zwei Kapitel geben Auskunft über die Ausgangslage ab Ende 1999 bis zur britischen Beteiligung am Kampf gegen die Taliban im Herbst 2001. Unter dem Stichwort „America is under attack“ erfolgten nach den Angriffen auf die Twin-Towers und das Pentagon am 11. September zahlreiche automatisierte Maßnahmen, unter anderem der Start der von sechs Kampfflugzeugen gesicherten Air Force One mit Präsident George W. Bush, Jr. an Bord. Neben den Landesgrenzen wurde der gesamte Luftraum über den USAUnited States of America geschlossen, was bei rund 4400 Flugzeugen in der Luft eine große Herausforderung war. Nach diesen spannenden Schilderungen geht Farrell kurz auf die Entstehung der Terrorgruppe Al-Qaida und der Taliban in den 1980er Jahren ein. Osama Bin Laden, dessen Bedeutung bis 9/11 unterschätzt wurde, kam 1996 nach Afghanistan und unterstützte die Taliban, nicht zuletzt als Rekrutierer arabischer Kämpfer, die in Al-Qaida-Lagern ausgebildet wurden, um die Herrschaft der Taliban gegen die Nordallianz durchzusetzen. Das strenge und unmenschliche Regime der Taliban stieß in der westlichen Welt dagegen zunehmend auf Ablehnung, ja Abscheu. Spätestens nach 9/11 sah sich die Bush-Administration gezwungen, etwas gegen den internationalen Terrorismus in Afghanistan zu unternehmen. Für Washington teilte sich von nun ab die Welt in Staaten, die für oder gegen die USAUnited States of America waren. Die große internationale Solidarität und die Ausrufung des NATO-Bündnisfalles wurden in Washington eher mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Denn viele Mitstreiter bedeuteten viel Abstimmungsbedarf. Aufgrund seiner ausgezeichneten Spezialkräfte und seiner professionellen Geheimdienstarbeit war Großbritannien hingegen ein willkommener Verbündeter. Auch die Regierung in London wechselte angesichts der vielen in New York getöteten britischen Staatsbürger in den Krisenmodus. Premier Blair versuchte, den Fokus auf Afghanistan zu richten und durch eine multinationale Allianz an politischem Gewicht zu gewinnen. Der Kriegsplan der USAUnited States of America für Afghanistan folgte den Vorstellungen der CIA, eine Anti-Taliban-Koalition im Land zu finanzieren und diese mit Spezial- und Luftstreitkräften zu unterstützen. Nach Farrell zeichnete sich früh eine Konkurrenz zwischen den USUnited States-Militärs und der CIA ab, was schließlich zu unklaren Kriegszielen führen musste. Die Briten bereiteten derweil ihre Spezialkräfte und Atom-U-Boote mit Marschflugkörpern auf den Einsatz vor. Premier Blair verkündete schließlich am 7. Oktober 2001, das Ultimatum an die Taliban, Bin Laden auszuliefern, sei abgelaufen und Großbritannien ziehe an der Seite Amerikas in den Krieg. In den Kapiteln 3 und 4 beschreibt Farrell den Kampf der britischen Streitkräfte gegen die Taliban und die Ausweitung ihres Einsatzes über die Grenzen Kabuls hinaus. Unter der Kapitelüberschrift Erbsünde listet der Autor zahlreiche Kernfehler auf, die den gesamten Einsatz des Westens nachhaltig prägen sollten. Die Briten erkannten rasch, dass die strategischen und operativen Ziele unter amerikanischer Führung nicht umzusetzen waren, da die Bekämpfung der Taliban stets im Fokus des USUnited States-Militärs stand. Dies führte zu deren Ächtung und Ausschluss von allen politischen Verhandlungen, was Farrell als die Erbsünde des Westens ausmacht. Bereits Ende September 2001 war das erste CIA-Team vor Ort, um alte Verbindungen zur Nordallianz mit Hilfe vieler Dollars zu erneuern. Die Amerikaner waren von Beginn an wenig zimperlich, was den Einsatz von schweren Waffen anging. Der Kommandeur der Nordallianz, Mohammed Qasim Fahim, der später unter Präsident Hamid Karsai noch Vizepräsident werden sollte, plädierte für einen Bodenkrieg mit einer starken Nordallianz und forderte von den USAUnited States of America logistische und finanzielle Unterstützung. General Tommy Franks, der amerikanische Oberbefehlshaber, sah in Fahim allerdings einen Mafiaboss, der nur seine eigenen Interessen verfolge. Die Einnahme von Mazar-e Scharif im November 2001 durch berittene Kämpfer unter der Führung von Abdul Raschid Dostum und Atta Mohammed Noor zeigte die Kampfstärke der Nordallianz. Neben den Spezialkräften, die mit Dostums Truppen mitritten, waren es aber vor allem die massiven Luftschläge, die zur Niederlage der Terroristen führten. Die Truppen der Nordallianz eroberten weitere wichtige Städte im Norden des Landes sowie die Hauptstadt Kabul. Am 23. November konnte schließlich ein Waffenstillstand verhandelt werden, in dessen Folge zahlreiche ausländische Terroristen in der Gefangenschaft unter schrecklichen Bedingungen ums Leben kamen. Allerdings konnten auch viele Terroristen durch eine von Pakistan organisierte und von den USAUnited States of America geduldete Luftbrücke entkommen. Ein schwerer Fehler, wie Farrell feststellt. Nach diesen Anfangserfolgen wollte Präsident Bush seine Truppen zurückholen. Premier Blair hingegen kündigte an, rund 4000 Soldaten in Afghanistan zu stationieren, was von der Nordallianz sogleich als unfreundlicher Akt gewertet wurde. Hamid Karsai führte seinen eigenen Krieg gegen die Taliban, indem er seinen Stamm der Popalzai und andere paschtunische Stämme sowie die Hazaras im Süden Afghanistans vereinte. Auf der Bonner Afghanistan-Konferenz Ende November 2001 wurde Karzai offiziell zum künftigen Chef einer Übergangsregierung erklärt. Diese sollte bis zur ersten großen Loya Jirga, einer nationalen Versammlung der Ältesten, die Geschäfte führen und bestand auch aus zahlreichen Warlords der Nordallianz, was Farrell ebenfalls als großen Fehler bezeichnet. Bei der Machtübernahme der Stadt Kandahar zeigte sich die Unkenntnis bzw. Ignoranz der amerikanischen Spezialkräfte, die dem Kommandeur der einrückenden Truppen glaubten, der von Karzai vorgesehene Provinzgouverneur sei ein Talib. Jener wurde daraufhin der neue Gouverneur, dieser musste sich mit einem weniger bedeutenden Kommandeursposten zufriedengeben. Dies sollte nach Farrell nicht das letzte Mal sein, dass USUnited States-Streitkräfte vor Ort aufgrund ihrer Unkenntnis der afghanischen Stammes- und Clanstrukturen Fehlentscheidungen trafen, welche die Autorität Karzais untergruben. In der Zwischenzeit setzte sich der britische Premier Blair nach Rücksprache mit hohen Militärs, die zwei Missionen für machbar hielten, für eine internationale Schutztruppe unter britischer Führung ein. Um die Unterstützung der USAUnited States of America zu erlangen, sollte diese Schutztruppe unter das Kommando des CENTCOM gestellt werden. Dies hätte auch die Koordinierung mit der OEFOperation Enduring Freedom sichergestellt, die ja parallel zum Einsatz der ISAFInternational Security Assistance Force weiterlief. Doch diese Idee scheiterte am Einspruch Frankreichs und Deutschlands. Vor allem die deutsche Regierung wollte aus innenpolitischen Gründen eine strikte Trennung der zwei Missionen. Der Autor sieht darin eine entscheidende Schwächung der gesamten Afghanistan-Mission. Ende Januar 2002 war die Masse der Truppen vor Ort und die Sicherheitslage in und um Kabul verbesserte sich schlagartig. Nach Farrell ließen aber die Unterstützungsleistungen der Vereinten Nationen auf sich warten und konnten auch nicht durch die Militärs kompensiert werden. Der Aufbau der afghanischen Armee startete holprig, auch wenn er im Vergleich zum schleppenden Aufbau der afghanischen Bundespolizei unter deutscher Führung später durchaus noch als Erfolg verbucht werden konnte. Farrell kritisiert wiederholt das Fehlen einer kohärenten Gesamtstrategie der USAUnited States of America mit klar formulierten militärischen Zielen und Zwischenzielen. Darüber hinaus fehlte es auch an einem Plan für die Zeit danach. Der größte Fehler war aber nach Farrell - wie bereits angesprochen – der Ausschluss der Taliban an den Verhandlungen über ein Nachkriegsafghanistan. Die damit verbundene Ignoranz der Bedeutung der Taliban für einen Großteil der paschtunischen Gesellschaft im Süden und im Osten des Landes sollte sich noch rächen. Die Bush-Administration war an einem Statebuilding in Afghanistan nicht interessiert, noch viel weniger, nachdem der Irak-Krieg begonnen hatte. Angesichts der desolaten Staatlichkeit, der Korruption und des Drogenproblems war es von Beginn an fraglich, ob die Milliardenzahlungen des Westens überhaupt sinnvoll seien. Zumindest sollte der Zivilbevölkerung gezielter geholfen werden. Die Arbeit eines USUnited States-Teams in Gardez im Osten des Landes war dabei aufgrund seiner guten Beziehungen zur Bevölkerung das Vorbild für das Joint Regional Team-Konzept. Hamid Karzai förderte dieses unter seiner Bezeichnung als Provincial Reconstruction Team. Drei erste PRTs der Amerikaner und ein britisches PRTProvincial Reconstruction Team sollten ab Mitte 2003 den Anfang machen. Bis Juni 2004 waren landesweit bereits dreizehn PRTs aufgestellt. Voraussetzung war die Erweiterung des Mandats über die Stadtgrenzen Kabuls hinaus. Diese Erweiterung wurde vor allem von den NATO-Bündnispartnern forciert, die nicht an der Seite der USAUnited States of America im Irakkrieg kämpften. Die NATO in Afghanistan war plötzlich die Lösung für den bündnisinternen Streit. Für Donald Rumsfeld bot eine NATO-geführte ISAFInternational Security Assistance Force, die in ganz Afghanistan agieren sollte, eine Entlastung der amerikanischen Streitkräfte. Farrell sieht Deutschland als die treibende Kraft für die geografische Erweiterung des Mandates und beruft sich dabei auf einige NATO-Botschafter, die von der Regierung in Berlin mehr oder weniger überfahren worden seien. Deutschland und Italien engagierten sich dann im verhältnismäßig ruhigen Norden des Landes. Großbritannien übernahm dagegen ab Sommer 2004 die Führungsrolle bei der Ausdehnung des ISAFInternational Security Assistance Force-Mandates in den Süden des Landes. Die Niederländer übernahmen dort die Provinz Uruzgan, die Kanadier bestanden auf die wichtige Provinz Kandahar, so dass die Briten schließlich für die Provinz Helmand verantwortlich waren. Als größte Provinz war sie eine Basis für die Taliban und das größte Drogenanbaugebiet des Landes, was die Briten noch vor große Probleme stellen sollte. In den folgenden Kapiteln 5 bis 7 analysiert der Autor den schweren Kampf der britischen Einsatzkräfte von 2006 bis Anfang 2009. Vergleichbar der ausgezeichneten Studie von Carter Malkasian, War comes to Garmser aus dem Jahre 2013 über den Kampf amerikanischer Truppen in einem einzelnen Distrikt konzentriert sich Farrell auf diese Provinz. Dort Warlords mit wichtigen Posten betraut zu haben, bezeichnet Farrell als schweren Geburtsfehler. Diese bereicherten sich mit Hilfe ihrer Milizen, die im Gegensatz zur streng religiösen, harten aber auch verlässlichen Herrschaftsausübung der Taliban meist nur Terror und Leid brachten. Zudem verschwammen die Grenzen, wenn sich die leidtragende Bevölkerung sowohl mit den Taliban als auch mit den Warlords arrangierte. Die britischen Streitkräfte wiederum wurden häufig von Warlords und Clanchefs für ihre internen Machtkämpfe instrumentalisiert. Durch britische Waffen getötete oder verwundete vermeintliche Taliban stellten sich oft als einfache Bauern, die sich im Kampf für einen Warlord etwas hinzuverdienten, heraus. Dies hatte fatale Folgen für das Ansehen der Briten in Helmand. Ebenso die aus westlicher Sicht konsequente Absetzung der zwei mächtigsten Warlords, Sher Mohammed Akhundzada und Malem Mir Wali durch Präsident Karzai. Die Nachfolger hatten keine Verwurzelung in den Stämmen vor Ort und waren auf die Hilfe der Briten angewiesen. Eine schlechte Ausgangsbasis, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Für Farrell waren die britischen Kontingente personell und materiell für ihre Aufträge schlecht aufgestellt. Die politische Leitung und die militärische Führung in London wollten diese Probleme lange nicht sehen bzw. redeten diese klein. Dies führte dazu, dass die Truppe vor Ort den strategischen Joint Helmand Plan nur bedingt umsetzte. Es wurde improvisiert und jeder britische Kontingentführer entwickelte eigene Pläne und kämpfte seinen eigenen Krieg. Ergebnis war, dass die britischen Kräfte hoffnungslos überdehnt und immer auf die Unterstützung der Luftwaffe angewiesen waren. Drei Distrikte mussten die Briten sogar aufgeben. 2007 warf der USUnited States-General Dan McNeill den Briten vor, in Helmand ein Chaos angerichtet zu haben. 2008 sollte daher unter Brigadier Andrew Mackay der Schwerpunkt auf Counterinsurgency (COIN) gelegt und weniger militärische Gewalt angewendet werden. Der Dreiklang Clear-Hold-Build sollte bei der Rückeroberung der Stadt Musa Qala Anwendung finden. Mit starker Unterstützung gelang der afghanischen Armee Mitte Dezember 2007, die Taliban zu schlagen und die Stadt zu übernehmen, was einen Prestigegewinn für die neue Armee darstellte. Hold and Build wurde gemeinsam mit ISAFInternational Security Assistance Force umgesetzt, wobei Teile der Bevölkerung die untergetauchten Taliban weiterhin unterstützten und den Ansatz des Westens, die Gesellschaft zu modernisieren und den Drogenanbau zu stoppen, hintertrieben. Viele Hilfsprojekte wie z.B. ein Frauenpark waren durch die fehlende Einbindung lokaler Machthaber von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Die britischen Fallschirmjäger wiederum hatten kein Verständnis für den Kampf um die Herzen. Die Einheimischen bildeten dagegen nach Farrell eine „Koalition der Verärgerten“ über die Karzai-Regierung im fernen Kabul, über die Warlords und die verfeindeten Stämme oder Clans in ihrer Provinz, über die neuen, meist korrupten und brutalen afghanischen Sicherheitskräfte sowie über die NATO-Truppen, die auch keine Sicherheit brachten. Erfolgreiche Operationen der ISAFInternational Security Assistance Force erwiesen sich meist als nicht nachhaltig und Farrell zitiert Brigadier Mark Carleton-Smith, der im Herbst 2008 den Krieg als nicht mehr gewinnbar ansah. Auch das Folgejahr war ein blutiges Jahr mit hohen britischen Verlusten. Dies führte zu einem Meinungsumschwung in Großbritannien, wo mittlerweile knapp 60 Prozent der Befragten den Einsatz für gescheitert ansahen. Die Militärs wiederum forderten mehr Truppen und mehr Geld, mussten aber auch Kritik für ihr unstetes taktisches Vorgehen in Helmand einstecken. Die Kapitel 8 bis 10 verdeutlichen den Wandel der Kampfführung in Afghanistan, nachdem die USAUnited States of America unter Präsident Barak Obama einen Kurswechsel hin zum Counterinsurgency mit einer Abzugsperspektive vollzogen hatte. Neben einer Truppenaufstockung sollte vor allem die Stärkung der afghanischen Sicherheitskräfte den Durchbruch bringen. Pakistan geriet unter Druck, denn trotz finanzieller USUnited States-Hilfen bot das Nachbarland den Taliban immer wieder Rückzugsräume. Auch die undurchsichtige Arbeit des pakistanischen Geheimdienstes war eine schwere Last für die Truppen des Westens. Die beste Darstellung dazu lieferte 2014 die Journalistin Carlotta Gall in ihrem Buch The Wrong Enemy. General Stanley McChrystal stand für den personellen Neuanfang vor Ort und galt als COIN-Experte. Sein Credo war der Schutz und die gute Behandlung der afghanischen Zivilbevölkerung. Ihm fiel auf, dass die Deutschen und die Italiener in ihren Regionen eher Peacekeeping betrieben und sich mit seiner neuen Strategie schwertaten. Die Briten im Süden hingegen fielen durch übertriebene Härte auf. Auch der gültige NATO-Plan war in seinen Augen wenig sinnvoll. McChrystal formulierte vier Säulen seiner neuen Vorgehensweise: der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte und einer funktionierenden Staatlichkeit, gezielte Militäroperationen gegen die Aufständischen sowie die Priorisierung besonders bedrohter Distrikte. Die Operation gegen die Taliban-Hochburg Mardscha war ein erster großer Erfolg, konnte aber die Taliban nicht gänzlich aus dem Süden vertreiben. Die Kollateralschäden, vor allem die völlige Vernichtung einer Ortschaft, zeigten rasch die Grenzen der neuen Vorgehensweise. Der Nachfolger des aufgrund seiner harschen Kritik an Präsident Obama abgelösten McChrystal, General David Petraeus, setzte seinen Schwerpunkt ab Mitte 2010 auf die gezielte Bekämpfung von Taliban-Kommandeuren durch nächtliche Überfall-Kommandos. Diese Aktionen blieben auch nicht ohne Kollateralschäden, die wiederum die ablehnende Haltung gegen die ISAFInternational Security Assistance Force und die neuen afghanischen Sicherheitskräfte steigerte. Dazu kam, dass die Taliban improvisierte Sprengfallen immer professioneller einsetzten und immer wieder in pakistanische Rückzugsräume ausweichen konnten. Auch die Rekrutierung neuer Kämpfer war unter dem Stichwort Kampf gegen die Ungläubigen trotz der hohen Verluste nie ein Problem. Die engen personalen Netzwerke zwischen den lokalen Machthabern, den Stämmen und Clans mit den Taliban, die in vielen Distrikten eine Schattenregierung aufstellten, taten ihr übriges. Helmand konnte trotz der höchsten britischen Truppenzahl von 9500 Soldatinnen und Soldaten sowie rund 20.000 USUnited States-Marines weiterhin nicht befriedet werden. Im Kapitel 11 beschreibt Farrell schließlich unter der Überschrift Time Runs Out die letzte Phase der ISAFInternational Security Assistance Force-Mission. Im Sommer 2010 begann Premier David Cameron eine Diskussion über ein Ende des britischen Engagements in Afghanistan, sicherlich beeinflusst von der Ankündigung der französischen und kanadischen Regierung, ihre Truppen 2011 abzuziehen. Gefragt war eine Strategie zur Beendigung des gesamten Einsatzes nach Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte. Auch Präsident Karzai, dem spätestens ab 2009 eine Mitschuld an der schlechten Sicherheitslage gegeben wurde, dachte in diese Richtung und schlug einen Übergabeplan bis Ende 2014 vor. Die NATO griff diesen Plan während ihrer Ratstagung in Lissabon auf und erklärte, alle Kampftruppen bis Ende 2014 abzuziehen. Die Voraussetzung dafür, genügend afghanische Sicherheitskräfte aufzustellen, war jedoch aufgrund von Korruption und traditionalen Loyalitäten kaum zu erfüllen. Die bereits aufgestellten Truppen standen immer wieder in schweren Kämpfen und erlitten hohe Verluste. Dennoch wurde am 18. Juni 2013 die Übergabe der Sicherheitsverantwortung offiziell verkündet. Es blieben die Truppen der Folgemission Resolute Support zur Beratung, Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte. Am 28. September 2015 fiel die fünftgrößte afghanische Stadt Kunduz in die Hände der Taliban, die sich Richtung Kabul vorkämpften. Ihr Vormarsch stellte die gesamte Mission des Westens in Frage. Nach Theo Farrell war der Afghanistaneinsatz des Westens von Beginn an zum Scheitern verurteilt.

von Helmut R. Hammerich

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