Transkript Krieg und Geschlecht
Transkript Krieg und Geschlecht
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Janeke: Ich begrüße Sie herzlich zu unserem neuen Podcast des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Bei uns geht es heute über die Bedeutung von Geschlechterrollen und Geschlechterperspektive im Ukrainekrieg. Mein Name ist Christiane Janeke. Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin hier am Zentrum und leite das im Aufbau befindliche Osteuropaprojekt.
Barz: Guten Tag. Mein Name ist Sabine Barz. Ich bin seit 2022 wissenschaftliche Fachberatung in der interkulturellen Einsatzberatung der Bundeswehr und jetzt momentan zum zweiten Mal im Einsatz als Genderadvisor in EUMAM UAEuropean Union Military Assistance Mission Ukraine ST-CSpecial Training Command.
Janeke: Herzlich willkommen, liebe Frau Barz. Ich freue mich, dass wir heute gemeinsam über Krieg und Geschlecht in der Ukraine sprechen und Sie dafür auch extra aus Strausberg nach Potsdam gekommen sind. Genderadvisor meets Ost-Europa-Forschung sozusagen. Zuerst glaube ich, müssen wir mal klären, was EUMAM UAEuropean Union Military Assistance Mission Ukraine ST-CSpecial Training Command heißt. Das klingt nach einer EU-Mission.
Barz: Genau, uns verrät der Titel schon, das haben Sie richtig angedeutet. Der ganze sperrige Titel ist Eumam-UAM-SDC und das heißt ausgesprochen European Military Assistance Mission Ukraine. Das heißt, wir sind, wie Sie richtig sagten, eine EU-Mission mit multinationaler Beteiligung. Die ist ins Leben gerufen bereits im Herbst 2022. Das heißt, wir begehen jetzt unser zweites Jubiläum zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte bei der Verteidigung ihrer staatlichen Souveränität und vor allen Dingen, das ist für mich als Genderadvisor ganz wichtig, auch zum Schutz der Zivilbevölkerung. Das SDC, was Sie richtig angesprochen hatten, ist der deutsche Anteil an der Mission. Und was in dieser EU-Mission völlig neu ist und völlig besonders im Unterschied zu allen anderen Missionen, die die Bundeswehr bisher hatte, wir bilden die ukrainischen Streitkräfte aus. Wir bringen die Soldaten und Soldatinnen auf deutschen Boden. Die erfahren bei uns ihr Training in ganz verschiedenen Orten. In der Bundesrepublik, bevor sie in die Ukraine zurückreisen und dort wieder in die Kampfeinsätze gehen und Strausberg, da wo ich herkomme heute, das ist quasi unser Headquarter. Was besonders ist an dieser Mission, wir haben keine „Boots on the Ground“ in der Ukraine und vor allen Dingen, wir liefern auch keine Waffen. Das ist immer ganz, ganz wichtig, sondern wir beschränken uns rein auf die Ausbildung. Das ist unser Mandat. Janeke: Sie haben auch Soldatinnen genannt und da steige ich mal gleich ein mit einer ganz großen Frage. Machen Frauen an der Front einen Unterschied? Barz: Sehr gute Frage und gleich ein ganz großes Thema. Wie Sie richtig sagen also, ob die Frauen Soldatinnen Einfluss auf das Kriegsgeschehen haben werden, das sollen natürlich dann später die Geschichte zeigen. Also wir haben jetzt noch nicht so eine Form Amazonenarmee, wie wir das schon öfter gehört haben. Aber gerade aus der Genderperspektive sollten wir einiges gerade im militärischen Setting berücksichtigen. Also in der allgemeinen Wahrnehmung, da mag mir die historische Forschung natürlich widersprechen, ist Militär ja immer noch männlich konnotiert. Das heißt Frauen an der Front und Frauen im Krieg sind immer noch so ein Stück weit besonders und Krieg hat ja auch die Eigenschaft, dass er sozial konstruierte Geschlechterrollen manifestiert, nochmal verfestigt. Das heißt, wir haben dann den Mann als heldenhaften Kämpfer gewaltbereit, aggressiv und im Gegensatz dazu die Frau als Fried stiftend, als kommunikativ, als Hüterin von Haus und Hof, die sich um den Nachwuchs kümmert. Das heißt weniger jetzt direkt im Kampfgeschehen. Also diese konstruierten Geschlechterrollen im Endeffekt auf eine Formel gebracht wäre - Mann ans Schwert, Frau an den Herd. So aus dieser überkommenen historischen Perspektive sind Frauen im Krieg natürlich ein Novum, wobei in der hybriden Kriegsführung, wie wir die heutzutage haben, sind Frauen natürlich eine ganz wichtige Ressource, weil sie Fähigkeiten entwickeln, die auch ihre männlichen Kameraden entwickeln können. Frauen bringen in allen Bereichen sehr, sehr gute Leistungen.
Janeke: Würden Sie sagen, dass Frauen, Sie haben es gerade so formuliert, in allen Bereichen gleiche Leistungen zeigen können? Darüber wird ja trefflich diskutiert. Barz: Ich gehe mal davon aus, dass sie das in der fachlichen Expertise auf jeden Fall können. Also eine Frau kann genauso gut eine Waffe bedienen, sie kann auch genauso gut Panzer fahren oder eine Drohne fliegen wie die männlichen Kameraden. Es gibt allerdings, so das wollen wir auch gar nicht wegdiskutieren, biologische Unterschiede. Die sind jetzt weniger im Krafteinsatz oder im Körperbau zu verorten, sondern die sind halt einfach nur im Szenar zu verorten. Ich gebe mal ein Beispiel, Frauen haben beim Urinieren zum Beispiel oder bei der Monatshygiene ganz andere Bedürfnisse als Männer. Unsere Uniformen oder die Uniformen allgemein haben ja immer noch sehr männliche maskuline Schnitte so und Frauen brauchen dann beim Urinieren halt ungleich länger und das ist ein Sicherheitsfaktor, eine Sicherheitsgefährdung, die sich darstellt, sondern auch beachten. Gerade, und das ist ganz ganz wichtig, was wir heute haben ist ja in der Ukraine ein gläsernes Gefechtsfeld. Das heißt, wir haben unten die Schützengräben, die Gefechtsstände, wie wir die aus den klassischen Kriegen kennen und oben haben wir die Drohnenüberflüge. Es gibt quasi keinen Ort mehr sich zu verbergen. So, die nächste Sache, ich hatte schon angedeutet, Menstruationshygiene stellt im Gefechtsstand immer einen ganz großen hygienischen Gefährdungsfaktor dar, so Passform von Schutzkleidung betrifft Männer natürlich ganz genauso. Auch die haben einen anderen Körperbau aber für Frauen. Das sind die Unterschiede nochmal extremer. Also ich hatte schon angedeutet, diese Unterschiede betreffen natürlich auch Männer. Wir haben uns darauf einzustellen und wir sollten auf dieser Seite weiterentwickeln. Janeke: Wie gehen denn die Männer mit diesen besonderen Bedürfnissen von Frauen um? Akzeptieren sie die Frauen und ihren Einsatz an der Front und auch an der Waffe oder wollen sie sich vielleicht auch gelegentlich den Frauen gegenüber als Helden darstellen?
Barz: Ich denke, das ist alles möglich. Die ganze Bandbreite, auch was sie gerade angedeutet hatten, also die Antworten darauf sind denke ich so vielfältig, wie es Männer und auch Frauen gibt. Also es gibt diese Studie von der Professorin Julia Siedaia zu diesem Thema: „Frauen in den Streitkräften der Ukraine. Stereotypen und Fortschritte“. Die fand ich eigentlich sehr überraschend, weil sie zeigt, dass die ukrainischen Streitkräfte sich nicht wesentlich von allen anderen Streitkräften der Welt unterscheiden. Also und das ist auch so noch meine Beobachtung, die ich gemacht habe. Jetzt bei unseren ukrainischen Trainees, da werden Frauen voll akzeptiert, voll angenommen. Die lese ich in der Beobachtung als Frauen, aber ansonsten sehe ich da keine Unterschiede. Wobei ich auch schon vernommen habe, landläufige Meinungen, die gelegentlich darauf spezifizieren, Mädchen, was willst du in einer Armee? Bleib zu Hause am Herd. Auch die haben wir rund um den Globus, also nicht speziell bei den ukrainischen Streitkräften. Es gibt ja, ich denke auch, darauf spielen sie an, dieser Stereotyp der Kräftebindung, wenn eine Frau verwundet wird, dass sie mehr Kräfte binde als wenn ein Mann verwundet wird. Da gibt es Studium aus dem israelischen Militär und Beobachtung daher. Also es sind keine Beobachtungen, die wir jetzt gemacht haben. Aber das wird, wie gesagt, die Geschichte noch mal zeigen.
Janeke: Schauen wir uns das jetzt mal konkret für die Ukraine an. In welchen Bereichen kämpfen denn Frauen? Und wo genau? Wie sind sie am Kriegsgeschehen beteiligt? Und von wie viel Frauen sprechen wir überhaupt? Ja, da gibt es auch Bewegungen. Also laut offiziellen Angaben haben wir circa 68.000 Frauen in den ukrainischen Streitkräften. Das sind natürlich genau wie in der Bundeswehr auch Zivilangestellte, Beamte, aber auch Soldatinnen und ganz bewundernswert, circa 5000 Frauen kämpfen tatsächlich an der Front. Also wirklich im Kriegsgeschehen. Und ja, wir haben auch, wir sehen auch ganz deutlich, eine steigende Tendenz bei weiblichen Offizieren. Da gibt es wirklich Bewegungen weg von, weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, auch von den Soldatinnen in Pumps.
Janeke: Ja, das ist ja hoffentlich Vergangenheit. Aber Sie haben es angesprochen, steigende Tendenz bei den weiblichen Offizieren. Da gibt es ja eine ganz gute Studie von der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2023, wo wirklich zu Frauen in den ukrainischen Streitkräften, wo auch das erwähnt wird. Und gerade bei den Offizierinnen bedeutet das ja, dass das auch ein klarer Trend weg ist von diesen typischen Frauendomänen, also wie zum Beispiel Sanitätsdienst oder rückwärtige Versorgung.
Barz: Ja, richtig. Wir haben natürlich auch in unserer Ausbildung Frauen in der Sanität, in der rückwärtigen Versorgung, wir haben sie als Sprachmittlerin, was wir aber genauso haben und was es auch in der Ukraine immer verstärkt, Auftritt Scharfschützinnen beispielsweise, Drohnenpilotinnen. Ich hatte es angesprochen, also eine Frau kann genauso gut eine Drohne steuern wie ein Mann das machen kann. Wir haben Infanteristinnen tatsächlich. Es gibt auch Luftlandepionierinnen und nicht zu vergessen natürlich die zahlreichen Frauen aus der Zivilgesellschaft, die die rückwärtige Front unterstützen, die auch die Zivilgesellschaft auffangen und die natürlich auch die Berufe fortsetzen, die Männer nicht ausüben können, weil sie an der Front gebunden sind.
Janeke: Aber die Wehrpflicht gilt ja nur für Männer und Frauen, können sich freiwillig melden, richtig? Richtig. Also so wie in Deutschland.
Barz: Richtig, so wie in Deutschland. Wir haben zwar in Deutschland im Moment die Wehrpflicht ausgesetzt, in der Ukraine besteht die Wehrpflicht für Männer, aber Frauen melden sich freiwillig an die Front und sie haben auch ganz unterschiedliche Motive. Das finde ich sehr, sehr interessant. Also es ist immer noch so in der Wahrnehmung so ein Quantensprung, wenn sich eine Frau an die Front meldet. Ich hatte ja eben schon erwähnt, auch da gibt es Stimmen im ruralen Raum, die abraten. Aber es ist sehr interessant, wenn Frauen befragt werden, was ihre Beweggründe sind. Da ist es in erster Linie in den allermeisten Fällen erst mal der Schutz der Familie. Finde ich ganz, ganz, ganz spannend. Es ist also der Schutz der Angehörigen, die Verteidigung der Kinder, der Großmutter, die bettlägerich ist, die nicht mehr flüchten kann oder auch der Mutter, die dann auf die Kinder aufpasst während die Frau kämpft. Ich habe auch schon Stimmen vernommen das finde ich auch ganz spannend, dass es für viele Frauen auch ein Weg aus der eigenen Hilflosigkeit ist, ein Weg mit der eigenen Wut umzugehen.
Janeke: Ja, oder auch Motive, Patriotismus zum Beispiel oder auch persönliche Rache. Die Frauen wollen was verändern, sie wollen sich selbst beweisen, sie wollen die demokratischen und auch die ukrainischen Werte verteidigen. Also im Grunde genommen eigentlich genau wie die Männer auch. Es sind eben nicht primär feministische Motive, wie man meinen könnte, sondern eben die ganze Bandbreite wie bei Männern auch. Und ich erinnere mich, dass ja schon sehr früh direkt nach Kriegsbeging war, das, glaube ich, die amerikanische Autorin Lauren Lieder, die Aufmerksamkeit auf die Frauen und ihre Bedeutung in dieser Armee auch gelenkt hat. Sie hat das damals so formuliert, die Frauen in der ukrainischen Armee seien die formidable, not so secret weapon, sodass dieses Thema Frauen ja eigentlich von Anfang an auch schon auf der Agenda ist, als wir auf diesen Krieg geschaut haben. Und Frauen, muss man ja auch mal sagen, gibt es ja nicht erst jetzt in der Armee. Offizierinnen gab es schon im ersten und im zweiten Weltkrieg in der Roten Armee und darunter natürlich auch Frauen aus der Ukraine. Nach dem Zerfall der Sowjetunion konnten Frauen 1993 in der unabhängigen Ukraine in die Armee eintreten. Ihr Anteil ist seitdem auch stark gestiegen, hat sich seit 2014 mehr als verdoppelt. An Kampfeinsetzen können sich Frauen in der ukrainischen Armee seit 2016 beteiligen. Was ich hier interessant finde, dass das nur ein Jahr später ist als in den USAUnited States of America. Da war es also auch nicht viel früher möglich. Und seit 2018 gibt es eine Reihe von Gesetzen zur Gleichstellung der Frauen in der Armee.
Barz: Zur Gleichstellung der Frauen in der Armee auf der einen Seite und auch das die Gefahrenstufe für Frauen aufgehoben worden ist. Dass sie also auch das, was landläufig immer als frauengefährdende Berufe aufgefasst worden ist, auch ausüben dürfen. So, dieser Krieg machts natürlich auch ein Stück weit erforderlich, dass Frauen in der Armee gleichgestellt werden, weil sie eine ganz, ganz wichtige Personalressource sind.
Janeke: Und jetzt zoomen wir noch mal weiter in ihr Arbeitsgebiet rein. Waren denn schon mal Frauen bei der Ausbildung unter den ukrainischen Soldaten hier in Deutschland dabei?
Barz: Ja, wir hatten tatsächlich schon Frauen. Also ich beobachte auch, wie sich die Zusammensetzung der Trainees verändert. Der Anteil Frauen, die wir hatten, ist immer noch sehr, sehr gering und hauptsächlich, wie wir eben schon gesagt haben, in den klassischen Domänen der Sanität oder auch als Übersetzerin. Aber ich habe tatsächlich auch Infanteristinnen kennengelernt, habe mich mit denen unterhalten. Das war auch für mich eine ganz, ganz hilfreiche Erfahrung, weil ich mit den Damen, mit den jungen Damen auch sprechen konnte über diese Herausforderungen, die sie haben.
Janeke: Was haben Sie da konkret erfahren? Was hatten Sie für einen Eindruck?
Barz: Zum einen natürlich auch die Ausrichtung, warum haben sie sich entschlossen zu kämpfen. Genau das. Diese wirklich patriotistischen, im positiven Sinne patriotistischen Beweggründe. Auf der anderen Seite, was ich auch erfahren habe, genau diese Herausforderungen, die Frauen halt haben im Gefechtsstand. Denn auch ich muss mich dafür schützen, dass ich jetzt nicht als belehrende alte weiße Frau aus der Friedensperspektive auftrete, sondern ich bin auf die O-Töne und auf die Erfahrungen angewiesen. Und diese jungen Damen, mit denen ich gesprochen habe, hatten tatsächlich auch ihre Erfahrungen und auch die haben mir bestätigt, dass diese hygienischen Probleme tatsächlich alltäglich sind, dass sie halt auch unter gerade Gefecht stand, unter Blaseninfektionen leiden etc. Das wissen wir, das kommt von Harnrückhalt und so weiter, also dass diese Probleme auch die biologischen Probleme tatsächlich auch ernst zu nehmen sind.
Janeke: Ja, wir sind ja damit jetzt auch schon sehr tief im Thema drin, aber eigentlich haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, was genau eigentlich ein oder eine Genderadvisor macht. Vielleicht können Sie uns das nochmal genauer erklären.
Barz: Ja, genau. Guter Punkt. Lassen Sie uns zuerst mal das Gendersternchen korrigieren. Ja, also ich fange mal damit an mit meiner Erklärung, was ist ein Genderadvisor? Also ich bin nicht die Sprachpolizei, ganz, ganz wichtig zu verstehen. Ich übe keine Kontrolle aus, ob bei den Soldaten die Soldatinnen immer konsequent mit genannt werden. Obwohl ich es für wichtige erachte in der strategischen Kommunikation. Denn wenn ich sage, wir bilden Soldaten und Soldatinnen aus, habe ich eine Gruppe verschleiert. Das ist immer noch unkonkreter, als würde ich sagen, wir bilden so und so viel Soldaten aus. So, ich bin auch nicht, auch da muss ich eine Unterscheidung treffen, nicht die Gleichstellungsbeauftragte. Genderadvisor kann geschlechtsunabhängig sein, also das können Frauen sein, das können Männer sein, wie auch immer. Mein Interesse gilt auch nicht dem Bundeswehrangehörigen, genau dafür haben wir die Gleichstellungsbeauftragten, sondern ich konzentriere mich immer, oder Genderadvisor im Allgemeinen, konzentrieren sich auf die Gesellschaft im Konfliktgebiet. Das Konfliktgebiet für uns ist die Ukraine. Wir sind, wie Sie eben schon geklärt haben, wir sind eine EU-Mission, die die Ukraine unterstützt. Also ist das unser Konfliktgebiet. Das heißt, ich brauche auch immer ein Konflikt, ehe ich überhaupt aktiv werde. Der Kernsatz für den Genderadvisor, der das am besten nach meiner Bewertung auf den Punkt bringt, was ein Genderadvisor macht, ist Männer, Frauen, Jungen und Mädchen. Sind von Konflikten unterschiedlich betroffen. Das heißt, Gender im militärischen Kontext, so wie ich es verstehe, interessiert sich überhaupt nicht für die sexuelle Orientierung LGBTQIA+, das sind Freiheitsrechte. Und deswegen sind wir in der Bundeswehr um genau diese Freiheitsrechte zu verteidigen, dass Menschen leben dürfen, wie sie wollen.
Janeke: Und was bedeutet das konkret?
Barz: Und das bedeutet ganz konkret, dass Gender, mit dem ich mich beschäftige, ist aus dem Englischen übersetzt, als aus dem Englischen entlehnt, das sozial konstruierte Geschlecht. Das heißt, diese Rollenbilder, die ich ja eben schon mal geschildert habe von Männern und Frauen, diese Erwartungshaltung, wie wir zu sein haben als Frauen oder als Männer, also Mann heldenhafte Kämpfer, Frau Hüterin von Heim und Herd und das betrifft natürlich Männer, Frauen, Jungen und Mädchen in ganz unterschiedlicher Weise, wie sie sozialisiert werden. Das hat nichts zu tun mit dem biologischen Geschlecht aus dem englischen Sex, sondern einfach nur mit dieser besagten Erwartungshaltung. Und wie ich eben schon gesagt habe, in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie unserer, ist es völlig egal, wie sie leben möchten. Sie können ihren eigenen Lebensentwurf aushandeln. Anders ist das allerdings in Konflikten oder anders ist das in Diktaturen. Das heißt, gerade im Konflikt ist das Erste, was sie ablesen können, wie sich Genderrollen verschärfen. Bedeutet, es gibt eben genau nicht mehr diese Möglichkeit dieser freien Entfaltung, dieser freien Entscheidung, wer oder was sie sein möchten, sondern da haben sie als Mann Soldat zu sein. Sie haben dieser gewaltbereite Kämpfer zur Verteidigung der Nation zu sein. Nationen hier natürlich als eigene Gruppe und die Frau, das ist das problematische daran, wird dann zum Objekt stilisiert. Sie wird reduziert auf ihre Gebärfähigkeit. Sie hat der eigenen Gruppe neue Kämpfer zu liefern und das macht sie aber zugleich angreifbar gegen und vor allen Dingen auch anfällig gegen genderbasierte und auch sexualisierte Gewalt.
Janeke: Ja, das ist ein gutes Stichwort. Ich würde an dieser Stelle gerne noch auf die Begrifflichkeiten eingehen. Wir kommen wahrscheinlich auch noch im weiteren Verlauf auf das, was Sie gerade erwähnt haben, sexuelle und sexualisierte Gewalt. Wenn man das ganz einfach erklärt, kann man sagen, bei sexueller Gewalt geht es um Sex, bei sexualisierter Gewalt um Macht. Das heißt, der Begriff der sexuellen Gewalt bezieht sich auf die Ebene der Erfahrung. Wohingegen der Begriff der sexualisierten Gewalt ein politischer ist und übergreifend spricht die Forschung daher auch von geschlechtsspezifischer Gewalt. Dabei geht es um die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein für gesellschaftliche und situative Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern. Außerdem haben wir jetzt schon immer den Begriff Gender benutzt. In der deutschsprachigen Forschung wird dieser Begriff ja bewusst vermieden. Da wird von Geschlecht beziehungsweise Geschlechterforschung gesprochen und der Hintergrund ist, der politisierte und auch ideologiebesetzte Gebrauch des Begriffs Gender, der ja für viele Menschen eher negativ besetzt ist. Da geht es meist um das Gendersternchen. Sie hatten das vorhin schon erwähnt oder eben auch die sexuelle Orientierung. Auch davon haben Sie schon gesprochen. Trotzdem sprechen Sie von Gender. Warum?
Barz: Richtig. Also ich bin da auch absolut apodiktisch, trotzdem, wie Sie es gerade richtig geschildert haben, trotz der Aufladung des Begriffs. Aber wir sind in EUMAN ein multinationaler Stab. Das heißt Sprache in multinationalen Stäben ist eigentlich Englisch und dann ist Gender das ganz normale gebräuchliche Wort zum anderen. Genderadvisor ist ein internationaler Begriff. Das ist genau, also Englisch ist auch die Ausbildungssprache gewesen in meinem Lehrgang am Nordic Center for Gender Military Operation in Schweden, den ich besucht habe, der mich auch für die Aufgabe qualifiziert hat. Genderadvisor steht so auf meinem Zertifikat. Das ist ein Begriff, der greifbar ist auf NATO-Ebene. Ich habe Kolleginnen und Kollegen, die Genderadvisor sind auf der ganzen Welt und deswegen werde ich hier auch keine Rücksicht nehmen auf einen deutschen politisch aufgeladenen Begriff, sondern ich beziehe den einfach auf die internationale Multinationalische.
Janeke: Also es ist eigentlich eher ein pragmatischer Umgang hier mit den Begriffen.
Barz: Richtig. Zumal ich auch dezidiert von Gender in Konflikt rede. Und dann sind wir wieder da im multinationalen Rahmen.
Janeke: Wie werden Sie denn in Ihrem Umfeld wahrgenommen? Gibt es da Vorbehalte und vielleicht auch Unterschiede, wenn wir auf die Bundeswehr schauen und auf die internationalen Partner? Da gibt es tatsächlich dezidierte Unterschiede. Sie haben es ja richtig erwähnt. Wir haben in unserer Gesellschaft, natürlich Vorbehalte oder das Wort Gender triggert an. Die Bundeswehr ist ja auch immer ein Stück weit Querschnitt der Gesellschaft. Das heißt, wir haben es mit Menschen zu tun, die sich natürlich auch in ihren menschlichen Erfahrungen äußern. Da gibt es zum einen sehr viele Verwechslungen mit der Gleichstellungsbeauftragten. Deswegen hatte ich das auch ebenso apodiktisch dargestellt. Diesen Unterschied zwischen der Gleichstellungsbeauftragten am Genderadvisor. Auch Bundeswehrangehörige als Menschen in Uniformen haben ihre Stereotype. Und deswegen bin ich auch so dafür oder unterstützt es auch, dass wir über Genderperspektive ausbilden müssen. Das heißt, einfach briefen müssen, worüber sprechen wir eigentlich. Und ich habe tatsächlich auch immer positive Erfahrungen gemacht. Wenn ich mit Kameraden und Kameradinnen gesprochen habe, wenn ich ihnen dargestellt habe, was ich mache, was Genderadvisor in der Aufgabe überhaupt erfüllt. Und die haben mich dann auch immer sehr, sehr gut unterstützt, haben mich auch gut verstanden. Die haben dann auch immer Bezüge zu ihren Auslandseinsätzen herstellen können, wenn sie schon multinational mit Genderadvisor gearbeitet haben. Und ja, und da hilft es halt auch, wenn wir Bundeswehr erst mal hingehen, dass Gendersternchen geraderücken.
Janeke: Seit wann gibt es denn überhaupt Genderadvisors?
Barz: Kommen wir erstmal zur Papierlage. Also Genderadvisor gibt es schon seit einigen Jahren. Unsere Existenzgrundlage ist die UNUnited Nations-Resolution 1325 aus dem Jahr 2000. Da möchte ich kurz auf die Geschichte dieser UNUnited Nations-Resolution eingehen, damit wir den Bezug dazu bekommen. Die Resolution 1325 ist ein Resultat aus den Kriegen in Rwanda und in Exjugoslawien. Da hat gerade diese genderbasierte und sexualisierte Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ganz besonders gegen Frauen und Mädchen exzessive Züge tatsächlich angenommen. Wir hatten ja eben schon gesagt, dass der Krieg in der allgemeinen Wahrnehmung hauptsächlich männlich konnotiert ist. Das heißt auf Soldaten, auf Kämpfer fixiert, die Zivilbevölkerung galt da gemeinhin als Kollateralschaden. Und wir erinnern uns ja, dass auch in der eigenen Geschichte die Gewalt der Roten Armee gegen Frauen am Ende des Zweiten Weltkrieges sehr häufig abgetan worden ist als Druckabbau, männlicher Bedürfnisse nach langem Fronteinsatz etc. Es wurde sehr oft kolportiert. Ja, das ist ebenso, dass Männer mit Verlaub Druck abbauen müssen. Und damit betreiben sie nicht nur eine Täter-Opferumkehr. Man verkennt auch, dass genderbasierte und sexualisierte Gewalt dezidiert als Kriegswaffe eingesetzt wird. Und darauf auf diese Angriffe wirklich auch auf Zivilbevölkerung hauptsächlich Frauen und Mädchen bezieht sich unsere Resolution. Sondern Rwanda und auch in Exjugoslawien waren diese Gewalt gegen Frauen tatsächlich erstmals ein Gegenstand einer Verhandlung am ad-hoc Gerichtshof, ebenso in Bosnien. Und seitdem haben wir multinational oder international halt auch die besonderen Risiken von Frauen und Mädchen erstmals visualisiert. Wir haben sie erst mal im Fokus und mit dieser UNUnited Nations-Resolution beziehen wir uns auf die Agenda Women Peace Security. Aus dieser Resolution 1325, die geht darauf ein, sie fordert außerdem nicht nur die Wahrnehmung der besonderen Herausforderungen für Frauen und Mädchen, der besonderen Gefahren, sondern sie fordert außerdem, dass Frauen in Friedensprozesse involviert werden, dass sie eine Stimme haben, dass auch die Betroffenen oder auch Frauen, die sich ja um die rückwärtige Versorgung, um Kinderhaus und Hof, um die Beschulung der Kinder etc. kümmern, dass die auch mal gefragt werden, wie sie unterstützt werden könnten, welche Wünsche sie haben, welche Bedürfnisse, also weg von dem wir reden nicht mit Frauen. Wir hatten ja auch schon gesagt, Rollenbilder verändern sich in Konflikten, dadurch dass Frauen und Mädchen auch Männer und Jungen ersetzen, Bereiche übernehmen, die Chance haben, ein ganz neues Selbstbewusstsein zu entwickeln und ja auch einen anderen Blick auf Bedarfe werfen. Und da sollte man sie auch mal fragen, welche Bedürfnisse und welche Anregungen sie haben zum Nation Building, zum gesellschaftlichen Aufbau. So, das Weiteren sollen natürlich auch Frauen in Friedenseinsätze integriert werden, auch im militärischen Kontext und dann werden wir wieder bei Frauen in den ukrainischen Streitkräften. Diese UNUnited Nations-Resolution, diese Agenda Women Peace Security ist von der UNUnited Nations, von der NATO adaptiert worden, ebenso von der EU, sie ist von der Bundesregierung adaptiert worden im National Action Plan und da wir ja eine EU-Mission sind, wie wir eben schon gesagt haben, brauchen wir halt auch einen Genderadvisor und so komme ich zu meiner Position.
Janeke: Ich verstehe, aber EUMAM ist ja in diesem Sinne eine besondere Mission, weil ihre Aufgabe liegt ja in Deutschland und nicht in dem Konfliktland, also in der Ukraine.
Barz: Richtig, da haben sie recht, aber de facto sind wir ja trotzdem eine Friedensmission, weil wir die ukrainischen Streitkräfte dabei unterstützen, ihren Frieden und ihre nationale Souveränität wieder herzustellen. Aber völlig richtig, ich hatte eben schon gesagt, diese Militärhilfemission für die Bundeswehr ist in jeder Hinsicht eine neue Erfahrung. Für mich als Genderadvisor bedeutet das natürlich auch, dass ich das eigene Aufgabenfeld und alles, was ich tue oder alles das, was ich in Schweden gelernt habe, auch an das Aufgabenfeld anpassen muss, an diese besonderen Erfordernisse. Aber gut, das kennen wir in der Bundeswehr, das ist Leben in der Lage.
Janeke: Ja, jetzt kommen wir doch mal zur Ukraine. Das ist ja der Gegenstand sozusagen ihrer Aufgabe. Die müssen ja das Land analysieren und auch verstehen und sie haben uns vorhin gesagt, sie kommen aus der interkulturellen Einsatzberatung. Hilft Ihnen diese Erfahrung?
Barz: Unbedingt, unbedingt. Also gerade dieses interkulturelle, wenn ich analysieren will, wie sozial konstruierte Geschlechterrollen aussehen, welchen Einfluss sie auf Männer, Frauen, Mädchen und Jungen haben, dann muss ich erst mal die Gesellschaft verstehen. Also wenn ich meine Arbeit anständig machen will, sollte ich so gut wie möglich verstehen und auch in die Tiefe verstehen. So und dazu gehört natürlich auch eine interkulturelle Kompetenz. Ich muss oder ich möchte, ich habe auch den Anspruch an mich selbst, die Ukraine so gut wie möglich zu verstehen. Als Staat, als Land, wie agiert die Ukraine, wie agieren die Menschen, wie sind ihre Bedürfnisse, welche kulturellen Erscheinungsformen haben wir überhaupt? Die Ukraine ist ein sehr großes, sehr vielfältiges Land. Welche Traditionen haben wir? Das kulturelle Gedächtnis ist immer eine ganz wichtige Sache, auch das kollektive Gedächtnis. Das kann ich natürlich auch nicht alles alleine leisten. Deswegen kommt jetzt mein Werbeblock für das Osteuropa-Projekt. Mein ganz herzlichen Dank und auch mein Kompliment für das Ukraine-Dossier. Das finde ich auf jeden Fall auch für meine Arbeit eine ganz, ganz wichtige Unterstützung.
Janeke: Wunderbar, vielen Dank. Wir werden das in den Show-Notes verlinken.
Barz: Jetzt hatte ich mal eine Frage, da wir gerade über Osteuropa-Forschung sprechen. Hat sich denn in der Osteuropa-Forschung der Blick auf die Ukraine gewandelt in den letzten Jahren. Jetzt so seit Ausbruch des Konflikts, als ich selbst mal Geschichte studiert habe, war die Ukraine überhaupt nicht im Fokus. Da war sie einfalls Durchgangsgebiet tatsächlich fürs russische Imperium oder später Anhängsel der Sowjetunion, deren Bestandteil sie auch war. Wie ist das denn seit her? Wie sehen denn da Ihre Erfahrungen aus?
Janeke: Ja, es geht mir tatsächlich ganz ähnlich mit meinem Studium der Osteuropäischen Geschichte und Slowistik in den 90er Jahren. Da stand Russland absolut im Fokus und die Ukraine, aber auch Belarus und andere post-sowjetische Staaten waren da wirklich im Hintergrund. Allerdings und das würde ich auch gerne mal sozusagen zum Protokoll geben. Es gab immer Forscherinnen und Forscher, die sich mit der Ukraine beschäftigt haben. Es ist also auch falsch, weil oft behauptet wird, dass es gar keine Forschung zu Ukraine gab vorher. Man hat sich eben nur nicht so viel dafür interessiert. Und die Aufmerksamkeit für die Ukraine hat sich allerdings schon auch vor dem Krieg immer weiter erweitert. Also zuerst mal erinnern Sie sich vielleicht auch, 2004/05, die orange Revolution, dann natürlich der Euromaidan, 2014, und der nachfolgende Konflikt durch die Annexion der Krim. Und natürlich gibt es jetzt noch mal eine Neubewertung durch den Krieg. Wir haben eine ganz besondere Aufmerksamkeit jetzt in der Osteuropa Forschung für die Geschichte dezidiert der Ukraine, also wirklich in Abgrenzung zu früher eher russisch dominierten Narrativen, aber auch auf der Arbeitsebene. Es gibt viel mehr Kooperationen mit ukrainischen Kolleginnen und Kollegen. Die Archive werden viel aktiver wahrgenommen und in der Forschung ist überhaupt die Bedeutung der Ukraine und Ostmittel-Europa für Gesamteuropa viel stärker in den Fokus geraten.
Barz: Nee, es ist spannend. Also diese Beobachtung finde ich auch sehr, sehr positiv in der Entwicklung. Ukraine ist ja auch ein ganz, ganz spannendes Land. Trotzdem habe ich festgestellt, dass wir in der Bundeswehr ganz aufgescheucht gewesen sind am 24. Februar 2022, dass Russland tatsächlich die Ukraine angegriffen hat, aber ja, in der wird in der Ukraine wird der Krieg ja schon mehr oder weniger seit 2014, also spätestens seit Annexion der Krim verstanden?
Janeke: Ja, also der Begriff Krieg ist hier, glaube ich, das Stichwort. Also die Forschung selbst hat bei der Annexion der Krim 2014 auch noch nicht explizit von einem Krieg Russlands gegen die Ukraine gesprochen, sondern erst mal von schwerwiegendem Völkerrechtsbruch oder auch Aggression. Die Annexion der Krim wurde als Besetzung und eben als Annexion bezeichnet, aber nicht als offener Krieg. Das allerdings kam dann immer öfter ins Gespräch in Bezug auf die östlichen Gebiete der Ukraine. Hier war erst mal mehrheitlich vom Konflikt im Donbass die Rede und dann aber immer öfter von einem Krieg im Osten der Ukraine. Und seit dem 24. Februar 2022 hat sich das natürlich geändert, weil es einfach einen Übergang zu einem offenen konventionellen Krieg gab. Deswegen sprechen wir jetzt auch von einer Vollinvasion. Also es sind jetzt nicht mehr in Anführungszeichen nur die östlichen Gebiete der Ukraine betroffen, sondern eben das ganze Gebiet. Die Intensität und auch der Umfang der militärischen Auseinandersetzung haben ja drastisch zugenommen und rückwirkend muss man ehrlich sagen, wird die Annexion der Krim jetzt auch als Vorbote oder als erster Schritt eines späteren umfassenden Krieges interpretiert.
Barz: Das ist interessant vor allen Dingen, wie Sichtweise sich unterscheiden. Also ich habe mal mit einer Ukrainerin gesprochen, die hatte mir erzählt, ihr Vater habe ihr immer berichtet, so habe sie das von ihm übernommen, dass sich die Ukraine im Endeffekt seit ihrer Unabhängigkeit seit 1991 im Krieg befindet. Und klar, im Rückblick kann man gesehen, da folgt ein Konflikt dem anderen und der Vater soll wohl gesagt haben, ja jetzt haben wir halt Krieg.
Janeke: Das betrifft natürlich, was sie ansprechen, dieses wirklich sehr schwierige Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine. Und tatsächlich verbindet die beiden Länder eine sehr lange und auch wechselvolle Geschichte. Wenn wir zum Beispiel jetzt mal historisch schauen, haben ja große Teile der Ukraine lange zum russischen Zarenreich und später zur Sowjetunion gehört und die Folge war natürlich eine Enge, aber eben auch immer durch Russland dominierte Beziehung. Und die Übertragung der Krim an die Ukraine 1954 durch Chruschtschow wurde von vielen Russen als Fehler betrachtet und das blieb dann auch immer ein Streitpunkt zwischen beiden Ländern. Und seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 sieht Russland seinen Einfluss in der Region eben schwindend. Das Bestreben der Ukraine, sich eher am Westen und der EU zu orientieren als Russland, als an Russland, sieht Russland eben auch selbst als Bedrohung und versucht offenbar mit allen Mitteln seine territorialen, wirtschaftlichen und politischen Machtansprüche wiederherzustellen. Dazu gehörte natürlich 2014 bereits die Annexion der Krim und der nachfolgende Krieg im Donbass und wenn man das alles zusammen betrachtet und das historisch schwierige Verhältnis führte das eben letztendlich zur Eskalation eines offenen Angriffskriegs durch Russland 22. Was aber für unser Gespräch und ich denke auch für unsere Aufgabe dabei von Bedeutung ist, ist wie Russland diese Beziehungsgeschichte und die Geschichte der Ukraine verdreht und für seine Propaganda und Legitimation des Krieges nutzt. Stichworte sind hier eben das angebliche Bruderfolg oder das Abstreiten einer eigenen nationalen Kultur und auch Sprache, denn ukrainisch müssen wir vielleicht auch noch mal klar sagen, ist eine eigene Sprache und nicht etwa ein abgewandeltes Russisch und eben auch die Behauptung, die Ukraine sei ein Produkt der Revolution und des Bürgerkriegs und damit eben insgesamt keine eigene Nation, keine eigene Staat, hätte sozusagen nicht das Recht auf eine Existenz.
Barz: Das ist auch interessant. Ich hatte da letztens noch ein interessantes Statement gelesen bei einer Ukrainerin, die über ihre Fluchtgeschichte berichtet hat und sie sagt, dass die Ukraine jetzt ein weltweit beachteter Staat sei und das so in dieser Form und das hatten sie auch gerade geschildert haben, dass die Ukrainer und Ukrainerinnen noch nie erlebt, sondern für Sie sei das, was sich in der Ukraine gerade abspiele, quasi die Geburt einer Nation. Wie würden Sie das bewerten?
Janeke: Ja, das klingt plausibel, würde ich sagen und spiegelt die Entwicklung der ukrainischen Identitätsbildung wieder. Wenn wir auch hier nochmal in die Geschichte schauen, die Ukraine hat ja eine komplexe Geschichte mit sehr wechselnden Fremdherrschaften und kurzen Phasen der Unabhängigkeit. Lange Zeit wurde die ukrainische Identität unterdrückt und marginalisiert, sei es im Zarenreich oder auch in der Sowjetunion. Und seit 1991 ist sie nun ein souveräner und unabhängiger Staat. Seitdem ist die eigene nationale Identität ein vorherrschendes Thema, vor allen Dingen natürlich in Abgrenzung zu Russland und der aktuelle Konflikt hat die Ukraine endgültig in den Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt. Sie wird jetzt international als souveräner Staat mit eigener Sprache, Kultur und Geschichte wahrgenommen und eben nicht nur als Teil der in Anführungszeichen russischen Welt. Und was der russische Angriff vermutlich nicht intendiert hat, es eben passiert, dass es zu einer Einigung der ukrainischen Bevölkerung gekommen ist, nämlich dass regionale und sprachliche Unterschiede, die früher oft vielleicht auch als trennend wahrgenommen werden, die Bevölkerung jetzt eigentlich eher geeint hat.
Barz: Das ist eine interessante Entwicklung, sollte man auf jeden Fall weiter beobachten.
Janeke: Ja und ich würde noch mal jetzt gerne auf ihre Aufgabe zurückkommen und jetzt haben wir über das Verhältnis von Russland und der Ukraine gesprochen. Und ich glaube, wir sind uns einig, dass man die Ukraine trotz allem historisch zumindest nicht verstehen kann, ohne auch auf Russland zu schauen und deswegen nochmal meine Frage an sie, spielt Russland eigentlich auch eine Rolle für sie und Ihre Arbeit als Genderadvisor?
Barz: Ja unbedingt, also Sie hatten es ja richtig geschildert, dass die beiden Staaten haben eine lange wechselvolle Geschichte miteinander erlebt. So in Russland ist ja jetzt eine der beiden Konfliktpartei, quasi der Staat, der die Vollinvasion initialisiert hat, so und wenn ich diesen Konflikt überhaupt verstehen will oder was in diesem Konflikt stattfindet, dann muss ich auch Russland verstehen. Und da ist natürlich auch die Geschichte ganz wichtig, vor allen Dingen der gemeinsame Teil, die Sie ja eben schon erläutert haben und vor allen Dingen auch die gemeinsame Geschichte als Sowjetunion, die ja noch gar nicht so lange zurückliegt, wie wir das zu glauben vermarkt. So und diese gefühlte Fremdbesetzung durch die Sowjetunion, die wird von den Menschen ja immer noch als bedrohlich empfunden. Das ist ja das, was ich wahrnehme, was abgelehnt wird, wie Sie eben schon sagten, also auch die Ukrainerinnen und Ukrainerinnen sind sich zum großen Teil einig, dass sie diese Fremdbesetzung ablehnen wollen und natürlich was auch ganz wichtig für mich ist, ist, dass aktuelle agieren Russlands in diesem Krieg. Also das, was wir sehen, ist, dass Russland in der Ukraine eine extrem eskalierende Gewalt erkennen lässt, die ist also nicht nur beschränkt auf die klassischen Szenare, Luftkrieg, Bodenkrieg, Seekrieg, sondern die ist auch ganz dezidiert gegen die Zivilbevölkerung gerichtet. Das finde ich so erschreckend. Und das haben wir ja gleich in den ersten Tagen gesehen, sich da ganz massive Kriegsverbrechen gezeigt haben. Wir alle erinnern uns an die Bilder aus Butscha etc. und auf der anderen Seite. Und auch das ist ein ganz ganz wichtiger Faktor meiner Arbeit. Investiert die russische Föderation nicht erst seit gestern in eine ganz umfangreiche Propaganda, die wirkt nicht nur in die Ukraine hinein oder auch nicht nur auf Russland beschränkt, sondern weit über die Landesgrenzen hinaus und auch auf Zielgruppen außerhalb Russlands.
Janeke: Und wie betrifft das jetzt ihre Arbeit? Was hat das mit Geschlecht zu tun?
Barz: Russland, wenn wir die russische Propaganda verfolgen, die beharrt sehr, sehr stark auf dieser Trennung der Geschlechterrollen, auf diesen konservativen Rollenbildern von Mann und Frau. Gerade von diesem, was ich eben schon gesagt habe, der Eingang der persönlichen Entscheidungsfreiheit. So, wir dürfen nicht vergessen, dass natürlich auch in dieser Trennung der Geschlechter, dieser Konstruktion dieser Geschlechterrollen, dass das auch immer eine gesellschaftliche Steuerungsfunktion hat. Also im russischen Eigenverständnis, wenn wir uns diese Propaganda anschauen, ist das Beste, was ein russischer Mann werden kann, ein Soldat. Damit wird offiziell und öffentlich geworben. Und die Frau hat ihre eigene Trinität von Küche, Kinder, Kirche. Interessant an diesem Punkt der Trinität ist, dass auch die russisch-orthodoxe Kirche dieses Frauenbild ganz massiv unterstützt und als einzig Wahres darstellt, zum Beispiel auch mit dem Einsatz so genannter Treadwifes, also Influencerinnen, die das Frauenbild Küche, Kinder, Kirche auch noch mal extrem unterstützen.
Janeke: Ja, diese Zuschreibungen der Geschlechterrollen und Geschlechterbilder, die Sie hier beschreiben, die haben ja auch immer was mit Gewalt zu tun. Auch davon haben wir schon gesprochen. Und diese Gewalt, die wir in diesem Krieg jetzt sehen, entsteht ja auch nicht in einem luftleeren Raum. Die hat ja historische, kulturelle und auch gesellschaftliche Hintergründe. Die Region hat historisch ein sehr gewaltvolles Erbe. Wir erinnern uns an die Revolution, den Bürgerkrieg und selbstverständlich an den Zweiten Weltkrieg. Und ich glaube, den Begriff der Bloodlands von Timothy Snyder, den kennen wir alle. Aber auch die Haltung der Gesellschaft, also natürlich auch im Militär, das ist ja auch Teil der Gesellschaft und in der Zivilgesellschaft ist eine andere als bei uns. Ich erinnere mich an die Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt in Russland, die gesetzlich noch immer nicht verboten ist. Das wird dann als sogenannte russische traditionelle Werte bezeichnet und hinzu kommt ja noch, dass man öffentlich darüber nur sehr eingeschränkt diskutieren kann. Und all das hat ja auch Konsequenzen für die Geschlechterbilder. Sie haben es erwähnt, der männliche Kämpfer und Held und die Frau bei der Familie am Herd und eher als Opfer.
Barz:
Sie haben eben noch mal was ganz Wichtiges betont. Sexualisierte Gewalt ist eine Waffe in diesem Krieg und auch darauf ist die UNUnited Nations eingegangen im Jahr 2008 mit der UNUnited Nations-Resolution 1820. Die Brandmarkt sexuelle bzw. sexualisierte Gewalt dezidiert als Kriegswaffe und macht sie damit auch zum Straftatbestand. Also auch da kann die Gerichtbarkeit eingefordert werden. Trotzdem wird sexualisierte Gewalt immer noch weltweit eingesetzt, weil sie ein kostengünstiges und sehr effektives Mittel der hybriden Kriegsführung ist. Sie wirkt traumatisch, nachhaltig, traumatisch. Sie zerstört Familienstrukturen, sie zerstört Gemeinschaften über Generationen und sie verändert damit auch die Bevölkerungsstruktur eines Gebietes. Und wenn sich das über große Gebiete zieht, dann ist das auch ein entsprechender Impact. Und wir dürfen eins nicht vergessen, dass Wirkmittel von sexualisierter Gewalt ist die Charme. Also Vergewaltigung, Androhung von Vergewaltigung, Misshandlung der Geschlechtsorgane, sexuelle Ausbeutung, Missbrauch, Erniedrigung. All diese Faktoren und noch viel weitere, die ich jetzt hier nicht weiter aufzählen will, die wirken durch die weltweit einhergehende Stigmatisierung, durch die Schande und die Schuldhaftigkeit, die immer dem Opfer zugeschrieben wird. Also den Zeugen dieses Geschehens und die Betroffenen schweigen darüber. Man spricht nicht darüber. Auch das kennen wir aus der Geschichte. So aber für ihre Gesellschaften sind sie gebrandmarkt und was auch ganz, ganz wichtig ist. Und was ich auch noch mal betonen möchte, sind diese genozidalen Ansätze sexualisierter Gewalt, die wir gerade in endogamen Gesellschaften sehen. Wir haben das bei den Jesiden deutlich erkannt. So und wenn dazu noch Menschen flüchten, in der Hauptsache Frauen, während die Männer an der Front sind.
Janeke: Welche anderen geschlechtsspezifischen Aspekte jenseits der sexualisierten Gewalt gibt es denn noch in diesem Krieg?
Barz: Da wird es noch unendlich viele geben, die sich im Laufe der Zeit zeigen werden, getreu dem Leitsatz: „There's a gender perspective in everything“, werden wir noch ganz, ganz, ganz viele Faktoren genderbasierter Gewalt herausfinden. Also was auch ein ganz wichtiger Teil ist, der damit reinwirkt, sind natürlich die massiven Umweltzerstörungen, die wir sehen in Folge des Krieges. Wir haben die Gebiete, zum einen in denen direkte Kampfhandlungen stattfinden. Wir haben Minenverseuchte Felder. Wir haben die Sprengung des endogamen Staudamms. Wir haben zerstörte Agrarflächen. Uns fehlen Arbeitsplätze, Ukraine fehlen massiv Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Das alles lässt natürlich auch eine extreme Nahrungsmittelknappheit befürchten. Wir haben ja gesehen oder wir wissen ja, die Ukraine lebt von Nahrungsmittelexporten und wir sehen ja jetzt schon, was diese fehlenden Getreideexporte auch auf dem afrikanischen Kontinent für Auswirkungen haben. Auch da zeichnen sich Hungerkatastrophen ab. So, und gerade bei Nahrungsmittelknappheit sind immer vulnerable Gruppen am stärksten betroffen und die, die als vulnerables stilisiert werden durch die Trennung der Geschlechterrollen, sind natürlich ganz besonders Frauen und Mädchen. Frauen und Kinder sind auch besonders im Fluchtkontext von Gewalt betroffen. Flucht ist immer, immer, immer im Gewaltkontext zu verstehen. Frauen und Kinder auf der Flucht sind schutzlos, sie sind ausgeliefert, sie sind besonders angreifbar. Fertilität ist noch ein ganz wichtiger Faktor. In Konfliktszenaren sehen wir, in gewaltsamen Konflikten sinkt die Fertilität. Es werden weniger Kinder gezeugt, weniger Kinder geboren, die Zahl der Fehlgeburten steigt, Kindersterblichkeit steigt und was mir auch ganz wichtig ist, um mal aus dieser Frauenecke des Genderadvisers rauszukommen. Natürlich sind auch Männer betroffen, gerade der festgefahrene Stellungskrieg, den wir ja jetzt seit Monaten im Südosten der Ukraine haben. Für mich ist das nach meiner Auffassung die perfekte Vernichtungsmaschinerie für kampfbereite, vor allen Dingen für zeugungsfähige Männer. Da sind wir gerade wieder bei den genuzidalen Ansätzen des Krieges. Kinder werden nach Russland entführt in nicht geringer Zahl. Das hinterlässt Spuren in der kindlichen Psyche. Auf der anderen Seite fehlt aber auch der Ukraine eine komplette Generation. Häusliche Gewalten, ganz, ganz wichtiges Thema, ist jedem Konflikt immer nennt jeden Konflikt vorangeht. Ein Anstieg häuslicher Gewalt. Frauen werden weniger in der Öffentlichkeit gesichtet und in der Hauptsache entsteht häusliche Gewalt und es ist so perfide, auch durch Traumatisierung. Sie ist so verheerend, weil sie gerade die Keimzelle der Gesellschaft zerstört und das ist nun mal die Familie.
Janeke: Sie haben die Männer eben auch nochmal angesprochen und da würde ich gerne nochmal auf einen anderen Aspekt kommen und da frage ich sie jetzt mal als Islamwissenschaftlerin. Die russische Armee rekrutiert ja viele Soldaten aus dem Kaukasus und in Zentralasien, also der südlichen Peripherie des Landes und das ist ja der muslimisch geprägte Raum. Wie beurteilen Sie diese Einflüsse innerhalb der Streitkräfte und für den Krieg aus der Geschlechterperspektive?
Barz: Ja also hier kommt mir, die Islamwissenschaft, auf jeden Fall auch zugute. Denn genau diese südliche Peripherie, die sie gerade angesprochen haben, diese Schwarze Meer und die Kaukasusregion, die haben wir ja meistens gar nicht auf dem Schirm. Wir schauen bei der Ukraine ja meistens von West nach Ost, so wie wir sie auf dem Globus verorten und aus der Islamwissenschaft kann ich halt nochmal diese Süd-Nordstoßrichtung in den Fokus nehmen und das gibt mir nochmal ein erweitertes Bild, ein ganz anderes Bild und für mich ist das auch vom kulturellen Verständnis ganz, ganz wichtig, auch für die historischen Verknüpfung. So und ich habe mich in der Vergangenheit auch sehr mit den tribalen Strukturen beschäftigt und die sehen wir ja gerade in der Kaukasusregion als immer noch vorhanden. Wir sehen da auch kampfbereite junge Männer, die ja auch Kräfte messen wollen in ihrer eigenen Struktur, in ihrer eigenen Gruppe. So manche von denen sind auch ideologisch verblendet durch Extremismus etc. Und das ist, die haben immer auch schon in der Vergangenheit eine Gefährdungslage Risiko für den russischen Staat dargestellt. Denken wir jetzt nur an die Tschetschenen, die Putin für seinen Krieg einsetzt. Dieser potenziellen Gefahr dieser jungen Männer kann er sich natürlich an der Front entledigen.
Janeke: Aber das ist interessant, das heißt die muslimischen Rekruten werden gar nicht so als in Anführungszeichen echte Männer oder harte Kerle gesehen, was ja ganz im Sinne der Vorstellung von Geschlechtermerkmalen der Putinschen Politik wäre, sondern eher so habe ich sie jetzt verstanden als Kanonenfutter.
Barz: Ja, ich sehe das auch ein Stück, weil sie werden als gewaltbereit, als unberechenbar und quasi gut für die Drecksarbeit. Also wir sehen, dass Rekrutierungen, wie sie eben schon angedeutet haben, hauptsächlich in den südlichen und in den tief sibirischen Regionen erfolgt und gar nicht so sehr in Städten wie St. Petersburg oder Moskau, sondern tatsächlich in diesen, wie so Putin auch gerne bezeichnet, Konfliktregionen.
Janeke: Also da würde die Forschung jetzt von einer sogenannten interjektionellen Diskriminierung sprechen in dieser Gruppe, also eine Diskriminierung auf rund verschiedener Merkmale, in diesem Fall von Nationalität und Geschlecht. Aber ich nutze das mal, um bei Männerbildern und Männlichkeitsbildern zu bleiben und würde gerne mal auf zwei sehr unterschiedliche Außendarstellungen der beiden Präsidenten eingehen, von Präsident Putin und Präsident Selenskyj. Und ich denke mal als erstes an die Bilder von Putin mit freiem Oberkörper auf dem Pferd, im Kampf mit den Bären und anderen ähnlichen Heldentaten. Und auch wenn diese Bilder jetzt schon eine ganze Weile zurückliegen, so prägen sie doch das Bild, das Putin von sich geben will, oder?
Barz:
Ja oder auch Putin am großen weißen Tisch, wir erinnern uns, nee, im Ernst, aber das ist tatsächlich, was wir sehen da auf der Seite Putins, eine Inszenierung von Männlichkeit. Da geht auch Sabine Fischer noch mal intensiv drauf ein. Also gerade dieses Heldentum, was er darstellen will, dieses Bild von Unbesiegbarkeit, von seht her, ich bin euer Landesvater, ich kann euch beschützen, ich bin euer Held. Das ist so ähnlich wie wir das so mittelalterlichen Geschichten hier in Mitteleuropa kennen. Der Landesheer muss unversehrt sein, der durfte keine Behinderung, gar keine Schwäche zeigen.
Janeke: Okay, und wir haben jetzt auf der anderen Seite, sie sind auf Putin eingegangen, Präsident Selenskyj, im meistens khakifarbenen Shirt, eher kumpelhaft, kameradschaftlich, scheinbar so direkt aus der Truppe, der aber doch gelegentlich auch mal müde wirkt, also ein ganz anderes Bild.
Barz: Ja, also sie haben völlig recht, haben das richtig angemerkt, Selenskyj wirkt eher menschlich, er zeigt auch mal Schwächen, er zeigt sich auch mal angreifbar und Simon Schuster hat in der Biografie, die er über Selenskyj geschrieben hat, „The Showman“, durchblicken lassen, dass Selenskyj halt keinesfalls perfekt ist, dass er auch mal Fehler macht. Wir sehen also hier nicht das konstruierte Heldenbild des perfekten Herrschers bei Selenskyj, wir sehen einen Menschen. Ja, und was die Erwähnung beider Geschlechter angeht, hat er vielleicht auch verstanden, wie wichtig Soldaten und Soldatinnen für die Verteidigung der Unabhängigkeit der Ukraine sind, nur nach meiner Bewertung ist das auch die beste Strategie, wenn uns jemand auseinander dividieren will, auch übrigens mit dem déservoyerenden Begriff von „Gayropa“, ihm eine geschlossene Falange entgegen zu setzen, unabhängig vom Geschlecht, unabhängig von der sexuellen Orientierung, von der Herkunft, von was auch immer, Menschen, die der Entschluss eint, ihre Freiheitsrechte gegen einen Angriff von außen verteidigen zu wollen, nach meiner Bewertung wirklich die beste Strategie.
Janeke: Kommen wir doch mal, Frau Barz, zum Ende unseres Gesprächs nochmal auf die Frauen. Sie machen ja den größten Teil der ukrainischen Flüchtlinge aus, sie sammeln Eindrücke und Erfahrungen in ihren Aufenthaltsländern, die sie bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland mitbringen. Einerseits ist das natürlich eine Bereicherung, andererseits treffen sie dann auf ihre Männer, die diese Erfahrung nicht gemacht haben, die dürfen das Land nicht verlassen, müssen zur Armee, haben vielleicht jeweils ihre eigenen Vorstellungen von Helden, kämpfen auch in einer Armee, in der auch Frauen mitkämpfen, also eine sehr komplexe neue Lage für die Geschlechterbilder. Wie wird das ihrer Meinung nach die ukrainische Gesellschaft verändern?
Barz: Ich gehe davon aus, da werden tatsächlich Veränderungsprozesse stattfinden. Gerade Frauen auf der Flucht, die auch wieder zurückkehren in ihre Länder, die haben Strapazen überstanden, die haben neue Einblicke gewonnen, so das wird auch das Selbstbewusstsein verändern. Auch zusätzlich natürlich, dass Frauen neue Rollen übernommen haben. Die Rollen, die sie übernehmen, wenn die Männer ausfallen, wir hatten es angesprochen. Und gerade in der Ukraine sehen wir, wie Zivilistinnen nicht nur die rückwärtige Versorgung an der Front sichern, sie ergreifen Berufe, die früher für sie undenkbar waren. Da ist jetzt die ehemalige Rechtsanwältin, Minenarbeiterin, da ist die Kosmetikerin, jetzt die Busfahrerin. Und ohne diese Frauen, wer die Zivilgesellschaft in der Ukraine schon längst zusammengebrochen. Diese Frauen, die sich einbringen, die sich neu entdecken und ihnen unglaublich wichtiger Teil der Gesellschaft sind, die sollte man natürlich um den Kreis zur UNUnited Nations-Resolution 1325 zu schließen, in Friedensprozesse involvieren. Man sollte sie nach ihren Wünschen fragen, man sollte sie nach ihren Erfahrungen und Bedürfnissen fragen und die können eine ganz, ganz wichtige Stütze auch in Demokratisierungsprozessen sein.
Janeke: Nun wissen wir ja aus der Forschung, dass in Nachkriegsgesellschaften vollkommen unabhängig von politischen Programmen die traditionelle Geschlechter Ordnung oft wieder zurückkehrt und nicht zuletzt, weil sie vertraut ist und erst mal wieder vermeintlich Ordnung und Sicherheit gibt. So war es zum Beispiel auch 1945 in der Sowjetunion und damit zusammenhängt ja auch der Befund, dass Frauen als Gruppe in der Regel nicht gesondert erinnert werden, sondern ihre Leistungen eher vergessen oder marginalisiert wird. Also die Leistung und den Beitrag zum Krieg, den sie jetzt ja auch gerade beschrieben haben. Es gibt immer Ausnahmen von gefeierten Heldinnen, aber diese Ausnahmen bestätigen eigentlich eher die Regel. Sind Sie hier, was die Nachkriegsgesellschaft für die Ukraine betrifft, eher optimistisch oder eher pessimistisch?
Barz: Ich bewahre mir da meinen Zweckoptimismus. Muss ich ganz ehrlich sagen, aber ich sehe für die Ukraine im Moment eine sehr große Chance. Wir hatten eben schon drüber gesprochen, über die Zeit der Sowjetunion und sie sprachen gerade die Frauenrollen da an die einzelnen Heldinnen, die aber dann auch wieder in der Geschichte versunken sind und ich denke auch das war ein Lerneffekt für die Ukraine. Also es ist jetzt wirklich tatsächlich eine große Chance für die Ukrainer und Ukrainerin in dem Nation Buildingprozess auch zu verstehen, dass sie eigene Wege gehen können, dass sie eigene demokratische Prozesse anstoßen können und damit auch dafür auch Männer und Frauen gleichermaßen gebraucht werden, dass sie ihre Rollenbilder auch mal unabhängig von einer Fremdbesatzung, die sie ja um alles in der Welt vermeiden wollen, selbst aushandeln können. Das ist für mich so ein Stück weit der Weg der Demokratie, also ohne russische Vorschriften zu leben, ohne dass Helden- und Heldinnentum wie in der Sowjetzeit.
Janeke: Ja, ich denke, das war ein sehr gutes Schlusswort, Frau Barz.
Barz: Ja, vielen Dank. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich hier sein konnte, dass wir über Themen reden konnten, wenn auch in einem knappen Zeitrahmen. Sie haben es gemerkt, die mir sehr am Herzen liegen und ich möchte noch eins mit auf den Weg geben, also wir, EUMAM UAEuropean Union Military Assistance Mission Ukraine ST-CSpecial Training Command, wir sind zwar eine Ausbildungsmission, das heißt, wir geben Wissen weiter. Ich würde mir trotzdem wünschen für unsere eigenen Streitkräfte, dass wir von den Ukrainern und Ukrainerinnen auch lernen können, dass nicht nur wir Wissen weitergeben, sondern auch wir die Erfahrungen, die in der Ukraine gerade gemacht werden für unsere Landes- und Bündnisverteidigung einsetzen können. Die Ukraine ist ein sehr spannendes Forschungsfeld, auch das können wir so sagen. Und ich denke, wenn wir die Erfahrungen zu würdigen wissen, dann ist das auch ein Tribut an die Menschen, die dem Krieg zum Opfer gefallen sind, die unter dem Krieg leiden, um die entsprechend zu würdigen, auch in diesem Sinne. Ganz herzlichen Dank.
Janeke: Ja, und auch ich danke Ihnen für dieses interessante Gespräch. Wir haben ja sehr viele Themen angesprochen, viele Themen konnten wir nicht ansprechen oder so vertiefen, wie wir das gerne getan hätten. Wir werden deswegen weiterführende Links und Literatur in den Shownotes und auf die genannten Titel dort verlinken. Sie können diesen Podcast auf der Website des ZMSBW hören und überall dort, wo es Podcast gibt. Sie finden ihn aber auch auf der Website des Forschungsverbundes Militär, Krieg, Gewalt und Geschlecht, auf den ich an dieser Stelle noch einmal ganz besonders hinweisen möchte. Sie finden dort auch weitere Informationen, Literatur und Texte von Experten und Expertinnen zur Geschlechterforschung im Kontext von Krieg und Gewalt, nicht nur, aber auch zu Ost-Europa. Haben Sie vielen Dank für Ihr Interesse und bleiben Sie dem ZMS gewogen.