Transkript Deutsche Generale

Transkript Deutsche Generale

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Lesedauer:
9 MIN

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Herzlich willkommen zu „Angelesen“ dem Audio-Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute stellen wir das Buch von Thorsten Loch, „Deutsche Generale 1945-1990. Profession – Karriere – Herkunft“.  vor. Es erschien im Jahr 2021 im Ch. Links-Verlag.

Wie wird man General?

Das ist eine Frage, die sich manche junge Leute schon stellen, wenn sie als Offizierbewerber oder Offizierbewerberin in die Bundeswehr eintreten. Wer sich in der Grundausbildung schon als werdender Generalinspekteur sieht, wird es zumeist nicht, so viel weiß man auch aus eigener Erfahrung, und ohne das Buch gelesen zu haben, das heute vorgestellt werden soll. 

Thorsten Loch vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam hat es geschrieben, und erschienen ist es 2021, als Band 2 der Buchreihe „Deutsch-deutsche Militärgeschichte“, die das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr im Verlag Christoph Links in Berlin herausbringt. Wer es lesen will: man kann es im Buchhandel erwerben, und die größeren wissenschaftlichen Bibliotheken sollten es ebenso haben wie die Bibliotheken der Bundeswehr.

Also, eine Bedienungsanleitung für die Karriereleiter ist der gewichtige Band nicht. Wir haben hier eine Analyse vor uns, wie das in der Bundeswehr und in der NVANationale Volksarmee in den Jahren des Kalten Krieges funktioniert hat mit dem General-werden.

Ein ähnliches Buch hat das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr schon in grauer Vorzeit veröffentlicht, damals, 1982, von Reinhard Stumpf über die „Wehrmacht-Elite“; Thorsten Lochs Band zur Nachkriegszeit unterscheidet sich von dem damaligen Buch vor allem dadurch, dass er zwei deutsche Armeen vergleicht; das erlaubt an vielen Stellen auch tiefere Einblicke.

Was ist ein General?

Thorsten Loch erklärt seinem Leser erst einmal, was ein General ist. Da stutzt natürlich jemand, der als Oberst in den Ruhestand gegangen ist: das wäre die nächste Beförderung gewesen, die mir entgangen ist, weiß doch jeder! Aber so einfach ist die Sache nicht.

In der Bundeswehr gibt es vier Generalsdienstgrade, von denen aber der niedrigste, Brigadegeneral, gar keine Verwurzelung in der deutschen Militärgeschichte hat. Die Bundeswehr ist als Teil der NATO entstanden und hat sich deshalb an der Dienstgradstruktur der Verbündeten orientiert, und so kam es zur Einführung des „Brigadegenerals“. Die Nationale Volksarmee der DDRDeutsche Demokratische Republik sah sich viel stärker in der deutschen Tradition – und orientierte sich am sowjetischen Modell, so dass bei ihr der Generalmajor der niedrigste Generalsdienstgrad war, wogegen in der Bundeswehr die Generalmajore schon die zweite Stufe der Generalität erklommen haben. Das macht er nicht leicht, mal eben vergleichend zu schreiben, wenn schon die Begriffe so unterschiedlich besetzt sind. 

Außerdem gibt es Generale, die Truppe führen, und solche, die in Stäben arbeiten oder Einrichtungen leiten, etwa militärische Schulen.

Wie macht man so ein Buch?

Einschränkung der Datenbasis

Der Autor hatte anfangs wohl vor, analog zu dem Wehrmachtsband von Reinhard Stumpf alle Generale und Admirale beider deutscher Streitkräfte zu betrachten. Freimütig gibt er zu, dass das die Möglichkeiten eines einzelnen Wissenschaftlers überstiegen hätte. Also beschränkt er sich auf eine reduzierte Gruppe: zum einen betrachtet er nur die Generale des Heeres der Bundeswehr und der Landstreitkräfte der NVANationale Volksarmee. Das ist ein wenig schade, denn damit bleibt eine spannende Frage unbeantwortet: Wie kommt es eigentlich, dass in fast siebzig Jahren Bundeswehrgeschichte noch nie ein Inspekteur der Luftwaffe noch Generalinspekteur geworden ist? 

Allgemeiner formuliert: wie unterschiedlich sind eigentlich die Anforderungsprofile des Luftwaffeninspekteurs und jene der anderen Inspekteure und des GI, dass zwei Heeresinspekteure und ein Marineinspekteur an die Spitze der Bundeswehr aufrückten, aber nie der Inspekteur der Luftwaffe? Thorsten Loch hat 652 Seiten vollgeschrieben und man sieht, neue und weiterführende Fragen gibt es immer.

Außerdem begrenzt Loch seine Studie auf die höhere Generalität, also vom „Zwei-Sterner“ aufwärts. Die Brigadegenerale der Bundeswehr und die Generalmajore der NVANationale Volksarmee interessieren nur als Vergleichsgruppe: wie und wo musste man in dieser Gruppe sein, damit man nicht mehr weiter befördert wurde, oder eben doch? 

Statistische Aufarbeitung – Zusammenarbeit Historiker und Sozialwissenschaftler 

Was dieses Buch wissenschaftlich innovativ macht, ist, dass es eine erste wirkliche Gemeinschaftsarbeit von Historikern und Sozialwissenschaftlern ist; die Zusammenführung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr hat hier wirklich reiche Früchte getragen. Auch wenn Thorsten Loch zu Recht als alleiniger Autor genannt wird: er hatte die Unterstützung einer ganzen Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus beiden Disziplinen, und das Ergebnis ist entsprechend reich an Inhalten. 

Habilitationsschrift – nicht leicht zu lesen.

Mit diesem Werk hat der Autor sich habilitiert – dies ist eine wissenschaftliche Arbeit. Es ist ein Vorurteil, dass die Sozialwissenschaftler kompliziert schreiben – aber als Nachtlektüre eignet sich der Band nicht. Es ist an einigen Stellen schon schwere Kost, was da geschrieben steht, aber der Ertrag rechtfertigt allemal die Mühen des Lesens. 

Wo kommen Generale her?

Herkunft der Wehrmachtsgeneralität

Die erste große Frage, der sich der Band zuwendet, ist die nach der sozialen Herkunft der Generalität. Stumpf hatte seinerzeit in seiner Arbeit gezeigt, dass die Generale der Wehrmacht drei Generationen zuzuordnen waren: die erste kam noch weit überwiegend aus den „erwünschten Kreisen“ des Kaiserreichs, also zumeist aus dem Adel, die zweite war eine Art Zwischengeneration, und die höheren Generale der dritten Kriegsgeneration entstammten, der NSNationalsozialismus-Ideologie entsprechend, eher einfachen Verhältnissen. Diesen Befund kann Loch für die Bundeswehr nicht so ohne weiteres übernehmen, und für die NVANationale Volksarmee schon gar nicht. 

Herkunft 

Adenauer soll Mitte der 1950er Jahre gesagt haben, er könne der NATO schlecht 18jährige Generale anbieten. 

Die Spitze der Bundeswehr in ihrer Gründungsphase entstammte dem politisch unbelasteten Teil der Wehrmachtsgeneralität und damit auch jener sozialen Herkunft, die für diese typisch war. Waren sie konfessionell ausgewogen? Loch sagt, ja, sie entsprachen dem Proporz aus der Wehrmacht; Bevorzugungen oder Benachteiligungen aus religiöser Zugehörigkeit gab es nicht. Auch hatten die allermeisten Abitur gemacht; nur sehr wenige hatten nicht mehr als die „Mittlere Reife“ – darunter allerdings der spätere Generalinspekteur Jürgen Brandt. Auch der Beruf des Vaters ist wohl nicht ausschlaggebend gewesen. Etwas anderes aber schon: 

Die Militärelite des Heeres der Bundesrepublik rekrutierte sich aus der bildungs- und staatsnahen Oberschicht, stammte aus dem gesamten Reichsgebiet, war überwiegend städtisch geprägt und mehrheitlich protestantischen Glaubens. Die Militärelite der Landstreitkräfte der DDRDeutsche Demokratische Republik hingegen rekrutierte sich zunächst aus der bildungs- und staatsfernen Unterschicht, wobei sich dies für die dritte Generalsgeneration hinsichtlich ihrer Bildungsferne abmilderte. Sie stammte überwiegend aus dem Territorium der späteren DDRDeutsche Demokratische Republik und war sowohl ländlich als auch großstädtisch geprägt. Gerade die Abwesenheit einer mittelstädtischen Herkunft in der Militärelite der Landstreitkräfte verweist auf den erwünschtem sozialpolitischen Hintergrund, der mit einem proletarisch-agrarischen oder aber einem proletarisch-großstädtischen Milieu und einer politischen Nahe zur KPD einherging. 

Es bestätigt sich in der quantitativen Analyse, was wir bereits früher über die DDRDeutsche Demokratische Republik angenommen haben: ihre Generale kamen weniger aus dem Offizierkorps der Wehrmacht als aus deren Unteroffizierkorps. Proletarische Herkunft war lange wichtiger als fachliches Können; erst in der zweiten Hälfte der Existenz der DDRDeutsche Demokratische Republik änderte sich das. 

„Vom Kriege“ her denken

Loch nimmt dann den Leser auf einen atemberaubenden intellektuellen Ritt mit: Er setzt als Prämisse, dass Armeen sich so organisieren und ihre Elitenauslese so durchführen, dass sie dem erwarteten Kriegsbild am besten entsprechen. Was bedeutet das aber für die Auswahl der Generale in Ost und West?

Werdegänge in der Bundeswehr

Thorsten Loch entwickelt hier eine Idee weiter, die er bereits an anderer Stelle zusammen mit seinem Kollegen Agilolf Kesselring formuliert hat, nämlich dass es schon vor 1950, ja vielleicht schon 1947 in der amerikanischen Besatzungszone und unter Beteiligung der „Organisation Gehlen“ Überlegungen zum Wiederaufbau deutscher Streitkräfte gegeben habe. Daraus sei die Gliederung der Bundeswehr in zwölf Divisionen mit 36 Brigaden gefolgt, wobei aber die „Brigade“ der Bundeswehr eigentlich einer Wehrmachtsdivision entsprochen habe – nicht zuletzt als die niedrigste Ebene, auf der ein General führte. 

Die zwölf Bundeswehrdivisionen entsprächen dann den zwölf Korps der ersten Aufrüstungswelle der Wehrmacht, und die drei Bundeswehr-Korps wären in diesem Sinn drei Armeeoberkommandos gleichzusetzen gewesen – eine interessante Spekulation, die noch weiter erforscht zu werden verdient. 

Die Bundeswehr übernahm bis in ihre Führungsvorschriften den Satz:

Die Kriegführung ist eine auf Charakter, Können und geistiger Kraft beruhende freie, schöpferische Tätigkeit.

Das ging auf Clausewitz zurück, wonach die „Friktion“, also das Unwägbare und Unplanbare, das wichtigste Element in der Operationsführung sei – Loch sieht Clausewitz hier ganz im geistigen Umfeld des deutschen Idealismus. Daraus ergab sich in Westdeutschland:

Stets hat der Schwächere danach zu trachten, durch Schnelligkeit, Überraschung und Täuschung an der entscheidenden Stelle der Stärkere zu sein.

Dementsprechend kam es bei der Auswahl für Spitzenverwendungen darauf an, solche Offiziere zu fördern, die kreatives Denken mit einem Verständnis für das große ganze verbinden konnten. In der Laufbahnplanung für Spitzenkarrieren wechselten daher Führungsverwendungen und Stabstätigkeiten auf höheren Führungsebenen miteinander ab, wobei aber schon früh klar wurde: wer aus der Kampftruppe kam und als Operationsoffizier (G 3) verwendet wurde, hatte Chancen. Wer aus der Pioniertruppe kam oder Logistiker war und dann im Nachrichtendienst oder in der Versorgungsführung eingesetzt wurde, konnte mit etwas Glück vielleicht noch Brigadegeneral werden. 

Werdegänge in der NVANationale Volksarmee

Nach sowjetischer Lehre – und russischer Tradition – unterlag der Krieg bestimmten Gesetzmäßigkeiten; seine Führung war eine exakte Wissenschaft. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, den exakten Verlauf einer Operation detailliert im Voraus festzulegen. Dazu brauchte es Stabsarbeiter, die dem militärischen Führer zuarbeiteten. Als Folge dessen entwickelten sich in der NVANationale Volksarmee nach sowjetischem Vorbild zwei recht streng getrennte Karrieren: die des Stabsarbeiters und die des militärischen Führers; in beiden konnte man es zum General bringen. 

Loch bringt hier eine Menge detaillierter Beispiele, verliert aber nie den sprichwörtlichen roten Faden, sondern nimmt seinen Leser an die Hand und führt ihn zu den Kernaussagen zurück. 

Dass am Ende jedes Großkapitels die wesentlichen Einsichten noch einmal wiederholt werden, hilft sehr – ebenso wie die geschickt gestalteten Grafiken. Die immer wieder eingestreuten Kurzbiographien erleichtern auch das Verständnis, lockern aber auch den ansonsten dicht dargestellten Stoff immer wieder auf.

Wer will dies Buch lesen?

Also, wer will dieses Buch lesen? Wer es liest, um sicher zu gehen, dass er selbst General wird, der hat etwas falsch verstanden. Wer es in die Hand nimmt, weil er begreifen will, wie die beiden deutschen Armeen im Kalten Krieg in ihrer Philosophie, ihrem Kriegsbild und deshalb ihrer Elitenförderung „tickten“, der hat die richtige Wahl getroffen. 

Es richtet sich seiner Natur nach zuerst an andere Wissenschaftler, aber es ist so geschrieben, dass auch der ernstlich interessierte Soldat oder auch jeder, der sich außerhalb der Streitkräfte mit Militärgeschichte abgibt, es mit Gewinn durcharbeiten kann. Auch insofern steht es in der Tradition des Bandes von Reinhard Stumpf über die Wehrmachtelite, den ich in den 1980er Jahren im Bundeswehrkrankenhaus Hamm nach einer Operation verschlungen habe. Aber ich wünsche niemandem eine Operation, nur damit er dieses neue Buch schätzen lernt!

Das war „Angelesen! Das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute zum Buch von Buch von Thorsten Loch, Deutsche Generale 1945-1990. Profession – Karriere – Herkunft.  vor. Es erschien im Jahr 2021 im Ch. Links-Verlag.

von Winfried Heinemann

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