Stadtkampf - Transkript
Stadtkampf - Transkript
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(Musik)
Dr. Markus Pöhlmann
Willkommen bei Zugehört dem Podcast des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Mein Name ist Markus Pöhlmann. Ich bin Leiter des Forschungsbereichs Einsatz. Das Thema heute ist der Stadtkampf. Ob in Mariupol oder in Gaza-Stadt, der militärische Kampf im urbanen Umfeld ist heute so präsent wie lange nicht mehr. Jahrzehntelang war das Kriegsbild selbst in Deutschland eher durch den ländlichen Raum geprägt - ob das die norddeutsche Tiefebene oder der Hindukusch war. Wir wollen heute nicht als militärische Analysten gegenwärtiger Kriege auf das Thema blicken, sondern aus einer dezidiert historischen Perspektive.
Kein Kollege könnte dafür geeigneter sein als Dr. Adrian Wettstein. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Militärakademie an der Eidgenössische Technischen Hochschule in Zürich. Er ist ausgewiesen durch ein Standardwerk zum Thema, seine 2014 erschienene Dissertation „Die Wehrmacht im Stadtkampf 1939 bis 1942“. Wir kennen uns aus einer gemeinsamen Studienzeit an der Universität Bern. Es freut mich deshalb besonders, Adrian, die ich heute in Potsdam zu diesem Gespräch begrüßen zu dürfen.
Dr. Adrian Wettstein
Danke für die Einladung, ich freue mich auf dieses Gespräch.
Pöhlmann
Historikerinnen und Historiker fragen in der Regel als erstes ja immer entweder nach Quellen oder nach Definitionen. Bevor wir einsteigen, meine Frage, was versteht man denn überhaupt militärisch unter einer Stadt?
Wettstein
Eine Stadt ist meistens gerade historisch gesehen ein besonderes wertvolles Bevölkerungsballungszentrum, dessen Einnahme operativ oder auch strategisch sehr wichtig sein kann. Es ist aber auch ein besonders schwieriges Gelände, um darin zu kämpfen, weil die dichte Bebauung, die auch die Misch-Bebauung, also Altstadt, Industrieviertel, große Prachtboulevards, das macht das Ganze sehr unübersichtlich und es ist sehr schwierig da, die Truppen zu führen und unter Kontrolle zu behalten.
Pöhlmann
Also in der Fachliteratur kursiert ja immer auch eine Beschreibung aus drei Aspekten, nämlich einmal Stadt besteht aus erstens Menschen, zweitens aus dem Gelände und drittens aus einer Infrastruktur. Ist es denn wahrscheinlich dann die Mischung aus den Dreien?
Wettstein
Ja ganz sicher, wobei ich finde es sehr spannend, es ist ja eine neuere Herangehensweise, die die Bevölkerung an erster Stelle stellt. Also jetzt, wenn ich historisch von der Wehrmacht komme, dann spielt die Bevölkerung eher eine nachgeordnete Rolle. Da geht es dann eher um die Frage, welche Infrastruktur steht im Zentrum und eben die Problematik der Bebauung. Was ich noch hinzufügen würde, ist eine symbolische Komponente. Also eine Stadt ist nicht einfach nur die Physis im Sinne von Bebauung und Bevölkerung, sondern wird oft auch zu einem Symbol. Entweder ist sie das schon vor den Kämpfen, beispielsweise eine Hauptstadt, Moskau, oder auch eine Stadt, die aufgrund der Kampfhandlungen, Stalingrad ist da sicher das herausragende Beispiel, zu einem Symbol wird und dann entwickelt sich eine Eigendynamik in einem Stadtkampf.
Pöhlmann
Bei der symbolischen Wirkung, die ich auch durchaus so sehe, ist es ja auch interessant zu beobachten, mein Eindruck ist, da löst sich teilweise auch der militärische Zweck vom symbolischen. Also einen Ort wie Bachmut zum Beispiel, inwieweit ist der militärisch sinnvoll zu verteidigen und wann überwiegen etwa einfach symbolische, politische, ideologische Gründe vielleicht, wenn wir auf Verdun im Ersten Weltkrieg anstatt Stalingrad wurde schon genannt. Da gibt es glaube ich durchaus dieses Delta zwischen dem militärischen und dem tatsächlich politischen symbolischen Zweck.
Wettstein
Ganz sicher, also Stalingrad ist vielleicht das Beispiel für eine Stadt, in die sich das deutsche Militär verbeißt. Mitunter zurückmeldet, ja, diese Stadt ist schwierig zu erobern, oder das ist militärisch schon gar nicht mehr sinnvoll, wir stehen am Ende eines ganz langen logistischen Weges, können das eigentlich nicht mehr bewältigen, aber die deutsche Militärelite und vor allem Hitler haben sich darauf eingeschossen, diese Stadt muss fallen, sie trägt den Namen des Opponenten Stalins und da löst sich von einem militärischen Logik definitiv. Das ist jetzt heute etwas schwieriger noch zu beurteilen, aber ich denke auch für Bachmut können wir sagen, dass auf beiden Seiten die Kosten nicht in einem Verhältnis stehen zu dem, was da erreicht werden kann. Und das sind ja dann auch immer die Fragen dieser Sunken Costs, also wie viel hat man schon investiert. Und jetzt muss man einfach weitermachen, weil man nicht als der Verlierer dastehen will und dann ist es auch ein Wettbewerb des Willens, wer hält länger durch.
Pöhlmann
Ja, absolut. Vielleicht so eine Definition der Stadt noch, ich glaube es ist auch wichtig, nochmal daran zu denken, dass Städte den Raum ja auch definieren. Also Städte stehen nicht für sich, sondern sie sind immer Teil eines größeren militärischen Raums hier und das wäre durchaus ja was, was man vielleicht auch nochmal auf die anderen Domänen anwenden kann, also den Luftkrieg oder den Seekrieg. Auch hier haben Städte ja eine raumstrukturierende Wirkung im Seekrieg oder im Luftkrieg, wenn wir auf strategischen Luftkrieg gucken, etwa im Zweiten Weltkrieg. Und im Seekrieg geht es natürlich um Hafenstädte, auch Häfen sind in der Regel an Orte oder an Städte gebunden. Also diese den Raum strukturierende Funktion von Städten ist glaube ich nochmal auch wichtig, oder?
Wettstein
Ganz sicher, also insbesondere, wenn es um die Infrastruktur geht, gerade Verkehrswege, die oft durch Städte hindurchführen, also militärische Ratio ist vielfach eine Stadt zu erobern, um einen Weg zu öffnen. Gerade beispielsweise in der Sowjetunion sind auch sehr viele der Flussübergänge über diese sehr, sehr breiten sowjetischen Flüsse, den Dnjepr beispielsweise, liegen in diesen Städten. Also wer über diese Flüsse kommen will, muss in die Stadt hinein. Und damit gliedern sie natürlich ein Stück weit schon den Raum. Aber sie machen das auch, denke ich, auf mentaler Ebene, indem dass sie eben zu Operationszielen werden. Also die deutsche Planung für Barbarossa sieht vor, Moskau, Leningrad. Und diese Ziele sind am einfachsten greifbar als diese Städte.
Pöhlmann
Bleiben wir bei den Definitionen, was bedeutet denn für den Militärhistoriker der Begriff Stadtkampf dann? Wie definiert der sich historisch?
Wettstein
Es ist ein relativ seltener Quellenbegriff und er taucht in den deutschen Akten ab 1942 auf, oft oder sehr stark im Umfeld von Stalingrad. Meines Erachtens wird darin klar, dass das deutsche Militär realisiert, da ist eine neue Qualität in dieser Art von Kämpfen. Man könnte es vielleicht vergleichen mit dem heutigen Begriff des Military Operations on Urban Terrain. Also die Erkenntnis, dass eine Stadt eine operative Ebene oder ein Kampf um eine Stadt eine operative Ebene erreichen kann. Und nicht einfach ein für größer der Ortskampf ist. Das ist ja der taktische Begriff, der in dieser Zeit vorherrschend ist. Und Stadtkampf in dem Sinne meint dann der Kampf um eine entsprechend größere Stadt. Also nicht nur eine Ortschaft oder auch nicht unbedingt eine Kleinstadt, der auch von entsprechend großen Verbänden geführt wird. Also da würde ich definitorisch schon sagen mindestens Divisionsebene. Und in der der Verteidiger auch sagt, ich will diese Stadt halten. Das ist ja eine Voraussetzung, dass es zum Kampf überhaupt kommt.
Pöhlmann
Sprechen wir mal über das Projekt die Wehrmacht im Stadtkampf. Heute greift ja so die akademische Militärgeschichtsschreibung auch aus gutem Grund sehr viel weiter aus in ganz viele Themenfelder. Und das ist eher ein Projekt, was in dem Sinn einen sehr engen Zuschnitt hat. Das Wort traditionell will ich vermeiden, weil früher hat man auch solche Themen nicht beantworten. Das ist, glaube ich, eine falsche Vorstellung. Aber es ist ein Thema, was sehr eng an militärischer Organisation und auch am Kampf ausgerichtet ist. Was Ungewöhnliches, glaube ich. Aber deshalb auch nochmal besonders interessant für mich. Was ist denn die Geschichte dieses Forschungsprojekts und wo läuft es hin? Was können wir sozusagen aus dem Projekt noch erwarten?
Wettstein
Die Geschichte ist, das ist ja meine Doktorarbeit, das hast du ja schon erwähnt. Und da für mich die Frage im Zentrum eigentlich, das ist etwas, das damals relativ neu ist. Es gibt vor dem Zweiten Weltkrieg wenig Beispiele von großen Städten, die länger und kämpft sind. Und wenn, dann liegen sie oft gerade kurz vor dem zweiten Weltkrieg, also Madrid, im Spanischen Bürgerkrieg ist ein solches Beispiel. Die Frage, die sich mir stellt, ist, wie lernt das deutsche Militär dieses schwierige Gefechtsfeld, das die breite Literatur immer als solches bezeichnet, wie lernt die in diesem Gefechtsfeld zu bestehen? Gerade im Angriff, gerade in der Eroberung einer Stadt. Das war auch das Thema des ersten Bandes. Das ist also ein Stück weit auch eine Geschichte des militärischen Lernens, man könnte es im weiteren Bereich der Wissensgeschichte verorten. Und jetzt im zweiten Teil, dem Nachfolgeband, an dem ich jetzt arbeite, da geht es sehr stark darum, dass ja die Wehrmacht ab 1942 zunehmend in die Defensive gerät. Und die Frage ist, wie verteidigt man jetzt Städte? Was lernt man aus der eigenen Angriffserfahrung auf taktischer aber auch auf operativer Ebene darüber, was Städte sein können in der Verteidigung? Und damit verknüpft ist natürlich auch die Frage, wie lernt die Wehrmacht ganz grundsätzlich diese Umstellung von Angriff auf Verteidigung.
Pöhlmann
Wie würde denn, wenn wir auf die Wehrmacht schauen, zwischen 1939 und 1945, ein, ich sage es so, ideal typischer, voll entwickelter Stadtkampf, wie muss man sich ihn vorstellen?
Wettstein
Also man kann wie verschiedene Typen unterscheiden. Das eine ist im Angriff der Handstreich, wenn es gelingt, eine Stadt mehr oder weniger zu überrennen, ohne dass der Gegner sich fassen kann und verteidigen kann. Wir haben das beispielsweise bei Smolensk 1941, als die Deutschen innerhalb von 24 Stunden diese Stadt im Wesentlichen erobern. Es kommt dann noch zur Säuberungskämpfen, die noch zwei, drei Tage anhalten, aber die Sache ist entschieden. Dann gibt es die Einschließung einer Stadt. Wir können es uns immer auch aus der Defensive denken. Also die Deutschen erleben das dann auch als Verteidiger, wo der Frontalangriff oder der Handstreich scheitert und man dann systematisch vorgeht, die Stadt einschließt, um eine Verstärkung des Verteidigers zu verhindern. Da wäre vielleicht Mogilev zu nennen, 1941 oder natürlich die bekannten festen Plätze, Festung Breslau oder so, die Deutschen, die eingeschlossenen sind. Und das Dritte ist, wo das nicht möglich ist, weil das Gelände das nicht zulässt, weil die Kräfte es nicht zulassen, da kommt es dann zu einem, ich sage es mal, ausgewachsenen Stadtkampf, wo man Stück für Stück den Gegner vertreiben muss. Das ist dann Stalingrad, wo aufgrund der Wolga eine Einschließung für die deutsche Seite nie angedacht war, aber eigentlich auch nicht machbar war. Da haben wir dann diese Entwicklung, dass es zu wochenlangen Stadtkämpfen kommt. Stalingrad, sicher das beste Beispiel, aber auch Noworossijsk, wo Kaukasus und Schwarzes Meer eine Umgehung verhindern, ist ein solches Beispiel, sich die Deutschen frontal durchfressen müssen.
Pöhlmann
Können wir den Begriff feste Plätze vielleicht noch mal kurz definieren?
Wettstein
Ja, feste Plätze ist ein Begriff, der aufkommt, eigentlich im Jahr 1944, der dann aber auch abgelöst wird, 1944, im weiteren Sinne eine Festung meint, also eine Stadt, die vorbereitet wird, zur Verteidigung systematisch vorbereitet wird, durch den Ausbau von Feldbefestigungen, meistens in mehreren Ringen, also im Vorfeld der Stadt, Stadtrand, auch im Kern der Stadt. Und damit sollte diese Stadt quasi gegen alle Seiten verteidigbar sein. Die Idee war, dass diese festen Plätze eine Art Wellenbrecherfunktion gegenüber sowjetischen Offensiven erfüllen sollten. Das scheitert ja bekanntlich in der sowjetischen Sommeroffensive 1944 und damit verschwindet der Begriff der festen Plätze wieder und wird eigentlich durch den Begriff der Festung dann abgelöst, wie er bis Ende des Krieges von deutscher Seite verwendet wird. Aber auch schon vorher, also 1943 wird Charkiw beispielsweise zur Festung erklärt. Kann aber auch sehr stark ein Manifestbegriff sein, im Sinne von man will da etwas vorgeben, was aber tatsächlich oft nicht der Fall ist, weil die Zeit fehlt, weil die Kräfte fehlen, damit diese Städte nachhaltig verteidigt werden können.
Pöhlmann
Es ist interessant, dass auch ein Begriff entsteht und wieder verschwindet, was ja auch auf einen Wandel oder auf Konjunkturen, im operativen Denken oder in der taktischen Entwicklung vielleicht auch dann nochmal zurückgeht. Also Begriffe stehen nicht, sondern auch die verändern sich natürlich im Verlauf eines Krieges, was glaube ich wichtig ist nochmal für die Frage auch nach dem schon angeschnittenen Lernen. Also nach dem Gesagten, wäre ja meine These, als die Wehrmacht 1939 Polen überfällt, hat sie eigentlich keinerlei Erfahrung in dieser Kampfform Stadtkampf, weil sie hat es im Ersten Weltkrieg auch nie gelernt, natürlich, da gab es die Fälle kaum. Wir haben wahrscheinlich wenige Ausnahmen in den Kämpfen im Inneren in Deutschland, 1918 bis 1923, die aber auf viel kleinerer Ebene ablaufen. Es ist also eine neuartige Kampfform. Wie verlaufen denn so die Grundzüge der, ich würde mal sagen, Doktrinbildung? Wie und wo lernt die Wehrmacht das?
Wettstein
Also sie hat nicht gar keine Vorerfahrungen. Denn Ortskampf, also das ist die taktische Ebene eigentlich, wenn man so will, den hat man natürlich schon vor dem Ersten Weltkrieg, schon im deutsch-französischen Krieg, hat man da gewisse Erfahrungen gesammelt, das wird auch in den Vorschriften niedergeschrieben. Und das bildet mal die eine Basis. Du hast vorher die Kämpfe im Inneren erwähnt, die spielen auch eine nicht unwichtige Rolle. Also die Reichswehr sammelt dort Erfahrungen und es ist ein Phänomen, dass man ein Stück weit mit heute vergleichen kann. Das sind ja Kämpfe gegen irreguläre Gegner. Und diese irregulären Gegner oder diese Kampferfahrungen, die man da sammelt, die werden zum Teil eins zu eins in den zweiten Weltkrieg hineingezogen mit auch verheerenden Folgen. Und heute haben wir eine ähnliche Situation, dass wir in den letzten 30 Jahren vor allem Kämpfe gegen einen irregulären Gegner im urbanen Gelände gesehen haben. Und die Frage, die sich jetzt stellt, was haben wir daraus, was haben unsere Arme daraus gelernt? Also es gibt nicht keine Vorerfahrungen. Dann ist aber der Zweite Weltkrieg, der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, insbesondere gerade im Polenfeldzug, wo man Warschau angreift, schon noch einmal ein Lernfeld, wo man realisiert, aha, dass eine oder andere, was man glaubt zu wissen aus der Zwischenkriegszeit, stimmt eben so nicht. Weil es noch relativ selten vorkommt in der ersten Phase des Zweiten Weltkrieges, lernt man da deutscherseits noch nicht so viel. Im Feldzug gegen die Sowjetunion kommt es dann zu einer quasi fast explosionsartigen Anhäufung um solche Fälle und dort ist dann der große Lernprozess zu verorten.
Pöhlmann
Wenn wir das Ganze nochmal einordnen, gerade der Krieg gegen die Sowjetunion findet ja nicht im luftleeren taktischen Raum oder operativen Raum statt, sondern wir schauen auf den auch immer im Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Vernichtungskrieg natürlich. Gibt es Besonderheiten auf dieser Mikroebene? Ist das in Anführungszeichen ein normaler Stadtkampf oder schwingt sozusagen diese ideologische Dimension und der Krieg auch gegen die Zivilbevölkerung, der überall geführt wird in der Sowjetunion, auch in anderen Ländern, macht er sich irgendwo bemerkbar im Stadtkampf?
Wettstein
Im Kampf selber weniger. Die Kriegsverbrechen, die dort vorkommen, würde ich jetzt nicht als spezifisch oder typisch nationalsozialistisch anschauen. Also Stadtkampf oder Kampf im urbanen Gelände hat einfach aufgrund der Art und Weise, wie er verläuft, der Situation, eine hohe Chance, dass es zu Kriegsverbrechen kommt. Was man aber sagen kann, ist umgekehrt, dass gerade durch das, was in Kiew passiert, wo die Sowjet-Sprengladungen zurücklassen, mit Verzögerungszünder, mit Zeitzünder, dass da sich eine Dynamik in Bewegung setzt - deutscherseits verboten wird für die Truppen, in diese Städte hineinzugehen. Und das triggert dann auch die Entwicklung vor Leningrad, wo die deutsche Führung sagt, nicht einnehmen, belagern, aushungern, weil man ja diese Leute eben aufgrund der Vernichtungspolitik gar nicht haben will. Und dann ist das aus militärischer Sicht, also aus Sicht der militärischen Führung am einfachsten die Stadt gar nicht zu erobern, sondern durch die Belagerung die Leute verhungern zu lassen. Also im Kampf selber würde ich sagen weniger, aber es gibt dann Rückwirkungen aus den Kampfhandlungen heraus, weil sie auch verlustreich sind, die Stadt eben nicht zu erobern, wenn es irgendwie geht. Da steht man dann aber wieder natürlich in Konflikt mit der Operationsführung.
Pöhlmann
Also das ist, glaube ich, auch ein guter Übergang zu einer anderen Frage, nämlich ich habe vorhin schon auf den Standort des Projekts innerhalb einer modernen Militärgeschichte hingewiesen. Wie sieht es denn mit der Anschlussfähigkeit an andere Forschungsfelder, die den Zweiten Weltkrieg jetzt vor allen Dingen auch betreffen. Mir fällt jetzt ein Stadtgeschichte, zum Beispiel wäre natürlich ein Bereich Gewaltgeschichte oder auch Besatzungsgeschichte. Gerade das Verhältnis von Besatzung und Kampf um Städte, das ist eine ganz enge Beziehung. Es geht um Stadtkampf um Städte und es geht um Herrschaft in Städten. Und da würde ich also vermuten, dass sich vielleicht diese relativ engen Grenzen beider Forschungsfelder durch die Betrachtung nochmal überwinden lassen oder dass sich da eine Schnittmenge findet, wo auch ein Mehrwert für die Forschung nochmal hätte.
Wettstein
Ganz sicher. Also jetzt gerade in meinem jetzigen Projekt schaue ich auch an die Räumung von Städten, Fallbeispiel Charkiw. Und da ist natürlich schon interessant, dass die Besatzungsgeschichte oft eigentlich in dem Moment aufhört, wo insbesondere die politische Besatzung endet. Die militärische Besatzung wird teilweise angeschaut, je nachdem auch wie die Besatzungsverhältnisse sind. Aber diese Räumungsphase findet bestenfalls noch als Annex in dieser Betrachtung statt. Und diese Räumungsphase ist aber auch nicht typischerweise in der Operationsgeschichte verordnet, weil die kümmern sich ja eher um die militärischen Operationen. Und das ist so eine Schnittmenge, wo auch sehr viele Dinge noch einmal sichtbar werden. Beispielsweise wenn man eben die Frage, die du vorhin schon gestellt hast, nach Ideologie stellt, dann ist es interessant in Charkiw zu beobachten, wie sehr ideologische Ziele zugunsten der militärischen Notwendigkeit zurückgestellt werden. Also beispielsweise, dass man sagt, man möchte gerne die Arbeitskräfte aus diesen Städten herausziehen, einem Aspekt der militärischen Notwendigkeit, aber man hat schlicht nicht mehr die Kräfte dafür. Oder es wäre zwar wichtig, gewisse Gruppen noch zu eliminieren in der Vorstellung der Ideologie, aber es geht nicht mehr, weil man dermaßen unter Druck ist. Und da werden dann die Prioritäten noch einmal aufgezeigt. Was ist möglich, was wäre wünschenswert aus Sicht des deutschen Militärs? Und da verschieben sich auch gewisse Dinge.
Pöhlmann
Also wenn die Endphase einer Besatzung eine Schnittmenge ist, dann ist es aber auch die Übergangsphase vom Kampf zur Verwaltung, also vom Kampf zur Besatzung, die mir auch noch wenig ausgeleuchtet scheint, weil die Stadtgesellschaft, die von den Historikerinnen und Historikern untersucht wird, die sich mit Besatzungsgeschichte befassen, die ist ja möglicherweise durch diese Kämpfe schon traumatisiert oder ist verändert. Es finden ja auch in der Stadt demografische Verschiebungen, Flucht, Abschub von Bevölkerungen. Es kommen neuere Teile dazu, Kriegsgefangene vielleicht, die da eingesetzt werden. Also die Stadtgesellschaft selber verändert sich ja schon in der Phase des Kampfes, auch durch Verluste natürlich noch mal dazu gedacht, sodass auch hier, glaube ich, ganz wichtig wäre, diese Übergänge auch nochmal sich genauer anzuschauen, wo die militärischen Gegner, kämpfenden Gegner eigentlich zu Besatzern werden.
Wettstein
Diese Übergänge ganz sicher auch, so wie du es jetzt geschildert hast, ich würde noch einen Schritt weiter gehen und sagen auch während der Kämpfe. Gerade wenn wir wie Stalingrad über mehrere Monate oder wie jetzt bei der Belagerung von Breslau eine eigene Stadtgesellschaft im Belagerungszustand haben, wo der Verteidiger jetzt in diesem Fall das deutsche Militär ja dann auch beginnt, gewisse Elemente dieser Stadtgesellschaft herauszulösen, dem militärischen, also als militärisches Personal, HJ-Angehörige oder im Rahmen des Volkssturms auch die älteren Menschen, dann eine Arbeitspflicht für die Frauen einzuführen, um diese Stadtgesellschaft militärisch nutzbar zu machen, da passieren natürlich ganz viele Veränderungen und dann ist je nachdem auch noch eine Fluchtbewegung in die Stadt hinein zu beobachten. Also es ist bei Charkiw sehr spannend, wenn man sieht, wie sich die Bevölkerung im Verlaufe des mehrfachen Wechsels des Stadtbesitzes verändert durch diese Fluchtbewegungen auf das Land hinaus und dann wieder in die Stadt hinein. Und das sind definitiv nicht immer die gleichen Leute.
Pöhlmann
Charkiw ist natürlich der Sonderfall im zweiten Weltkrieg, wo eine Stadt mehrfach, eine Großstadt, ja, eine Millionenstadt eigentlich, mehrfach den Besitzer wechselt. Das ist ja eher, würde ich vermuten, die Ausnahme.
Wettstein
Definitiv. Also Charkiw ist dort natürlich ein enorm spannender Fall, auch für eine gewisse Kriegsperiode, weil es ja Anfang 1943 die Deutschen Anfang 1943 die Stadt aufgeben müssen. Die soll jetzt quasi die zurücknehmen für einen Monat, dann fällt sie nochmal in deutsche Hände für vier bis fünf Monate. Und man kann an diesen Fällen, also jetzt an beiden Räumungen oder auch an diesen sowjetischen Interregnum sehr viele spannende Beobachtungen machen, wie sich der Charakter des Krieges in diesem ersten Halbjahr 1943 verändert. Beispielsweise ist ja eben die Totalisierung, während man bei der ersten Räumung feststellt, dass das noch sehr viel provisorisch ist, dass man da auch noch deutscherseits nicht so sehr daran denkt, welche Ressourcen muss man jetzt herausziehen. Da werden beispielsweise wertvolle Rohstoffe zurückgelassen. Merkt man sehr gut bei der zweiten Räumung, die von Anfang an, also in dem Moment, wo man die Stadt zurückerobert, wird die bereits angedacht, wird dann sehr genau geschaut, welche Materialien, eben auch welche Fachkräfte will man im Falle eine Räumung auf alle Fälle für den eigenen Kriegserfolg erhalten. Also eine viel größere Systematik, einmal mehr natürlich, die sich dann unter dem Druck des Krieges nicht immer durchsetzen lässt.
Pöhlmann
Auch das vielleicht nochmal ein Hinweis auf die totalisierenden und radikalisierenden Tendenzen, die es in dem Krieg gab und wo sozusagen Professionalisierungstendenzen und solche Radikalisierungen durchaus einhergehen könnten. Also man kann etwas professionell besser machen und dadurch effizienter, aber deshalb wird es nicht unbedingt menschlicher oder also steht nicht mehr im Einklang auch mit dem humanitären Völkerrecht dann in der Zeit.
Wettstein
Das ist sicher diese Idee der militärischen Notwendigkeit, die da irgendwann dermaßen über die Stränge schlägt, würde ich so formulieren, dass man sagen muss, ja es verlässt jegliche rechtliche Basis.
Pöhlmann
Aber das wäre dann auch die Frage, schlägt es über die Stränge oder ist es nicht Teil der von vornherein auch ideologisch geprägten Kriegführung? Inwieweit liegt das sozusagen in dieser angedachten Form dieses Vernichtungskrieges schon drin? Ja, also das ist eine Diskussion, die in der Militärgeschichte, ja insgesamt mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg schon seit Langem geführt wird. Wo sind die ideologischen Vorprägungen eher bedeutend oder wo sind situative Momente, ja Radikalisierungsprozesse, die aus der Bewegung heraus entstehen? Wo sind die eher im Mittelpunkt? Gibt es dafür in Stadtkampf eine einfache Lösung? Wahrscheinlich nicht?
Wettstein
Nein, eine einfache Lösung gibt es als Historiker sowieso nicht. Ich denke, gerade für die Kampfphasen muss man schon sagen, da überwiegt ein professionelles Verständnis im Normalfall. Das hat natürlich auch eine gewisse ideologische Prägung. Wenn jetzt den Nationalsozialismus ansehen, dann ist ja die Schwierigkeit auch, dass es in gewissen Bereichen eine Schnittmenge gibt mit dem, was wir als, oder in dieser Zeit als militärische Tugenden, als militärisches Selbstverständnis wahrnehmen. Und das ist ja dann immer schwierig, das sauber zu trennen. Wo ist es jetzt ein nationalsozialistischer Einfluss, der erst später hereinfliest und wo ist es eigentlich eine schon lange vorhandene militärische Prägung Tradition, die aber eigentlich vom Nationalsozialismus losgelöst existiert? Deshalb finde ich diese Debatte und jetzt gerade noch zugespitzt auf die Kampffragen enorm schwierig zu lösen.
Pöhlmann
Ich glaube, dafür bräuchte man im nächsten Schritt dann natürlich auch eine vergleichende Untersuchung, wo man sozusagen die Wehrmachtsituation gegenüber die sowjetische oder eine amerikanische setzt und dann im Vergleich genau auf diese Punkte kommt die in der Einzelbetrachtung natürlich immer, wo man seine Grenzen findet, einfach in den Erkenntnissen.
Wettstein
Da hoffe ich sehr natürlich auf Kollegen, die sich irgendwann genau diese Themen annehmen, weil das wäre natürlich enorm spannend, wenn wir in die vergleichende Perspektive kommen könnten. Bis jetzt ist vieles, was ich beobachte, letztlich eine Einzelfall-Aussage.
Pöhlmann
Gut, wir sehen das als einen Aufruf und kommen ein bisschen näher in die Gegenwart. Schauen wir vielleicht in die jüngere Vergangenheit, ich würde sagen seit etwa 2003 spielt der Stadtkampf gerade ja im Nahen Osten, wir sind vorhin schon mal kurz an dem Thema entlanggeschrammt, wieder eine Rolle. Wenn wir nur die bekannten Fallbeispiele sehen, Bagdad 2003, Falludscha 2004, Mossul 2017, Kobanê im nördlichen Syrien oder auch Gaza natürlich heute, gibt es da eine Verdichtung von Stadtkampf und wenn ja, woher kommt das?
Wettstein
Also was sicher im Nahen Osten eine wichtige Rolle spielt, ist das, was wir in den 40 Jahren auch in der Sowjetunion sehen. Die Städte sind Zentren, gerade in diesen teilweise dünn besiedelten Gebieten, um die eine Macht, die militärische Kontrolle ausüben will, gar nicht herum kommt. Also sei es von der Infrastruktur, sei es von der Kontrolle der Bevölkerung. Das heißt, wenn die Amerikaner in irgendeiner Art im Irak Nation Building machen wollen, dann müssen sie diese Städte kontrollieren. Es ist umgekehrt natürlich auch der Ort, wo in diesen Regionen eine Widerstandsbewegung sich relativ gut verstecken kann in der Bevölkerung drin. In dem Sinne können wir sich feststellen, es kommt mehr zu dieser Art von Stadtkämpfen eben mit dieser Einschränkung, die ich schon vorher gemacht habe. Es ist aber eine spezielle Situation, nämlich reguläre Kräfte gegen einen asymmetrischen Gegner. Und das ist jetzt spannend, wir kommen sicher noch auf die Ukraine, aber wenn man jetzt eben Fragen stellt, was hat dann beispielsweise eine amerikanische Armee in den letzten 20, 30 Jahren gelernt. Dann stellt sich wirklich die Frage, ist es das, was jetzt in der Ukraine auch zu sehen ist? Ich nenne nur ein Thema Luftunterstützung. Also da haben die Amerikaner immer gegen Gegner gekämpft, die letztlich keine nennenswerte Fliegerabwehr geschweige, denn eine Luftwaffe besaßen und sie hatten eigentlich freien Luftraum. Und heute sehen wir in der Ukraine. Keine Seite kann die eigene Luftwaffe schon gar nicht in der Nahunterstützung richtig einsetzen.
Pöhlmann
Das wäre ja auch dann in der historischen Perspektive wieder interessant. Welche Rolle spielt Luftwaffe überhaupt im Stadtkampf im zweiten Weltkrieg natürlich auch? Es sind glaube ich auch nochmal deutliche Unterschiede dann zu den aktuellen Fallbeispielen zu finden. Ich würde aber gerne gleich tatsächlich auf den anderen großen Krieg eingehen, der uns natürlich seit 2022 beschäftigt, nämlich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Weil hier haben wir genau den Fall, dass dieser Krieg keinen asymmetrischen Charakter hat, sondern dass hier zwei unterschiedlich starke, aber im Grunde doch symmetrische konventionelle Gegner sich gegenüberstehen. Die Beispiele, die wir glaube ich alle aus den Nachrichten kennen, die bekanntesten sicher Kiew, wieder Charkiw, Mariupol oder Bachmut, die glaube ich bei näherer Betrachtung auch extrem unterschiedlich sind. Also da findet nicht das ganz unterschiedliche Formen, die diese Stadtkämpfe annehmen. Meine Frage lässt sich denn an diesen Beispielen heute schon zu so einem relativ frühen Zeitpunkt aufzeigen, was Stadtkampf zwischen konventionellen Gegnern in Europa heute bedeuten könnte?
Wettstein
Also es ist immer gefährlich jetzt schon Schlüsse zu ziehen, da bin ich mit dir absolut einig. Aber was man sicher sagen kann, wir sehen wieder dieses Bild von großen Verwüstungen auch teilweise hohen zivilen Verlusten dort, wo vor allem keine Evakuierung stattfand. Und das ist immer das ganz große Problem bei Städten in diesen Größen. Wie evakuiere ich hundertausende von Leuten? Das ist eine Operation für sich. Also wir sehen wieder auch zivile Verluste. Und dann dort, wo eben ein solches Stadtkampf nicht innerhalb von Tagen entschieden ist, auch hohe militärische Verluste, also eine Art Abnutzungsschlacht, gerade Bachmut ist ein gutes Beispiel dafür. Das heißt, in dieser Hinsicht hat sich im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg meines Erachtens gar nicht so viel geändert, wenn eben zwei vergleichbare konventionelle Armeen aufeinandertreffen. Und das ist ja vielleicht auch der große Unterschied, beispielsweise du hast vorhin 2003, die amerikanische Besetzung von Bagdad gegenüber der konventionellen irakischen Armee erwähnt. Da haben wir natürlich ein solches Gefälle, dass das nicht ein Peer-to-Peer-Konflikt ist. Und das haben wir in der Ukraine mehr. Und dann kann es wirklich zu diesen Abnutzungssituationen kommen, wo dann sich, ich muss wirklich so sagen, die hässliche Fratze dieses Gefechts oder diese Kampfart zeigt.
Pöhlmann
Der Unterschied wäre aber doch vielleicht auch nochmal, ich gucke immer zurück auf diese Wehrmacht, dass wir natürlich ein grundsätzlich anderes Bild heute haben, auch durch Digitalisierung, durch die ganzen Fragen von Sensoren, Robotik, Kommunikation, Lagebilder, Gefechtsführung sind extrem beeinflusst und nochmal extrem verdichtet vielleicht auch im Gegensatz den Kämpfen im Zweiten Weltkrieg.
Wettstein
Ganz klar, ganz klar. Also deutsche Führung in Stadtkämpfen im Zweiten Weltkrieg zeichnet sich oft dadurch aus, dass man nach unten delegiert, weil man schlicht kein Lagebild mehr hat oben. Die Problematik ist, dass das meistens für beide Seiten gilt. Und damit können neue Pattsituationen entstehen. Ich denke eben, dass das was ich vorher erwähnt habe im Bereich des Luftwaffeleinsatzes, ist ein gutes Beispiel. Also beide Seiten haben jetzt eben verstärkte Fliegerabwehrkapazitäten, die es ermöglichen, die gegnerische Luftwaffe, man denke auch an Kampfhubschrauber, die ja beispielsweise bei den asymmetrischen Stadtkämpfen durchaus eine wichtige Rolle spielen und jetzt eben nicht eingesetzt werden können. Wir haben nicht über die Rolle der Luftwaffe groß gesprochen, aber beispielsweise auch die Zuführung per Lufttransport. Das ist eine Möglichkeit, die heute in der Ukraine so nicht besteht. Also beispielsweise mit Hubschrauben, kleine Einheiten im urbanen Gelände oder auch am Rand eines urbanen Geländes, umfassend anzusetzen, diese Möglichkeit besteht nicht. Und das haben eben wieder beide Seiten. Ich würde aber sagen, ja, die Technologie hat sich stark verändert. Ein gutes Beispiel sind sicher Drohnen. Und hier wäre insbesondere interessant jetzt zu schauen, was die in der Aufklärung, die ja im urbanen Gelände eine besondere Herausforderung ist, diese Minidrohnen, wo die jetzt ganz neue Möglichkeiten schaffen und durchaus eine Veränderung dieser Gefechtsart mit sich bringen. Nichtsdestotrotz würde ich sagen, das Gelände bleibt nach wie vor, auch weil das Gelände über die letzten Jahrzehnte komplexe geworden ist, eine große Herausforderung für konventionelles Militär.
Pöhlmann
Eine große Herausforderung im Stadtkampf ist natürlich auch das humanitäre Völkerrecht. Da müssen wir nochmal auch mit Blick auf die Ukraine unterscheiden zwischen dem Kampf in der Stadt und dem Kampf gegen Städte. Und wenn wir natürlich das uns angucken, was in der Ukraine in Städten passiert, passiert das natürlich auch aufgrund von unterschiedslosem Fernbeschuss einfach der Städte. Ziehen der Energieversorgung von Großstädten, von Millionenstädten, einer bewussten Zerstörung von Kulturgut auch. Da, glaube ich, kommen wir auch in eine ganz andere Vorstellung von Stadtkampf, der nicht mehr militärisch ist und der hat sich auch auf einer anderen politischen Ebene eigentlich natürlich bewegt.
Wettstein
Also Kampf gegen Städte oder ich stelle die Frage eben für mich selber, auch immer mehr ist es heute überhaupt noch möglich in Städten zu kämpfen mit dem ganzen Kriegsvölkerrecht oder ist es an sich, in dem Moment, wo es losgeht ein Verbrechen? Bei dem Kampf gegen Städte, die Frage jetzt gerade, die du vorher aufgeworfen hast mit der Energieversorgung, das ist natürlich eine spannende Frage, weil sich immer wieder daraus ja die Frage herausstellt, ja, was ist dann militärisch noch legitim? Die selbe Energie, die für die Heizung benötigt wird, wird ja auch für die Produktion von Waffen benötigt oder für den Transport westlich gelieferte Waffen auf dem Schienennetz. Und da stellt sich dann immer die Frage, wie können wir das unterscheiden und ist es überhaupt möglich da eine saubere Linie zu ziehen? Denke, dort, wo Kulturgüte zerstört werden, müssen wir nicht darüber sprechen, dass ist ganz klar eine verbrecherische Herangehensweise.
Pöhlmann
Ja, man sieht, dass der Krieg heute uns auch immer wieder nicht nur in der Nennung der Ortsnamen, die für jeden, der sich mit dem zweiten Weltkrieg beschäftigt, viele Déjà-vu-Effekte hat. Aber wir haben auch immer wieder Déjà-vu-Effekte, glaube ich, was die Kriegführung, selbst bis auf die taktische Ebene runter angeht. Ich glaube, das macht dann so den Ausblick in die Gegenwart interessant, wenn wir dann wieder zurückkommen zur historischen Betrachtung. Wenn wir zum Ende kommen, vielleicht noch eine Bitte. Welche historischen, welche militärischen Fachbücher, aber auch welche anderen Medien, Filme oder so was, lassen sich denn zu dem Thema empfehlen für jemand, der sich da noch ein bisschen stärker einlesen möchte?
Wettstein
Also, wenn man jetzt die Expertise für die heutige Zeit nimmt, was heute Stadtkampf oder Kampf im urbanen Gelände bedeutet, dann würde ich sicher die Bücher von Anthony King, Urban Warfare in the 21st Century, und Louis DiMarco, Concrete Hell, empfehlen. Die sind allerdings historisch oft sehr problematisch. Weil man merkt, die Herangehensweise ist, sehr stark getrieben davon, ich will zeigen, was heute alles anderes ist als früher und dann wird die Geschichte oft steinbruchartig verwendet. Historische Literatur ist nicht ganz einfach. Es gibt die Schrift von Alec Wolman zur amerikanischen Armee und der historischen Entwicklung, die ist sicher sehr lesenswert. Es gibt jetzt eine neue Doktorarbeit, die aber noch nicht veröffentlicht ist, von Jonathan Biel zur amerikanischen Doktrinentwicklung im zweiten Weltkrieg, die ist sicher auch sehr lesenswert. Andere Medien, oder was ich einen sehr spannenden Film fand, war oder ist Black Hawk Down und zwar weniger aufgrund der Darstellung der Gefechtssituation, als vielmehr, dass man als Zuschauer sehr schnell die Konfusion hat, dass man eigentlich nicht mehr so genau weiß, wo steht man jetzt, wo spielt sich jetzt das Ganze ab? Und das reflektiert sehr vieles, was ich aus Zeugnissen von Soldaten gelesen habe. Also diese Orientierungslosigkeit in einer fremden Stadt, die man nicht so gut kennt.
Pöhlmann
Ja, vielen Dank. Ich selber verweise natürlich auch nochmal auf den Podcast aus der Reihe Anno. Punkt, Punkt, Punkt, wo der Berliner Podcaster-Kollege Philipp Janssen ja auch mal ausführlich mit dir zu deiner Dissertation gesprochen hat. Ich glaube, das wird sich auch sehr gut ergänzen, wenn man da nochmal rein hört. Alle genannten Titel packen wir auch nochmal in unsere Show Notes. Adrian Wettstein vielen Dank für diesen sehr spannenden Einblick in eine extrem komplexe und auch fordernde Gefechtsform, aber auch in ein militärisch, militärgeschichtliches Phänomen, was wir mit dem wir eigentlich immer, auf das wir immer wieder stoßen, dem wir aber wahrscheinlich auch zu wenig Zeit dann nochmal widmen und wo ich selber für mich auch viele interessante Punkte jetzt rausgezogen habe.
Wettstein
Danke für das Gespräch. Es war sehr anregend.
Pöhlmann
Ja. Also das war ein, glaube ich, ungewöhnlich militärischer Podcast für unsere Reihe. Wir haben, glaube ich, auch gut herausgearbeitet, dass eben nicht nur ein Thema der Taktik ist, sondern dass es durchaus wichtige Anknüpfungspunkte zu breiteren historischen Themen gibt. Etwa die Stadtgesellschaft im Krieg, Verhältnis von Militär und Zivilbevölkerung, humanitäres Völkerrecht. Ich glaube auch, dass wir das Thema Militärtechnik mit Blick auf Stadtkampf, könnte man wahrscheinlich einen eigenen Podcast nochmal produzieren. In einer Welt, in der seit 2015 mehr als die Hälfte der Menschen in Städten lebt, wird Stadtkampf ganz sicher ein Thema sein, über das wir auch in Zukunft noch mehr reden müssen. Bleiben sie also an dem Thema dran, empfehlen sie unseren Podcast Zugehört weiter. Alles Gute und bis zum nächsten Mal.
(Music)