Spielball der Politik. Eine kurze Geschichte der Bundeswehr

Spielball der Politik. Eine kurze Geschichte der Bundeswehr

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Lesedauer:
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Herzlich willkommen, zu „Angelesen“ dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, kurz ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute stellen wir Ihnen das Buch „Spielball der Politik“ von Hauke Friederichs vor. Es ist im Jahr 2023 im Deutschen Taschenbuch Verlag München erschienen. Friederichs gilt als Bestsellerautor. Dieses Prädikat hat er sich mit seinem Buch „Funkenflug“ erworben, welches die Atmosphäre kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges im heißen August 1939 zusammenfasst. In der „Welt am Sonntag“ hieß es dazu: „Hauke Friederichs hat aus allerlei Quellen ein faszinierendes und instruktives Panorama zusammengetragen.“ Das Panorama der Bundeswehr ist das aktuelle Projekt des Autors, denn seine historischen Miniaturen über annähernd 70 Jahre Bundeswehr sind ebenfalls ein Panorama geworden. So lässt sich die Intension des Autors und zugleich die Stärke des Buches beschreiben. Ein solches Projekt ist nicht einfach zu stemmen, das griechische Wort „Pan-horama“ bringt es auf den Punkt: Es geht um die Zusammenschau von allem in einem Bild. Friederichs lädt uns also in eine Galerie der Bundeswehr ein, Bild folgt auf Bild. Es geht in den meisten Teilen um die konkreten und mit Namen zugeordneten Personen, deren Handeln und Denken, um daraus das historisch Essenzielle zu gewinnen. Die Stärke des Buches liegt dementsprechend nicht darin, bahnbrechende neue Forschungsergebnisse zu publizieren, sondern Bilder zu entwerfen, die Einblick in die Zeit und die handelnden Personen gewähren. Die wahre Kunst eines Historikers ist es, den Leser in eine Zeit mitzunehmen und darüber ein stimmiges Abbild zu entwerfen. Damit ist das Buch im besten Sinne populärwissenschaftlich. Zum ersten Teil des Buches: Hauke Friederichs ist es gelungen, konkrete Panoramen der Zeit zu entwerfen. So dürfen wir seine Einladung annehmen und dem Gründungsakt der Bundeswehr 1955 beiwohnen, indem er schreibt: „Auf Schmuck, Pomp, Trommelwirbel, Stechschritt und die Präsentation von Waffen verzichtet die neue Armee an diesem Samstag, dem 12. November 1955, an ihrem Gründungstag. Noch ist sie namenlos und wird von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt. Sie verfügt noch über keine Panzer, Flugzeuge oder Kriegsschiffe und hat gerade einmal so viel Personal wie die Schweizer Garde im Vatikan. Die Geschichte der „neuen Wehrmacht“, wie sie zunächst aus Verlegenheit genannt wird, beginnt in einer schlichten Kasernenhalle in der provisorischen Hauptstadt Bonn. Dennoch ist das Interesse in der Öffentlichkeit groß. 50 Journalisten berichten über die Zeremonie. Radioreporter und Kamerateams zeichnen den Festakt auf, strecken den neuen Soldaten ihre Mikrofone entgegen. Fotografen drängen sich in der Halle der Ermekeil-Kaserne, die früher der Kavallerie zum Trainieren diente. Das Bundesministerium für Verteidigung nutzt das Gebäude als Garage. Sie sind angetreten, um als erste Soldaten in die westdeutschen Streitkräfte aufgenommen zu werden. Militärisches Zeremoniell kennen sie aus der Reichswehr und der Wehrmacht. Sie erinnern sich an „Große Zapfenstreiche“ und Paraden, mit denen Siege und besondere Anlässe gefeiert wurden, mit Fackeln, Militärmusik und Ehrenformationen. So schlicht wie heute ging es noch bei keiner deutschen Armee an einem solch bedeutenden Tag zu. Die Wand hinter dem Rednerpult schmückt eine schwarz-rot-goldene Fahne, die Dienstflagge der Bundesrepublik, ein paar Kübelpflanzen mit Chrysanthemen stehen vor dem Rednerpult. An der Wand hängt ein riesiges Eisernes Kreuz. In dieser Szene redet Minister Blank von Scharnhorst; und General Heusinger, der vier Armeen diente, rekurriert auf Frieden, Volk und Vaterland. General Speidel und Kanzler Adenauer werden im Buch ebenfalls kurz vorgestellt, so dass innerhalb von wenigen Seiten ein Panorama des Tages und der Zeit entsteht. Im Gedächtnis bleiben die Kübelpflanzen für die gerade frisch „eingetopfte“ Bundeswehr. Diese Bundeswehr hat ein Alleinstellungsmerkmal, das sie von allen anderen Streitkräften unterscheidet. Die „Innere Führung“. „Die einen möchten das in Trümmer gegangene Haus dem alten Plan gemäß wiedererrichten, die anderen suchen nach einem neuen Entwurf“, schreibt Wolf Graf von Baudissin 1966. Zehn Jahre lang dient der Offizier zu diesem Zeitpunkt bereits in der Bundeswehr. Baudissin gehört wie viele seiner Generation zu denjenigen, die überzeugt sind, mit dem Zweiten Weltkrieg einen tiefen historischen Einschnitt erlebt zu haben. In der Wehrmacht brachte er es bis zum Major, dann gerät er 1941 in Afrika in Kriegsgefangenschaft und landet in einem Lager in Australien. Den Vernichtungskrieg in Osteuropa hat er nicht mitgemacht. Am 8. Mai 1951 war er als Referent für das „Innere Gefüge“ in das Amt Blank eingetreten. Hauke Friederichs beschäftigt sich ausführlich mit der Inneren Führung und der politischen Ethik des Grundgesetzes und dessen positivem Menschenmenschenbild. Der Autor weist zurecht darauf hin, dass bei allen Regelungen und Organisationsvorhaben in der Gründungszeit die Einstellung zum Gesamtprojekt Bundeswehr entscheidend war für das Gelingen. Der Soldat, der mit Leib und Leben einstehen muss, braucht ein Mindset, das ihn trägt. Es gibt für die neue Bundeswehr keinen Kaiser und keinen Führer, keine Ideologie und keinen Lebensraum, der erobert werden müsste. Die Bundeswehr konsolidiert sich durch die Innere Führung von Anfang an auf das Wesentliche: das ist die Verteidigung Deutschlands und die Verteidigung der Demokratie als Geschenk der neuen Zeit nach 1945. Gleichwohl tut sich die junge Bundeswehr schwer mit der Geschichte und der Tradition, auch darauf weist Friederichs hin. Den Anliegen der Inneren Führung bleibt das Buch treu. Die selbstbewussten „Leutnante 70“ und die „Hauptleute von Unna“ finden ebenso Erwähnung wie der Gegenspieler Baudissins; nach dessen Pensionierung wird Heinz Karst zuständig für Erziehung und Bildung im Heer. Auch aktuelle Verstöße z.B. in Mittenwald oder Nagold finden Erwähnung. Hier könnte man mit dem Autor über den Zuständigkeitsbereich der Inneren Führung streiten. Deren Hauptaufgabe ist nicht die Ahndung von Rechtsverstößen, sondern es geht zuallererst um den Führungsprozess selbst. Innere Führung ist nicht die „Moral- und Gesinnungspolizei“ der Bundeswehr. Der zweite Teil des Buches befasst sich mit den Verflechtungen der Bonner Republik. Durch die Darstellung im Buch kann der Eindruck entstehen, die Bundeswehr wäre ein Spielball der Politik. Ein ganzes Kapitel beschäftigt sich mit immer wiederkehrenden Ausrüstungsproblemen. Erwähnt sei nur der Skandal um den Schützenpanzer HS 30 oder die Mängel des Starfighters, die kaum Gehör fanden und den damaligen Inspekteur der Luftwaffe zum persönlichen Rückzug drängten. Diese werden mit der aktuellen Debatte um den neuen Schützenpanzer Puma in direkten Zusammenhang gebracht, was zumindest von der Dimension der Probleme Fragen aufwirft. Ob diese Spiele in den Chefetagen der Bundeswehr die ganze Truppe in Mitleidenschaft zogen, wird im Buch nicht besprochen. Was dem Buch beispielsweise fehlt, ist die Darstellung der Bundeswehr als „starke Truppe“. In den 1980er Jahren wird mit diesem Slogan geworben und er war damals zutreffend. Die Kasernen waren voll, die Soldaten gut ausgebildet und an demokratische Strukturen als alternativloser Bestandteil der Bundeswehr gewöhnt. Panzer- und Panzergrenadiertruppen übten in Shilo und Castle Martin zum Teil mit mehreren Kompanien gleichzeitig und kamen nach mehrwöchigen Aufenthalten einsatzbereit nach Deutschland zurück. Hauke Friedrich schwebt aber auch in dieser Zeit auf der Ebene Ministerium, Parlament und NATO. Dass auf dieser Ebene Streit den demokratischen Alltag bestimmt, muss aber die Bundeswehr als solche nicht anfassen, da sie sehr viel facettenreicher war und ist als das BMVgBundesministerium der Verteidigung, das streng genommen gar nicht zur Bundeswehr gehört.
Im Gegenzug wird dem „Kampf gegen braunes Gedankengut“ viel Aufmerksamkeit und Platz zugesprochen. Im Truppenalltag dürfte es allerdings keine Notwendigkeit gegeben haben, ständig einen „Kampf gegen rechts“ zu führen. Diesem medialen Trugbild erliegt auch das vorliegende Buch. Die vorhandenen Selbstreinigungskräfte der Bundeswehr, die es tatsächlich gibt, sind eine ihrer großen Stärken, bis heute. Gleichwohl verweist Friederichs auf viele rechtsextremistische Eingaben bei der Dienststelle des Wehrbeauftragten. Hier geht es nicht mehr um Einzelfälle, sondern um eine Klientel, auf die die Bundeswehr einen Anreiz ausübt und womit diese umgehen muss. Leider hat der Systemwechsel zur Berufsarmee diese Klientel gestärkt. Wehrpflichtige haben im demokratischen Sinne und in der Gewinnung entsprechender Zeit- und Berufssoldaten der Bundeswehr gutgetan. Der dritte Teil des Buches befasst sich mit der Zeit nach der Wiedervereinigung. Schnell bemerkt die Bundesregierung unter Helmut Kohl die zu optimistisch geschätzten Kosten des Einigungsprozesses. Sie erliegt der Illusion vom „Ende der Geschichte“, wo wir nur noch von Freunden umgeben sind. Der Niedergang der Bundeswehr nimmt seinen Anfang. Es beginnt die Zeit der Auslandseinsätze, was in der Darstellung des Buches wirklich gut gelungen ist. Erster und dritter Teil des Buches haben ähnliche Stärken. Der Schwerpunkt ist jetzt Afghanistan. Hier kommt das Buch wieder in der wirklichen Bundeswehr an und schwebt nicht mehr in Metathemen. Dankbar darf man Hauke Friederichs für zum Teil minuziöse Darstellungen sein, wenn er schreibt: „Taliban-Kämpfer haben (im September 2009 zwei) Tanklastwagen entführt und deren Fahrer gezwungen, in Richtung Kundus zu fahren. Die Bundeswehr hat das mitbekommen. Oberst Klein fürchtet, dass die mit Treibstoff beladenen Fahrzeuge als rollende Bomben für einen schweren Anschlag genutzt werden. Als die gut 25 Tonnen schweren Wagen in der Furt auf einer Sandbank stecken bleiben, erschießen die Aufständischen einen der Fahrer. Dann informieren sie ihre Sympathisanten in der Region, dass sie Treibstoff abzapfen können. Das bekommen weitere Anwohner mit, die ebenfalls mit Kanistern zum Fluss eilen. Außerdem lassen die Taliban einen Traktor kommen, um die festgefahrenen Laster frei zu schleppen. Oberst Klein beobachtet im Gefechtsstand einer Spezialeinheit, was am Fluss los ist. Erst ist ein amerikanischer B1-Bomber in der Luft, dann übernehmen zwei F- 15-Jets die Luftaufklärung. Kameras an Bord liefern Echtzeitbilder, die der deutsche Offizier anders interpretiert als die Amerikaner. Die Piloten wollen von den Deutschen wissen, ob Zivilisten am Boden sind. Der für den Funkkontakt und die Zielweisung zuständige Fliegerleitfeldwebel teilt ihnen mit, dass es sich um feindliche Kämpfer handelt. Ein afghanischer Informant, eine Quelle der Deutschen, der für seine Auskünfte bezahlt wird, berichtet, dass ausschließlich Aufständische vor Ort seien.“ Im Buch spielt auch die Strategielosigkeit dieses Bundeswehreinsatzes eine Rolle. Dem Autor gelingt es wieder, aus exemplarisch gewählten Szenen den gesamten Kontext aufzuzeigen. Erwähnung findet auch das Scheitern dieses 20 jährigen Einsatzes, womit das Geschichtsbuch in der Gegenwart ankommen ist. Eine Analyse des Scheiterns erfolgt jedoch nicht. Das aktuelle Zeitgeschehen nach der sogenannten Zeitenwende vom Februar 2022 rundet den dritten Teil des Buches ab. Der SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands-Vorsitzende Lars Klingbeil kommt zu Wort: „Im Juni 2022 hält Klingbeil auf der „Tiergartenkonferenz“ der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Rede, die für Aufsehen sorgt. „Wenn man sich in der Gesellschaft für die Bundeswehr eingesetzt hat, wurde man oft kritisch gesehen“, sagt der Sozialdemokrat. »Unsere Armee wurde immer weiter reduziert, Standorte wurden geschlossen, die Wehrpflicht abgeschafft. Die Bundeswehr rückte in der öffentlichen Debatte immer weiter nach hinten. Oftmals wurde sie nur gesehen, wenn es Skandale gab. Man hatte fast den Eindruck, manche dachten, je weniger Bundeswehr es gibt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit eines Krieges. Das Gegenteil ist der Fall.„ Klingbeil wünscht sich, dass die Gesellschaft eine neue Normalität mit der Bundeswehr entwickle, dass es selbstverständlich sei, denen Respekt und Anerkennung zu zollen, die ihren Dienst für unser Land leisten. »Nicht das Reden über Krieg führt zum Krieg«, sagt der SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands-Co- Vorsitzende. »Das Verschließen der Augen vor der Realität führt zum Krieg.«“ Zum Schluss: „Wie man so hört, wäre das Buch von Hauke Friederichs nichts Neues“, sagte ein Marineoffizier. Hier ist ihm recht zu geben. Der Wert des Buches liegt ganz woanders. Seit dem Ukrainekrieg merken viele Menschen, dass sie von der Bundeswehr und von verteidigungspolitischen Themen keine Ahnung haben. Selbst ehemalige Wehrpflichtige, die in den 1980iger Jahren die Armee von innen erlebten, können höchstens rudimentäre Kenntnisse vorweisen. Es ist das große Verdienst dieses Buches, von der Bundeswehr zu erzählen und dies im besten Sinne populärwissenschaftlich. Vermittelt durch das Buch setzt sich Hauke Friederichs – bildlich gesprochen – mit jedem Leser geduldig aufs Sofa und spricht mit ihm über die Bundeswehr. Abschließend sei angemerkt, dass der Titel des Buches nicht recht zum Inhalt passen will. „Spielball der Politik“ suggeriert, dass politische Entscheidungsträger nach Gutdünken und im Grunde willfährig mit der Bundeswehr umgegangen wären. Im Buch wird dies nicht behauptet und es ist auch tatsächlich nicht so. Durch den Parlamentsvorbehalt, eine äußerst sensibel reagierende Öffentlichkeit und durch die Grundlagen der Inneren Führung bietet die Bundeswehr den geringstmöglichen Angriffspunkt für Willkür. - Vielmehr hat die deutsche Bevölkerung ihr Verhältnis zur Bundeswehr, zu deutschen Interessen und zur patriotischen Wertschätzung Deutschlands nicht geklärt. Hierauf nimmt die Politik sehr wohl Rücksicht. Der Auftrag für die Bundeswehr bleibt im Bewusstsein des Landes indifferent. Im Kalten Krieg war die Bundeswehr stark und angesehen. Kaum nach der deutschen Wiedervereinigung war der Einzelplan 14 ein willkommener Platz für Einsparungen und die Aussetzung des Grundwehrdienstes wurde als Professionalisierung dargestellt. - Eine Streitkraft lebt aber von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann, sprich, sie ist auf das gesellschaftliche Umfeld angewiesen. Vom politischen Willen der Bevölkerung ist die Bundeswehr abhängig. Wer also den Begriff „Spielball“ assoziiert, sollte zuerst vor der eigenen Türe kehren. Und wer den Zustand der Bundeswehr kritisiert, darf vor der Frage, welchen Beitrag er selbst und das Umfeld dazu geleistet hat, nicht zurückschrecken. Die geschichtsvergessenen und verträumten Ballspieler sitzen mitten unter uns und nicht nur in Bonn oder Berlin.  Hauke Friederichs‘ Spielball der Politik, ist ein guter und fundierter Grundkurs Bundeswehr. Ein kurzweiliges Geschichtsbuch und Geschenk an alle Staatsbürger ohne Uniform, die einen Blick in die Kaserne und in das Wesen der Bundeswehr riskieren wollen. Und dies gut erzählt, exemplarisch passend herausgearbeitet und auf Augenhöhe vom Autor dargeboten bekommen. Das war Angelesen, das Buchmagazin des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften, kurz ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Gelesen von Major Michael Gutzeit

von Dr. Thomas Wanninger

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