Podcast 62: Hitlerputsch-Transkript

Podcast 62: Hitlerputsch-Transkript

Datum:
Lesedauer:
29 MIN

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Dr. Pöhlmann: Willkommen bei „Zugehört“, dem Podcast des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Mein Name ist Markus Pöhlmann. Ich bin Mitarbeiter im Forschungsbereich Militärgeschichte bis 1945. Dort leite ich das Forschungsprojekt Reichswehr. Die Republik und ihre Streitkräfte. Das Thema heute ist der Hitlerputsch vom 9. November 1923. Wir sprechen also 100 Jahre nach dem Ereignis über das Ereignis. Vielleicht machen wir es uns manchmal zu einfach, wenn wir nur das Scheitern des Putsches betrachten und dabei auch auf die vielen skurrilen Aspekte blicken. Im englischen Sprachraum ist das Ereignis ja als Beer Hall Putsch geläufig. In jedem Geschichtsbuch ist der Putsch natürlich eine feste Marke auf dem Weg Hitlers und der NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei an die Macht. Das gilt nicht nur für unsere heutigen Geschichtsbücher, sondern es war natürlich auch schon Teil des von den Nationalsozialisten gezeichneten Geschichtsbildes. Der Putsch markiert auch das Ende des Krisenjahrs 1923 und er hat in diesem Jahr auch ganz ordentlich publizistische Aufmerksamkeit erlangt. Der Hitlerputsch bildet ein Kapitel in fast allen der Neuerscheinungen zum Krisenjahr 1923. Darüber hinaus sind mindestens drei deutsche Monographien zu dem Thema erschienen. Und mit einem der Autoren möchte ich heute über die Tage im November 1923 in München sprechen. Mein Gast ist Dr. Peter Tauber. Mit ihm haben wir in diesem Jahr bereits einmal über das Krisenjahr 1923 gesprochen. Es wird deshalb sicher besonders interessant, wenn wir die Erkenntnisse aus der Gesamtschau auf das Krisenjahr 1923 hier noch mal für das Einzelereignis Hitlerputsch einbringen können. Wenn Sie den Krisenjahr-Podcast gehört haben, wird Ihnen Dr. Tauber also bereits vertraut sein. Für alle anderen Hörer und Hörerinnen sei er aber noch einmal vorgestellt. Peter Tauber war lange Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages und von 2012 bis 2018 Generalsekretär der CDUChristlich Demokratische Union. Auch als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung von 2018 bis 2021 ist er natürlich gerade im Funkkreis des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Erinnerung. Herr Tauber hat 2007 in Frankfurt am Main zur Rolle des Ersten Weltkriegs bei der Entwicklung des Sports in Deutschland promoviert. Und er hat nach seinem Abschied aus der Bundespolitik seine wissenschaftlichen Studien wieder aufgenommen. Das Thema seiner aktuellen Forschung ist natürlich der Hitlerputsch und er hat kürzlich zusammen mit dem ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr dazu eine konzise Gesamtdarstellung vorgelegt. Die Informationen zu diesem Buch finden Sie in den Shownotes. Wir sprechen heute also über ein immer noch laufendes Forschungsprojekt von Herrn Tauber. Herr Tauber, herzlich willkommen bei unserem Podcast.

Dr. Tauber: Schön, dass ich dabei sein darf.

Dr. Pöhlmann: Aus der Lektüre Ihres Buchs wird eigentlich sehr schnell klar, dass Sie die Verhältnisse vor Ort gewissermaßen als historischer Flaneur auch erkundet haben. Sie folgen buchstäblich dem Weg der Putschisten durch die Stadt. Meine erste Frage wäre: Wie präsent ist denn nach Ihrem Eindruck dieses Ereignis in München nach 100 Jahren noch? Also baulich oder was die Gedenkstätten angeht oder vielleicht sogar das öffentliche Bewusstsein?

Dr. Tauber: Ich habe in der Tat vor einiger Zeit mich mal auf den Weg gemacht und bin die Strecke, die die Putschisten vom Bürgerbräukeller bis zur Feldherrnhalle marschiert sind, abgeschritten. Und natürlich ist München, München, die Feldherrnhalle, die Residenz, der Weg durch die Altstadt, das Isar-Tor, das kommt einem vertraut vor und das ist historisch. Aber daneben ist es eine ganz andere Stadt, viel multikultureller, viel bunter. Das sehen Sie an den Geschäften, an denen Sie vorbeigehen und dem Bürgerbräukeller, wo dieses Ereignis seinen Ausgang nahm. Dieser Putsch, den gibt es nicht mehr. Da erinnert eine kleine Gedenktafel daran. Ansonsten hat München inzwischen sich mit diesem Kapitel der Stadtgeschichte intensiv beschäftigt. Es gibt ein Dokumentationszentrum zur Rolle des Nationalsozialismus. München galt ja auch als die Hauptstadt der Bewegung. Das steht dort, wo früher das sogenannte Braune Haus stand. Es gibt eine Gedenktafel an der Residenz für die bei der Niederschlagung des Putsches ums Leben gekommenen vier Landespolizisten. Also, das Ereignis ist auch durch eine Kunstinstallation auf der Rückseite der Feldherrnhalle durchaus im Stadtbild noch zu entdecken.

Dr. Pöhlmann: 1923 gilt ja in der Geschichtswissenschaft als ein Krisenjahr der Weimarer Republik. Es ist auch eine Zäsur in der Geschichte ihrer Streitkräfte, der Reichswehr. Wie ordnen Sie denn diesen Hitlerputsch in dieses Krisenjahr 1923 ein? Waren das eher nationale Ereignisse oder Entwicklungen, die Einfluss auf das Ereignis in München genommen haben? Oder gab es eine spezifisch bayerische Dynamik?

Dr. Tauber: Beides kommt sicherlich zusammen. Bayern sieht sich in dieser Zeit als sogenannte Ordnungszelle im Reich, auch in Abgrenzung zu Berlin, einer vermeintlich linken sozialistischen Regierung. Und Bayern ist in den Jahren zuvor schon Rückzugsraum für Rechtsextreme geworden. Ludendorff, der dezidiert Preuße ist, findet in München Obdach. Auch andere ehemalige Freikorpsführer verschlägt es nach München. Und München ist der Ort, wo Hitler die NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei zunächst zu einer lokalen politischen Macht werden lässt. Er hat Einfluss nicht auf die konkrete Politik, aber wie die bayerische Regierung mit ihm und seiner Partei umgeht. Das zeigt, dass es da eine Unsicherheit gibt, auch eine permanente Debatte bis hin zu der Tatsache, ob man diesen Mann, der ja gar kein deutscher Staatsbürger ist, sondern Österreicher, ob man ihn ausweisen könne. Also, er prägt und bestimmt zumindest in München und in Bayern die Politik und nutzt das auch an vielen Stellen. Nicht nur dann im Herbst, sondern beginnend mit dem ersten Parteitag Ende Januar, am 1. Mai während des Deutschen Turnfestes, überall versuchen, die Nationalsozialisten im wahrsten Sinne des Wortes an Raum zu gewinnen. Das Jahr beginnt ja damit, dass französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet besetzen, weil Deutschland nicht mehr in der Lage ist, seine Reparationszahlungen zu leisten. Und die deutsche Regierung im Schulterschluss mit Gewerkschaften und der Industrie entscheidet sich zum passiven Widerstand. Ist der Ausgangspunkt der später folgenden Hyperinflation. Und es ist interessant, weil es so etwas wie eine Geschlossenheit gibt. Alle sind verbunden in dem Ziel, diesen französischen Übergriff, so wird es empfunden, abzuwenden. Hitler bezieht dezidiert eine andere Position. Er sagt Nein, Schuld sind gar nicht die Franzosen. Schuld sind ja die, die uns dorthin geführt haben, die Novemberverbrecher, die sogenannten, das heißt, die Erfüllungspolitiker. So beschimpft er die demokratischen Vertreter der Republik. Also, da hat er schon einen eigenen Zugang gefunden und in Bayern mit einer nationalkonservativen, auch republikkritisch bis feindlichen Regierung steht sozusagen dazwischen. Einmal Hitler zurückzudrängen und ihm nicht zu viel Raum zu geben und andererseits sich auch gegen diese Regierung in Berlin zu positionieren und dann, Ende September, endet dieser Ruhrkampf, weil man ihn wirtschaftlich nicht mehr durchhalten kann. Und das ist der Ausgangspunkt dafür, dass gerade in Bayern die Überlegungen für einen Staatsstreich zunehmen, dass von Bayern aus, von der Ordnungszelle aus, sozusagen diese Republik auf neue Füße gestellt werden muss, im Zweifel auch in einer anderen Staatsform. Und an diesen Überlegungen partizipiert Hitler. Er ist dabei, er bekommt das mit und überlegt natürlich, wie er Teil dieses Spiels in Anführungszeichen werden kann. Also es kommt eine spezifisch bayerische Dynamik zusammen mit der Großwetterlage, wenn man es so formulieren möchte.

Dr. Pöhlmann: Ich würde auf das Verhältnis zwischen Reich und Freistaat gerne noch mal eingehen wollen. Vorher aber vielleicht noch eine Frage. Schon im Titel Ihres Buchs fällt ja auf, dass der heute in der Forschung auch vielfach eingeführte Begriff „Hitler-Ludendorff-Putsch„ bei Ihnen nicht enthalten ist. Wie bewerten Sie denn die Rolle des, dieses prominenten früheren Weltkriegsgenerals, Erich Ludendorff in dem Putsch? Warum hat es bei Ihnen denn, ich sage mal, nicht auf den Titel geschafft?

Dr. Tauber: Ludendorff spielt eine Rolle. Er ist natürlich einerseits Objekt, aber auch Subjekt, es beides. Es gibt die Szene, bevor der Putsch an der Feldherrnhalle niedergeschossen wird von der bayerischen Landespolizei, dass auf Seiten der Putschisten gerufen wird: »Hier kommt Ludendorff.« Sie rufen eben in der Tat nicht Hier kommt Hitler, weil man davon ausgeht, dass Polizei und Reichswehr auf diesen verdienten, so ist ja die Sichtweise der Putschisten auf diesen verdienten Weltkriegsgeneral, nicht werden schießen, ob sie auf Hitler schießen, da sind sie sich vielleicht nicht so sicher. Das zeigt natürlich, dass Ludendorff eine Autorität ist und zwar über das völkische nationale Lager hinaus. Gleichwohl ist Hitler derjenige, der zur Tat schreitet, der auf die Bühne steigt, auf den Tisch steigt, auf den Stuhl und in die Decke schießt und die nationale Revolution ausruft. Wir werden darauf vielleicht noch zu sprechen kommen. Hitler ist an vielen Stellen so, wie er auch später beschrieben wird, teilweise erratisch, immer verzweifelter, er droht auch dort, wie später und vorher auch schon mit Selbstmord, schreitet ja dann aber erst im April 1945 zur Tat, dann ist es in der Tat auch da wieder Ludendorff, der in dem Moment, wo klar wird, dass der Putsch militärisch keine Aussicht auf Erfolg hat, dafür wirbt, ein Marsch durch die Stadt, also eine politische Demonstration, durchzuführen. Dieser Satz „Wir marschieren!“ der wird ihm zugeschrieben und Hitler erklärt sich damit schnell einverstanden. Also er spielt natürlich eine Rolle, wenngleich, was die politische Tragweite betrifft, Hitler derjenige ist, der ja auch mit seiner Partei und mit den im Kampfbund zusammengeschlossenen Verbänden derjenige ist, der wirklich auch Menschen mobilisieren kann.

Dr. Pöhlmann: Ich frage deshalb nach Ludendorff, weil er in dem Zusammenhang natürlich auf den ersten Blick vielleicht auch ein Mann von gestern ist. Er ist ja eigentlich diese extrem bestimmende politische, militärische, so aber vor allen Dingen auch politische Figur aus dem Ersten Weltkrieg. Seine ganze Macht und sein Einfluss ist aber natürlich gebunden an das Versprechen, dass er diesen Krieg gewinnt, und in dem Moment, wo er den Krieg 1918 aufgibt, verliert er auch den Einfluss und die Macht und wird entlassen. Unter sehr kontroversen Umständen auch für ihn und gerät, nachdem er auch kurzzeitig außer Landes geflohen war, in eine ganz große persönliche Krise, zieht dann auch nach München um. Sie haben München schon beschrieben als auch ein Sammelbecken für ehemalige Militärs auch, aber auch für politisch rechts stehende. Und Ludendorff ist nun einer, der in München genau zur richtigen Zeit in dieses, ich sage mal, Biotop kommt und relativ schnell sich auch verändert. Und das ist, glaube ich, etwas, was in der Forschung zu wenig rezipiert wird. Dieser Ludendorff ist eben nicht mehr diese unumstrittene Person aus der Kriegszeit, sondern er wird durchaus auch in der Reichswehr kontrovers diskutiert, vor allen Dingen, weil er auch ideologisch natürlich in eine Ecke geht. Relativ schnell Anfang der 20er, wo ihm viele frühere Kameraden und auch aktive Generale oder Offiziere aus der Reichswehr nicht mehr folgen. Das ist eine extrem völkisch-antisemitisch, esoterische Ecke, auch religiös im Übrigen auf Deutsche Christentum ist eine Spielart, wo er und seine Frau dann ganz aktiv publizistisch auch unterwegs sind. Und dieser Ludendorff nach 1918 ist eben ein anderer. Das ist auch zum Teil ein gebrochener Mann natürlich, der ein Karriereknick hatte und der sich versucht, neu zu erfinden. Und das ist, glaube ich, das Spannende, dass er in der Situation von 1923 einmal sich ja im Vorfeld, wenn ich es richtig lese, nicht wirklich exponiert, nicht wirklich sagt: Hier, ich bin der Mann der Zukunft. Auf der anderen Seite will er sich aber auch dem Hitler nicht unterstellen. Auch da hatten sie schon darauf hingewiesen. Also mein Gefühl ist immer, er will eigentlich auf den Schild gehoben werden und der Führer der nationalen Bewegung werden. Sein Problem ist nur, es gibt nicht genug Schildträger. Also, es gibt auch noch Wettbewerber in diesem Feld.

Dr. Tauber: Er ist vor allem eins, er ist weltfremd, denn die Kriegsniederlage allein kann ja nicht die Ursache dafür sein, dass ihm nicht ausreichend Menschen folgen oder ihm vertrauen. Denn Hindenburg, der dann später Reichspräsident wird, dem müsste man dasselbe Momentum ja auch zuschreiben. Du bist verantwortlich für die Niederlage, die Dolchstoßlegende, die kann auch Ludendorff für sich reklamieren, dass es an ihm nicht gelegen hat. Wer genauer hingeschaut hat, schon unter den Zeitgenossen, der wusste, dass das anders ist. Aber das ist nicht der Bruch. Der Bruch ist viel eher so, wie Sie es beschrieben haben. Diese Hinwendung zum Völkischen, auch dieses Verharren in alten Bildern, das merkt man im Momentum des Putsches selbst auch. Hitler nötigt ja dann Kahr, Lohse und Salzer, also den Generalstaatskommissar Bayerns, den Vertreter der Reichswehr und der Landespolizei, mitzumachen. Und in dem Moment, wo Hitler den Bürgerbräukeller verlässt, um sich an einem anderen Ort dem Putschgeschehen zuzuwenden, verlassen alle drei Vergatterten, wenn man so will, ebenfalls den Bürgerbräukeller. Nachdem sie Ludendorff versprochen haben, dass sie weiter treu an der Seite der Putschisten stehen. Und Ludendorff traut einfach diesem Versprechen. Es ist relativ klar, dass das ein leeres Versprechen ist, und er ist danach erschüttert, sagt: Das kann doch nicht sein, dass ein deutscher General von Lohse ihm gegenüber das Wort bricht, er wolle nie wieder eine Uniform tragen, sagt er dann, auch da hält er sich nicht dran. Also ist er auch in seinem Handeln selten konsistent und das führt in der Tat dazu, dass er diese Rolle, die er sich selber gerne zuschreiben möchte, in keinster Weise ausfüllen kann, aber natürlich aufgrund seiner Persönlichkeit und seiner Geschichte eine Rolle spielt. Ein weiteres Beispiel dafür. Die Reichswehr stellt sich ja auch sehr schnell gegen den Putsch bis auf eine kleine Zahl, eine Gruppe, die sogenannten Infanterieschüler, das heißt, die Soldaten, die gerade an der Münchner Infanterieschule zur Ausbildung sind, die marschieren mit und die werden als Ehrenwache Ludendorffs verpflichtet, ziehen auch Hakenkreuzarmbinden an und so weiter. So, es ist ihnen klar, wem sie da dienen, aber ihre Loyalität gilt ganz besonders. Ludendorff. Also, da taucht er eben auch wieder auf. Insofern ist die Frage, warum ich für mein Buch lediglich den Hitlerputsch als Titel gewählt habe, eine sehr berechtigte. Ludendorff kommt im Buch aber auch vor entsprechend.

Dr. Pöhlmann: Bevor wir noch mal dann in den Ablauf der Ereignisse einsteigen, wollen wir noch mal auf die politische Situation in Bayern und in München eingehen und das Verhältnis zwischen dem Reich und dem Freistaat vielleicht noch anschauen. Das ist ja seit der Gründung der Weimarer Republik gespannt. Können Sie diese föderale Problematik noch mal kurz umreißen? Sie haben diesen Begriff der Ordnungszelle Bayern ja schon angesprochen. Also Bayern sieht sich politisch-ideologisch als ein Gegenmodell zu in Anführungszeichen Berlin oder in Anführungszeichen Preußen oder zum Rest des Reiches. Das ist ein Konzept, was ja durchaus schon älter ist als 1923. Das formuliert Kahr, der damalige Ministerpräsident Gustav von Kahr, schon im Jahr 1920 und 1923 eskaliert dieser Gegensatz zwischen Bayern und dem Reich. Können Sie das noch mal kurz beleuchten?

Dr. Tauber: Also, das Ganze nimmt seinen Ausgangspunkt in der Tat in der Revolution 1918, wo auch die Wittelsbacher vom bayerischen Thron hinweggefegt werden. Dann folgt die Zeit der Münchner Räterepublik auch mit Unruhen, mit Gewalt. Und das empfinden viele in Bayern, gerade national gesinnte Kreise, bayerisch national gesinnte Kreise, als ein Unfall. Das ist auch interessant, dass lediglich in Bayern, in Preußen an keiner Stelle nennenswert, in Bayern man immer noch von der Restauration der Monarchie spricht. Da gibt es Verfechter Kahrs selber, einer derjenigen, der sich auch im Umfeld des Putsches, wenn man so will, als Lordsiegelbewahrer der Monarchie sieht und sie gerne wieder errichten möchte. Und das prägt natürlich diese Debatte in Abgrenzung eben dann auch zum Reich, zu anderen deutschen Ländern. Und diese bayerische Eigenstaatlichkeit, die ja viel älter ist, die wirkt dort eben auch fort mit dem Anspruch, ein eigenes Gewicht, mindestens eine eigene Stimme in dieser Republik, in diesem Deutschen Reich auch künftig sein zu wollen. Dann kommt diese Situation, wie wir sie beschrieben haben, hinzu, dass Bayern ein Rückzugsraum für Rechtsextreme wird. Interessanterweise Die NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei ist in den anderen Ländern des Reiches weitestgehend verboten, in Bayern wird sie nicht verboten, auch da gibt es eine entsprechende Diskussion. Also Hitler kann dort eben auch agieren und in diesem Umfeld wirken natürlich die Krisen, die dieses Jahr prägen, die materielle Not, die politischen Krisen, noch mal stärker. Von Bayern ausgehend gibt es dann eben in München Überlegungen, Pläne, diese Republik im Zweifel zu beseitigen. 

Dr. Pöhlmann: Wie sähe es aus, wenn die Regierung in Bayern die Republik im Reich beseitigen will? Wie muss man sich das vorstellen?

Dr. Tauber: Es gibt ja zu der Zeit dann schon ein prominentes Vorbild, wenn man nach Italien schaut. Der sogenannte Marsch auf Rom, der Faschisten unter Mussolini und Hitler, der teilweise spöttisch, teilweise von eigenen Anhängern auch bewundernd, als deutscher Mussolini beschrieben wird, folgt dieser Idee auch. Aber er ist eben nicht der einzige, aus München heraus in Berlin zu einer neuen Regierung zu kommen, das ist eine viel diskutierte Frage, die eben auch nicht nur in München in nationalen und völkischen Kreisen Anklang findet.

Dr. Pöhlmann: Ihr Buch zeichnet sich ja auch dadurch aus, dass es den Putsch als ein militärgeschichtliches Ereignis untersucht. Was ist denn der aktuelle Anlass dann für dieses militärische Ereignis? Und wer sind im November 23 die militärischen Akteure, die paramilitärischen Akteure in der Stadt selber, weil, das scheint mir sehr unübersichtlich, das Feld der militärischen Akteure in der Stadt.

Dr. Tauber: 1923 ist es in der Tat übersichtlicher geworden. Die sogenannten Verbände des Kampfbundes, dazu gehört unter anderem die SASturmabteilung, der Bund Oberland und der Bund Reichskriegsflagge, geführt von Ernst Röhm, sind sozusagen der bewaffnete Arm Hitlers. Er hat es also geschafft, diese traditionellen Wehrverbände, wenn man so will, bei denen es auch eine Kooperation und Zusammenarbeit, eine Ausbildung durch die Reichswehr mit der Reichswehr gab, unter seiner Führung zusammenzufassen. Vorher gab es Einwohner, während Freikorps und andere Verbände, also es gibt, wenn man so will, in den frühen Jahren der Weimarer Republik neben der bewaffneten Macht des Staates Strukturen, die im Zweifel auch bewusst in Kauf genommen werden durch die staatliche Macht, um im Zweifel innere Unruhen oder sogar Angriffe von außen abwehren zu können. So stellt man sich das vor. Deswegen gibt es auch diese Kooperation oder Duldung dieser Verbände durch die Reichswehr. Daneben gibt es die Reichswehr selbst, die aber in München nur über beschränkte Kräfte verfügt, die dann auch während des Putsches die umliegenden Garnisonen in Bayern alarmiert, und die Landespolizei, die wir uns eher wie eine militärisch organisierte Struktur vorstellen müssen. Daneben gibt es die sogenannte blaue Polizei, die eher Schutzpolizeifunktion hat. Das sind im Prinzip die drei großen Kräfte, die sich dort im Herbst in München und auch darüber hinaus gegenüberstehen, und die Rolle der Reichswehr ist deswegen spannend, weil es einen Konflikt innerhalb der Reichswehr gibt zu dieser Zeit. Hans von Seeckt, der die Reichswehr führt, ist eben der Überzeugung, dass sich in der Reichswehr die Einheit der Nation sozusagen abbildet. Sie, um überhaupt wirkmächtig zu sein, auch gegenüber der Politik homogen geschlossen auftreten muss, muss zur Kenntnis nehmen, dass in Bayern der dortige Landeskommandant und Führer der siebten bayerischen Division, die auch bewusst diesen Zusatz bayerisch führt, die sich auch weitestgehend aus bayerischen Landeskindern rekrutiert, dass der sich auf die Seite, auch öffentlich wahrnehmbar, auf die Seite der bayerischen Regierung stellt. Und es kommt sogar dann nach dem Ende des Ruhrkampfs zu einer Verpflichtung der siebten Division auf die bayerische Regierung.

Dr. Pöhlmann: Also, wir halten noch mal fest, dass der bayerische Generalstaatskommissar sich die in Bayern stehenden Teile der Reichswehr unterstellt und der Befehlshaber des dortigen Wehrkreises die Reichswehr auf Bayern vereidigt.

Dr. Tauber: Darüber gibt es einen Streit. Also der Ausgangspunkt, das ist vielleicht noch spannend zu erwähnen. Der Ausgangspunkt ist ein Artikel im Völkischen Beobachter, der Zeitung der NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, in dem der Reichskanzler, der Chef der Heeresleitung, Seeckt und dessen Frau, die jüdischer Abstammung ist, verunglimpft werden, antisemitisch verunglimpft werden. Und daraufhin will die Reichsregierung den Völkischen Beobachter für eine gewisse Zeit, das war damals durchaus üblich, für eine gewisse Zeit verbieten. Dieses Verbot soll durchgesetzt werden durch die Reichswehr in Bayern, durch den Kommandeur der siebten Division, Otto von Lasso. Der weigert sich, weil er sich nicht in der Lage sieht, das Verbot durchzusetzen und weitere Unruhen befürchtet. Das ist das Schlimmste, das ist Befehlsverweigerung. So reagiert Seeckt auch. Er will ihn also entlassen und daraufhin setzt ihn Generalstaatskommissar Kahr als Landeskommandanten ein. Und dann gibt es eine Debatte: Soll die siebte Division auf die bayerische Regierung vereidigt werden? Soweit geht man nicht, sondern es kommt dann zu einer Verpflichtung, mit dem Ziel, nach Berlin trotzdem senden zu können, denn wir sind natürlich unserem Eid treu, aber wir haben hier in Bayern eine besondere Aufgabe. Das ist natürlich politisch überhaupt nicht durchzuhalten und entsprechend reagiert Seeckt auch. Aber es zeigt eben, dass zumindest in diesen Tagen noch nicht ganz klar ist, wo die Reichswehr in Bayern im Zweifel steht.

Dr. Pöhlmann: Es gibt im Vorfeld der Krise ja sogar zwei Szenarien, nämlich einmal das Szenario, dass die Reichswehr daraufhin auf München marschieren müsse und dort die Ordnung wiederherstellen müsse. Es gibt auch das andere Szenario, dass nämlich die Reichswehr in Bayern, sprich die siebte Division oder Teile davon, mit Unterstützung durch die rechtsradikalen Wehrverbände auf Berlin marschieren. Das haben Sie vorhin schon mal als Marsch auf Berlin bezeichnet.

Dr. Pöhlmann: Beide Szenarien sind natürlich ein Albtraum für jeden, der militärische Führungsverantwortung hat, wenn die Teile der eigenen Streitkräfte so diametral anders überhaupt gedacht werden können.

Dr. Tauber: Und das ist ja das, was Seeckt nicht nur 23, schon seit er in Führungsverantwortung ist, beschäftigt. Und wir erleben ja, dass das auch geschieht. Die Reichswehr wird in Mitteldeutschland, in Thüringen und Sachsen eingesetzt, um kommunistische Aufstände niederzuschlagen. In Bayern, und diese Ereignisse sind fast zeitgleich, schreckt man davor zurück, weil dort aber die Haltung der Reichswehr vor Ort nicht klar ist, sodass diese Frage am Ende unbeantwortet bleibt. Wie hätte sich die Reichswehr dann verhalten? Fest steht, dass Hitler schon vor dem Putsch weiß, dass er ohne die Reichswehr und die Landespolizei an seiner Seite nicht erfolgreich sein wird unter militärischen Gesichtspunkten. Deswegen sehen die Planungen, die sind rudimentär, ob die die Bezeichnung militärische Planungen verdienen, da würde ich ein großes Fragezeichen machen. Aber seine Planung sieht in der Tat vor, natürlich in die Kasernen zu gehen, die Waffen dort zu nutzen, die Reichswehr auf seine Seite zu ziehen. Er hat Verbindungsmänner in der Reichswehr. Einer seiner Lieblingsgenerale, Eduard Dietl, ist Hauptmann in einer Kompanie der Reichswehr und hat Glück in Anführungszeichen. Seine Vorgesetzten nehmen ihn bewusst aus der Schusslinie, im wahrsten Sinne des Wortes, damit er gar nicht in den Loyalitätskonflikt kommt. Ernst Röhm hingegen ist ganz klar, dass der sein Netzwerk in die Reichswehr nutzen wird. Und die spannende Frage, die ja dann erst im Moment entschieden wird, ist ja: Bleiben die Soldaten ihrem Eid treu, selbst wenn sie Sympathie und Nähe zu den Nationalsozialisten haben? Oder schlagen sie sich auf die Seite Hitlers?

Dr. Pöhlmann: Sind Sie darauf gestoßen, dass diese Diskussion um den Eid im Verlauf des Ereignisses geführt wird oder haben Sie damit später Probleme für sich selber auch gehabt? War diese Eiddiskussion damals, ich denke jetzt vor allen Dingen aus der Perspektive natürlich auch Wehrmacht und 20. Juli. Das ist ja, wäre ja schon eine Eiddiskussion, die da vorgelagert ist. Gab es die überhaupt?

Dr. Tauber: Also bei Dietl sieht man es zum Beispiel, der ist sozusagen auf dem Weg, den Putschisten die Tore zur Kaserne zu öffnen, wird von einem Vorgesetzten zurückgepfiffen, im wahrsten Sinne des Wortes, und unternimmt dann keine weiteren Versuche, die Putschisten zu unterstützen. Aber er wird auch mit seiner Kompanie nicht eingesetzt, um den Putsch niederzuschlagen. Ein anderer Kompaniechef, der Oberleutnant Braun, der stellt sich ganz bewusst in den Dienst und betont das auch. Das wird ihm später dann auch vorgeworfen. Er muss dann auch im Dritten Reich Deutschland verlassen. Er sagt: Ich lass auf den Hitler auch schießen, wenn das notwendig ist. Also da gibt es eine Auseinandersetzung darüber, wie man damit umgeht und ob man auf die, die da mitmarschieren, schießen lassen kann. Ein anderer Kompaniechef beschreibt das später und sagt: Die, die da marschiert sind, das sind ja Freunde, das sind Familienmitglieder gewesen. Wir kannten die auf der anderen Seite. Und dass wir trotzdem bereit waren zu schießen, das ist eigentlich das, was wir uns ans Revers heften, dass wir bereit waren, unseren Eid im Zweifel zu erfüllen, indem wir auf Familie, Freunde und Bekannte, ehemalige Kameraden, die da mitmarschiert sind, dass wir auf die geschossen hätten oder dann sogar im Falle der Landespolizei geschossen haben. Also darüber gibt es in der Tat eine Auseinandersetzung bei denen, die auf der anderen Seite stehen, und das sind ja eben mehrere Reichswehr-Soldaten, die als Infanterieschüler auf der Seite Hitlers marschieren. Gibt es diese Debatte auch? Die brechen eben ihren Eid. Und das Interessante ist, dass nur eine Handvoll die Reichswehr verlassen muss und Seeckt begründet diese Entscheidung damit, dass die Offiziere sich ihnen nicht in den Weg gestellt hätten. Das ist interessant, dass die Vorgesetzten an der Infanterieschule sie in Anführungszeichen gehen lassen, mitmachen lassen, dass kein Vorgesetzter da sagt, das geht nicht. Zumal die Schüler der Infanterieschule in München eben nicht auf die bayerische Regierung verpflichtet sind. Man denkt ja, man marschiert da jetzt mit Kahr und Lossow und Seißer. Da ist ja noch nicht klar, dass Hitler da alleine steht, sondern die sind der Überzeugung, sie dienen jetzt der nationalen Sache, marschieren mit und merken dann natürlich, dass sie eidbrüchig geworden sind. Und dann müssen fünf gehen und den Großteil nicht wegen der Offiziere, die sich nicht in den Weg stellen. Und Seeckt lässt sie später antreten. Der Lehrgang, die Schule werden aufgelöst, nach Ohrdruf verlegt. Das als Strafe zu sehen, das weiß ich nicht genau. Je nachdem, wie man Ohrdruf findet. Seeckt lässt sie dann antreten und spricht dann zu ihnen sinngemäß, er habe noch nie vor so vielen Hochverrätern gestanden. Und das ist angesichts des Ehrbegriffs, der dort in dieser Zeit eine ganz andere Rolle spielt als heute, natürlich eine starke Demütigung dieser jungen Männer und zeigt, dass es eine Auseinandersetzung um Loyalität und Eid natürlich gab.

Dr. Pöhlmann: Das zeigt auch, dass Sie bei Ihren Untersuchungen auch sehr stark in die einzelnen Personen auch reingegangen sind. Sie, das sind ja jetzt keine Entscheidungsträger, die Offiziersschüler, sondern das sind handelndes, Sie sind vielleicht nicht mehr handelnde. Es sind Leute, die in dieses Geschehen reingeworfen sind und sich dann je nachdem menschlich politisch bewähren oder nicht bewähren. Haben Sie da noch Figuren gefunden, die bis jetzt in der Literatur zum Hitlerputsch vielleicht uns noch nicht bekannt waren? Gibt es jemand, wo Sie sagen, da ist jemand, den habe ich entdeckt oder der verdient vielleicht noch eine besondere Betrachtung?

Dr. Tauber: Also es ist zumindest so, dass es ein paar Persönlichkeiten gibt, die auch relativ bekannt sind, die man aber nicht mit diesem Ereignis in Verbindung bringt. Der einzige dieser Infanterieschüler, der im NSNationalsozialismus wirklich Karriere gemacht hat, ist auch der Wortführer, der entlassen wird aus der Reichswehr, der spätere Gauleiter von Baden, Robert Wagner, der ist 23 einer der Wortführer als junger Leutnant. Es gibt andere, die auch 23 wirklich schon überzeugte Nationalsozialisten sind, die auch dann im Krieg bis zum General aufsteigen. Aber, und das ist interessant: Es gibt eine kleine Gruppe, eine Handvoll dieser jungen Infanterieschüler, die 23 ihren Eid brechen, die ihn später erneut brechen. Sie haben den 20. Juli erwähnt. Das heißt, wir haben eine Handvoll Männer, die, nachdem sie den Eid zugunsten Hitlers brechen und sich quasi auf seine Seite schlagen, den auf Hitler geleisteten Eid erneut brechen und am 20. Juli dafür auch ihr Leben geben. Und das ist deswegen ein interessantes Momentum, weil es natürlich nochmal Reflexion über den Eid erlaubt. Welchen Stellenwert hat er, wie wird er eingeordnet und wahrgenommen? Wie ist das auch mit der Treuepflicht? Nicht nur des Eidnehmers, auch des Eidgebers? Das ist eine Debatte, die unter Soldaten oder im Militär ja immer wieder geführt wird. Und da ist, glaube ich, gar nicht bei jedem so bewusst, dass diese Männer, die dann am 20. Juli zur Tat schreiten, Hitler schon mal in einem ganz anderen Kontext begegnet sind.

Dr. Pöhlmann: Wenn wir zu den Auswirkungen des Putsches vielleicht noch übergehen, sie zitieren ja den Historiker und politischen Publizisten Sebastian Haffner, der einmal schrieb, dass der Putsch von 1923 das Einzige gewesen sei, aus dem Hitler je gelernt habe. Können Sie das erläutern? Was bedeutet dieses Ereignis für den weiteren Weg Hitlers zur Macht oder auch zu Hitlers Persönlichkeit vielleicht?

Dr. Tauber: Ich bin nicht ganz sicher, ob der Satz von Haffner stimmt, aber er wiederholt sich in der Forschung ja immer wieder. Und Hitler hat diese Legende selber gebaut, indem er dann ja auch nicht nur Mein Kampf während der Festungshaft geschrieben hat, sondern danach immer gesagt hat, ihm sei dann klar gewesen: Gegen die bewaffnete Macht geht das nicht und man muss den Weg über die Parlamente gehen. Dass es gegen die bewaffnete Macht im Staate nicht geht, war ihm vorher schon klar. Deswegen ja auch das intensive Bemühen, Reichswehr und Polizei auf seine Seite zu ziehen, und deswegen auch diese Verzweiflung in dem Moment, wo klar war, dass Seißer und Lossow nicht mehr treu zur Fahne stehen. Aber natürlich das Bewusstsein, dass seine Macht noch nicht ausgereicht hat, um den Staat in Frage zu stellen und herauszufordern. Das prägt ihn und deswegen nimmt er ja auch Abstand. In den dreißiger Jahren gibt es ja wiederholt aus der Partei heraus Stimmen, die sagen: Jetzt müssen wir zur Tat schreiten, jetzt müssen wir erneut den Aufstand wagen, die Revolution ausrufen. Und das wehrt er jedes Mal ab. Und da prägt ihn sicherlich die Erfahrung von 1923 sehr. Ansonsten bleibt das Ereignis wirkungsmächtig im Nationalsozialismus, weil die Nationalsozialisten daraus ihren höchsten Feiertag machen und dann auch einen gesetzlichen Feiertag. In der Tat.

Dr. Pöhlmann: Vielleicht noch eine Ergänzung. Ich glaube, dass der Hitlerputsch für Hitler auch ein Moment war, wo er den Wert von Absprachen und von Bündnissen, von Koalitionen vielleicht auch neu verstanden hat, weil er eben sieht, die anderen haben mich hängen lassen, obwohl sie zugesagt haben, dass sie mitmarschieren. Und er vergisst es natürlich auch nicht: Bei der Säuberung der SASturmabteilung 1934 wird ja der frühere Generalstaatskommissar Kahr in Dachau inhaftiert und brutal ermordet. Also, dieses Ereignis hat er nicht vergessen und es ist ein Ereignis, was ihn sozusagen versichert darin. Man kann den anderen im politischen, rechten, rechtsextremen Lager letztlich nicht trauen. Und das ist sicher was, was dann 1932 oder 1930 bis 1933 wieder eine Rolle spielt, wenn er sozusagen den erneuten Weg an die Macht dann sucht.

Dr. Tauber: Was auch schon in ihm angelegt ist und sichtbar ist, ist dieses Prinzip, seine Art zu herrschen, möglichst wenige am Gesamtbild teilhaben zu lassen.

Dr. Pöhlmann: Was allerdings im November 1923 taktisch ein Fehler wohl war.

Dr. Tauber: Hitler fällt sozusagen in seine Rolle aus dem Weltkrieg zurück. Er ist sein eigener Meldegänger am Vormittag des 8. November. Er ist derjenige, der viele derjenigen, die er braucht, um den Putsch überhaupt ins Werk zu setzen, persönlich informiert und einen Teil seiner Weggefährten lässt er links liegen. Die informiert er eben nicht, die erfahren es über Dritte und sind natürlich auch gekränkt, weil sie sich zum engeren Führungszirkel um Hitler in der NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei gezählt haben. Also dieses Erratische, was ihm auch zu eigen ist, auch das ist da in der Tat schon angelegt. Also vieles, was man der Herrschaft Hitlers als typisch zuschreibt, sehen wir schon 23. Aber natürlich ist er auch erst auf dem Weg, die Person zu werden, die er dann 33 ist.

Dr. Pöhlmann: Das war auch noch mal ein wichtiger Hinweis, solche Ereignisse auch als Kommunikationsereignisse zu verstehen. Wie funktioniert es praktisch, eine große Zahl von Menschen zusammenzubringen an einem Ort mit einem bestimmten Ziel? Und das ist natürlich unter den technischen Gegebenheiten der Zeit, den kommunikativen Gegebenheiten auch noch mal eine ganz andere Sache, glaube ich, gewesen.

Dr. Tauber: Also, wir hatten ja darüber gesprochen, wie kann man diesen Putschversuch als militärisches Ereignis beschreiben? Und einer militärischen Planung würde ein Operationsplan zugrunde liegen und das existiert nicht. Das ist alles rudimentär. Es gibt einen Antritt, wenn man so will, der erfolgreich ist. Das ist die Besetzung des Wehrkreiskommandos durch Röhm, der aber nun mal erfahrener Soldat ist und deswegen auch weiß, wie er vorzugehen hat. Aber selbst das funktioniert nicht richtig, weil, auf der einen Etage sitzen die Putschisten und in der Etage darunter kommen Soldaten zum Dienst, merken: Hier stimmt irgendetwas nicht und gehen wieder völlig unbehelligt. Es gelingt auch nicht, die Kommunikation in die eigenen Hände zu bekommen. Die zentralen Stellen in der Stadt werden nicht besetzt. Es gelingt nicht, die Kasernen zu öffnen, die Waffen dort zu empfangen. Also, viele der angedachten Maßnahmen werden nicht umgesetzt und andere sind überhaupt nicht bedacht worden. Also, es gibt keinerlei Pläne, die Putschisten zu versorgen. Es wird ein Essen bestellt in den umliegenden Bierlokalen und das zeigt schon, dass eben man nicht von einer konzertierten Planung des Putsches sprechen kann.

Dr. Pöhlmann: Mit dem Ergebnis, dass der Putsch auch ein örtliches Ereignis geblieben ist und nicht mal bayernweit funktioniert hat. Was aber ganz sicher ein nationales Ereignis gewesen ist, ist der folgende Hochverratsprozess gegen die Putschisten vor dem Landgericht München 1924. Und der gilt allgemein ja als einer der größten deutschen Justizskandale. Können Sie vielleicht noch mal den Verlauf des Prozesses grob umreißen und vor allen Dingen die Urteile gegen die Verschwörer bewerten?

Dr. Tauber: Danke für das Bild, das finde ich sehr eindrücklich. Es ist ja in der Tat so, Hitler muss auch aus anderen Teilen Bayerns noch Unterstützer nach München bringen. Julius Streicher, der später im Nationalsozialismus als Herausgeber des Stürmers und als glühender Antisemit traurige Bekanntheit erlangt, kommt aus Nürnberg mit seinen Anhängern. Das heißt, der Putsch kann in Nürnberg überhaupt nicht ins Werk gesetzt werden, weil die Nationalsozialisten aus Nürnberg auf dem Weg nach München sind, aber gar nicht wissen genau, warum und wann sie da eintreffen sollen. Streicher kommt dann zu spät, die Reichswehr wird alarmiert, kommt nach München, und zu dem Zeitpunkt, als sie in München eintrifft, ist der Putsch längst niedergeschlagen. Dann kommt es in der Tat zu dem Prozess und der ist ein Justizskandal, das kann man gar nicht anders sagen. Hitler bekommt die Bühne, trifft auf einen verständigen Richter. Allein die Tatsache, dass der Prozess in München stattfindet, ist schon ein Skandal. Eigentlich hätte der Prozess vor dem Reichsgericht in Leipzig verhandelt werden müssen. Und das geschieht eben nicht, um in Anführungszeichen man glaubt, man müsse das der bayerischen Regierung zugestehen, kein Öl ins Feuer zu gießen. Hitler nutzt den Prozess perfekt als Bühne. Seine Monologe, die man auch von anderen Zusammenhängen später kennt, werden nicht unterbrochen. Er darf sich dort ausbreiten. Der Richter erklärt, dass man den Angeklagten ja nun nicht die redliche Absicht absprechen könne, etwas Gutes für die Nation erreichen zu wollen. Und deswegen kommt er eben auch mit einer sehr milden Strafe davon. Und auch die Haftzeit, die entsprechend beschrieben ist, ist natürlich nicht so angelegt. Und die Haftbedingungen sind auch nicht so angelegt, dass man erwarten könne, dass das zu Reue und Einsicht führt. Im Gegenteil.

Dr. Pöhlmann: Damit sind wir am Ende angekommen. Lieber Tauber, ich möchte mich für das spannende Gespräch bedanken. Eins ist klar, die Geschichte des Hitlerputsches ist auch ein Lehrstück über den Umgang der Demokratie mit ihren Feinden und damit nicht nur ein Thema für die Geschichtsbücher. Wir verabschieden uns damit für heute von unseren Hörerinnen und Hörern. Bleiben Sie dran. Empfehlen Sie „Zugehört“ weiter, alles Gute und bis zum nächsten Mal.

von ZMSBw Onlineredaktion

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