Kritik der Inneren Führung -Transkript

Kritik der Inneren Führung -Transkript

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13 MIN

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Herzlich willkommen zu„ Angelesen“ ,dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr“.

Heute stellen wir Ihnen das Buch „Kritik der Inneren Führung“ von Thomas Wanninger vor. Es trägt den Untertitel „Eine Konzeption der Wehrhaftigkeit in der Demokratie“ und erschien 2023 im Berliner Miles-Verlag.

„Wichtig ist, dass in der Bundeswehr gedacht und nicht nur gemacht und gejammert wird.“ Diese Aussage von Thomas Wanninger steht am Anfang eines Zeitungsartikels über sein Buch „Kritik der Inneren Führung“. Tatsächlich verfügen die Angehörigen der Bundeswehr über eine stark ausgeprägte Praxisorientierung, eine sogenannte can-do-mentality, wie sie vielen westlichen Armeen gemein ist. Genauso richtig ist es, dass Soldatinnen und Soldaten gerne die unzureichenden äußeren Rahmenbedingungen ihres Dienstes beklagen. Ihre Kritik an der fehlenden Planbarkeit von Personalmaßnahmen und Auslandseinsätzen sowie an der unzureichenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in Befragungen genauso deutlich dokumentiert wie ihr Verlangen nach größerer Wertschätzung ihres Dienstes in Politik und Gesellschaft. Ob die Kritik an den äußeren Rahmenbedingungen berechtigt ist oder wie der Einzelne mit den Widrigkeiten seines Dienstes zurechtkommt und dabei zufrieden oder sogar glücklich ist, das ist nicht Thomas Wanningers Anliegen. Er will, dass in der Bundeswehr mehr gedacht wird. Darunter versteht er vor allem das philosophische Denken. Schon auf den ersten Seiten findet der Leser Bezüge zu Cicero, Blaise Pascal oder Immanuel Kant. Später kommen noch Friedrich Schiller, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Emanuel Levinas hinzu. Und natürlich darf auch Carl von Clausewitz nicht fehlen. Den Ort für das philosophische Nachdenken sieht er in der Inneren Führung. Sie ist für ihn Geist und Seele der Bundeswehr. Damit wird die Absicht des Autors klar: Er will die Innere Führung mit philosophischen Begründungen auf eine feste konzeptionelle Grundlage stellen. Denn in den letzten Jahrzehnten sei sie immer stärker zu einem Konvolut von problembelasteten Themen geworden. Ursächlich dafür waren die politische Leitung und militärische Führung der Bundeswehr. Wie bei einer Bad Bank hätten sie alles Unangenehme an die Innere Führung und ihr Stammhaus, das Zentrum Innere Führung, ausgelagert. Damit wurde die Innere Führung zu einem Auffangbecken unterschiedlichster Themen, die nur schwer in einen inneren Zusammenhang gebracht werden konnten. Davor hatten im Übrigen bereits die Autoren des Handbuchs Innere Führung von 1957 gewarnt. Eine weitere Folge ist aber noch gefährlicher für die Akzeptanz der Inneren Führung: Sie wird in gewisser Weise der Kristallisationspunkt für die Klagen der Soldatinnen und Soldaten. Diese machen die Innere Führung verantwortlich für Missstände; zumindest werfen sie ihr vor, dass sie an den Missständen nichts ändert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass nicht alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr die Innere Führung als etwas besonders Wertvolles, Bewahrens- und Weiterentwicklungswertes begreifen. Umso wichtiger ist das Vorhaben des Autors, der Inneren Führung und damit der Seele der Bundeswehr einen neuen Geist einzuhauchen.

Schon im ersten Kapitel seines Buches diskutiert Thomas Wanninger die Frage, wie die Angehörigen der Bundeswehr zum Nachdenken über Innere Führung motiviert werden könnten. Dafür nimmt er einen Begriff von Oberst Dr. Sven Lange auf, der als Referatsleiter im Bundesministerium der Verteidigung eine neue „Meistererzählung“ über die Innere Führung angeregt hatte. Diese Meistererzählung, so Thomas Wanninger, müsse emotional mitreißen und Menschen in ihren Bann ziehen. Unter Bezugnahme auf den römischen Politiker und Schriftsteller Cicero stellt er ein Stufenmodell vor, wie diese aufgebaut sein sollte: In einem ersten Schritt müsse es darum gehen, eine emotionale Gemeinschaft zu schaffen. Anschließend erfolge eine Belehrung, was die Menschen erfreue, weil es ihnen gefalle, Interessantes und Neues zu erfahren. Diese Neugierde gelte es zu nutzen, um sie innerlich zu bewegen und dadurch zum Handeln zu ermutigen. Beispiele dafür seien die Rede des britischen Premierministers Churchill am 10. Mai 1940 nach der militärischen Niederlage in Frankreich oder die klassische Ansprache eines Feldherrn an seine Soldaten unmittelbar vor der Schlacht. Diesem Anspruch stellt sich auch Thomas Wanninger selbst, wenn er schreibt: „Das schon Bekannte der Inneren Führung lediglich neu zu erzählen, wird ... nicht die Aufgabe dieses Buches sein.“ Ganz im Gegenteil. Er will die Innere Führung philosophisch neu begründen und so die Neugierde der Soldatinnen und Soldaten sowie ihre Bereitschaft zum Mitdenken wecken. Dass hier eine gewisse Dringlichkeit besteht, verdeutlicht Thomas Wanninger mit einer anschaulichen Analogie, wenn er schreibt: „Die Innere Führung läuft in der Regel mit einem antiquierten Spielkonzept und veralteter Spieltechnik ein. Mit Sepp Herberger sollte heute keiner mehr zur WM fahren, der kann bei der heutigen Spielweise nicht einmal mehr sehen, wie der Ball fliegt.“

Was ist das Neue an Wanningers Denken? Zunächst einmal möchte er wegkommen von dem Stückwerk und Flickenteppich, mit dem Innere Führung bisher gedacht und zu Papier gebracht wurde. Statt eines wild gewachsenen Konvoluts mehr oder weniger sinnvoll verbundener Gedanken geht es ihm um eine strukturierte, philosophisch begründete Erzählung. Dabei will er gedanklich gründlich arbeiten. Sein Ziel ist es, Grundlagen der Inneren Führung zu schaffen, die selbst keiner Begründung mehr bedürfen. Er bezeichnet sie als deren Axiome. Sie dürfen allerdings nicht zu philosophisch abstrakt daherkommen, sondern müssten mit „Bildern aus dem gesellschaftlichen und dienstlichen Leben zum Sprechen...“ gebracht werden.

Sodann will er ihre immer wieder vorgebrachte Begründung mit Hilfe der deutschen Geschichte vor 1945 überwinden. Dies ist folgerichtig; denn Axiome sind zeitlose und nicht zeitgemäße Grundsätze. Ob er damit kritisiert, dass viele für die Weiterentwicklung der Inneren Führung Verantwortliche Historiker sind bzw. waren, sei dahingestellt. Nicht historische Ereignisse wie die aktive Beteiligung der Wehrmacht an einem verbrecherischen Eroberungs- und Vernichtungskrieg, sondern allgemeine, zeitlose Prinzipien der europäischen Geistesgeschichte sollen den Angehörigen der Bundeswehr Halt und Orientierung geben. Diesen Gedanken verfolgten im Übrigen bereits den Gründungsvätern der Inneren Führung. Im Handbuch Innere Führung von 1957 leiteten sie Aussagen zu Menschlichkeit sowie zu Verantwortung und Gewissen aus europäischen Traditionswerten ab. Diese sollten das Rückgrat bilden, das es den Soldatinnen und Soldaten ermöglicht, jederzeit Haltung in ihrem herausfordernden Beruf zu wahren. Bereits damals bedeutete Haltung, von der Wehrhaftigkeit der Demokratie überzeugt zu sein und für diese in und außer Dienst einzustehen.

Wanningers Argumentationsstrang kommt allerdings nicht ohne Bezug zu zeitgeschichtlichen Debatten aus. Er selbst fragt, was sich seit der ersten, wenn auch rudimentären konzeptionellen Begründung der Inneren Führung durch die Gründergeneration geändert habe. Dabei kritisiert er bestimmte Begriffsverständnisse als überholt. Beispielsweise müsse das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform neujustiert werden. Statt „Dem-Soldaten-Rechte-geben“ müsse die „Bereitschaft, dem wehrhaften Staat zu dienen“, in den Vordergrund gerückt werden. Politik und Gesellschaft müssten aufhören, die Streitkräfte in eine moralische Schmuddelecke zu stellen, was deren Integration behindere. Und auch die Sicherheitspolitik der letzten Jahrzehnte, die Deutschland wehrlos gemacht habe, müsse beendet werden. Kritisch sei hier angemerkt, dass Wanningers Einlassungen nicht auf die Gründergeneration der Inneren Führung zutreffen, sondern eher auf ihre Weiterentwicklung nach dem Ende des Kalten Krieges. Es gibt wohl kaum ein Dokument, das die Bereitschaft, dem Schutz der Demokratie zu dienen, so stark in den Mittelpunkt rückt wie das Handbuch Innere Führung aus dem Jahr 1957.

Thomas Wanninger setzt sich auch mit der neueren Literatur zur Inneren Führung auseinander. Der von Nicolas Holz in seinem Buch „Zurück in die Zukunft“ entwickelte Ansatz, die Innere Führung durch Revitalisierung der ursprünglichen Gedanken von Baudissin voranzubringen, passt nicht so ganz zu seinem Vorhaben, zeitlose Axiome zu begründen. Viel Sympathie zeigt er dagegen für Helmut Jermers Buch „Innere Führung kompakt“. Dieses Buch enthält eine zusammenhängende Meistererzählung, ist aber katholisch-christlich geprägt, was nicht jedermanns Sache ist. In Uwe Hartmanns Buch „Der gute Soldat“ findet er erste tragfähige Gedanken für die von ihm angestrebte zeitlose konzeptionelle Begründung.

In älteren sowie in neueren Veröffentlichungen wird Innere Führung oftmals als Umsetzung des Grundgesetzes in den Streitkräften definiert. Darunter kann sich jeder etwas vorstellen und es lässt sich leicht merken. Thomas Wanninger überrascht mit seiner Aussage, dass sich das Grundgesetz nicht als tragfähige Begründung für die Innere Führung eigne. Unter Bezugnahme auf das bekannte Diktum von Ernst-Wolfgang Böckenförde „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“ zeigt er auf, dass es darauf ankommt, dass die Bürgerinnen und Bürger über ein demokratisches Ethos verfügen, dass sie also die Demokratie wollen und sich dafür engagieren. Er überträgt Böckenfördes Diktum auf die Bundeswehr und schreibt: „Die freiheitliche, demokratische Armee lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann“. Sie sei abhängig von den politischen und moralischen Einstellungen der politischen Klasse sowie der Gesellschaft insgesamt. Die Definition, Innere Führung sei die Umsetzung des Grundgesetzes in den Streitkräften, geht Wanninger also nicht tief genug. Der Wille zur demokratischen Verfasstheit ist entscheidend. Denn aus diesem Willen ist ja wiederum auch das Grundgesetz mit seinem Artikel 12 „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“ entstanden. Wenn der Wille zur wehrhaften Demokratie eine feste Grundlage bildet, dann benötigt die Bundeswehr Mechanismen, wie diese Einstellungen gefordert und gefördert werden können – innerhalb der Streitkräfte, aber auch in der Kommunikation in die Gesellschaft hinein. Hinzu kommt: Forderungen wie diese müssen aus Einsicht befolgt werden können. Dies gelte auch für einen weiteren zentralen Grundsatz der Inneren Führung, nämlich den Gehorsam aus Einsicht. Bereits hier werden zwei wesentliche Zielsetzungen des Autors deutlich: Es geht ihm um zeitlose Maximen, die für Armeen in demokratischen Systemen schlechthin gelten, und es geht ihm um letzte Begründungen, die jeder für sich einsehen kann. Innere Führung ist ihm daher eher ein Prozess des gemeinsamen Nachdenkens und weniger eine von oben verordnete Doktrin. Dem Autor geht es um Geist, Haltung und Verantwortung im Aufgabenfeld der Bundeswehr.

Schauen wir uns nun also genauer an, wie Wanninger seine Innere Führung konzeptionell begründet. Der strategische Kern der Inneren Führung ist der demokratische Wille. Daraus sei alles weitere gedanklich abzuleiten. Allerdings gerät das Weiterdenken in die Fallstricke einer unauflösbaren Polarität des Militärischen. Zur Veranschaulichung dieser Polarität greift Wanninger auf den von Elmar Wiesendahl entwickelten und von Marcel Bohnert aufgenommenen Unterschied zwischen Athen und Sparta zurück. Hier stünden sich die Zivilität der Gesellschaft auf der einen und die militärische Professionalität des Militärs auf der anderen Seite gegenüber. Eine ähnliche Polarität entdeckte Sönke Neitzel in den tribal cultures der Kampftruppen im Unterschied zu den weniger kriegerischen Truppengattungen oder zwischen den Drinnies und Draußis der Einsatzkontingente. Zum Kern der Inneren Führung gehöre daher auch die Aufgabe, „im Spannungsfeld der Anforderungen eine Brücke zu schlagen zwischen beiden berechtigten Standpunkten und die zwei Seiten derselben Medaille zu vereinen.“ Diese Vereinigung erfolge nicht theoretisch in einer Synthese, sondern im konkreten Handeln der verantwortlichen Personen. Vor allem Vorgesetzte müssten darauf in besonderer Weise vorbereitet werden. Denn hier bewegten wir uns im Gebiet der Kunst und des Genies, wo Vorschriften und Regelungen nicht immer hülfen. Kein Wunder also, dass Thomas Wanninger viel Wert auf die Bildung des Vorgesetzten legt. „Ihm gilt“, so schreibt er, „die besondere Aufmerksamkeit, indem er professionell militärisch ausgebildet wird, er um die inneren Zusammenhänge und die genannten komplementären Widersprüche der demokratischen Streitkräfte weiß und dieses Wissen lebt. Zudem soll er möglichst von allem Störenden entlastet sein, damit er den Kopf frei hat, weil nur der Geist die Dinge bewegt.“

Werfen wir nun einen Blick auf die fünf Axiome, die der Autor im umfangreichsten Kapitel seines Buches erarbeitet. Gleich zu Beginn hebt er noch einmal deutlich deren Mehrwert hervor, wenn er schreibt: „Die Besinnung auf die fünf Axiome der Inneren Führung ist im Grunde nichts anderes als der Umzug der Inneren Führung aus dem staubigen Palast der Vorväter in ein übersichtliches Tiny House, wo man aber seine fünf Utensilien findet und damit gut leben kann.“ (67)

Das erste Axiom lautet: „Vom Geist beseelt – Das Wesen der demokratischen Streitkräfte lebt von Voraussetzungen, die weder der Staat noch die Streitkräfte selbst garantieren können.“ Der Autor nennt dieses Axiom das „Gesellschaftsprinzip“. Es komme darauf an, von welchem Geist eine Gemeinschaft beseelt sei. Aus diesem Geist erwüchsen seine Institutionen sowie seine Gesetze, auch für die Streitkräfte. Die innere Haltung der Bürgerinnen und Bürger zur Demokratie sei entscheidend für den Charakter der Streitkräfte. Sie müssten erkennen, dass Gleichgültigkeit gegenüber den Streitkräften nicht nur deren Einsatzbereitschaft untergräbt, sondern auch ihren eigenen Schutz. Für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bedeutete dies, dass sie als Staatsbürger in Uniform ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger auf diese Zusammenhänge hinweisen müssten. Jammern reiche nicht, auch Machen ist in solchen Situationen zu wenig. Es komme darauf an, nachzudenken und über die dabei gewonnenen Erkenntnisse das Gespräch mit Politik und Gesellschaft zu suchen. Explizit nimmt Thomas Wanninger auch den ersten Soldaten der Bundeswehr, den Generalinspekteur, in die Pflicht dieser Vermittlungsaufgabe.

Das zweite Axiom lautet: „Zur Freiheit berufen – Grundsätze der Inneren Führung einer demokratischen Streitkraft sind notwendigerweise zeitlos.“ Er nennt es das Demokratieprinzip. Damit wendet er sich gegen die geläufige Vorstellung, Innere Führung sei im Kern eine zeitgemäße Menschenführung, die sich neuen gesellschaftspolitischen, wissenschaftlichen und technologischen Rahmenbedingungen anpasst. Derartige Anpassungen könnten nur reaktiv erfolgen und kämen daher immer zu spät. Das Zeitgemäße sei ihr in die Wiege gelegt worden, weil sie in Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vor 1945 entstanden ist. Wie bereits angesprochen, rät der Autor dazu, diese historische Ableitung durch das zeitlose und allgemeingültige Denken über Demokratie und die Rolle, die Streitkräfte zu deren Schutz spielen, in den Vordergrund zu rücken. Um es plakativ auf den Punkt zu bringen: Vor allem Philosophen und Politikwissenschaftler sollten die Innere Führung voranbringen.

Für die Umsetzung der Inneren Führung im Dienstalltag kommt es auf die Vorgesetzten an. Sie sollen die Axiome für die Angehörigen ihrer Dienststelle bzw. Einheit erlebbar machen. Dabei sollten sie nicht durch Vorschriften oder bürokratische Regelungen gegängelt werden. Der Trend im Bürokratiemonster Bundeswehr, immer neue Regelungen zu schaffen, zerstört den Geist der Freiheit und verstellt die Sicht auf die für eine wehrhafte Demokratie wichtige Verantwortung des Einzelnen. Thomas Wanninger plädiert eindringlich dafür, den demokratischen Willen von Vorgesetzten zu stärken und sie durch Bildung dazu zu befähigen, trotz der unauflösbaren Widersprüchlichkeiten ihres Berufes verantwortbare Entscheidungen zu treffen.

Hierfür bieten die Axiome drei bis fünf wertvolle Anregungen. Der Autor begründet beispielsweise, warum Vorgesetzte als stimmige Personen wahrgenommen werden sollten. Im Streben nach Identität müssen sie aber immer auch den Anderen im Blick behalten. Dazu fordert vor allem die Pflicht zur Kameradschaft auf. Im Lied „Vom guten Kameraden“ heißt es: „Er liegt zu meinen Füßen als wäre es ein Stück von mir.“ Diese Zeile belege genau das, worum es für den Soldaten geht und was zu seinem Beruf untrennbar gehört, nämlich töten und getötet werden. Und eben auch die gemeinsame Hoffnung zu überleben und wenn dies für den Kameraden nicht gelingt, stirbt auch ein Teil von mir. Die eigene Fähigkeit, im Krieg existieren zu können, hängt vom Anderen ab.

Thomas Wanningers Axiome gelten für alle Armeen in demokratischen Staaten. Damit öffnen sich Denkhorizonte für gemeinsame Initiativen in NATO und EU. Der Autor geht nicht darauf ein, aber tatsächlich gibt es bereits multinationale Verbände, deren gemeinsame Mitte auf einem demokratischen Ethos beruht und nicht auf einer gemeinsamen Geschichtserzählung.

Insgesamt ist die Beweisführung des Autors philosophisch konsequent und daher ungewohnt. Er will, dass Offiziere sich mehr Zeit für das Denken nehmen. Nicht nur in militärfachlichen Dingen, sondern auch über die unvergänglichen Grundlagen ihres Berufs in einer Demokratie. Es wäre für die Weiterentwicklung der Inneren Führung sehr hilfreich, wenn die Universitäten der Bundeswehr die Innere Führung als Lehrfach in ihre studienbegleitenden Curricula aufnehmen könnten. Auf diese Weise würden Offiziere das, was Generationen von Offizieren und Wissenschaftlern über Demokratie und Militär gedacht haben, lernen und weiterentwickeln. Einrichtungen wie die Führungsakademie der Bundeswehr und die Offizierschulen könnten daran anschließen und über deren praktische Umsetzung nachdenken. Dazu müsste allerdings ein entsprechender Bedarf des BMVgBundesministerium der Verteidigung und der Organisationsbereiche der Bundeswehr formuliert werden.

Thomas Wanninger hat mit Klugheit und einer gehörigen Portion Mut das Tor für eine neue Meistererzählung zur Inneren Führung aufgestoßen. Im Kern geht es um den Willen zur Demokratie, das verantwortliche Handeln in Freiheit und das gemeinsame Nachdenken über Wehrhaftigkeit in Politik, Gesellschaft und Bundeswehr. Die Innere Führung würde so von Nebensächlichkeiten entschlackt; als „tiny house“ mit wenigen Axiomen wäre sie für alle überzeugender und damit auch hilfreicher.

Das war „Angelesen“, das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute zum Buch von Thomas Wanninger, Kritik der Inneren Führung. Eine Konzeption der Wehrhaftigkeit in der Demokratie.

von Dr. Uwe Hartmann

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