Kleine Geschichte Afghanistans-Transkript

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Herzlich willkommen zu „Angelesen“, das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr! Heute stellen wir Ihnen erneut ein Buch von Conrad Schetter vor. Es trägt den Titel Kleine Geschichte Afghnaistans. Das rund 150 Textseiten umfassende Buch erschien in 5. Auflage im Jahr 2022 im C.H. Beck-Verlag in München.Um das Thema Afghanistan ist es angesichts der Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen ruhig geworden. Wer sich dennoch dafür interessiert, wird vor allem in der angelsächsischen Literatur fündig. Deutsche Veröffentlichungen sind eher selten. Umso erfreulicher ist es, dass ein schmaler Band der Reihe Kleine Geschichte aus dem C.H.Beck-Verlag in München zu diesem Thema vorliegt. 
Der hier vorzustellende Band Kleine Geschichte Afghanistans entstammt der Feder eines Experten für das Land am Hindukusch. Conrad Schetter ist Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Bonn und wissenschaftlicher Direktor des Bonn International Center for Conversion. Bereits in seiner Dissertation aus dem Jahre 2001 beschäftigte sich der Historiker mit der ethnischen Vielfalt und den daraus entstehenden Konflikten in Afghanistan. Mit seiner kleinen Geschichte Afghanistans, die erste Auflage erschien bereits 2004, gelingt es Conrad Schetter, seine umfangreichen wissenschaftlichen Studien auf rund 150 Druckseiten leserfreundlich zu komprimieren. Der Band, nach Auffassung des Autors die erste deutschsprachige Gesamtdarstellung der Geschichte Afghanistans, ist klar in eine Einleitung und in 14 Kapitel gegliedert. Hier wird die fünfte aktualisierte und erweiterte und derzeit aktuelle Auflage aus dem Jahre 2022 vorgestellt.
Der Bonner Historiker beginnt mit dem Mythos Afghanistan, der sich aus der langen Geschichte und den noch heute präsenten archaischen Gesellschaftsstrukturen speist. Dieser „Gegenpol der zivilisierten Welt“, so Schetter, übte aber zugleich auch eine magische Faszination, ja Sehnsucht und Bewunderung aus. Nicht umsonst war Kabul in den 1960/70er Jahren neben Katmandu und Kuta ein Sehnsuchtsort für Hippies. 
Die Wirklichkeit vor Ort wurde und wird bis heute nach Schetter von fünf Grundkonstanten der afghanischen Geschichte geprägt: 

•    Der raue, abweisende Naturraum mit hohen Gebirgszügen und schwer zugänglichen Tälern als ungünstige Voraussetzung für Herrschaftsausübung
•    der eklatante Gegensatz zwischen Stadt und Land
•    der extreme Partikularismus, der Klientel- und Patronagesysteme fördert
•    eine starke kulturelle Zerklüftung
•    sowie die häufige, meist negative Einflussnahme durch fremde Mächte.

Der Autor betont in seiner Einleitung zudem die besonderen afghanisch-deutschen Beziehungen, die gerade im 20. Jahrhundert von gegenseitigem Respekt geprägt und bei den Afghanen in guter Erinnerung waren. Die Bundesrepublik knüpfte 2001 als Gastgeber für die Friedensverhandlungen an diese Wurzeln der Zusammenarbeit an, wurde aber später als Teil der ISAFInternational Security Assistance Force-Schutztruppe von vielen Einheimischen als Parteigänger des Westens betrachtet.
Im ersten und für das Verständnis des gesamten Bandes wichtigen Kapitel mit der Überschrift Afghanistan – ein kulturelles Mosaik vertieft der Autor bereits einige der von ihm definierten historischen Grundkonstanten und weist darauf hin, dass sich das Land keinem Kulturraum eindeutig zuordnen lässt, stets ein Durchzugsgebiet war. Dadurch entwickelte sich eine kulturelle und ethnische Vielfalt mit nachweislich über 30 verschiedenen Sprachen, was sich negativ auf die Bildung eines Staatswesens nach westlichem Muster auswirkte. Dies wird auch anhand zweier Karten auf den Seiten 21 und 25 deutlich. Erst spät setzten sich Dari, die afghanische Variante des Persischen sowie Paschtu, die Sprache der Paschtunen durch.
In den Kapiteln 2 bis 14 skizziert Schetter dann rund 2600 Jahre afghanische Geschichte, dessen Ursprünge er mit den Erzählungen Herodots über die Gebiete im damaligen Perserreich im 6. Jahrhundert vor Christus beginnen lässt. Weit davor erkennt der Autor aber bereits im zweiten Jahrtausend vor Christi Geburt die sogenannten Indoarier, die aus Gebieten des heutigen Iran, Usbekistan sowie Turkmenistan über den Khaiber-Pass in die nordindische Tiefebene vorstießen. Das von ihnen eroberte Land nördlich des Hindukusch nannten sie Ariana. Später trafen hier iranische, indische und mit den nomadischen Reitervölkern auch zentralasiatische Kulturen aufeinander, meist an bedeutenden Raststationen für Karawanen aus Mesopotamien nach Indien. Zahlreiche Fürstenherrschaften lösten sich ab, erwähnenswert sind das Griechisch-baktrische Reich (Mitte 3. bis 1. Jhd. v. Chr.) sowie das Kuschan-Reich (45-173 n. Chr.). Ersteres entstand im Norden Afghanistans nach dem Tod Alexanders des Großen. Über Münzfunde und Siedlungsreste konnte die Existenz griechischer Könige in dieser abgelegenen Region nachgewiesen werden. Das Kuschan-Reich wiederum war eines der größten Herrschaftsgebiete der Spätantike und geht auf Nomaden zurück, die aus der heutigen chinesischen Provinz Gansu stammten. Die Kuschana setzten sich gegen andere Dynastien durch und erreichten unter Kaiser Kanischka I., der von 127 v. Chr. bis 140 v. Chr. regiert haben soll, ihren Höhepunkt. Erste Buddha-Darstellungen und andere Kunstwerke aus dieser Zeit werden als Grundlagen der klassischen indischen Kultur gesehen. Nach rund zweihundert Jahren lösten die persischen Sassaniden diese Herrschaft ab. Das Sassanidenreich gilt als zweites persisches Großreich des Altertums und erstreckte sich über Gebiete der heutigen Staaten Iran, Irak, Aserbeidschan, Turkmenistan, Pakistan sowie Afghanistan. Die in der Forschung auch als Neupersisches Reich bezeichnete Herrschaft der Sassaniden bestand von 224/26 bis 642/651 n. Chr. und stand in Konkurrenz zum Römischen, später oströmischen Reich.
Die Ausbreitung des Islam und der Mongolensturm. Im dritten Kapitel betrachtet Schetter zwei prägende Phasen für die historische Entwicklung Afghanistans, die Ausbreitung des Islam und den Mongolensturm. Dem Vordringen der Araber aus dem Süden waren die Sassaniden nicht gewachsen und so folgten im Zuge der arabischen Eroberungen in Persien und Zentralasien verschiedene islamische Dynastien, die das Gebiet des heutigen Afghanistans bis ins 16. Jahrhundert hinein beherrschten. Architektonische Zeugen dieser Hochkulturen, vor allem Moscheen und Minarette, finden sich noch in Ghazni, in den Ruinenstädten Laschkar-i-Bazar und Qala-i-Bost oder in Herat.
Die Mongolenzüge unter der Führung von Dschingis Khan und Timur Leng oder auch Tamerlan im 13. und 14. Jahrhundert brachten dann jedoch Tod und Verwüstung und hatten ähnlich verheerende Auswirkungen wie der Dreißigjährige Krieg in Mitteleuropa. Lediglich Herat profitierte als Machtbasis der Timuriden und entwickelte sich im 15. Jahrhundert zu einer wohlhabenden und kultivierten Stadt. Die dort praktizierte Buchkunst erlangte Weltruhm, noch heute ist das Mausoleum der Königin Gauhar Shad als Beispiel timuridischer Baukunst zu bewundern. 

Die Gründung paschtunischer Reiche

Das vierte Kapitel ist den ersten paschtunischen Reichen im 18. Jahrhundert und Anfang des 19. Jahrhunderts gewidmet. Diese bilden bis heute die Wurzeln der Macht vor Ort, um welche die Nachfahren der Durrani mit den miteinander konkurrierenden Sadozai aus dem Stamme der Popalzai und den Mohammadzai aus dem Stamme der Barokzai auf der einen und die Ghilzai auf der anderen Seite noch heute kämpfen. Nicht umsonst wird diese Zeit als „dunkles Kapitel der Bruderkriege“ bezeichnet. Doch Schetter beginnt viel früher, um den Aufstieg der Paschtunen erklären zu können. Seit dem 16. Jahrhundert war demnach das heutige Afghanistan für über 200 Jahre Grenzgebiet dreier Reiche, das der nordindischen Mogulen, der Safiwiden in Persien und der zentralasiatischen Schaibaniden. Dabei gehörten wesentliche Teile des heutigen Afghanistans zum Mogul-Reich. Mit Statthaltern und wenigen Besatzungstruppen wurden lediglich die Handelswege kontrolliert, was zu einem Machtgewinn verschiedener Stämme, vor allem der Paschtunen, führte. Zwei paschtunische Stämme, die Ghilsai und die Abdali in den Regionen um Kandahar und Herat, gewannen so an Einfluss und Macht. 1709 gelang es Mir Wais Hotak, einem Stammesführer der Paschtunen, hier der einflussreichen Ghilsai, ein kleines Königreich mit Kandahar als Zentrum zu gründen. Vorausgegangen war der Versuch der persischen Safawiden, den schiitischen Islam als Staatsreligion durchzusetzen und die sunnitischen Paschtunen gewaltsam zu bekehren. Diese grundlegende religiöse Auseinandersetzung zwischen Schiiten und Sunniten ist bis heute eine Wurzel des Unfriedens. Zwanzig Jahre später wurden die Paschtunen jedoch vom Safawiden-General Nadir Sha vertrieben. Ihm gelang es, ein persisches Reich vom Kaspischen Meer bis nach Nordindien aufzubauen, ehe er 1747 ermordet wurde. Ihm folgte Achmad Sha, ein Angehöriger der einflussreichen Abdali, der sich ein großes Herrschaftsgebiet mit der Hauptstadt Kandahar erkämpfte. Der Stamm der Abdali benannte sich später, nach dem Titel durr-i durran (Perle unter Perlen) Ahmad Shas in Durrani, um. Obwohl die Herrschaft der Durrani eher ein lockerer Verbund verschiedener Stämme war, gilt diese als der Ursprung des heutigen Staates Afghanistan. Ein Zentralstaat war zu dieser Zeit jedoch noch in weiter Ferne, der Thron in der neuen Residenz Kabul blieb stets zwischen den Durrani und den Ghilsai und deren zahlreichen Clans umkämpft. Kurzlebige Allianzen und gewaltsame Konflikte führten zur Bildung regionaler Machtzentren, die in Konkurrenz zu Kabul standen, sowie zum Verlust wichtiger Provinzen an das Reich der Sikh. Der wachsende Einfluss Russlands und Großbritanniens in dieser Region ab den 1830er Jahren führte zu erneuten Kämpfen und Unruhen, wie Schetter in seinem fünften Kapitel beschreibt. Die afghanischen Gebiete wurden von beiden Großmächten als „Pufferzone“ genutzt, die afghanischen Herrscher wiederum nutzten diese geostrategische Lage für ihre eigenen Interessen. Der Autor und andere Historiker wie Jörg Baberowski sehen im russländischen Reich und dem britischen Empire die Geburtshelfer der afghanischen Staatlichkeit. Dieses „Great Game“, wie es der britische Literaturnobelpreisträger Rudyard Kipling in seinem Roman „Kim“ aus dem Jahre 1901 nannte, führte zu drei Anglo-afghanischen Kriegen. Die Absicht Londons war, Afghanistan unter britische Herrschaft zu bringen, ehe russische Truppen aus dem Gebiet des heutigen Turkmenistans in das Land einmarschieren konnten. Der erste Krieg (1838-1842) endete für die Briten 1842 in einer Katastrophe, nachdem rund 17.000 Soldaten und Zivilisten trotz eines vereinbarten freien Abzuges massakriert worden waren. Eine darauffolgende britische Strafexpedition führte zu keiner Beruhigung der Lage. Vielmehr mussten sich die Briten schließlich nach Britisch-Indien zurückziehen.
Vom Stammesfürstentum zum Staat
Auf die Entwicklung Afghanistans vom Stammesfürstentum zu einem mehr oder weniger modernen Staatswesen geht Schetter in seinem sechsten Kapitel ein. 1878 sah sich London aufgrund der Annäherung des mittlerweile herrschenden Emirs Scher-Ali an Russland erneut dazu veranlasst, militärisch einzugreifen. Dieser zweite Versuch führte dazu, dass Afghanistan unter der Herrschaft des „eisernen Emirs“ Abdur Rahman, der als der Schöpfer des modernen afghanischen Staates gilt, ein halbautonomes Protektorat Britisch-Indiens wurde. In seiner Regierungszeit schlug er mehr als 40 Aufstände nieder. 1893 erfolgte mit der Durand-Linie die bis heute zwischen Afghanistan und Pakistan umstrittene Grenzziehung durch paschtunisches Stammesgebiet. Emir Habibullah I., der Sohn von Abdur Rahman, erzielte 1907 ein Abkommen mit Russland, das die Unverletzlichkeit des afghanischen Staatsgebietes garantierte. Großbritannien wiederum sicherte nun St. Petersburg zu, sich nicht mehr in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einzumischen. Emir Amanullah setzte die Politik seines Vaters Habbibullah fort. Nach einem kurzen Krieg gegen die Briten konnte 1919 die Unabhängigkeit Afghanistans im Vertrag von Rawalpindi festgeschrieben werden. Dies gelang, weil die äußere Bedrohung zu einer zeitlich befristeten Einheit der verfeindeten Stämme geführt hatte. Britische Subsidienzahlungen und Militärhilfe stützten die Herrschaft des Emirs, der dadurch eine mehr oder weniger anerkannte Zentralregierung etablieren konnte. Um diese allerdings gegen die Stämme zu sichern, schottete er sich gegen das Ausland ab und verhinderte so die Modernisierung des Landes. Seine politischen Auffassungen orientierten sich an Kemal Atatürk, was seine konstitutionelle Verfassung von 1923 zeigte. Auch er wollte die Trennung von Kirche und Staat und nannte sich daher seit 1926 nicht mehr Emir sondern Padschah, also König. Diese Neuerungen trafen jedoch in der afghanischen Gesellschaft auf wenig Verständnis und führten zu seinem Sturz. Sein Sohn Inayatulla konnte sich nur drei Tage auf dem Thron halten, ehe der anhaltende Volksaufstand zu neuen Herrschaftsstrukturen führte. An die Macht kam schließlich ein Tadschike, der das religiöse Emirat wieder einführte und sich Emir Habibullah der Zweite nannte. Die Herrschaft eines Nicht-Paschtunen war jedoch mindestens genauso umstritten und währte daher ebenfalls nur kurz. Mit Nader Schah, einem Mohammadzai, kam 1929 wieder ein Paschtune an die Macht. Dabei half ihm eine grenzüberschreitende Allianz aus paschtunischen Stämmen.
Zwischen Tradition und Fortschritt, so der Titel des siebten Kapitels, charakterisiert die spannenden Jahre zwischen 1930 und 1968. Nach vier Regierungsjahren wurde Nader Shah 1933 das Opfer eines Anschlages. Sein Sohn Saher Shah folgte ihm auf den Thron, wobei er selbst erst 1963 persönlich die Führungsrolle übernahm. Vorher regierten Verwandte. Zaher Shahs Herrschaft als konstitutioneller Monarch dauerte bis 1978 und gingen als das „Goldenes Zeitalter“, so auch die Überschrift des achten Kapitels, in die Geschichte des Landes ein. Er brachte dem Land Stabilität und ließ ausländische Entwicklungshilfe in großem Umfange zu. In seine Regierungszeit fällt auch die enge Zusammenarbeit mit dem Deutschen Reich. Fabrikanlagen, Kraftwerke und Straßen, beziehungsweise deren Reste, zeugen noch heute davon. Die Aufbaujahre zwischen 1933 und 1973 hatten allerdings einen hohen Preis, war doch das Land am Hindukusch durchgängig von ausländischen Geldgebern abhängig. Ende der 1960er Jahre arbeiteten über 800 deutsche Spezialisten in Afghanistan, dem Aushängeschild deutscher Entwicklungshilfe. Von 1968 bis 1978 war Kabul zudem ein beliebtes Reiseziel für Hippies auf dem Weg nach Indien, wobei das qualitativ hochwertige afghanische Haschisch eine wichtige Rolle spielte.
Im Sommer 1973 stürzte Mohammed Daoud Khan seinen Vetter und Schwager und wurde der erste Staatspräsident einer neuen Republik. König Mohammed Zahir Shah ging ins Exil nach Rom und sollte erst 2002 wieder zurückkehren. Daouds Macht stützte sich auf das Militär, wohingegen die traditionellen Eliten unter seiner autoritären Führung litten. Fünf Jahre später putschten in der sogenannten April- oder auch Saur-Revolution Anhänger der leninistisch-marxistischen Volkspartei gegen Daoud und töteten ihn und seine Familie. 

Kommunistischer Staatsstreich und der Afghanistankrieg

Im neunten und zehnten Kapitel geht der Autor dann auf die Jahre von 1978 bis 1988 ein, die vom Staatsstreich der Kommunisten, dem Einmarsch der sowjetischen Streitkräfte und dem Krieg in Afghanistan geprägt waren. Die neuen kommunistischen Machthaber setzten auf Reformen, die sich gegen die traditionellen Eliten im und vor allem auf dem Land richteten. Dort wurden die Reformen wiederum als Versuch einer städtischen Elite angesehen, die traditionell islamisch geprägten Wirtschafts- und Sozialstrukturen zu zerstören. Zwischen 50.000 bis 100.000 Menschen sollen diesem Regime zum Opfer gefallen sein, was zu lokalen Aufständen führte. Moskau unterstützte das Regime, da es Afghanistan zum sowjetischen Interessensbereich zählte. Der neue Präsident Hafisullah Amin wollte sich jedoch von Moskau ab- und den USAUnited States of America zuwenden. Dies war für Moskau der Auslöser, 1979 militärisch einzugreifen. Eine sowjetische Spezialeinheit tötete Amin, sowjetische Truppen besetzten das Land und kämpften gegen die von den USAUnited States of America unterstützten Mudschaheddin und die einheimische Bevölkerung. Es entwickelte sich ein Stellvertreterkrieg der Supermächte. Bis 1989 waren über 120.000 sowjetische Soldaten in Afghanistan eingesetzt. Der irreguläre Krieg mit Überfällen und Hinterhalten sowie der brutale und unmenschliche Kampf Mann gegen Mann kostete rund 15.000 Sowjetsoldaten und über 1,3 Millionen Afghanen das Leben. Über sieben Millionen Menschen waren auf der Flucht ins nahe Ausland. Bis heute prägen die enormen Verschiebungen der ethnischen Gruppen zu Lasten der Paschtunen die afghanische Gesellschaft. Ebenso nehmen bis heute die zahlreichen Parteien des damaligen Widerstandes auf die Entwicklung des Landes Einfluss.

Bürgerkrieg, die Herrschaft der Taliban und die internationale Intervention

Die letzten drei Kapitel beschäftigen sich mit dem Bürgerkrieg, der Herrschaft der Taliban und der internationalen Intervention in Afghanistan nach dem 11. September 2001. Nach dem Genfer Friedensabkommen vom April 1988 folgten Jahre des Bürgerkrieges, die vor allem von der Rivalität zwischen Achmad Schah Massud und dem vom pakistanischen Geheimdienst ISIIslamischer Staat im Irak (Inter-Service Intelligence) geförderten Gulbuddin Hekmatyar geprägt waren. Viele Nachbarstaaten nahmen Einfluss auf die Bürgerkriegsparteien und erschwerten eine politische Lösung. Das Land zerfiel in zahlreiche Machtbereiche einzelner Kommandeure und Warlords wie Abdul Ali Masari, Abdul Raschid Dostum oder Ismail Khan. Wie so oft in der Geschichte des Landes scheiterte die Etablierung einer Zentralmacht. 1996 marschierten dann die Taliban in Kabul ein und töteten den früheren Präsidenten Mohammed Nadschibullah. Pakistan und Saudi-Arabien erkannten die neuen Machthaber an, die sich allerdings erst noch gegen die Nordallianz durchsetzen mussten. Ihr stärkster Gegner Achmad Schah Massud kam bei einem Attentat im September 2001 ums Leben. Bei großen Teilen der Bevölkerung standen die Taliban mit ihren strengen, religiös motivierten Regeln für Stabilität und Ruhe. Ihr Islamisches Emirat Afghanistan sollte ein Gottesstaat werden, in dem die Gesetze der Scharia sowie der paschtunische Verhaltenskodex (Paschtunwali) herrschten. Der einäugige Talibanführer Mullah Omar aus dem Hotak-Ghilsai-Clan sah sich selbst in direkter Nachfolge des Gründers des ersten Paschtunenreiches im Jahre 1709 und nannte sich Herrscher der Gläubigen. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 führten die USAUnited States of America mit der Operation „Enduring Freedom“ Krieg gegen den internationalen Terrorismus, zu dessen Rückzugsorten auch Afghanistan gehörte. Die Weigerung der Taliban, den Drahtzieher der Terroranschläge, Osama bin Laden auszuliefern, löste Militäroperationen der USAUnited States of America und der Nordallianz aus. Ende November war der Widerstand der Taliban gebrochen, die letzten Kämpfer flohen in ihre paschtunischen Stammesgebiete in der Grenzregion zu Pakistan.
Die folgenden 20 Jahre waren durch das politische, finanzielle und militärische Engagement des Westens, den Versuch, einen nach westlichem Muster funktionierenden Staat aufzubauen, und den Kampf gegen die Taliban und andere Gruppierungen, die an keinem Frieden in Afghanistan interessiert waren, geprägt. Der überstürzte Abzug der westlichen Truppen im Sommer 2021 und die rasche Machtübernahme durch die Taliban verdeutlichen erneut, dass externe Mächte in Afghanistan zum Scheitern verurteilt sind.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Conrad Schetters Kleine Geschichte Afghanistans einen sehr guten und pointiert geschriebenen Überblick über die komplexe und nicht einfach zu erzählende Entwicklungsgeschichte des Landes am Hindukusch bietet. Vor allem die Komplexität der afghanischen Gesellschaft mit ihrer ethnischen Vielfalt und dem damit verbundenen Kampf der Stämme und Clans untereinander, das Fehlen einer landesweit anerkannten Zentralregierung, die Einflussnahme von Großmächten aber auch Nachbarstaaten wie Pakistan und nicht zuletzt die religiös motivierten Konflikte vor allem zwischen Sunniten und Schiiten waren und sind nach Schetter die historischen Konstanten, die Afghanistan auch heute und wohl auch in Zukunft nicht zur Ruhe kommen lassen. 
 

von Helmut R. Hammerich

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