Johann Adolf Graf von Kielmansegg- Transkription

Johann Adolf Graf von Kielmansegg- Transkription

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Herzlich willkommen zu „Angelesen! Dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. In dieser Folge von Angelesen, dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr stellen wir das Buch von Karl Feldmeyer und Georg Meyer, Johann Adolf Graf von Kielmansegg 1906-2006. Deutscher Patriot, Europäer, Atlantiker vor. Es erschien im Jahr 2007 im Mittler-Verlag. 2006 starb mit dem 1906 geborenen Johann Adolf Graf Kielmansegg einer der fünf militärischen Gründerväter der Bundeswehr. Adolf Heusinger lebte von 1897 bis 1982 und der ebenfalls 1897 geborene Hans Speidel starb 1984. Wolf Graf Baudissin, 1907 geboren war 1993 gestorben. Mit dem 1912 geborenen Ulrich de Maizière starb dann ebenfalls 2006, ein halbes Jahr nach Kielmansegg, der letzte der Gründerväter. Alle fünf hatten seit 1950/51 die Bundeswehr zunächst geplant, sie ab 1955 aufgebaut und an deren Integration in die NATO-Streitkräfte in Europa mitgearbeitet. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt veröffentlichte 2007 einen von Karl Feldmeyer und Georg Meyer verfassten biografischen Essay. Feldmeyer lebte von 1938 bis 2016 und war lange Jahre Hauptstadtkorrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in Bonn und Berlin. Der 1937 geborene Meyer gehörte bis 2002 dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt an; er verstarb 2022. Mit seinen Großbeiträgen im 1987 bis 1993 erschienen Reihenwerk „Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik“ des Forschungsamtes und mit seiner Heusinger-Biografie gehörte Meyer zu den profunden Kennern der frühen Bundeswehrgeschichte. Gleiches gilt für den im heutigen Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr tätigen Historikerstabsoffizier Helmut R. Hammerich. Er ergänzte den Band mit einer vom Umfang mehr als doppelt so großen Auswahl von Dokumenten. Der Leser mag diese als Ergänzung des Essays oder den Essay als Führer durch die Dokumente lesen. Der Graf stammte aus eher bescheidenen adeligen Verhältnissen. Dank seiner Herkunft, seiner intellektuellen Anlagen und seines gewandten Auftretens machte er Karriere, nachdem aus der kleinen Reichswehr 1935 die Wehrmacht hervorgegangen war. Der Kavallerieoffizier wechselte zu den motorisierten und gepanzerten Truppen, absolvierte die Generalstabsausbildung. Er nahm im Laufe des Krieges verschiedene Stellen als Generalstabsoffizier, Bataillons- und Regimentskommandeur wahr. Die Darstellung seiner Militärbiografie bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges beruht im Wesentlichen auf retrospektiven Selbstzeugnissen. Sie vermitteln das bekannte Narrativ: monarchistisch-nationalkonservativ sozialisiert, fremdelte man zwar mit SASturmabteilung, SSSchutzstaffel, NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei und manchen ihrer totalitären Maßnahmen. Die Überwindung der Friedensordnung von Versailles, die Aufrüstung und schließlich die Kriegspolitik Adolf Hitlers begrüßte man und trug sie zunächst entschlossen mit. In diesem Sinne führte Kielmansegg 1940 die vermeintlich unpolitischen Offizierstugenden der Reichswehr wie Ehre, Standesbewusstsein, Bildung, Frömmigkeit und Anstand mit dem nationalsozialistischen Ideal des politischen Soldaten zusammen. Am politischen Soldaten sollte Kielmansegg nach dem Krieg festhalten. Unter bewusster Bejahung des Vorranges der Politik vor dem Militär wollte er den Soldaten 1953 in die demokratische Gesellschaft integrieren. Der kommunistischen Ideologie stellte er jetzt die „erlebte Freiheit“ in Gesellschaft und Streitkräften entgegen. Rund dreißig Jahre später sollte er freilich Bedenken äußern gegen das seit Beginn der 1970er Jahre zunehmende parteipolitische Engagement, mit dem mancher Soldat der Bundeswehr auch die eigene Karriere beflügeln wolle. Als sich 1943 die militärische Katastrophe abzeichnete, entschied eine Gruppe von wenigen Generalen und Stabsoffizieren – unter ihnen Kielmansegg   den Diktator zu beseitigen. In ihren Augen war vor allem Hitler für die unprofessionelle Kriegführung und die kommende Niederlage verantwortlich. Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes betonten seit den 1960er Jahren die Mitverantwortung der Wehrmacht für die verbrecherische Kriegspolitik. Ihnen hielt Kielmansegg entgegen, man könne an das Handeln seiner Generation nicht die Maßstäbe einer gefestigten freiheitlich-demokratischen Ordnung anlegen. Tatsächlich legt der Historiker immer seine, also zwangsläufig heutige Maßstäbe an. Dabei hat er jedoch zweierlei zu berücksichtigen: erstens die sozialen, mentalen und institutionellen Handlungsspielräume des Akteurs; zweitens den Abstand zwischen dem Kenntnisstand des damaligen Akteurs und dem Wissen des retrospektiv urteilenden Historikers um die geschichtlichen Zusammenhänge. Kielmansegg mag spät zu seiner Einsicht gekommen sein. In jedem Fall war er jedoch erhebliche persönliche Risiken eingegangen. Das Attentat gegen Hitler vom 20. Juli 1944 rechtfertigte er nach dem Krieg unter Rückgriff auf das Naturrecht. Es räume auch dem Soldaten das Recht zum Widerstand gegen die Tyrannei ein, wenn diese den Fahneneid des Soldaten offenkundig missbrauche. In einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat existiere ein solches Widerstandsrecht jedoch nicht. Der militärische Widerstand gegen Hitler galt Kielmansegg jetzt vor allem als Vermächtnis, sich dem Totalitarismus in der akuten Form der kommunistischen Herausforderung entgegenzustellen. Zusammen mit seiner professionellen und intellektuellen Qualifikation bildete seine Verbindung zum militärischen Widerstand eine wichtige Voraussetzung für seine künftige Rolle. Entscheidend dürfte freilich die gute Vernetzung des Grafen mit der Gruppe um Heusinger, Speidel und Reinhard Gehlen gewesen sein. Im Kloster Himmerod besprach im Oktober 1950 eine Gruppe ehemaliger Wehrmachtoffiziere um Heusinger und Speidel die Grundlagen eines möglichen westdeutschen Beitrages zu den europäischen Streitkräften der im Vorjahr gegründeten atlantischen Allianz. Als Sekretär der Konferenz finalisierte Kielmansegg das Abschlussdokument über die Grundzüge künftiger Streitkräfte in der Demokratie. Wieder als Sekretär stand er in der ersten Jahreshälfte 1951 dem Sicherheitsbeauftragten des Bundeskanzlers, Theodor Blank , sowie Heusinger und Speidel zur Seite, als diese mit den Alliierten über einen westdeutschen Militärbeitrag verhandelten. Als Heusinger 1951 die Leitung der militärischen Abteilung des sogenannten Amtes Blank antrat, übernahm Kielmansegg die Unterabteilung „Grundsatzfragen des Verteidigungsbeitrages“. In dieser zentralen Funktion spielte er eine dominierende Rolle als Militärberater und stand folglich im Zentrum verschiedener amtsinterner Konflikte. 1954 konzipierte Kielmansegg ein Grundlagendokument zum anstehenden NATO-Beitritt der Bundesrepublik. Damit wollte er den alliierten Erwartungen an eine Sicherheit mit und vor Deutschland gerecht werden und eine wirksame Landesverteidigung verwirklichen. Als Mitglied der deutschen Delegation nahm Kielmansegg nicht nur an den eigentlichen Verhandlungen zum NATO-Beitritt teil. Er begleitete den Bundeskanzler Konrad Adenauer auch als einziger Sachverständiger in die entscheidende Sitzung am 2. Oktober 1954, in der dieser für die Bundesrepublik den Verzicht auf die Herstellung und den Besitz von ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Waffen aussprach. Als aus dem Amt Blank 1955 das Ministerium für Verteidigung hervorging, versetzte Blank Kielmansegg auf den   angesichts seiner Vorverwendungen nicht ganz angemessenen   Posten eines Nationalen Militärischen Vertreters beim Obersten Befehlshaber der NATO in Europa (Supreme Allied Commander Europe). Nicht zuletzt die hohen zivilen Beamten des Ministeriums hegten eine wachsende Skepsis gegen den agilen Offizier. Dass er ihre Interpretation des Primats der Politik als Primat der Verwaltung gegenüber dem Militär nicht teilte, war ihnen nicht entgangen. Nach einer weiteren Verwendung als Stellvertretender Divisionskommandeur wurde der Graf im Herbst 1960 zum Kommandeur der 10. Panzergrenadierdivision in Sigmaringen ernannt – für ihn die befriedigendste Zeit seiner Militärlaufbahn. Diese Verwendung endete 1963. Hans Speidel hatte seinen Posten als Befehlshaber der NATO-Landstreitkräfte in Mitteleuropa auf Druck des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle aufgeben müssen. Angemessen ersetzen konnte ihn offenbar nur der als Militärdiplomat versierte Kielmansegg. Die kleine Delle in der Karriere wurde jetzt durch Blitzbeförderung vom Generalmajor zum Vier-Sterne-General innerhalb von gut zwei Jahren mehr als ausgeglichen. Nach dem Austritt Frankreichs aus der Militärorganisation der Allianz rückte Kielmansegg 1966 zum Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Mitteleuropa auf. Hegten Heusinger und vor allem der Führungsstab des Heeres nach 1955 Bedenken gegen einen frühzeitigen Einsatz taktischer Atomwaffen zur Verteidigung der Bundesrepublik, plädierte der einst an der stählernen Lanze ausgebildete Kavallerieoffizier für die vom SACEURSupreme Allied Commander Europe vertretene Strategie der massiven nuklearen Vergeltung. Eine zur nuklearen Kriegführung befähigte Truppe könne auch konventionell kämpfen. Dagegen sei eine rein konventionell ausgerüstete und ausgebildete Truppe nicht fähig, das nukleare Gefecht zu führen, so Kielmansegg 1957. Es sei ein Missverständnis, wenn man annehme, dass die sogenannten Schildstreitkräfte konventionell verteidigten und nur die strategischen Luftstreitkräfte der Amerikaner als nukleare Schwerter eingesetzt würden. Vielmehr sei die Unterscheidung von Schild und Schwert funktionaler Natur. Beide würden gleichermaßen einen Angreifer nuklear abschrecken und, wenn nötig, bekämpfen. Kielmansegg wirkte maßgeblich an der Heeresdienstvorschrift HDv 100/2 über die Führungsgrundsätze des Heeres für die atomare Kriegführung mit. Sie ergänzte bezeichnenderweise erst 1961 die 1956 erlassene Heeresdienstvorschrift HDv 100/1. Angesichts der von der NATO 1954 verabschiedeten Strategie der massiven nuklearen Vergeltung war diese HDv 100/1 eigentlich ein Anachronismus. Als Kielmansegg 1963 sein Amt als NATO-Befehlshaber antrat, hatten die Vereinigten Staaten nach der Berlin- und Kubakrise jedoch begonnen, in der NATO die Strategie der flexiblen Reaktion durchzusetzen. Danach sollte sich das Bündnis gegen einen sowjetischen Angriff so lange wie möglich konventionell verteidigen, um Zeit für ein Krisenmanagement zu gewinnen. Die Eskalation in einen globalen nuklearen Schlagabtausch sollte so lange wie möglich vermieden werden. In der letzten von ihm geleiteten Großübung ließ Kielmansegg dem vom britischen General John Hackett geführten Feind völlig freie Hand, verzögerte aber bewusst den Nukleareinsatz der eigenen Kräfte. Nach drei Tagen stand der Gegner am Rhein. Damit war nachgewiesen, dass die Bundesrepublik gegen die sowjetische konventionelle Überlegenheit mit rein konventionellen Mitteln vorläufig kaum zu verteidigen war. Entsprechend kritisch beurteilte der Graf 1966 die von den Vereinigten Staaten vorangetriebene Veränderung der NATO-Strategie. Dass de Gaulle diese im Sinne seiner politischen Handlungsfreiheit ablehnte, stieß bei Kielmansegg auf ein gewisses Verständnis. 1968 schickte Bundesverteidigungsminister Gerhard Schröder Kielmansegg in den Ruhestand. Das lag auch in der Logik der endgültigen Abkehr der Allianz von der Strategie der massiven Vergeltung. Der Graf blieb ein vielgefragter Ratgeber, Vortragsredner und Publizist. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik in den 1960er Jahren und der Entspannung im Ost-West-Verhältnis war die Bundeswehr einem wachsenden Akzeptanz- und Legitimationsproblem konfrontiert. Ihre Soldaten wähnten sich als notwendiges Übel von der Gesellschaft mehr toleriert als akzeptiert. Kielmansegg warnte 1971, dass die bereits in Himmerod geforderte Integration der Streitkräfte in die Gesellschaft eine zweiseitige Verpflichtung beinhalte. Die Entspannungspolitik erfordere einsatzbereite Streitkräfte. Nach über 50 Jahren klingen diese Worte erstaunlich aktuell. Der russische Angriff auf die Ukraine entlarvte die verbreitete Überzeugung, ein Krieg in Europa sei undenkbar, als gefährliche Illusion. Die militärische Relevanz der Bundeswehr war im Laufe der Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges erodiert. Dabei hängt der Erfolg des Diplomaten   so die überraschende, obgleich nicht neue Erkenntnis   auch davon ab, dass hinter ihm ein einsatzbereiter Soldat steht. Kaum weniger aktuell ist Kielmanseggs Hinweis aus dem Jahr 1988: Dem denkbaren Angreifer falle stets die Initiative zu. Handlungsfreiheit gewinne der Verteidiger nur durch bewegliche Operationsführung. Dem habe sich auch die Verteidigung ausgewählter Punkte und Linien unterzuordnen. Angesichts einer im Vergleich zum Kalten Krieg heute deutlich erweiterten östlichen Bündnisgrenze sind die Faktoren Kräfte, Mittel, Raum und Zeit nicht nur auf das Potenzial des wahrscheinlichen Angreifers, dessen Pläne und möglichen Absichten auszurichten. In maximaler geistiger Beweglichkeit haben sich Militär und Politik auf das Unvorhersehbare jedes Konflikts einzustellen. Dies gilt heute umso mehr, als sich noch keine der mit der Epoche des Kalten Krieges vergleichbar dichte integrierte Kommandostruktur an der östlichen Bündnisgrenze abzeichnet. Auch in dieser Hinsicht erscheint ein Vortrag Kielmanseggs von 1966 aktuell.  Darin betonte er die Notwendigkeit integrierter Kommandostrukturen der NATO, um bereits im Frieden eine einheitliche strategische und operative Planung sicherzustellen – zweifellos als solche bereits ein Element glaubwürdiger Abschreckung. Aufgrund seiner Verwendungen als Truppen- und Stabsoffizier sowie als Kommandeur auf allen Ebenen in Krieg und Frieden war Kielmansegg nicht nur einer der erfahrensten deutschen Generale, sondern auch ein bedeutender strategischer Denker des 20. Jahrhunderts. Die Aktualität vieler seiner oft vor Jahrzenten formulierten Gedanken erscheint verblüffend angesichts einer „Zeitenwende“, die für eine nicht minder erstaunliche Kontinuität geopolitischer und geostrategischer Konstellationen steht. Angesichts seiner Absage an Hitler, seinem Plädoyer für die Verankerung der Streitkräfte in der demokratischen Gesellschaft und seinem Engagement für die Integration der Bundeswehr im westlichen Bündnis verkörperte Graf Kielmansegg die bis heute zentralen Ziele und Werte deutscher Sicherheitspolitik. Selbst eine kritische Traditionspflege wird in ihm einen herausragenden Vertreter jener Generationen erkennen, die nach dem Desaster des Dritten Reiches die Bundesrepublik zu einer Erfolgsgeschichte gemacht haben. Das war Angelesen Das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute zum Buch von Karl Feldmeyer und Georg Meyer, Johann Adolf Graf von Kielmansegg 1906-2006. Deutscher Patriot, Europäer, Atlantiker vor. Es erschien im Jahr 2007 im Mittler-Verlag.

von Dieter Krüger

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