Innere Führung auf dem Prüfstand -Transkript

Innere Führung auf dem Prüfstand -Transkript

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Herzlich willkommen zu „Angelesen“ dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute stellen wir Ihnen das von Marcel Bohnert geschriebene Buch „Innere Führung auf dem Prüfstand“ vor. Die Zeitenwende, die der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 markierte, war nicht die erste in der langen Geschichte der Bundeswehr. Die letzte Zeitenwende davor markierte die deutsche Wiedervereinigung. In ihrer Folge schrumpfte der Umfang der Streitkräfte sehr erheblich. Die Landes- und Bündnisverteidigung trat völlig in den Hintergrund. Interventionen in den von Krieg und Bürgerkrieg geplagten Nachfolgestaaten Jugoslawiens und der Kampf gegen den internationalen islamistischen Terrorismus seit 2001 bewirkten den Umbau der Bundeswehr zur Einsatzarmee. Ist die Innere Führung, die ursprünglich für die Landes- und Bündnisverteidigungsarmee des Kalten Krieges konzipiert wurde, auch die passende Führungs- und Organisationskultur für die Einsatzarmee, die unter ganz anderen Rahmenbedingungen fernab von Heimat und Bündnisgebiet operiert? Mit dieser Frage befasst sich im vorliegenden Werk Marcel Bohnert, Oberstleutnant i.G.im Generalstabsdienst, Afghanistanveteran und seit 2021 zweiter stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes. Das Werk erschien vor sechs Jahren, 2017. Objektiv sind sechs Jahre keine furchtbar lange Zeit, schon gar nicht in historischer Perspektive. Tatsächlich ist seit 2017 jedoch so viel und so Grundstürzendes passiert, dass man wohl sagen kann, dass die Bundeswehr heute unter anderen historischen Vorzeichen steht als 2017. In Bohnerts Werk finden sich noch Sätze wie: „Die Ära der großen zwischenstaatlichen Kriege scheint vorerst an ihr Ende gelangt zu sein“. Diese Einschätzung, die 2017 freilich bei weitem nicht nur Bohnert vertrat, hat der Herrscher aller Reußen mit seinem brutalen Überfall auf die Ukraine Lügen gestraft. Stattdessen hat es heute, wo der Abzug aus Afghanistan abgeschlossen ist und der Abzug aus Mali unmittelbar bevorsteht, den Anschein, dass die Ära großer Einsätze außerhalb des Bündnisgebiets an ihr Ende gelangt ist. Es wäre dennoch falsch, Bohnerts Werk schlicht als von den Zeitläuften überholt abzutun. Schließlich hat niemand prophetische Gaben, und wer weiß, ob nicht in kommenden Jahrzehnten wieder Einsätze erforderlich werden, die mit denen in Afghanistan oder Mali vergleichbar sind. Zunächst betrachtet der Autor das Konzept der Inneren Führung, wobei er richtig erkennt, dass es dabei darum geht, „dem Einzelnen die Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung zu geben und damit einen Kontrapunkt zur militaristischen Kultur von Erniedrigung und Schikane…zu setzen“. Die angestrebte Persönlichkeitsentwicklung hat als Zielbild bekanntlich den Staatsbürger in Uniform, also den Soldaten, der die Vorzüge einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung verinnerlicht hat und daher entschlossen ist, wenn nötig für die Bewahrung dieser Gesellschaftsordnung zu kämpfen. Bohnert referiert die Auseinandersetzungen, die es in den ersten Jahrzehnten der Bundeswehr um das Konzept gab, dem entgegengehalten wurde, es beeinträchtige die zum Kampf notwendige „militärische Härte und Effizienz“. Immerhin billigt er dem Konzept zu, es habe wesentlich zu einem neuen Bild deutscher Streitkräfte beigetragen und sei vor dem Umbau zur Einsatzarmee „durch das Primat der Landes- und Bündnisverteidigung sowie die allgemeine Wehrpflicht insgesamt stimmig“ gewesen. Anschließend widmet Bohnert sich ausführlich dem ISAFInternational Security Assistance Force-Einsatz. Bei diesem Einsatz, der 13 Jahre dauerte, verlor eine ganze Reihe von Kameraden ihr Leben. Viele weitere wurden verwundet. Das Einsatzziel, dauerhaft Sicherheit in Afghanistan zu gewährleisten und damit der afghanischen Regierung politische Aufbauarbeit zu ermöglichen, erwies sich mit dem gewählten Kräfteansatz als nicht erreichbar. Da immer wieder Kameraden durch Feindeinwirkung starben, stellte sich die Frage nach dem Sinn des Dienens in Afghanistan mit größerer Dringlichkeit als beim wenig riskanten Dienst in Deutschland. Dem Einsatz lag keine erkennbare, überzeugende Strategie zugrunde. Hier legt der Autor mit Recht den Finger in die Wunde, wenn er den Bezug zur Inneren Führung herstellt und darauf hinweist, dass dieser Umstand es den militärischen Vorgesetzten in Afghanistan außerordentlich schwer machte, den unterstellten Kameradinnen und Kameraden „immer wieder Sinn und Notwendigkeit ihrer Aufgaben und deren Einordnung in den Gesamtzusammenhang zu erklären“. Diese berechtigte Kritik greift das soeben erschienene neue Handbuch Innere Führung auf, das übrigens demnächst ebenfalls in „Angelesen“ besprochen werden wird, indem es mit Blick auf Afghanistan klipp und klar festhält: „Um künftige Einsätze gegenüber der Gesellschaft und den Bundeswehrangehörigen zu rechtfertigen, bedarf es der Formulierung von möglichst realistischen strategischen Zielen, einer Exitstrategie und deren regelmäßiger Evaluation“. Auch einen weiteren vom Autor angeführten Punkt kann man nicht von der Hand weisen. Unter den Schlagworten „Realitätsverweigerung und Schönfärberei“ geht er hart ins Gericht mit dem Umgang, den BMVgBundesministerium der Verteidigung und Berliner Politikbetrieb jahrelang mit dem ISAFInternational Security Assistance Force-Einsatz pflegten. So lange wie irgend möglich taten sie alles, um den Einsatz als Friedenseinsatz darzustellen, bei dem sich die Tätigkeit der Soldaten im Wesentlichen auf das Bohren von Brunnen und das Bauen von Schulen beschränke. Das änderte sich erst, als 2009 ein deutscher ISAFInternational Security Assistance Force-Kommandeur gezwungen war, zwei von den Taliban entführte Tanklastwagen bekämpfen zu lassen, wobei eine bis heute nicht exakt bekannte Zahl afghanischer Zivilisten ums Leben kam. Seitdem wurde der breiten Öffentlichkeit in Deutschland klar, dass in Afghanistan Zustände herrschten, die es erlaubten, von einem Krieg zu sprechen. Der erste Politiker, der diesen Begriff benutzte, war 2010 Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg. Dafür erhält er von Bohnert großes Lob, während sein Vorgänger Franz Josef Jung schlecht wegkommt. Bohnert legt Jung bezüglich des ISAFInternational Security Assistance Force-Einsatzes „verklausulierte Rhetorik“ zur Last. Man kann bezweifeln, ob hier Lob und Tadel gerecht verteilt werden. Gewiss wirkte Jung in der öffentlichen Rede eher hölzern und nicht charismatisch – ganz im Gegensatz zum schillernden Doktor a. D.außer Dienst zu Guttenberg, der „sein politisches Leben so führte, dass es jederzeit als Hochglanz-Bildband hätte erscheinen“ können. Wesentliches Ergebnis der sechzehnmonatigen Amtszeit Guttenbergs war allerdings ein um über acht Milliarden Euro geschrumpfter Wehretat. Ob das mit vermeintlich „aufrichtigen Trauerreden“, die er für gefallene Bundeswehrsoldaten hielt, auszugleichen war, ist fraglich. Jung war immerhin 2008 der erste, der die im Kampf mit dem Feind getöteten Kameraden öffentlich als Gefallene bezeichnete – auch dies ein Begriff, der bis dahin konsequent vermieden worden war. Der Autor hat das Werk als provokative Streitschrift konzipiert und präsentiert sich als Praktiker. Die Innere Führung sei theoretisch und praxisfern. Truppenpraktiker könnten „den Begriff teilweise nicht mehr hören“. Im Gefecht sei das Gefühl der Verbundenheit mit den Kameraden zur Linken und zur Rechten für die Motivation der Kämpfenden maßgebend, nicht „abstrakte politische Vorgaben und amtlich verordnete Leitbilder“. Das erscheint auch Kameraden nachvollziehbar, die bislang an keinem Gefecht beteiligt waren. Ebenso kann man zustimmen, wenn Bohnert angesichts der Kämpfe, die ISAFInternational Security Assistance Force mit sich brachte, schreibt: „Ein forderndes Training ist… wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Truppe unter den Härten der Einsatzrealität bestehen kann“. Diese Auffassung ist völlig im Einklang mit der Inneren Führung. Das Handbuch Innere Führung hält dazu fest, dass Aus-, Fort- und Weiterbildung grundsätzlich „realitätsnah, fordernd und intensiv gestaltet werden und dem Grundsatz “train as you fight„…folgen“ müssen. Stutzig macht es allerdings, wenn Bohnert unter Bezugnahme auf einen Skandal um erniedrigende Ausbildungspraktiken am Standort Pfullendorf, der 2017 Schlagzeilen machte, darlegt, es sei nun einmal so, dass in „nah am Kampfgeschehen ausgebildeten Einheiten… ein besonders ausgeprägter Korpsgeist und ein Elitedenken herrsche, das tendenziell von den als lebensfern wahrgenommenen Grundsätzen der Inneren Führung entkoppelt ist“. Wenn dem tatsächlich so ist, dann ist es Führungsaufgabe, die Koppelung herzustellen und Führungsversagen, wenn sie nicht hergestellt wird. Wer im Ausbildungsbetrieb eingesetzt und nicht imstande ist, zwischen der nötigen Härte und Realitätsnähe einerseits und Erniedrigung und Schikane andererseits zu unterscheiden, der hat im Ausbildungsbetrieb der Bundeswehr nichts verloren. Punkt. Ein weiterer Nachteil, den der Autor der Inneren Führung anlastet, ist ihre seiner Meinung nach mangelnde internationale Akzeptanz. Sie sei ein „deutscher Sonderweg“. Der „Austausch mit Soldaten aus Nationen mit ungebrochener Militärtradition“ zeige, dass sie „international kaum anschlussfähig“ sei. Das ist nur teilweise zutreffend. Das Führen mit Auftrag zum Beispiel, integraler Bestandteil der Inneren Führung, wird von Streitkräften vieler anderer Staaten nachgeahmt und darf durchaus als international anschlussfähig gelten. In anderer Hinsicht ist die Innere Führung freilich ein deutscher Sonderweg. Das gilt vor allem für die eng mit Persönlichkeitsbildung verbundene Vorstellung vom Staatsbürger in Uniform und ergibt sich aus den Besonderheiten deutscher Militärgeschichte. Der Wunsch nach einer ungebrochenen deutschen militärischen Tradition ist verständlich aber unerfüllbar. Es gibt kein Zurück hinter den massenmörderischen Zivilisationsbruch, an dessen Durchführung deutsche Streitkräfte umfangreich beteiligt waren. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass das, was Streitkräfte anderer westlicher Staaten anstelle der Inneren Führung haben, überzeugender wäre. Bohnert verweist auf die „Basic Values“ der USUnited States-Army. Sie lauten: Loyalität, Pflichterfüllung, Respekt, selbstloser Dienst, Ehre, Integrität, persönlicher Mut ; einerseits enthalten diese Basiswerte mit dem heutzutage inflationär verwendeten Ausdruck „Respekt“ und dem eher antiquierten Ausdruck „Ehre“ Begriffe, die sich nur schwer objektiv fassen lassen. Der oft der Inneren Führung gemachte Vorwurf, sie entziehe sich durch „Unbestimmtheit…einer klaren begrifflichen Begrenzung“, ließe sich also hier genauso anbringen. Andererseits werden diese Schlagworte im Ausbildungs- und Dienstbetrieb offenbar nicht sehr weitgehend konkret mit Leben erfüllt. Jedenfalls räumt Bohnert ein, dass die Basic Values offensichtlich nicht verhindert haben, dass USUnited States-Soldaten in Afghanistan vorsätzlich Zivilisten töteten oder, wie im Gefängnis von Abu Ghraib im Irak, folterten. Derartige Exzesse sind von Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen nicht bekannt. Im NATO-Rahmen braucht man es übrigens nicht als Nachteil zu sehen, dass die Führungs- und Organisationskultur in Streitkräften der Bündnispartner anders strukturiert ist als in der Bundeswehr. Tatsache ist, dass in Sachen Führungs- und Organisationskultur „viele Wege nach Rom führen, sofern das gemeinsame Ziel, kooperativ und gesetzeskonform militärische Schlagkraft im Bündnisrahmen zu entwickeln, nicht aus den Augen verloren wird“. Als das vorliegende Werk erschien, war Frau von der Leyen Bundesverteidigungsministerin. Sie hatte sich bekanntlich auf die Fahnen geschrieben, das Prozessmanagement in der Bundeswehr neu zu gestalten und die Truppe durch die „Agenda Attraktivität“ als attraktiven Arbeitgeber zu präsentieren. Dass in puncto Veränderung des Prozessmanagements Fehlentwicklungen auftraten – Stichworte: Beraterunwesen, rechtlich fragwürdige Auftragsvergaben – ist mittlerweile durch einen Untersuchungsausschuss des Bundestags dokumentiert. Mehr noch als diesen Fehlentwicklungen gilt Bohnerts Kritik der „Agenda Attraktivität“. Sie blendete im Bemühen, junge Leute für den Arbeitgeber Bundeswehr zu interessieren, das scharfe Ende des Berufs praktisch aus. Stattdessen wurden Vorteile wie das „Studieren bei vollem Gehalt“ in der Offizierslaufbahn in den Mittelpunkt gestellt und darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr nicht ausschließlich aus Uniformträgern bestehe. 
Für die entsprechenden Werbekampagnen findet Bohnert harte Worte. Sie seien dem „existenziellen Ernst…der soldatischen Profession“ völlig unangemessen und „für idealistische Soldatinnen und Soldaten geradezu beleidigend“ gewesen. Angesichts des Unwillens der Bundesrepublik, ihren „Bürgerinnen und Bürgern eine schlagkräftige Streitmacht zu präsentieren“, könne man meinen, der Staat schäme sich für die Bundeswehr. Sich beleidigt zu fühlen betrifft die subjektiv-emotionalen Ebene, so dass es kaum möglich ist, sachlich darauf einzugehen. Und schämen können sich allenfalls Menschen aus Fleisch und Blut. Staaten tun das nicht. Der Hinweis darauf, dass es in den letzten Jahrzehnten nicht üblich war, der Öffentlichkeit die Bundeswehr als auf Kampf ausgerichtete Truppe zu präsentieren, ist hingegen zutreffend. Dies in den nächsten Jahren zu ändern, scheint in der Tat geboten. Nicht allein, um damit den berechtigten Befindlichkeiten in der Truppe entgegenzukommen, die Bohnert artikuliert, sondern auch, weil die Landes- und Bündnisverteidigung, wenn man sie denn konsequent betreiben will, sehr viel Geld kosten wird. Die vielzitierten jährlichen zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden dafür nicht ausreichen. Wenn der Steuerzahler dauerhaft so hohe Beträge für die äußere Sicherheit aufwendet, dann sollte er gemäß der für Demokratien kennzeichnenden Transparenz auch Gelegenheit erhalten zu sehen, was er für sein Geld bekommt. Ob es dazu kommen wird, ist freilich nicht sicher. Ein aufschlussreiches Detail in Bohnerts Darstellung scheint darauf hinzudeuten, dass die Zeitenwende von 2022 noch nicht den nötigen Mentalitätswandel im politischen Betrieb bewirkt hat: Deutlich später als militärisch geboten wurde das deutsche ISAFInternational Security Assistance Force-Kontingent mit Schützenpanzern verstärkt. Die Entscheidung hatte sich verzögert, weil diese Waffensysteme „lange als Faktoren einer Konflikteskalation verstanden“ wurden. Bloß die Taliban nicht provozieren! Da ist die Parallele zur deutschen Unterstützung der Ukraine nicht zu übersehen. Lange wurden der Armee des überfallenen Landes mit derselben Begründung keine Kampfpanzer geliefert: Das könnte eine Eskalation des Kriegs verursachen. Bloß Russland nicht provozieren! Schließlich rang man sich doch zur Lieferung von Kampfpanzern durch. Die Eskalation blieb aus. Trotzdem wurden dieselben Bedenken erneut laut, als die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern diskutiert wurde. Gegen Ende des Werks befasst sich der Autor mit Fragen der Tradition. Dieses Themenfeld der Inneren Führung zog 2017 viel Aufmerksamkeit auf sich, weil in Räumlichkeiten des Jägerbataillons 291 Gegenstände aufgefunden worden waren, die die Wehrmacht verherrlichten. Der Vorfall gab den Anstoß, den Traditionserlass der Bundeswehr von 1982 zu überarbeiten. Die Neufassung trat im März 2018 in Kraft und stellt unmissverständlich klar, dass mit Ausnahme der wenigen Wehrmachtsangehörigen, die das hohe Risiko eingingen, Widerstand gegen Hitlers mörderisches Regime zu leisten, die Wehrmacht für die Bundeswehr grundsätzlich nicht traditionsstiftend ist. Bohnert hält zum Thema Tradition fest, dass Soldaten am scharfen Ende des Berufs „ein greifbares ideelles Korsett“ benötigen und konkretisiert dieses Korsett als „Bezug zu mutig kämpfenden deutschen Soldaten oder militärisch vorbildhaften Einzelleistungen“. Sehr richtig folgert er, dass dazu keine Bezugnahme auf die Wehrmacht nötig ist. Die lange eigene Geschichte der Bundeswehr, insbesondere die Einsatzgeschichte, bietet eine ganze Reihe anschlussfähiger Beispiele tapferen und vorbildlichen Kampfes. In diesem Sinne plädiert er für eine gründliche Aufarbeitung der Einsatzgeschichte, die mittlerweile auch stattfindet. Seit Oktober 2020 hat das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr uneingeschränkten Zugang zu den Akten der Einsätze ISAFInternational Security Assistance Force und Resolute Support, die beim Einsatzführungskommando lagern. Sie werden in einer Reihe von Forschungsvorhaben ausgewertet. Einige der Maßnahmen, die Bohnert zum Zweck der „Fokussierung auf die bundeswehreigene Traditionslinie“ vorschlägt, wurden in der Zwischenzeit bereits umgesetzt, etwa die „Benennung von Kasernen… nach… gefallenen…Einsatzsoldaten“. Die frühere Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover, deren Name noch auf den Ersten Weltkrieg verwies, heißt seit 2018 in ehrendem Gedenken an den Kameraden Tobias Lagenstein, der 2011 in Afghanistan fiel, Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne. Zur Stärkung der von der Inneren Führung angestrebten Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft empfiehlt Bohnert der Truppe, „ihre Uniform (auch) außerhalb der Kasernenanlagen zu tragen, um sich zu präsentieren und ins Gespräch mit der Bevölkerung zu kommen“. Dieser Empfehlung zu folgen hat der Dienstherr allen Uniformträgern in seinem Geschäftsbereich erleichtert, indem er 2020 das unentgeltliche Bahnfahren in Uniform eingeführt hat. Es erfreut sich sehr reger Inanspruchnahme. Abschließend stellt Bohnert militärpolitische Erwägungen an, die über Fragen der Inneren Führung hinausreichen. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass die Bundeswehr den erforderlichen Personalkörper zur Bewältigung der zu erwartenden Aufgaben nur durch die Wehrpflicht oder einen „anders gearteten gesellschaftlichen Pflichtdienst“ gewinnen könne. Diese Auffassung hat durch die seit Erscheinen des Werkes eingetretenen Entwicklungen viel an Plausibilität gewonnen. Landes- und Bündnisverteidigung kann äußerstenfalls erheblich mehr Personal erforderlich machen als die Bundeswehr in der Rolle der Armee im Auslandseinsatz je brauchte. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Innere Führung sich trotz der vom Autor geltend gemachten Einwände keineswegs als obsolet, sondern als zukunftsfähig erwiesen hat. Wenn der Autor auch mit seiner Kritik an der Inneren Führung teilweise übers Ziel hinausschießt, enthält das Werk doch Denkanstöße, die auch nach der Zeitenwende von 2022 hilfreich sein können. In diesem Sinne ist es immer noch lesenswert. Das war „Angelesen“, das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute zum Buch von Marcel Bohnert „Innere Führung auf dem Prüfstand“.

von Dr. Christoph Kuhl

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