Die Nachrichtendienste in Saddam Husseins Sicherheitsarchitektur
Die Nachrichtendienste in Saddam Husseins Sicherheitsarchitektur
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Nachrichtendienste in autokratischen Regierungen im Nahen Osten haben einen besonderen Charakter, der sie von Nachrichtendiensten in Demokratien unterscheidet. Die Nachrichtendienste im Nahen Osten sind zu einem großen Teil mit dem politischen Machterhalt des Regimes befasst und sind Hauptbestandteil der Funktionsweise dieser Regime.
Der sudanesische Philosoph Haydar Ibrahim beispielsweise bezeichnet die Sicherheitsarchitektur der Autokratien im Nahen Ostens als „Securitocracy“. Er argumentiert, dass die Armee und die Nachrichtendienste im Nahen Osten grundlegende Elemente des politischen Handelns zum Machterhalt sind. Sowohl das Know-How als auch das nachrichtendienstliche Spionageequipment der Nachrichtendienste im Nahen Osten kamen von britischen, französischen, amerikanischen, sowjetischen und deutschen Nachrichtendiensten.
Warum sich mit Nachrichtendiensten in der Sicherheitsarchitektur Iraks beschäftigen?
Unter Saddam Hussein haben die irakischen Nachrichtendienste eine wichtige Rolle in seiner Machterhaltung gespielt. Neben dem Militär, das politisch auch eine sehr wichtige Stellung und insbesondere für die Machtübernahme sehr wichtig war, spielten die geheimen Überwachungsmaßnahmen der Nachrichtendienste eine wichtige Funktion für die Machterhaltung. Schon zu Beginn seiner politischen Aktivitäten war Saddam Hussein mit der Nutzung geheimer und repressiver nachrichtendienstlicher Arbeit betraut. Vor der Machtübernahme der Baath-Partei 1968 hatte Saddam Hussein innerhalb der Baath-Partei eine geheime Organisation gegründet. Diese geheime Organisation überwachte und kämpfte gegen die Rivalen von Ahmad Hasan al-Bakr, dem damaligen Generalsekretär der Baath-Partei im Irak. Dies verhalf auch Saddam Hussein 1969 zur Vizepräsidentschaft im Irak. Unter dessen Obhut wurde die geheime Organisation 1973 zum berüchtigten Partei- und Auslandsnachrichtendienst Iraks ausgebaut. Auch als Vizepräsident hatte Saddam Hussein die Macht über den Partei- und Auslandsnachrichtendienst beibehalten und auf diesem Weg in den 1970er Jahren zunehmend seine politische Macht ausgebaut. Mithilfe des Partei- und Auslandsnachrichtendienstes hatte er auch bei seiner Wahl zum Präsidenten des Irak 1979 alle Rivalen innerhalb der Partei und Oppositionelle außerhalb der Partei ausgeschaltet. Nachrichtendienste waren daher insbesondere in der Machtpolitik Saddam Husseins nicht wegzudenken.
Welche Nachrichtendienste gab es im Irak unter Saddam Hussein?
Es gab fünf Nachrichtendienste unter Saddam Husseins Regierung. Der erste Nachrichtendienst war der Inlandsnachrichtendienst, der 1921 unter britischem Mandat gegründet wurde und dem Innenministerium unterstand. Der militärische Nachrichtendienst folgte als nächstes und wurde während der Unabhängigkeit Iraks 1932 als Teil des irakischen Verteidigungsministeriums gegründet. Bis zur Übernahme der irakischen Regierung durch die Baath-Partei 1968 gab es nur diese beiden irakischen Nachrichtendienste. Während der Inlandsnachrichtendienst in den späten 1990er Jahren ca. 8000 Mitarbeiter hatte, variierte die Zahl der Mitarbeiter für den militärischen Nachrichtendienst zwischen 4000 und 6000 Mitarbeitern.
Der dritte Nachrichtendienst war der irakische Partei- und Auslandsnachrichtendienst. Dieser Nachrichtendienst entstammt aus einer geheimen Organisation, die 1964 von al-Bakr (ab 1968 Präsident Iraks) initiiert und von Saddam Hussein geleitet wurde. Sie war mit der Überwachung der inner- und außerparteilichen Opposition, die gegen den al-Bakr-Flügel war, beauftragt. Diese Organisation wurde mehrmals umbenannt und 1973 in den Staatsdienst aufgenommen. Auch wenn der Dienst erst im gleichen Jahr die staatliche Befugnis zu nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Ausland erhielt, war er schon vor 1973 im Auftrag Saddam Husseins auch im Ausland tätig. Der Partei- und Auslandsnachrichtendienst hatte mit 12 000 Mitarbeitern den personell stärksten Nachrichtendienst.
Die irakischen Nachrichtendienste wurden immer mehr zu einem Machterhaltungsapparat für Saddam Hussein. Auch der vierte und fünfte Nachrichtendienst wurden in der Folge von Attentats- und Putschversuchen gegen Saddam Hussein gegründet. Der Sondersicherheitsdienst entstand 1984 nach fehlgeschlagenen Attentatsversuchen auf Saddam Hussein. Er wurde als der Nachrichtendienst aufgebaut, der sich insbesondere um die Sicherheit Saddams kümmern sollte. Der fünfte Nachrichtendienst formierte sich Anfang der 1990er Jahre. Nach einem vermeintlichen Putschversuch 1990 wurde das Sonderreferat im militärischen Nachrichtendienst zu einem eigenständigen militärischen Sicherheitsdienst mit nachrichtendienstlichen Befugnissen erklärt. Der militärische Sicherheitsdienst war mit der Überwachung des irakischen Militärs und des militärischen Nachrichtendienstes betraut. Beide Nachrichtendienste hatten in den letzten Jahren jeweils ungefähr 5000 Mitarbeiter. Nach Angaben des MfS (Ministerium für Staatsicherheit) in der DDRDeutsche Demokratische Republik aus dem Jahr 1986 waren die irakischen Nachrichtendienste die am besten ausgebauten, aber zugleich auch am aggressivsten agierenden Nachrichtendienste in den arabischen Staaten.
Vom Einfluss der Baath-Partei zum Machtausbau des Tikriti-Klans in den Nachrichtendiensten
Unter der Baath-Regierung wurde jeder Ausländer im Irak bespitzelt und jeder Iraker, der Kontakt zu Ausländern hatte, beschuldigt, ein potenzieller Agent ausländischer Dienste zu sein. Die Weltanschauung der Baath-Partei spielte eine wesentliche Rolle beim Aufbau und Einsatz der irakischen Nachrichtendienste. Der Irak sah sich von innen und außen bedroht und war sehr misstrauisch. Die Parteimitglieder waren die „Augen und Ohren“ der Nachrichtendienste. Die starke Ausweitung der Parteiführung in den 1970er Jahren von der Avantgarde- zur Massenorganisation führte dazu, dass die Parteiorganisation und -verwaltung zu einer wichtigen Säule in der irakischen Sicherheitsarchitektur wurde. In diesem Zusammenhang wurde alles überwacht, was Saddam Hussein und das Regime gefährden könnte. Die Situation im Irak hatte zwar eine Ähnlichkeit zur DDRDeutsche Demokratische Republik und den Überwachungsmaßnahmen des MfS, jedoch waren die irakischen Nachrichtendienste unter Saddam Hussein durch ein wesentlich brutaleres Vorgehen gekennzeichnet.
Oppositionelle innerhalb und außerhalb der Baath-Partei wurden in einer Säuberungsaktion von wichtigen Posten entfernt und einige von ihnen zum Tode verurteilt. In einer Parteisitzung am 22. Juli 1979, nur sechs Tage nachdem Saddam Hussein zum Präsidenten des Irak ernannt wurde, wurden hochrangige Baath-Mitglieder vor den versammelten Parteikollegen mit Namen aufgerufen und gebeten, den Saal in Begleitung des Sicherheitspersonals zu verlassen. Ihnen wurde die Vorbereitung eines Putsches gegen Saddam Hussein vorgeworfen. 21 verurteilte Mitglieder wurden hingerichtet. Im Vorfeld der Säuberungsaktion hatte Barzan Ibrahim at-Tikriti, der Halbbruder Saddam Husseins und hochrangiger Mitarbeiter des irakischen Partei- und Auslandsnachrichtendienstes, die Überwachung von bedeutenden Mitgliedern organisiert und durchgeführt. Der enge Vertraute Saddam Husseins und damalige Leiter des irakischen Partei- und Auslandsnachrichtendienstes, Saadoun Shaker, wusste über die Säuberungsaktion nicht Bescheid. Dieser Vorfall zeigt, wie insbesondere die Paranoia Saddam Husseins dazu führte, dass der irakische Staat immer totalitärer wurde und wie immer mehr Familienangehörige aus dem Tikriti-Klan in Schlüsselpositionen in Sicherheitsbehörden eingesetzt wurden, um der inner- und außerparteilichen Opposition entgegenzuwirken.
Die Nachrichtendienste standen somit unter der Kontrolle des engsten Familien- und Bekanntenkreises Saddam Husseins. Angehörige des Abu-Nasr-Stamms, dem Familienstamm Saddam Husseins, und befreundete Familienstämme wie die Dulaim, Dschubur, Ubayd, Duri und Samarra’i bildeten die Führungselite der Nachrichtendienste. Die Mitglieder von Saddams Abu-Nasr-Stamm stammen aus Tikrit, Saddam Husseins Geburtsort, und trugen gewöhnlich wie auch Saddam Hussein selbst den Nachnamen „Tikriti“. Der Abu-Nasr-Stamm hatte bereits in den 1970er Jahren mehr Einfluss in der Baath-Partei und in der Sicherheitsarchitektur gewonnen, aber verstärkte seine Position insbesondere nach der Übernahme der Präsidentschaft durch Saddam Hussein. Die Nähe und die Bedeutung des Geheimdienstes für Saddam Hussein spiegelt sich auch darin wider, dass der Direktor des Partei- und Auslandsnachrichtendienstes in den 1980er Jahren auf dem Gelände des Präsidentenpalastes residierte. Die Bedeutung der Familienzugehörigkeit ging so weit, dass in der Einstellung von Personal neben der allgemeinen Sicherheitsüberprüfung auf Straftaten der Ruf der Familie des Bewerbers ausschlaggebend war.
Die Opposition im Fokus der irakischen Nachrichtendienste
Seit der Machtergreifung der Baath-Partei im Jahr 1968 war Saddam Hussein die Schlüsselfigur beim Aufbau der irakischen Sicherheitsarchitektur und baute diese bis zum Fall Iraks 2003 stetig aus. Der Irak verfügte dadurch über mehrere Nachrichtendienste, die verschiedene Ziele hatten. Das Hauptziel war jedoch die Beobachtung und Unterdrückung der Opposition im Irak und im Ausland. Zu der größten Oppositionsgruppierungen im Irak gehörten die Kurden im Norden und die Mitglieder der vom Iran unterstützten Daawa-Partei, die sich im Süden des Landes befanden. Der Partei- und Auslandsnachrichtendienst orientierte sich in seinen Methoden und seiner Organisation hauptsächlich an der Überwachung der Opposition im In- und Ausland.
Der irakische Auslandsnachrichtendienst hatte die „license to kill“ und führte Attentate durch. Es gab immer wieder Opposition in den eigenen Kreisen, deren Mitglieder innerhalb des Iraks, aber auch nach ihrer Flucht ins Ausland umgebracht wurden. Das bekannteste Beispiel ist die Ermordung des ehemaligen irakischen Premierministers Abd ar-Razzaq an-Naif in London. Bei der Machtübernahme der Baath-Partei 1968 hatte Saddam persönlich den damaligen Premierminister an-Naif mit der Waffe bedroht und ihn zur Ausreise gezwungen. Nach einem fehlgeschlagenen Attentat auf an-Naif 1972 wurde er am 9. Juli 1978 vor dem Hotel InterContinental angeschossen und starb am darauffolgenden Tag an den Verletzungen. Sowohl 1972 als auch bei dem Attentat 1978 war das Referat M14 (Spezialeinsätze) des irakischen Auslandsnachrichtendienstes beteiligt.
Der irakische Auslandsnachrichtendienst in der Hauptstadt der Spione – Berlin
Auch in Deutschland war der irakische Auslandsnachrichtendienst aktiv. Am 1. August 1980 versuchten zwei irakische Nachrichtendienstmitarbeiter, den Kongress einer kurdischen Studentenvereinigung in West-Berlin mithilfe eines Informanten in die Luft zu sprengen. Die deutschen Behörden waren über das Vorhaben informiert und konnten die in der DDRDeutsche Demokratische Republik als Diplomaten akkreditierten irakischen Nachrichtendienstmitarbeitern bei ihrer Einreise mit 500 Gramm Dynamit im Kofferraum auf frischer Tat ertappen. Ihre diplomatische Immunität war zwar in West-Berlin nicht gültig, jedoch wurden die irakischen Nachrichtendienstmitarbeiter schon nach einem Monat wieder freigelassen und in den Irak ausgewiesen.
Bekanntheit erlangte der irakische Auslandsnachrichtendienst während des Kalten Krieges auch wegen seinen Verbindungen zu terroristischen Organisationen. Er unterhielt nicht nur Kontakt zu ihnen, sondern unterstützte einige Organisationen auch finanziell und materiell mit gefälschten Identitäten. Am 28. und 29. Februar 1980 fand beispielsweise in Ost-Berlin ein Treffen zwischen dem irakischen Auslandsnachrichtendienst und dem Terroristen Carlos im Interhotel „Stadt Berlin“, dem heutigen Park Inn Radisson am Alexanderplatz, statt. In diesem Gespräch bat der irakische Nachrichtendienst Carlos, wieder in den Irak zurückzukehren und von dort aus zu operieren. Zudem sagten die Angehörigen des irakischen Nachrichtendienstes der Carlos-Gruppe die Unterstützung mit Waffen, Geld und Logistik zu.
Der Übergang zum Iraqi National Intelligence Service (INIS) nach 2003
Seit dem 8. März 2004 gibt es den irakischen Nachrichtendienst „Jihaz al-Mukhabarat al-Watani al-‘Iraqi“ (Iraqi National Intelligence Service – Abkürzung: INIS), der als Nachfolger der Nachrichtendienste unter Saddam Hussein gilt. Der USUnited States-amerikanische Nachrichtendienst Central Intelligence Agency (CIA) formte im Anschluss an den Einmarsch in den Irak 2003 (siehe Beitrag Jentzsch) die fünf Nachrichtendienste in den INIS um und verringerte das Personal auf bis zu 2000 Mitarbeiter. Auch die Finanzierung übernahm die CIA. Der INIS unterscheidet sich von den ehemaligen Nachrichtendiensten insbesondere darin, dass er keiner Partei untersteht oder aus dieser entstammt und mit der Überwachung von Oppositionellen nicht beauftragt werden darf. Das nachrichtendienstliche Personal wurde zum größten Teil von den fünf ehemaligen Nachrichtendiensten übernommen. Es gab die Kritik, dass es durch die Übernahme von Baathisten aus den ehemaligen Nachrichtendiensten wieder zu einer Stärkung der Baathisten kommen und dass der Nachrichtendienst wieder politisiert werden könnte. Die Baathisten wurden zwar nicht durch den neuen Nachrichtendienst gestärkt, jedoch wurde der Nachrichtendienst unter dem Premierminister Nuri al-Maliki (2006–2014) immer wieder zum Spielball der politischen Parteien. Zusätzlich zu den Besetzungen von hohen Posten durch Bekannte und Verwandte, versuchten und versuchen die neuen Regierungen immer wieder, ihren Einfluss durch die Ausdehnung der eigenen Konfessionsgruppe im Nachrichtendienst zu erweitern.
Literaturtipps
Wolfgang Krieger, Geschichte der Geheimdienste von den Pharaonen bis zur NSANational Security Agency . 3., erw. Aufl., München 2014.
Joseph Sassoon, Anatomy of Authoritarianism in the Arab Republics, Cambridge 2016.
DOI: https://doi.org/10.48727/opus4-631
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