Inhalt

Die Gründung der Nordatlantischen Allianz

Datum:
Lesedauer:
9 MIN

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Zurück zum Audio

Herzlich willkommen zu Angelesen, dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute stellen wir das Buch „Die Gründung der Nordatlantischen Allianz. Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956, von Gero von Gersdorf vor. In der nun schon über 75 Jahre währenden Geschichte der NATONorth Atlantic Treaty Organization gab es Höhen und Tiefen. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts schien die NATONorth Atlantic Treaty Organization in eine Sinnkrise geraten. Ihr Beitrag zum Kampf gegen den internationalen islamistischen Terror nach den Anschlägen von 2001 gab eine neue Antwort auf die Sinnfrage. Nach der Niederkämpfung des Top-Terroristen Osama bin Laden und seinesgleichen tauchte die Sinnfrage erneut auf. Noch vor wenigen Jahren attestierte der französische Präsident Emanuel Macron der NATONorth Atlantic Treaty Organization den „Hirntod“. Das würde heute wahrscheinlich niemand mehr tun. Das mörderische imperialistische Ausgreifen Russlands macht überdeutlich, dass ein effizientes Verteidigungsbündnis mehr denn je geboten ist und hat jüngst in Nordeuropa selbst Staaten zum NATONorth Atlantic Treaty Organization-Beitritt veranlasst, die teils jahrhundertelang auf Neutralität gesetzt hatten. Zu Ende, wie nach dem Kalten Krieg mancher glaubte, ist die Geschichte der NATONorth Atlantic Treaty Organization also noch lange nicht. Die spannende Geschichte ihrer Entstehung erzählt der Militärhistoriker Gero von Gersdorff im vorliegenden Werk, das 2009 anlässlich des 60. Jahrestags der Gründung der NATONorth Atlantic Treaty Organization erschien. Bei Ende des Zweiten Weltkriegs war die entscheidende Frage, wie sich eine Friedensordnung etablieren, wie sich ein Dritter Weltkrieg vermeiden ließe. Die im Juni 1945 aus der Taufe gehobenen Vereinten Nationen erhielten keine Chance, sich zu einem wirksamen Instrument der Implementierung einer Friedensordnung zu entwickeln. Das dafür nötige Einvernehmen zwischen den USAUnited States of America und der Sowjetunion war nicht herzustellen. Stalin war daran auch nicht interessiert. Der sowjetische Gewaltherrscher strebte aggressiv nach Ausweitung seines Machtbereichs. Zuerst bekam dies Großbritannien im Iran zu spüren. In dem erdölreichen Land, das Großbritannien und die Sowjetunion als Verbündete im Zweiten Weltkrieg gemeinsam besetzt hatten, machten die Sowjets sich nun daran, den britischen Einfluss zurückzudrängen. Es war daher die britische Regierung, die 1947 zuerst an eine Neuauflage der transatlantischen Allianz dachte und in Washington und Paris entsprechend vorfühlte. Dort reagierte man zurückhaltend. Natürlich hatte man das Problem des weltweiten Expansionsdrangs der Sowjets in Washington auf dem Schirm. Vorerst herrschte dort aber die Auffassung vor, die im März 1947 von Präsident Truman verkündete und nach ihm benannte Doktrin sei eine angemessene und ausreichende Antwort auf das Problem. Die Doktrin besagte, dass die USAUnited States of America Staaten unterstützen würden, die sich äußeren Drucks oder der Umsturzbestrebungen bewaffneter Minderheiten zu erwehren hatten. Hinter den Kulissen sprachen sich Mitglieder der Truman-Administration für ein transatlantisches Bündnis aus. Die Mehrheit im Washingtoner Politikbetrieb wollte sich jedoch nicht in fest institutionalisierten internationalen Bündnissen militärisch binden. Das schien auch nicht nötig, da die Truman-Doktrin sich in der Tat bewährte, so im Fall Griechenlands, wo die legitime Regierung dank amerikanischer Unterstützung über eine von Moskau bewaffnete kommunistische Partisanenbewegung obsiegte. Aber ohne die Unterstützung der USAUnited States of America schien es künftig nicht zu gehen. In Frankreich wurde der britische Vorschlag ebenfalls zurückhaltend aufgenommen. 1947 hatte dort die kommunistische Partei noch erheblichen Einfluss im politischen Leben. Sie betrachtete Stalin als Verheißung, nicht als Bedrohung. Auch viele Franzosen, die nicht der kommunistischen Partei zugewandt waren, hielten angesichts der historischen Erfahrung die Deutschen für ein größeres Problem als die Sowjets. Im selben Monat, in dem in Washington die Truman-Doktrin verkündet worden war, hatten Frankreich und Großbritannien den Vertrag von Dünkirchen geschlossen. Er sah gegenseitigen militärischen Beistand für den Fall einer künftigen deutschen Aggression vor. Die entscheidenden Weichenstellungen für die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Gründung fanden 1948 statt. Von kommunistischen Organisationen geschürte gewalttätige Streiks in Frankreich und Italien im Winter 1947/48 schärften das Bewusstsein für die kommunistische Bedrohung. Vor allem aber wirkten die Vorgänge, die sich im Februar 1948 in der Tschechoslowakei abspielten, beschleunigend auf die weitere Entwicklung. Bis dato konnte die Tschechoslowakei es vermeiden, unter die Herrschaft Moskaus zu geraten. 1946 war in freien Wahlen die kommunistische Partei zwar stärkste Partei geworden und sie stellte mit Klement Gottwald den Regierungschef. Von einer absoluten Mehrheit blieb sie aber weit entfernt. Gottwald stand einer Allparteienregierung vor, in der die Kommunisten unter anderem das Innenministerium führten. Die Personalpolitik des kommunistischen Innenministers zielte erkennbar darauf ab, die Polizei- und Sicherheitskräfte des Landes unter kommunistische Kontrolle zu bringen. Viele nichtkommunistische Kabinettsmitglieder missbilligten dies ausdrücklich und traten im Februar 1948 aus Protest aus der Regierung aus. So wollten sie Neuwahlen herbeiführen, in denen, wie sie hofften, die kommunistische Partei in der Wählergunst absinken würde. Zu den Neuwahlen kam es nicht. Gottwald forderte Staatspräsident Eduard Benesch auf, die frei gewordenen Ministerposten mit Kommunisten zu besetzen. Andernfalls, so Gottwald, habe er keine andere Wahl als Stalin in dieser Staatskrise um Hilfe zu ersuchen, dann werde die Rote Armee sich der Sache annehmen. Benesch gab nach. Damit war der Weg zur kommunistischen Diktatur frei, die binnen weniger Monate etabliert wurde. Im Ausland, so in Frankreich, sah man sich unsanft an das erst knapp zehn Jahre zurückliegende Münchner Abkommen erinnert, in dem die Tschechoslowakei schon einmal dem erpresserischen Übergriff einer auswärtigen Macht ausgeliefert worden war. Der Prager Coup bzw. der Februarumsturz 1948 gab den Anstoß, noch im selben Jahr den britisch-französischen Vertrag von Dünkirchen zum Brüsseler Vertrag zu erweitern. Die Niederlande, Belgien und Luxemburg traten bei. Die Vertragsbestimmungen wurden dahingehend geändert, dass die Vertragsparteien einander nicht nur bei einer von Deutschland ausgehenden, sondern bei jedweder Aggression Beistand leisten würden. Beides, Prager Coup und Brüsseler Vertrag, ließ auch Washington nicht unbeeindruckt. Der Brüsseler Vertrag stimmte auf den Fluren des Kapitols so manchen wohlwollend, der überzeugt war, Europa solle sich zur Wahrnehmung seiner Sicherheitsinteressen enger zusammenschließen. Wer so dachte, konnte durch die Truman-Administration für eine transatlantische Bündnisstruktur mit dem Argument gewonnen werden, diese eigne sich vorzüglich als Instrument zur weiteren Förderung der politischen Einigung Europas. Nach entsprechender Überzeugungsarbeit kam im Juni 1948 im USUnited States-Senat eine Mehrheit für die nach ihrem Initiator, dem republikanischen Senator Arthur H. Vandenberg benannte Vandenberg-Resolution zustande. Da ein Atlantikpakt immer noch nicht uneingeschränkt populär war, war die Resolution bewusst verklausuliert und vage formuliert, wie damals bemerkt wurde. Zitat: „Nur jemand mit Insiderkenntnissen konnte [ihr]…die Bereitschaft zum Atlantikpakt entnehmen, kaum jedoch die amerikanische Öffentlichkeit“. Mit der Resolution war der Weg frei zur Aufnahme offizieller Vorbereitungsgespräche im Juli 1948 zwischen den USAUnited States of America, Großbritannien, Frankreich und Kanada. Die von Stalin verfügte Berlin-Blockade, die keine zwei Wochen nach – wenn auch offiziell nicht wegen – der Verabschiedung der Vandenberg-Resolution begann, tat ein Übriges, jedermann die Notwendigkeit vereinter westlicher Verteidigungsbereitschaft vor Augen zu führen. In den Verhandlungen über das Zustandekommen des Bündnisses war ein „breit gefächerte[s] Gesamtpanorama der auseinanderstrebenden nationalen Ambitionen“ der potentiellen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Bei der Frage, welche Staaten Mitglied sein sollten, gab es erheblichen Gesprächsbedarf. Die USAUnited States of America sahen lange eine Mitgliedschaft Italiens skeptisch. Präsident Truman hatte gegen das „seiner Meinung nach schwache und unzuverlässige“ Land „wegen dessen faschistischer Vergangenheit“ Vorbehalte und glaubte, es sei mit Griechenland und der Türkei in einem separaten Mittelmeerbündnis besser aufgehoben. Schließlich konnte USUnited States-Außenminister Dean Acheson den Präsidenten doch davon überzeugen, dass die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mitgliedschaft dieser drei Staaten die vorteilhaftere Lösung sei. Die Mitgliedschaft Portugals war hochumstritten. Schließlich war der Atlantikpakt von Anfang an nicht ausschließlich als militärisches Defensivbündnis, sondern auch als Wertegemeinschaft konzipiert. Kanada wies wiederholt darauf hin, dass der iberische Staat, der seit 1933 unter der rückständigen Diktatur António Salazars ächzte, nicht in ein Bündnis passte, das sich zu „demokratischen Prinzipien, persönlicher und politischer Freiheit [und] Rechtsstaatlichkeit“ bekannte. Den militärischen Bedürfnissen, auf die Washington und London pochten, wurde jedoch Vorrang eingeräumt. Vor allem die uneingeschränkte Nutzung der Azoren galt für die strategische Bomberflotte der USAUnited States of America im Ernstfall als unverzichtbar. Anders lag der Fall einer potentiellen Mitgliedschaft Spaniens. Zwar plädierten sowohl amerikanische als auch französische Militärs aus strategischen Gründen für eine Mitgliedschaft. Auf Regierungsebene hingegen war für alle beteiligten Staaten klar, dass dies nicht in Frage kam. Mit Francisco Franco einen Diktator in der NATONorth Atlantic Treaty Organization zu akzeptieren, der seine Macht der brutalen Unterstützung durch Hitler und Mussolini zu verdanken hatte, hätte die Idee der Wertegemeinschaft verraten. Regelrecht geächtet wurde Franco dennoch nicht. Mehr oder weniger elegant trug man dem militärstrategischen Aspekt auf andere Weise Rechnung. Die USUnited States Air Force erhielt im Rahmen bilateraler Vereinbarungen das Recht zur Nutzung der gewünschten spanischen Flugplätze. Präsident Trumans Nachfolger, Dwight D. Eisenhower, honorierte Francos Kooperation 1959 mit einem Staatsbesuch in Spanien. Eine deutsche NATONorth Atlantic Treaty Organization-Mitgliedschaft stand in den Beratungen 1948/49 nicht ernsthaft zur Debatte - auch weil die Bundesrepublik Deutschland zu dem Zeitpunkt noch nicht existierte. Kanada hatte sich perspektivisch für eine deutsche Mitgliedschaft ausgesprochen, war damit aber auf den schärfsten Protest Frankreichs gestoßen. So einigte man sich auf die sehr dehnbare Formulierung, man werde eine deutsche Mitgliedschaft in Betracht ziehen, „wenn die Umstände es erlauben“. Durch zwei Weltkriege misstrauisch geworden, wollte Paris neue deutsche Streitkräfte so lange wie möglich verhindern. Washington konnte sich bereits 1950 eine neue deutsche Armee zur Verstärkung der westlichen Abwehrbereitschaft in Europa angesichts des unerwartet ausgebrochenen Kriegs in Korea vorstellen. Dass erst fünf Jahre später mit der Aufstellung der Bundeswehr begonnen wurde, lässt sich daher durchaus als Erfolg der französischen Politik werten. Frankreich bestand auf Einbeziehung seiner nordafrikanischen Besitzungen in das Bündnisgebiet. Dazu sah man in Washington und London keinen Grund. Nach zähem Hin und Her wurde Algerien als Teil des Bündnisgebiets akzeptiert, Marokko und Tunesien hingegen nicht. Bis heute ist das griffige Zitat geläufig, das dem ersten NATONorth Atlantic Treaty Organization-Generalsekretär, dem britischen General a.D. Lord Hastings Ismay zugeschrieben wird, die NATONorth Atlantic Treaty Organization diene dem dreifachen Zweck, „to keep the Soviet Union out, the Americans in and the Germans down“. Frei übersetzt: Bei Gründung der NATONorth Atlantic Treaty Organization ging es darum, 

  1. die Sowjets von aggressivem Vorgehen gegen Westeuropa abzuschrecken,
  2. sicherzustellen, dass die USAUnited States of America in Europa dauerhaft militärisch engagiert blieben und
  3. zu verhindern, dass erneut Aggression von Deutschland ausgehe.

Der dritte Punkt war nicht ausschließlich im Sinne der Unterbindung neuer Angriffskriege zu verstehen. Besonders Washington und London sahen den Wert der Einbindung der Bundesrepublik in die NATONorth Atlantic Treaty Organization auch in der Verhinderung der Anbahnung spezieller bilateraler deutsch-sowjetischer Beziehungen, wie sie in der Zwischenkriegszeit durch den Vertrag von Rapallo 1922 begründet worden waren. Mit dem zweiten Punkt verbanden sowohl Großbritannien als auch Frankreich – übrigens auch die Niederlande mit Blick auf Indonesien – die Kalkulation, das Engagement der USAUnited States of America in Europa ermögliche ihnen, sich militärisch verstärkt ihren außereuropäischen Besitzungen zuzuwenden und diese zu konsolidieren. Diese Kalkulation, die nicht aufging, stand am Beginn der Auseinandersetzung um eine faire Lastenteilung bei den Kosten der Verteidigungsanstrengungen in Europa, die die NATONorth Atlantic Treaty Organization seitdem begleitet. Aus Sicht der Truman-Administration sollte die NATONorth Atlantic Treaty Organization dauerhaft verhindern, dass die USAUnited States of America den Fehler wiederholten, sich aus Europa zurückzuziehen wie nach dem Ersten Weltkrieg. In diesem Sinne nannte Truman das NATONorth Atlantic Treaty Organization-Projekt den „letzte[n] Nagel im Sarg des Isolationismus“. Die Langlebigkeit der NATONorth Atlantic Treaty Organization hatten die Senatoren, die für die Vandenberg-Resolution stimmten, sicher nicht für möglich gehalten. Sie sahen in der NATONorth Atlantic Treaty Organizationein zur Eindämmung der Sowjetunion allenfalls mittelfristig benötigtes Instrument der psychisch-moralischen Aufrüstung Westeuropas…, mit dem der Marshallplan sicherheitspolitisch flankierend verstärkt werden sollte“. Die finanzielle Hilfe, die der Marshallplan seit 1948 für den Wiederaufbau Europas bereitstellte, lief 1953 aus. Die NATONorth Atlantic Treaty Organization besteht noch immer und wird weiterhin gebraucht, weil der europäische Einigungsprozess auf sicherheitspolitischem Gebiet bislang nicht im erhofften Umfang stattgefunden hat. Und vor allem, weil die Notwendigkeit militärischer Abschreckungsfähigkeit sich weiterhin zeigt. Das war Angelesen, das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute mit dem Buch „Die Gründung der Nordatlantischen Allianz. Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956, von Gero von Gersdorf. Es erschien im Jahr 2009 im Verlag Oldenbourg.

von Christoph Kuhl

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Footer

Es ist uns ein Anliegen, Ihre Daten zu schützen

Wir verwenden Cookies, um Ihnen ein optimales Webseiten-Erlebnis zu bieten. Das sind einerseits für den Betrieb der Seite notwendige Cookies, andererseits solche, die für Statistikzwecke, für die Anzeige von Posts aus sozialen Netzwerken oder bei der Anzeige von Kartenmaterial gesetzt werden. Sie können selbst entscheiden, welche davon Sie zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass auf Basis Ihrer Einstellungen eventuell nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.

  • Logo der Bundeswehr

    Es ist uns ein Anliegen, Ihre Daten zu schützen

    Detaillierte Informationen zum Datenschutz finden Sie unter

    Kanal_Datenschutzerklärung