Die Bundeswehr in Afghanistan/Münch Transkript

Die Bundeswehr in Afghanistan/Münch Transkript

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Herzlich willkommen zu „Angelesen“ dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute stellen wir das Buch von Philipp Münch, Die Bundeswehr in Afghanistan vor. Es erschien im Jahr 2015 im Rombach-Verlag. Nicht nur Soldaten fragen nach den Gründen, weshalb der 20jährige Einsatz in Afghanistan scheiterte. Auch die Politik beschäftigt sich intensiv mit dieser Frage. Eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags hat zu diesem Thema jüngst die Arbeit aufgenommen. Allerdings befasst sich die Wissenschaft schon länger mit dem Afghanistan-Engagement. So erkannten bereits bei Erscheinen des Buchs kritische Beobachter, dass die kurz zuvor beendete International Security Assistance Force, kurz ISAFInternational Security Assistance Force, der NATO wenig erfolgreich war. Die Studie von Philipp Münch fragt daher, worin die Ursachen für die Probleme der Mission zu finden sind. Um die Frage einzugrenzen, beschränkt sie sich auf eine detaillierte Untersuchung des drittgrößten Beitrags zur ISAFInternational Security Assistance Force. Ihn stellte Deutschland mit der Bundeswehr. Die Arbeit geht davon aus, dass die Kernursache der Probleme im meist unklaren politischen Zweck von internationalen militärischen Interventionen zu finden sind. Diese Leerstelle verschafft einer militärischen Handlungslogik Raum, die wenig an den Gegebenheiten vor Ort orientiert ist. Vielmehr orientiert sie sich an tradierten militärischen Vorgehensweisen und Werten militärischer Gemeinschaften.

1.    Bürokraten und Krieger

Die Studie geht davon aus, dass menschliches Handeln von persönlichen Einstellungen bestimmt ist, die historisch gewachsen sind. Die Summe dieser Einstellungen lässt sich als „Habitus“ bezeichnen. Da ihre Entstehung weit zurückreicht, passen sie nicht immer auf die aktuellen Verhältnisse. Um also das Handeln der Bundeswehr in Afghanistan zu verstehen, ist auch die dahinter zurückreichende Geschichte dieser Armee zu betrachten.
Aus der bestehenden Forschung arbeitet die Studie heraus, dass es nicht eine einzelne Form von Habitus in der Bundeswehr gibt. Sinnvoller ist es, sich die vorherrschenden Habitus-Formen als ein Spektrum zwischen zwei Polen vorzustellen. An einem Pol findet sich dabei der Habitus des „Bürokraten“. Diese Soldatinnen und Soldaten haben vor allem Einstellungen verinnerlicht, die auf den regelhaften, eher technischen Betrieb einer komplexen Organisation wie der Bundeswehr abgestimmt sind. Sie ähneln den Habitus in zivilen Organisationen mit im Alltag teilweise ähnlichen Aufgaben wie Feuerwehr oder Technischem Hilfswerk.

Auf dem gegenüberliegenden Pol findet sich der Habitus des „Kriegers“. Seine Einstellungen teilen vor allem die Soldatinnen und Soldaten, die damit beauftragt sind, unmittelbar Gewalt auszuüben. Sie verinnerlichen dementsprechend Einstellungen, die Gewaltausübung und damit verbundene klassische militärische Werte wie Opferbereitschaft positiv erscheinen lassen. Mit diesem eigentlichen Zweck von Streitkräften, Gewalt anzuwenden, sind in den modernen, hochgradig arbeitsteiligen Armeen allerdings nur noch wenige Soldatinnen und Soldaten betraut. 

Auch verinnerlichen Soldatinnen und Soldaten in ihrer Laufbahn verschiedene Einstellungen, je nach Verwendung. Auf der untersten taktischen Ebene der Kampftruppe findet sich der Krieger-Habitus in seiner reinsten Form. Dagegen dominiert in den hochrangigsten Positionen der Habitus des Bürokraten. Hier hegt zudem die Nähe zur Politik die kriegerischen Einstellungen ein. Aufgrund ihres demographisch ungünstigen Aufbaus litten die höheren Offiziersränge der Bundeswehr stets unter einem Beförderungsstau. Dies dürfte mit dazu beigetragen haben, dass in ihrer Führung ein „Absicherungsdenken“ überhandnahm. Bereits seit den 1970er Jahren konstatierten daher Zeitgenossen regelmäßig, dass viele Offiziere übermäßig versuchten, Fehltritte und damit Karrierenachteile zu vermeiden.

Die Bundeswehr bauten weit überwiegend ehemalige Soldaten der Reichswehr und Wehrmacht auf. Ihre Einstellungen beeinflussten somit den Aufbau der neuen Armee. Daher übernahm die Bundeswehr viele Symbole und Vorgehensweisen ihrer Vorgänger. Mit am stärksten prägte sie dabei das spezifische Ideal preußisch-deutscher operativer Führung. Es sah vor, durch möglichst schnelles und eigeninitiatives, das Gelände geschickt ausnutzendes Manövrieren der eigenen Kräfte auch zahlenmäßig überlegene feindliche Streitkräfte zu schlagen. Tief habitualisiert, erwies sich dieses Ideal als sehr wirkmächtig bei der Ausgestaltung der Bundeswehr.

Deutlich prägnanter widmet sich die Studie den Habitus der außenpolitischen Entscheidungsträger der Bundesrepublik. Auch hier kommt sie zu dem Schluss, dass weiter in die deutsche Geschichte hineinreichende Einstellungen das Handeln der Akteure bestimmten. Demnach eint die außenpolitisch Verantwortlichen der Bundesrepublik trotz aller Rhetorik, dass sie wieder eine machtvolle Position ihres Landes erreichen wollten. Nach 1990 zeigte sich dies insbesondere im ausdrücklichen Ziel, einen ständigen UNUnited Nations-Sicherheitsratssitz zu erhalten. Ein eindeutiger Bruch mit der Zeit vor 1945 war hingegen der Stellenwert militärischer Gewalt. Die außenpolitischen Entscheidungsträger der Bundesrepublik nahmen an, dass die Masse der Bevölkerung militärische Gewalt ablehnte oder zumindest kritisch betrachtete. Sie bemühten sich daher, den Menschen nicht zu intensive Militäreinsätze zuzumuten.

2.    Afghanistan

Um das Handeln der Bundeswehr in Afghanistan zu verstehen, betrachtet die Studie auch die Verhältnisse vor Ort. Hierzu geht sie ebenfalls weit in die Geschichte zurück. Als Quelle nutzt sie unter anderem eigene Feldforschung in den afghanischen Provinzen, in denen die Bundeswehr hauptsächlich eingesetzt war. Die Arbeit kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Ursachen für den Krieg und mangelhaften Staatsaufbau weit zurückreichen. Der Krieg war demnach kein „ideologischer“ zwischen fundamentalistischen Islamisten und Moderaten oder zwischen Anhängern „des Westens“ und deren Gegnern. 
Stattdessen handelte es sich um einen Machtkonflikt um die Herrschaft über Afghanistan, den seine Protagonisten in wechselnden ideologischen Konstellationen führten. Er nährte sich dadurch, dass die Moderne traditionelle Strukturen, die Konflikte ausglichen, zerstörte, ohne sie bereits zu ersetzen. Die um die Macht kämpfenden Akteure folgten dabei durchaus einem modernen nationalen Staatsideal. Die spätestens 1973 mit dem Sturz des Königs begonnenen politischen Unruhen zeigen, dass der Konfliktgegenstand darin besteht, wer die machtvollsten Positionen in einem solchen Staat besetzen darf. Politische Gruppierungen und Institutionen sind dabei entlang persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse aufgebaut. Sie sind daher sehr viel fluider und fragiler als stärker unpersönliche moderne Einrichtungen.

Die Bundeswehr unterhielt neben einer großen Versorgungsbasis in Masare Scharif in zwei Provinzen je ein Provincial Reconstruction Team, kurz PRTProvincial Reconstruction Team, als Hauptbasis. Eine der beiden Provinzen, Badachschan, gehörte zu den wenigen Landesteilen, welche die Taliban nie erobert hatten. Hier besetzten bei Ankunft der Bundeswehr die Angehörigen der mächtigsten Mudschaheddin-Partei die wichtigsten offiziellen und inoffiziellen Positionen. Bei ihrem Abzug 2012 hatte sich dies nicht verändert.

Die Taliban hatten die Provinz Kundus, Standort des anderen deutschen PRTs, Ende der 1990er Jahre erobert. Viele lokale Kommandeure der Mudschaheddin-Organisation liefen dabei auf ihre Seite über. Als die USUnited States-Kräfte 2001 mit ihren afghanischen Verbündeten dorthin vorrückten, fielen viele dieser Kommandeure wieder von den Taliban ab. Andere wurden getötet. In der Folge besetzten wieder Vertreter der Mudschaheddin-Parteien die wichtigsten offiziellen und inoffiziellen Positionen in Kundus. Dies verhielt sich auch nach Abbau des deutschen PRTProvincial Reconstruction Team im Jahr 2013 so.
Zur Zeit der Ende 2001 faktisch von den USAUnited States of America und ihren Verbündeten in Afghanistan eingesetzten Regierung wurden die Taliban zum Vertreter der zu kurz Gekommenen. In ihren Reihen fanden sich daher keineswegs nur die Angehörigen der Ethnie der Paschtunen, zu denen auch die Mehrheit ihrer Führung gehört. Ihnen folgten stattdessen all jene, die bei der Neuverteilung von Posten und sonstigen Ressourcen nicht berücksichtigt wurden.

3.    Allgemeine Handlungslogik von ISAFInternational Security Assistance Force und Bundeswehr in Afghanistan

Nach dem Kapitel über innerafghanische Verhältnisse wendet sich die Studie wieder dem internationalen militärischen Engagement zu. Sie konstatiert zur politischen Logik der Intervention: im Grunde verfolgte keine dort engagierte Regierung einen eng mit Afghanistan verbundenen Zweck in dem Land. Die USUnited States-Administration sah sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gezwungen, eine sichtbare Bestrafungsaktion gegen die Taliban auszuführen. Ihr eigentliches Interesse galt aber dem Irak, in dessen Intervention sie in der Folge sehr viel mehr Mittel investieren sollte.
Die deutschen Bundesregierungen hingegen wollten vor allem – wie viele andere Verbündete – ihre Solidarität mit den USAUnited States of America demonstrieren. Hierdurch wiederum, so ihre Annahme, sollte sich Deutschlands Position in den internationalen Beziehungen erhalten oder gar verbessern. Durch den bundesrepublikanischen außenpolitischen Habitus betrachtet, erschien Deutschlands Teilnahme als „Schlusspunkt unter das Kapitel der eingeschränkten Souveränität Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg“, wie Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder rückblickend schrieb. Wie die anderen beteiligten Staaten, wollten die deutschen Regierungen also höchstwahrscheinlich nichts Konkretes in Afghanistan erreichen, sondern nur etwas außerhalb des Landes liegendes. Aus diesem Grund formulierten sie auch nie einen eindeutigen Zweck des Engagements, aus dem sich eine Strategie für den Afghanistan-Einsatz ableiten ließ. Gleichzeitig wollten die Regierungen nicht die Unterstützung der Bevölkerung für den Einsatz verlieren. Dabei leitete sie die Annahme, dass die meisten Deutschen eher pazifistisch eingestellt seien. Auslandseinsätze der Bundeswehr, bei denen Kampfhandlungen zu erwarten waren, würden sie demnach ablehnen. Aus diesem Grund war die politische Führung darum bemüht, dass der deutsche ISAFInternational Security Assistance Force-Einsatz nicht zu kriegerisch erschien. Daher lehnte sie es auch die längste Zeit ab, die Lage im Land als Krieg zu bezeichnen. Angesichts dieses Unwillens und der Zurückhaltung, waren es die für Afghanistan zuständigen Akteure in den zuständigen Ressorts und nachgeordneten Bereichen, die das Engagement vorantrieben. Ohne eindeutig formulierten politischen Zweck konnten sie allerdings keine klare, kohärente Strategie dafür erstellen. Ebenfalls hinderlich waren dafür die unterschiedlichen Interessen der Ressorts. Sie erzwangen vage Kompromissformeln. Dies galt auch für die ISAFInternational Security Assistance Force-Strategie, da die NATO-Mitgliedsstaaten ebenfalls abweichende Interessen hatten. Ihre Abgesandten konkurrierten zudem um möglichst einflussreiche Posten in der Mission. Gleichzeitig versuchte jede Nation, anhand von Einsatzvorbehalten ihr Kontingent möglichst vor Verlusten zu bewahren. Ohne klares Ziel bestimmte daher zum einen die Konkurrenz zwischen ihren Truppenstellern die allgemeine Handlungslogik der ISAFInternational Security Assistance Force. Zum anderen trieben die Forderungen der mit Afghanistan befassten Akteure nach mehr Ressourcen das Engagement voran. So forderten alle ISAFInternational Security Assistance Force-Kommandeure – obwohl sie keinen klaren Auftrag hatten – als Reaktion auf die stetig verschlechterte Sicherheitslage mehr Truppen. Erst als die öffentliche Unterstützung für das westliche Engagement deutlich erlahmte, entschieden zunächst die USAUnited States of America und dann ihre Verbündeten in den Jahren 2009 und 2010, es schrittweise zu beenden.

4.    Handlungslogik der Bundeswehr in Afghanistan 

Als nächstes untersucht die Studie detaillierter entscheidende Aufgabenbereiche der Bundeswehr in Afghanistan. Zunächst geht es dabei um das Auslandsnachrichtenwesen im Einsatz. Denn die ihnen vorliegenden Informationen dürften das Handeln der Verantwortlichen entscheidend beeinflusst haben. Hauptzuträger waren dabei der Bundesnachrichtendienst, kurz BNDBundesnachrichtendienst, und das Militärische Nachrichtenwesen der Bundeswehr, kurz MilNW.
Die Studie kommt hier zu dem Schluss, dass BNDBundesnachrichtendienst und MilNW oft nicht die von den Truppenführern benötigten Informationen produzierten. Recht einhellig beklagten die Verantwortlichen dabei einen Mangel an sogenannter „Human Intelligence“. Gemeint sind damit Informationen, die Personen mit privilegiertem Zugriff auf diese liefern. Ohne solche Informationen lassen sich im Verdeckten agierende Aufstandsbewegungen kaum aufklären. Zudem zeigt sich, dass BNDBundesnachrichtendienst und MilNW die afghanischen Akteure oft in feste Kategorien einordneten wie bestimmte Ethnien oder als eindeutig regierungstreu beziehungsweise regierungsfeindlich. Dadurch blieb aber der fluide Charakter afghanischer Lagerbildung unbeachtet. Es folgt ein Kapitel zur Frage, wie die Bundeswehr mit offiziellen und inoffiziellen lokalen Machthabern zusammenarbeitete. Dies war deshalb entscheidend, weil die ISAFInternational Security Assistance Force einerseits die offiziellen Vertreter des afghanischen Staats bloß befähigen sollte, die Sicherheit im Land selbst zu garantieren. Andererseits lag aber die faktische Macht in den Händen von nicht-staatlichen Akteuren. Mit ihnen umzugehen war also unumgänglich. Die Arbeit zeigt, dass der Bundeswehr aufgrund der Defizite im Nachrichtenwesen oftmals konkrete Informationen über die tatsächlichen lokalen Machtverhältnisse fehlten. Allein schon deshalb orientierten sich die Verantwortlichen gerade anfangs an den formalen Strukturen. Allerdings merkten sie bald, dass die offiziellen Provinzgouverneure oft nicht die mächtigsten Akteure waren. Um Angriffe auf die Bundeswehr zu verhindern, arbeiteten die PRTProvincial Reconstruction Team-Kommandeure daher insbesondere in Badachschan auch mit den informellen Machthabern zusammen. Insgesamt versuchten die deutschen Truppenführer aber durchgehend, möglichst mit den offiziellen, nicht-korrupten Vertretern des afghanischen Staats zusammenzuarbeiten. Allerdings waren die nach westlichem Verständnis integren Afghanen meist auch die weniger Einflussreichen. Denn sie konnten keine umfangreiche Klientel mit veruntreuten staatlichen Mitteln aufbauen. Lokale Machthaber bekämpften diese Amtsinhaber zudem oft. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Bundeswehr-Angehörigen beim Umgang mit afghanischen Machthabern am stärksten ihre habitualisierten Vorannahmen hinter sich ließen. Am Ende sahen sich sogar die Akteure auf ministerieller Ebene genötigt, anzuerkennen, dass es auch nötig sein kann, mit nicht-staatlichen Machthabern zusammenzuarbeiten. Paradoxerweise behandeln viele historische oder sozialwissenschaftliche Arbeiten über Kriege nicht die Frage der Gewaltausübung. Die Studie widmet ihr dagegen ein ausführliches Kapitel. Um die Logik der Gewaltpraxis der Bundeswehr in Afghanistan zu verstehen, betrachtet sie unterschiedliche Akteure. Hierarchisch gesehen auf der höchsten Ebene gehörten hierzu die Verantwortlichen im Bundesministerium der Verteidigung. Sie wollten vor allem einerseits sicherstellen, dass die Bundeswehr ihren Beitrag zur ISAFInternational Security Assistance Force – auch in den Augen der Verbündeten – leistet. Andererseits wollten sie die Unterstützung für den Einsatz in der – in ihrer Wahrnehmung – eher pazifistischen deutschen Gesellschaft erhalten. Dazu drängten die Verantwortlichen der ministeriellen Ebene auf ein möglichst unkriegerisches Erscheinungsbild der ISAFInternational Security Assistance Force-Mission der Bundeswehr in der deutschen Öffentlichkeit. Auch setzten sie sich für ausreichend restriktive Gewaltregeln ein. Im scharfen Gegensatz standen hierzu die Angehörigen der Kampftruppe des Deutschen Heeres, die in Afghanistan im Ernstfall unmittelbar Gewalt ausüben sollten. Vor Ort verließen sie regelmäßig die gut gesicherten Feldlager, um Patrouillen zu fahren oder Operationen auszuführen. Ihre Habitus entsprachen am ehesten dem des „Kriegers“. Überwiegend unter 30 Jahre alt, wollten viele Angehörige der Kampftruppe ihre Professionalität belegen. Sie drängten daher sogar eher darauf, zum Einsatz zu kommen. Dies galt insbesondere nach Angriffen der Aufständischen auf die Truppe. Der historische Charakter ihres Kriegerideals spielgelte sich darin wider, dass bei ihnen traditionelle Symbole und Deutungsangebote aus der deutschen Militärgeschichte großen Anklang fanden. Zwischen den Verantwortlichen auf ministerieller Ebene und den genannten Angehörigen der Truppe standen militärische Führer im Rang von Generälen und höheren Stabsoffizieren. Sie hatten eher den Habitus in der Ausprägung des „Bürokraten“ angenommen. Als solches zeigten sie ein größeres Gespür für die Bedürfnisse der Ministerialen, die Mission möglichst unkriegerisch und erfolgreich erscheinen zu lassen. Um keine Karrierenachteile zu erleiden, setzten sie dies auch durch. Dies geschah, indem sie überwiegend die Lage im Sinne der politischen Führung bewerteten. Gleichzeitig setzten sie die Truppe meist äußerst vorsichtig ein. Im Handeln dieser militärischen Führer spiegelte sich ebenfalls der historische Charakter ihres eher technisch ausgerichteten Habitus wider. Das zeigte sich daran, dass die von ihnen geplanten Operationen offensichtlich geprägt waren vom klassischen Ideal preußisch-deutscher operativer Führungskunst. Denn obwohl der Aufenthaltsort des Gegners in Afghanistan selten bekannt war, orientierten sie sich bei ihren Planungen am Gelände. Zudem versuchten sie – wie im hochintensiven Gefecht zwischen regulären Streitkräften – schnelle Entscheidungen zu erzwingen. Schließlich erreichten die Truppenführer auch, dass fast alle Elemente des klassischen „Gefechts der verbundenen Waffen“ in Afghanistan eingesetzt wurden. Dazu ließen sie auch mechanisierte Kräfte dorthin verlegen. Zudem stellten sie schließlich mit den Ausbildungs- und Schutzbataillonen im Grunde herkömmliche Brigaden im Miniaturformat auf. In den Jahren 2009 und 2010 erreichten die Angriffe von Aufständischen in Kundus einen Höhepunkt. Dass angesichts dessen die Gewalt nicht stärker eskalierte, lag auch an der einhegenden Rolle der höheren politisch-militärischen Führung. Zudem begann der Kampfauftrag der Bundeswehr faktisch ab 2011 mit dem schrittweisen Übergang in eine rein beratende und anleitende Rolle auszulaufen.

5.    Schluss

Am Ende konstatiert die Studie, dass die Gruppen von Akteuren, die sie untersuchte, je unterschiedliche Ziele zu erreichen versuchten: Sei es die Stellung des Staats in den internationalen Beziehungen zu verbessern, Karriereaussichten zu erhöhen oder einem Kriegerideal zu genügen. In jedem Fall waren diese Ziele im Kern nicht mit Afghanistan verbunden. Am Fall des deutschen Beitrags stellt die Arbeit daher die These auf, dass sich die internationale Intervention vor allem auf sich selbst bezog. Dies erscheint als Kern ihrer Probleme. Als Hauptursache macht die Studie hierfür wiederum den nicht klar formulierten und im Kern nicht mit Afghanistan verbundenen politischen Zweck des Einsatzes aus. Dementsprechend gab es auch keine Strategie, die Ziele, Mittel und Wege ausbalancierte. Ohne eine Strategie konnte sich eine auf Mittel und Wege anstatt auf Zwecke fokussierte Eigenlogik der Intervention bemächtigten. Erzeugt wurde diese Eigenlogik von den internationalen und nationalen, zivilen und militärischen bürokratischen Organisationen, die mit ihr befasst waren. Aufschlussreich ist dabei ein Vergleich mit den Interventionen der USAUnited States of America in Vietnam und der Sowjetunion in Afghanistan. Dass sie trotz aller Unterschiede in den politischen Zielsetzungen sehr ähnlich verlaufen waren, zeigt demnach, dass es sich um ein strukturelles Problem dieser Art von Interventionen handelt. Aus der Studie lassen sich mindestens folgende Erkenntnisse für Fachleute sowie die breitere Öffentlichkeit ziehen. Dazu zählen insbesondere die zahlreichen Veteranen, die in Afghanistan gedient haben. Spätestens das eindeutige Scheitern des Engagements im Jahr 2021 dürfte bei vielen eine Sinnkrise hervorgerufen haben. Sie werden daher umso stärker verstehen wollen, weshalb es dazu kam. Zuvorderst erscheint es unverzichtbar, dass die Regierenden einen klaren und ausdrücklichen Zweck für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr bestimmen. Sofern die höchste militärische Führung einen solchen nicht erhält oder dieser nicht umsetzbar ist, muss sie genau darauf im politischen Raum drängen. Die Studie zeigt zudem, dass ohne einen eindeutigen politischen Zweck militärisches Handeln in eine Eigenlogik zu verfallen droht, die auch zur Gewalteskalation führen kann. Denn die Verantwortlichen werden daraufhin ihr Handeln an einem selbstgewählten Zweck ausrichten. Wie gezeigt, bestimmen institutionelle oder sonstige Eigeninteressen sowie aus anderen Kontexten stammende militärische Werte oftmals diesen Zweck. Auch legen die Ergebnisse nahe, dass es wohl weniger einen Konflikt zwischen Soldatinnen und Soldaten gibt, die im Einsatz überwiegend in den Feldlagern dienen (den sog. „Drinnis“) und solchen die dies außerhalb tun (den sog. „Draußis“). Eher dürfte die Linie zwischen den in der Arbeit als „Bürokraten“ und „Krieger“ charakterisierten Soldatinnen und Soldaten verlaufen. Die „Krieger“ reagieren dabei mit Unverständnis auf die eher technische, an kurzfristigen politischen Opportunitäten orientierte Haltung der „Bürokraten“.
Das war „Angelesen„, das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute zum Buch von Philipp Münch, Die Bundeswehr in Afghanistan.

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