Der Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten Transkript

Der Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten Transkript

Datum:
Lesedauer:
9 MIN

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Einführung: Weimarer Republik
Wir haben in den letzten Jahren viel über den Ersten Weltkrieg gelesen – hundertste Jahrestage beflügeln die Buchproduktion. Jetzt gerät zunehmend die Weimarer Republik in den Fokus, die 14 Jahre zwischen dem großen Krieg und dem Beginn der NSNationalsozialismus-Diktatur, 1919 bis 1933. Woran ist die Weimarer Republik gescheitert? Republik ohne Republikaner hat man sie genannt. Sicher, es gab gute Jahre, die „Goldenen Zwanziger“, aber am Ende stand Hitler. Dennis Werbergs Buch über den Stahlhelm lenkt unseren Blick auf jene, die zum Scheitern der ersten deutschen Demokratie beigetragen haben. Was war der Stahlhelm? Um Missverständnissen vorzubeugen: es geht hier nicht um eine Kopfbedeckung. Der „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“ war der zahlenmäßig größte Zusammenschluss ehemaliger „Frontkämpfer“, wie sie sich nannten, also jener, die im Ersten Weltkrieg Soldat gewesen waren. Gegründet wurde er im Dezember 1918 in Magdeburg, unter der Führung des Leutnants der Reserve Franz Seldte. Allerdings musste Seldte Ende der 1920er Jahre einer Doppelspitze zustimmen; neben ihm wurde der deutlich radikalere Theodor Duesterberg zweiter Bundesführer. Duesterberg war aktiver Major im Generalstab gewesen und versuchte, Seldte von oben herab zu behandeln – der war ja nur Reservist. Seldte aber hatte an der Westfront einen Arm verloren – das verschafft in solchen Kreisen Respekt. Bei einer Veranstaltung, bei der Seldte als „Reservedackel“ angegriffen wurde, soll er auf den Tisch gesprungen sein, auf seinen verstümmelten Arm gezeigt und gebrüllt haben: „Glaubt ihr Armleuchter vielleicht, ich habe meinen linken Arm unter der Elektrischen (also unter der Straßenbahn) verloren?!“ Nur wer im Ersten Weltkrieg selbst an der Front gekämpft hatte, konnte Mitglied werden. Andererseits verstand der Stahlhelm sich als eine Massenbewegung, die politischen Druck aufbauen wollte, ohne wiederum eine der verhassten Parteien zu sein. Da war es notwendig, zusätzliche Mitglieder zu werben, auch unter solchen jungen Männern, die nicht gedient hatten – obwohl man sie vollwertige Mitglieder akzeptieren dann doch nicht akzeptieren wollte. Je länger der Krieg her war, umso mehr kam es darauf an, den Geruch eines Stammtischvereins älterer Honoratioren loszuwerden. So entstanden verschiedene Nebenorganisationen, etwa ein „Jungstahlhelm“ und eine eigene Verbindung für Frauen. Nur Juden waren ausgeschlossen, selbst wenn sie für das Reich im Feindfeuer gelegen hatten – natürlich, muss man fast sagen, bei einem Verband, der eindeutig der politischen Rechten zuzuordnen war. Einiges an Grundwissen setzt dieses Buch voraus – es ist keine Überblicksgeschichte des „Stahlhelm“. Vielmehr stellt sich Major Dennis Werberg vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam in seiner Doktorarbeit die Frage nach dem Verhältnis zwischen Stahlhelm und den Sturmabteilungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, kurz der SASturmabteilung, Hitlers Schlägertruppe. Nur scheinbar fällt er damit in jenen Ansatz zurück, der die gesamte Weimarer Republik unter dem Aspekt ihres Endes sieht. In Wirklichkeit gelingt es Werberg nämlich, gerade im Vergleich zwischen SASturmabteilung und Stahlhelm Neues über sein Thema herauszuarbeiten. Einige der Ergebnisse wollen wir uns einmal ansehen. Ideologie: Zunächst muss sich der Leser durch einiges an Theorie durchkämpfen – das muss bei Dissertationen wohl sein. Dann aber behandelt das erste große Kapitel die unterschiedlichen Ideologien des Stahlhelms und der nationalsozialistischen Bewegung, hier vor allem der SASturmabteilung. Ein wichtiger Begriff ist hier „Tempo 114“ – was ist das? Nun, das ist der Marschschritt der deutschen Infanterie aus Kaisers Zeiten. So sah sich der „Stahlhelm“, die Massenbewegung mit dem großen Anhang. Vorwärts, gewiss, auch der Stahlhelm verstand sich eben als „Bewegung“ – wie auch die NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Aber die „Sturmtruppen“ der Nazipartei sahen sich eben nicht in der Tradition des gewaltigen, geregelten, gemessenen Marschschritts eines Massenheeres von ehedem, sondern in jener der elitären Sturmtruppen der neuen Infanterietaktik von 1917 und 1918. Aber von solchen Radikalen wollte sich der Stahlhelm unter Seldte eben nicht überholen lassen. Sollten die sich doch im Sturmschritt verausgaben… Werberg: So etablierte sich das Bild des Grabenkämpfers als Arbeiter mit alltäglichen Routinen, der den Feind eher selten zu Gesicht bekam und der durch Patriotismus und Appelle an sein Pflichtgefühl motiviert werden musste. Diesem Arbeiter wurde der Sturmsoldat als beinahe romantische Figur gegenübergestellt, der sich aus dem Massenelend des Grabenkrieges erhoben, den Kampf zum Feind getragen und eine regelrechte Lust am Kämpfen gezeigt habe. Die Angehörigen der SASturmabteilung, die bis 1933 und darüber hinaus die politischen Gegner offensiv auf der Straße bekämpften, waren mehrheitlich zu jung, um selbst am Krieg teilgenommen zu haben, wurden „jedoch in nicht geringem Maße durch dessen verfälschte Bilder mobilisiert“. Erst nach der Eskalation des Konflikts zwischen SASturmabteilung und NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei und der Zerschlagung der SASturmabteilung-Führung am 20. Juni 1934 fand das Ideal des revolutionären und draufgängerischen Kämpfers ihr Ende und wurde durch ein eher bürgerliches Ideal des entbehrungsgewöhnten Soldaten ersetzt, welches sich den Schilderungen des Grabenkämpfers im Stahlhelm deutlich annäherte. Schon Seldtes interner Rivale Duesterberg dachte da allerdings anders und drückte aufs Tempo. Schließlich drängte die NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei auf die Revolution, auf die nationale Revolution. Vor allem ihre linken Anteile unter Männern wie den Brüdern Strasser oder dem Obersten SASturmabteilung-Führer Ernst Röhm waren auf tiefgreifende Veränderungen aus. Gegen „Rotfront und Reaktion“ wollte man marschieren, so das Horst-Wessel-Lied, und zu den Reaktionären rechneten die Nazis allemal den „Stahlhelm“. Je größer aber die wirtschaftliche Not gerade jener wurde, die im Krieg gelitten hatten und jetzt am Rande des Existenzminimums lebten, umso mehr drängten sie auf sofortige und radikale Veränderung, um mehr als nur „Tempo 114“. Gewiss, NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei und SASturmabteilung gehörten ebenso wie der Stahlhelm und die mit ihm verflochtene Deutschnationale Volkspartei zum rechten Spektrum der Weimarer Republik – aber sie waren innerhalb dieses Spektrums scharfe, teils gewalttätige Konkurrenten, und ideologisch keineswegs auf einer Linie. Sozialprofil: Das erklärt sich auch ein gutes Stück weit aus dem unterschiedlichen Zusammensetzung beider Gruppierungen. Werberg hat hier wertvolles neues Material gefunden und systematisch ausgewertet. Aus verschiedenen Karteien und Listen hat er ein Sozialprofil der Stahlhelmführer erarbeitet: wo kommen sie sozial und beruflich her, und was unterscheidet sie von den SASturmabteilung-Führern? Da wird deutlich, dass beim Stahlhelm die Mitglieder zwar weitgehend aus den unteren Schichten kamen (wie auch bei der SASturmabteilung), dass aber die Führer des Stahlhelm auf der örtlichen und regionalen Ebene zumeist ältere Honoratioren aus den gehobenen Schichte waren: Lehrer, Beamte, Gutsbesitzer, Unternehmer… Dagegen fanden sich bei der SASturmabteilung zumeist kleine Handwerker, niedere Beamte und ehemalige Feldwebel in vergleichbaren Positionen; zudem waren die SASturmabteilung-Führer im Schnitt deutlich jünger. Das lag natürlich nicht zuletzt daran, dass der Stahlhelm nur Kriegsteilnehmer akzeptierte, und die wurden eben mit der Zeit immer älter. Die nach 1900 Geborenen fanden ihre Heimat dann eben eher in der SASturmabteilung. Die Konkurrenz um Nachwuchs verschärfte sich mit der Zeit. Gewiss, der Stahlhelm war zahlenmäßig der SASturmabteilung immer noch weit voraus, aber bei den jüngeren Altersgruppen begann sich das umzukehren. Der Ruf des Stahlhelms als biederer Altherrenverein am Stammtisch lockte eben keine auf Veränderung erpichten jungen Männer mehr hinter dem Ofen hervor. Seldte sträubte sich gegen notwendige Reformen; die Kriegsgedienten konnten und wollten nicht loslassen – Duesterberg drängte auf Veränderung, konnte sich aber nicht wirklich durchsetzen. Bei der Reichspräsidentenwahl 1932 stellte der Stahlhelm, angetrieben von seinen radikaleren Elementen, Duesterberg als Kandidaten auf – gegen den anderen Kandidaten der Rechten, Adolf Hitler und gegen den Amtsinhaber Paul von Hindenburg, der als Kandidat der demokratischen Parteien auftrat. Duesterberg erreichte gerade mal gut sechs Prozent der Stimmen und trat im zweiten Wahlgang nicht mehr an – das politische Gewicht des Stahlhelm begann zu verblassen. Die Zeit nach der Machtübernahme Hitlers: Eine Zeit lang hat es wohl um die Jahreswende 1932/33 so ausgesehen, als könnte Seldte Reichskanzler werden, zumal Reichspräsident von Hindenburg ihn persönlich schätzte und Ehrenmitglied des Stahlhelm war. Aber auch hier entspannen sich genügend Intrigen, um das letztlich zu verhindern. So ganz schlimm empfand Seldte das auch nicht; immerhin wurde er Reichsarbeitsminister, damit zuständig für die Arbeitsämter und die Vergabe der begehrten Arbeitsplätze. Den Herrn Hitler würde man schon zähmen können, immerhin war man ja der etabliertere Partner gegenüber dem Emporkömmling. Alle, die so dachten, haben sich böse in den Finger geschnitten. Innerhalb von Wochen setzten die Nationalsozialisten ihre Macht durch, und auch wenn im Juni 1934 die SASturmabteilung-Führer und NSNationalsozialismus-Parteilinken um Röhm ermordet wurden, bedeutete das keineswegs eine Aufwertung der ehemaligen Stahlhelmer. „Ehemaligen“, weil der Stahlhelm da schon weitgehend aufgehört hatte zu existieren. Seldte musste feststellen, dass die örtlichen Parteistellen die Kontrolle über die Arbeitsämter übernahmen; die Parteistrukturen entmachteten weitgehend die staatlichen Organe. Seinen Rivalen Duesterberg, der immer der Scharfmacher gewesen war, aber teilweise jüdische Vorfahren hatte, vertrieb Seldte. Das Ehrenmitglied Hindenburg starb 1934, das andere Ehrenmitglied, Generalfeldmarschall August von Mackensen, trat aus. Was zunächst noch unter dem Namen „Nationalsozialistischer Deutscher Frontkämpferbund (Stahlhelm)“ von der früheren Großorganisation übrig war, wurde 1935 endgültig aufgelöst. Die Nachkriegszeit: War’s das? Nicht ganz. Ein Verdienst von Werbergs Arbeit ist es, dass sie auch einen Blick auf die verschiedenen Versuche wirft, nach dem Zweiten Weltkrieg den Stahlhelm wiederzugründen. Immerhin war man ja doch – so konnte man es zumindest darstellen – auch ein Opfer der Nazis geworden, oder? Aber die internen Fehden begannen zeitgleich mit dem Versuch der Wiederbelebung. Wenn, dann wollte man auf der Seite von Duesterberg stehen – Seldte wurde strikt abgelehnt. Sollte man jetzt mit anderen Bewegungen der Nachkriegsrechten zusammenarbeiten, etwa mit der Sozialistischen Reichspartei des Generalmajors Otto Ernst Remer? Oder sich strikt auf die Seite der parlamentarischen Ordnung des Grundgesetzes stellen, um für die Wehrmachtsangehörigen und die Angehörigen der Gefallenen eine gute Versorgung erreichen zu können? Auf Gründung folgten Gegengründung und Spaltung – alles das dokumentiert Werberg, vor allem aus den hierzu erstmals zugänglichen Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Irgendwann Anfang der 1970er Jahre verliert sich dann die letzte Spur des „Stahlhelms“. Im Englischen würde man sagen, „old soldiers never die, they just fade away“. Alles Nazis? Lassen Sie mich noch einmal Werberg zitieren: Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich mit Stahlhelm und SASturmabteilung zwei unterschiedliche Konzeptionen des maskulinen Soldaten und Kämpfers gegenüberstanden. Das Stahlhelm-Ideal war das des pflichtgetreuen Soldaten, dessen wichtigste Qualitäten Trieb- bzw. Selbstkontrolle und Disziplin waren, die sich im Ertragen größter Belastungen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der eigenen Handlungsfähigkeit ausdrückte. Dieses wurde durch das nationalsozialistische Ideal eines offensiveren, aggressiveren Kämpfers herausgefordert. Wir neigen heute dazu, alle Rechten aus der Weimarer Zeit als Nazis zu sehen, aber das waren sie eben nicht. Es gab viele nationalkonservative Demokratiefeinde, die zugleich entschiedene Gegner der NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei waren. Andere verband eine Teilidentität der Ziele mit den Nationalsozialisten. Von allen diesen sind einige im Widerstand gegen das NSNationalsozialismus-Regime umgekommen – bezeichnenderweise kaum jemand aus den Reihen des behäbigen Stahlhelms. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes, 1949, dreißig Jahre nach der Weimarer Reichsverfassung, haben geglaubt, mit einem besseren Verfassungstext und mit der Etablierung einer „wehrhaften Demokratie“ eine erneute Diktatur in Deutschland verhindern zu können. In der Tat gilt das Grundgesetz allgemein als gelungen. Bücher wie das von Dennis Werberg über den Stahlhelm zeigen uns aber, wie eine Demokratie daran zugrunde geht, dass sich zu wenige Demokraten zu ihrer Verteidigung finden. Was soll aus einem demokratischen System werden, wenn die Antidemokraten eine Mehrheit haben? Der bundesdeutsche Verfassungsrichter Ernst Wolfgang Böckenförde hat einmal geschrieben: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Im Stahlhelm gab es wenige Nazis. Aber mit seinem Agieren hat der Bund dazu beigetragen, dass die Voraussetzungen für einen freiheitlichen Staat langsam verschwanden. Darin liegt seine historische Verantwortung.

von Winfried Heinemann

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.