Der neue Kriegsroman-Transkript
Der neue Kriegsroman-Transkript
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Bedrohungen durch Terrorismus, militärische Konflikte oder Flüchtlingsströme haben Begriffe wie „neue Kriege“, Trauma, Flüchtlinge und Terrorismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts massenmedial in den Fokus gerückt. Dabei werden durch Kriege immer auch Brüche in den jeweils bestehenden gesellschaftlichen, politischen und religiösen Strukturen erzeugt, die dazu zwingen, gültige Werte, Normen und Toleranzvorstellungen einer Gesellschaft zu hinterfragen. In Romanen werden diese zeitgenössischen Herausforderungen der realen Welt in die fiktionale Welt der literarischen Darstellung transferiert. Neue Kriege generieren dabei neuen Erzählstoff, eine veränderte Raum-Zeit-Struktur und neue literarische Figuren, wie beispielsweise den Bundeswehrsoldaten der postheroischen Gesellschaft, den traumatisierten Veteranen, die Bundeswehrsoldatin oder die Hinterbliebenen des Afghanistaneinsatzes. Das Thema Krieg ist als Erzählstoff allerdings nicht neu, im Gegenteil – bereits seit den alttestamentarischen Kampferzählungen oder der Entstehung erster griechischer Kriegsepen haben Kriegs- und Krisenerzählungen nichts von ihrer Popularität eingebüßt. Im Zusammenhang mit Krieg und Krisen ist es Aufgabe der Literatur, zwischen soziologischen und gesellschaftlichen Erfahrungen und dem kulturellen und individuellen Gedächtnis einer Gesellschaft zu vermitteln. Das vorliegende Werk beschäftigt sich anhand der ausführlichen Betrachtung und auszugsweisen Beschreibung von Beispielwerken mit der zeitgenössischen deutschsprachigen Kriegs- und Heimkehrerliteratur, die im Zusammenhang mit dem Afghanistaneinsatz steht – mit dem Afghanistan-Roman. Zu den bekanntesten Werken, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, gehören beispielsweise „Die Sprache der Vögel“ von Norbert Scheuers aus dem Jahr 2015, das Werk „Krieg“ aus dem Jahr 2013 von Jochen Rausch oder das Werk „Kriegsbraut“ von Dirk Kurbjuweit aus dem Jahr 2011. In Afghanistan-Romanen wird vielfach die Methode des „realistischen Schreibens“ angewendet. Ausdruck dieses „realistischen Schreibens“ ist eine möglichst wirklichkeitsnahe Darstellung der Lebenslage, Konflikte und sozialen Wirklichkeit der Figuren, was den Authentizitätscharakter dieser Texte unterstreicht. Insgesamt erwachsen für zeitgenössische Romane im Allgemeinen und den Afghanistan-Roman im Besonderen neue gesellschaftliche Aufgaben: Romane sollen die vergessenen und tabuisierten Fragen der Gegenwart zu ihrer Sache machen und müssen sowohl globale als auch lokale Problemfelder in eine verbindliche anschauliche Darstellung bringen. Auf diese Weise werden Realität und Fiktion, Subjekt und Gesellschaft sowie Moral und Ästhetik miteinander verbunden. Afghanistan-Texte zeichnen sich zumeist durch eine charakteristische, geschlossene Raum-Zeit-Konstellation aus: Die Handlungen spielen meistens in einem Militärcamp am Hindukusch oder auf Kontrollfahrten in Militärfahrzeugen und beschreiben die Einsatzzeiten der handelnden Figuren in Afghanistan. Heimkehrerromane verlagern die Handlungen dann häufig in Krankenhausräume, Räume psychiatrischer Kliniken oder an Zufluchtsorte, wie die eigene Wohnung, an denen die handelnden Figuren Zuflucht und Abgeschiedenheit vor der Außenwelt suchen. Die handelnden Figuren von Afghanistan- oder Heimkehrer-Romanen zeichnen sich fast durchgängig durch ein permanentes Angst- und Bedrohungsempfinden aus, was als ‚ontologische Unsicherheit‘ zusammengefasst werden kann. Ontologische Unsicherheit bedeutet dabei Verlust der Ganzheit und Integrität einer Person im dauerhaften Angstzustand, in Hoffnungslosigkeit und in Zweifeln. Aus diesen ganzheitlichen Unsicherheitserfahrungen der handelnden Figuren resultieren Fragen nach dem Sinn und den Grenzen des eigenen Daseins. Die Teilnahme der handelnden Personen am Militäreinsatz belastet insbesondere auch deren zwischenmenschliche Beziehungen stark, führt zu Störungen der eigenen Privatsphäre und hat oft deren völlige Vereinsamung zur Folge. Dabei werden die handelnden Soldaten-Figuren nicht als heroische Figuren, die von der Sinnhaftigkeit des Einsatzes restlos überzeugt sind, konzipiert. Vielmehr werden Soldaten-Figuren entwickelt, für die Soldat-Sein mehr Beruf als Berufung ist und die vielfach auch aufgrund fehlender Beratung vor und mangelhafter Betreuung nach dem Einsatz zu einer Leidensgestalt des Afghanistan-Veteranen werden. Somit nehmen häufig psychische Erkrankungen der am Einsatz Beteiligten eine zentrale Stellung in Afghanistan-Romanen ein. Das Buch von Monika Wolting versucht, Antworten darauf zu finden, wie sich Romane zum Diskurs der neuen Kriege und der postheroischen Gesellschaft positionieren und wie Figuren und Handlungsräume in den Geschichten konstruiert werden. Die Autorin gliedert ihre Arbeit in drei Hauptkapitel, den Krieg als Erzählstoff, die literarischen Figuren dieser neuartigen Kriegs- und Heimkehrerliteratur sowie das Genre Kriegsroman. Abgerundet wird diese Darstellung durch Autorengespräche mit Verfassern von Afghanistan- und Heimkehreromanen wie beispielsweise Dorothea Diekmann, Jochen Rausch und Norbert Scheuer. Zu Beginn des Werkes wird Krieg als Erzählstoff ausführlich vorgestellt und dabei auch die Herausforderungen im Umgang mit Krieg als Erzählstoff benannt. Was ist das spezifisch Charakteristische an der Textgattung Kriegsroman im Allgemeinen sowie dem Afghanistanroman im Besondern? Was ist an den neuen Kriegen – im Vergleich zu den alten Kriegen – neu? Auch diese Aspekte arbeitet Monika Wolting zu Beginn heraus. Das Zeitalter des Beginns der neuen Kriege wird mit dem Fall des Eisernen Vorhangs gleichgesetzt. Als Beispiele für neue Kriege werden der erste Golfkrieg 1990/91 sowie die Zerfallskriege Jugoslawiens und der ehemaligen Sowjetunion benannt. Im Zusammenhang mit neuen Kriegen wird auch ein verändertes Bild literarischer Soldaten-Figuren gezeichnet, in dem der Soldat heutiger Zeit nichts mehr zum Gelingen oder Lösen der jeweiligen Konflikte beitragen kann, vielmehr wird seine Machtlosigkeit gegenüber Selbstmordattentätern, Partisanen, Drohnen, Atomraketen oder Computern zum Ausdruck gebracht. Zusammengefasst werden Privatisierung, Ökonomisierung und Demilitarisierung des Krieges ebenso wie eine Asymmetrierung der Kriegsgewalt als charakteristische Merkmale neuer Kriege herausgearbeitet. Im weiteren Verlauf des Bandes werden von Monika Wolting die handelnden Figuren der Afghanistan- und Heimkehrerromane in den Fokus gerückt. Am Beispiel von Werken wie „Die Sprache der Vögel“ oder „Kriegsbraut“ werden die charakteristischen Merkmale der jeweiligen Akteure anhand von Textauszügen herausgearbeitet. Die Hauptfiguren fungieren als Handlungsträger und nehmen in den Erzähltexten jeweils eine zentrale Stellung ein. Die Darstellung der wesentlichen Merkmale der Figur erfolgt zumeist durch einen Erzähler, andere handelnde Akteure oder die Figur selbst. Im Vordergrund dieser Schilderungen steht dabei das innere Erleben, Fühlen und die Gedanken der Protagonisten – das, wofür sie sich interessieren und was ihnen wichtig erscheint sowie die Aussagen, die sie über sich selbst, andere und ihre Umgebung treffen. Durch diese Erzählweise werden subjektive Bilder zum Afghanistankonflikt und der Situation in den Einsatzgebieten geschaffen. Im Roman „Die Sprache der Vögel“ von Norbert Scheuer werden beispielsweise vier Soldaten näher vorgestellt – Paul, Joachim, Sergej und Levier. Diese vier Figuren werden individualisiert, so dass sich für den Leser vier einmalige und unwiederholbare Einzelschicksale ergeben. Charakteristisch für die handelnden Figuren ist ihre Mehrdimensionalität sowie die detailreiche Beschreibung ihrer Merkmale. Daraus resultiert, dass sich für den Leser kein einheitliches Soldatenbild ergibt – es entsteht kein universell gültiges Bild von dem ‚Soldaten in Afghanistan‘ – es gibt keine konkret definierten Eigenschaften eines ‚Soldaten in Afghanistan‘. Somit ist jede dargestellte Figur einzigartig und wirkt dadurch authentisch. Gleichzeitig weisen die Hauptfiguren in Scheuers Roman auch eine besondere Verwundbarkeit auf: Paul leidet unter extremen Schuldgefühlen, Sergej wird von schwerem Heimweh geplagt. Julian, der eine Offizierkarriere anstrebt, hat ständig Angst, seine Karrierepläne könnten durch Fehlverhalten zunichte gemacht werden, und Levier erkrankt aufgrund der ständigen Überforderung im Einsatz psychisch. Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr müssen sich in den Einsatzgebieten mit Beschränkungen abfinden - sie leben im Einsatz in einem geschützten Camp, das sie nur zu Patrouillen in schwer gepanzerten Dingos verlassen dürfen. Paul beschreibt diese Lage in der „Sprache der Vögel“ so: „Wir leben in dem Lager wie in einem großen Käfig. Ich kann das kaum noch ertragen.“ Das Lager wird oft aus dem Hinterland beschossen und nur bei offenem Beschuss dürfen sich die im Camp lebenden Soldaten zur Wehr setzen, was bei den Soldaten vermehrt zu Belastungen und Angstzuständen führt. Diese Form der Kriegsführung – von Herfried Münkler als asymmetrisch beschrieben – ist charakteristisch für die neuen Kriege und verstärkt das Bild vom ‚unheroischen‘ Soldaten. In Dirk Kurbjuweits Roman „Die Kriegsbraut“ aus dem Jahr 2011 wird eine weibliche Hauptfigur als Soldatin im Afghanistankonflikt eingesetzt. Damit unterbricht Kurbjuweit die Poetik des Kriegsromans, nach der dem männlichen Protagonisten die Hauptrolle zugeschrieben wird. Dieser Roman wird als „erste belletristische Annäherung aus der Sicht einer deutschen Soldatin“ beschrieben. In „Kriegsbraut“ erzählt Dirk Kurbjuweit über die Liebe zweier Menschen, die sich im Krieg begegnen – Esther ist eine deutsche Soldatin, Meshud ein afghanischer Lehrer und Direktor einer Schule. Als Esther im Frühsommer 2006 in Afghanistan ankommt, ist sie schnell ernüchtert: Der Auslandseinsatz erscheint ihr als „bloße Fortsetzung des Kasernenalltags bei Hitze“, das Campleben nimmt sie als langweilig wahr, die Herausforderung, die sie erwartet hat, findet sie zunächst nicht. Der Alltag des Krieges ist von Staub, Hitze und der ständigen Angst vor Anschlägen geprägt. Der allwissende Erzähler richtet seinen Fokus auf das innere Erleben der weiblichen Hauptfigur. Es werden Begriffe wie Trost, Freundschaft und Hilfeleistung ebenso verwendet wie feststehende stereotype weibliche Topoi – bedingt durch die Einführung einer weiblichen Hauptfigur. Diese Darstellung der Frau als Soldatin einer Truppeneinheit wertet Monika Wolting als Beweis dafür, dass das Bild des Militärs eine entscheidende Veränderung durchläuft. Mit der Schilderung der Teilnahme einer Soldatin an einem Gefecht verlässt Dirk Kurbjuweit im Roman „Kriegsbraut“ die bestehenden biologischen und gesellschaftlichen Weiblichkeitsstereotype und entwirft eine literarische Darstellung einer kämpfenden Frau – einer kämpfenden Soldatin, die allerdings nach erfolgreich bestandenem Gefecht aus der Alltags-Routine des Lagers ausgeschlossen wird. Auf diese Weise leitet der Kampf in Esthers Leben eine Störung ein, die sich in einigen Bereichen in Zerstörung umwandelt. Dirk Kurbjuweit, der als impliziter Autor fungiert, bezieht die Themen und Inhalte seiner literarischen Darstellungen aus seiner journalistischen Tätigkeit, woraus sich die Frage ergibt, welche geopolitischen, militärischen und gesellschaftlichen Fakten, Geschehnisse und Tatsachen im Roman die „Kriegsbraut“ verarbeitet wurden. Im Zusammenhang mit der Einordnung der Bedeutung des Romans von Dirk Kurbjuweit resultiert die Frage danach, inwieweit die Hauptakteure und der Erzähler Themen ansprechen, die in der Öffentlichkeit tabuisiert und politisch unkorrekt sind oder für Aufstörungen und Aufmerksamkeit sorgen können. Es ergibt sich somit die Frage, inwieweit dieser Roman der Aufgabe, die Literatur im Allgemeinen und Afghanistan-Romanen im Besonderen zugeschrieben wird, gerecht werden kann, auch unbequeme, unpopuläre oder irritierende Sachverhalte anzusprechen um somit der Gesellschaft weitere Deutungs- und Interaktionsschemata zu liefern. Der Roman „Krieg“ von Jochen Rausch aus dem Jahr 2013 stellt das Tabuthema Trauer der Eltern über ihren in Afghanistan gefallenen Sohn in den Mittelpunkt. Ein Erzähler, der selbst an der erzählten Geschichte nicht beteiligt ist, schildert das Schicksal der Angehörigen – hier der Eltern, die nach dem Tod des Sohnes im Afghanistankrieg zurückbleiben und auf diese Weise selbst zu Opfern des Krieges werden. Die erzählte Geschichte dieses Romans spielt auf zwei Zeitebenen, zum einen in der Gegenwart, in der der Protagonist Arnold Stein nach dem Verlust seines Sohnes völlig abgeschieden in einer Holzhütte in den Alpen lebt. Zum anderen in der Vergangenheit. Die verschiedenen Kapitel werden zu zwei verschiedenen chronologisch angeordneten Erzählsträngen zusammengesetzt. In das geordnete und behütete Leben der Familie Stein bricht der Krieg ein: Chris, der Sohn der Familie, meldet sich freiwillig zum Afghanistaneinsatz. Trotz aller Bemühungen der Eltern, den Sohn von diesem Vorhaben abzubringen, geht dieser als Soldat in den Einsatz und verliert dort sein Leben. Obwohl Jochen Rausch seinen Roman nicht explizit als Afghanistanroman kennzeichnet, kann anhand der Ähnlichkeit räumlicher, zeitlicher und gesellschaftlicher Umstände, die im Roman geschildert werden, angenommen werden, dass der Konflikt in Afghanistan und die Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz in Afghanistan Grundlage für die erzählte Geschichte sind. Jochen Rausch entwickelt in seinem Roman fiktive Figuren, die mit Ereignissen konfrontiert werden, die Störungen oder Zerstörungen des Selbst zur Folge haben. Derart gestaltete Figuren haben das Potenzial, das sonst nicht mitteilbare zu kommunizieren und auf diese Weise dem Leser das ihm selbst schwer nachvollziehbare Gefüge einer erkrankten, traumatisierten Psyche beobachtbar und nachvollziehbar zu machen. Zum Abschluss resümiert Monika Wolting, dass sich Afghanistan- und Heimkehrerromane als Gattung des Kriegsromans der postheroischen Gesellschaft in das Genre Kriegsliteratur einordnen lassen. Diese Gattung des Kriegsromans zeichnet sich insbesondere durch die Konstruktion postheroischer Soldaten- und Soldatinnenfiguren aus ebenso wie durch eine Erzählweise, die hauptsächlich die Innenperspektive der handelnden Akteure wiedergibt. Ebenfalls charakteristisch für diese Art der Darstellung ist das Hervorheben der psychischen Belastung der Figuren sowie ein weitgehender Verzicht auf Darstellungen des äußeren Kriegsgeschehens und militärischer Auseinandersetzungen. Gleichzeitig werden die militärischen Einsätze westlicher Streitkräfte kritisch reflektiert und im internationalen Weltgeschehen verortet. Zumeist werden im Romanverlauf politische und gesellschaftliche Fragestellungen untersucht sowie daraus resultierend eine pazifistische Textaussage erarbeitet. Dabei ist die postheroische Tendenz für Afghanistanromane gleichermaßen leitend und strukturgebend. Hinsichtlich ihrer Hauptakteure weisen nahezu alle Afghanistan-Texte eine Gemeinsamkeit auf: Sobald die handelnden Figuren mit dem Krieg konfrontiert werden, finden sie keinen geschützten, störungsfreien Raum mehr. Auch nach der Heimkehr bleibt ihnen das Gefühl von Sicherheit verwehrt. Dieses Werk ordnet den Afghanistanroman als zeitgenössische Kriegsliteratur ein und gibt einen guten, detailreich beschriebenen und anschaulichen Überblick über Aufgaben, Besonderheiten und Anspruch dieser Art von Erzählungen sowie die Merkmale, Erfahrungen und das persönliche Erleben der handelnden Akteure. Die Autorin zeigt anhand von zahlreichen Beispielen, wie das Thema Afghanistankonflikt in der zeitgenössischen Literatur aufgegriffen und verarbeitet wird. Dabei vermittelt die zumeist angewendete Form des „realistischen Schreibens“ eine besondere Nähe zum dargestellten Geschehen sowie den Hauptfiguren und verstärkt damit den Authentizitätscharakter der Texte.