Das vergessene Gedenken-Transkript

Das vergessene Gedenken-Transkript

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Lesedauer:
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Herzlich willkommen zu „Angelesen“, dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute stellen wir Ihnen das 2022 erschienene Buch: „Das vergessene Gedenken. Die Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr“ vor. Seit menschliche Gemeinschaften Konflikte militärisch miteinander austragen, sind Rituale des Gedenkens an diejenigen nachweisbar, die im Kampf für ihre Gemeinschaft ihr Leben verloren. In ihrer vorliegenden Doktorarbeit unternimmt es Julia Katharina Nordmann, die Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr darzustellen und zu analysieren. Zunächst wird dabei die deutsche militärische Tradition des 19. und 20. Jahrhunderts betrachtet, in der die Aufbaugeneration der Bundeswehr stand. Dieser Tradition entsprach es, die Tätigkeit des Soldaten immer und grundsätzlich vom scharfen Ende des Berufs, vom Kampf her zu denken. Diese Prämisse prägte den gesamten Dienst- und Ausbildungsbetrieb in der kaiserlichen Armee ebenso wie in Reichswehr und Wehrmacht. 1870/71 schien zu lehren, dass Krieg „der entscheidende Schritt zur inneren Einigung und Stählung unseres Volkes“ gewesen sei, wie es im Jahr 1942 exemplarisch General Hermann Foertsch festhielt, der Bruder des späteren Generalinspekteurs Friedrich Foertsch. Den Eigenschaften, die für erfolgreiches Bestehen im Krieg nötig waren, wurde demnach der höchste Stellenwert zugebilligt: Mut, Härte, Opferbereitschaft. Die großangelegten Angriffskriege der NSNationalsozialismus-Diktatur verbrauchten gewaltige Mengen an Menschenmaterial, so der seinerzeit gebräuchliche zynische Ausdruck. So passt es ins Bild, dass in dieser Zeit der Kult um den soldatischen Opfertod fürs Vaterland auf die Spitze getrieben wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte bei vielen ehemaligen und seit 1955 in der Bundeswehr wieder aktiven Soldaten ein Prozess des Umdenkens ein. Dafür war neben dem militärischen wie moralischen Totalbankrott der 1945 aufgelösten deutschen Streitkräfte auch der rüstungstechnologische Quantensprung der Nuklearbewaffnung maßgebend. Ein atomar geführter Krieg schien keine Aussicht auf einen Sieg, sondern nur die auf völlige Vernichtung aller Kriegsparteien zu bieten. Dementsprechend schrieb 1955 der spätere Generalleutnant Wolf von Baudissin, der führende Kopf der Reformer in der jungen Bundeswehr, die moderne Kriegsführung verbiete es dem Soldaten „im Kriege ein ersehntes, Feld der Bewährung‘ zu erblicken“. In dieselbe Kerbe hieb 1957 Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß, als er erklärte, der Sinn des Soldatenberufs liege jetzt und in Zukunft ausschließlich darin, Krieg zu verhindern. Dies gelang in den folgenden Jahrzehnten auch. Die Toten, die die Bundeswehr zu beklagen hatte, waren ausschließlich Unfalltote. So ertranken zum Beispiel 15 Grundwehrdienstleistende während einer Übung 1957 in der Iller. Dieses tragische Unglück gab den Anlass, erstmals eine Dienstvorschrift auszuarbeiten, die „Richtlinien für Trauerfeiern und Beerdigungen“ vorgab und 1959 in Kraft trat. Sie erlaubte eine schlichte Trauerfeier in Liegenschaften der Bundeswehr sowie die Beteiligung an der privaten Beerdigung der im Dienst getöteten Kameraden in Form eines Ehrengeleits. Ein offizielles Totengedenken der Streitkräfte außerhalb von Bundeswehr-Liegenschaften war hingegen nicht vorgesehen. In diesem Punkt waren sich das Lager der Reformer und das der Traditionalisten in der militärischen Führung, deren Auseinandersetzung die ersten Jahrzehnte der Bundeswehr prägte, einig. Die Reformer lehnten öffentliches Totengedenken für Bundeswehrsoldaten ab, um sich so deutlich wie möglich von den pathetisch-pompösen Gedenkorgien der Nationalsozialisten abzugrenzen. Die Traditionalisten wollten kein Totengedenken, weil die betreffenden Bundeswehrangehörigen nicht durch Feindeinwirkung gestorben und somit keine Gefallenen waren. Die Traditionalisten hatten in den „Richtlinien für Trauerfeiern und Beerdigungen“ verankert, dass auch verstorbenen Angehörigen der Vorgängerarmeen militärisches Ehrengeleit erwiesen werden konnte. Das war ganz im Sinne der Verbände der Wehrmachtsveteranen, die in der bundesrepublikanischen „Gesellschaft der Überlebenden“ sehr mitgliederstark und einflussreich waren. Einige Truppenführer der Wehrmacht, zum Beispiel 1972 Generalfeldmarschall a. D.außer Dienst v. Manstein, wurden mit einem Ehrengeleit der Bundeswehr beigesetzt. Wichtiger noch war den Verbänden das allgemeine Gedenken, das jährlich am Volkstrauertag stattfand. Hier boten ihnen die Traditionalisten in der Bundeswehr gern Unterstützung an. So sicherte etwa der Inspekteur der Luftwaffe, General Joseph Kammhuber, den Luftwaffenveteranen „jährliche Gedenkfeiern… unter Abstützung auf die aktive Luftwaffe“ am Ehrenmal der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck zu. Für die Veteranen war das eine willkommene Gelegenheit, ihre verharmlosende Bewertung der Wehrmacht zu propagieren und „sich so in gewisser Weise selbst zu rehabilitieren“. Die Autorin urteilt treffend, dass die Bundeswehr so jahrzehntelang mithalf, „das Bild von der „sauberen Wehrmacht“ fortzuschreiben“. Übers Ziel hinaus schießt sie indes, wenn sie derartige Tendenzen bis in die jüngste Zeit am Werk zu sehen scheint. Sie zitiert aus einer Rede, die der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, 2019 am Jagdfliegerehrenmal in Geisenheim zum 60. Jahrestag der Einweihung des Ehrenmals hielt. Gerhartz sprach vom „Dialog der Generationen“ und davon, dass die aktive Luftwaffe „mit Respekt und großer Anerkennung auf der Geschichte“ aufbaue. Die Autorin bezieht diese Formulierungen auf die Luftwaffe der Wehrmacht. Das scheint weit hergeholt. Die Gemeinschaft der Flieger Deutscher Streitkräfte e.V.eingetragener Verein, die die Veranstaltung 2019 ausrichtete, bekennt sich unzweifelhaft zum Grundgesetz. Die Fliegertreffen, die an diesem Ehrenmal stattfinden, haben regelmäßig einen stark internationalen Charakter und unterstreichen, dass die Traditionspflege der Luftwaffe auf Aussöhnung mit ehemaligen Gegnern ausgerichtet ist. Dass die Wehrmacht im Dialog der Generationen selbst unabhängig von normativen Vorgaben keine Rolle spielt, ergibt sich im Übrigen schon aus der normativen Kraft des Faktischen: Wie viele aktive Piloten der Luftwaffe der Wehrmacht waren 2019 noch am Leben und in einer körperlichen Verfassung, die ihnen die Teilnahme an solchen Treffen erlaubt hätte? Aus all dem lässt sich eindeutig ersehen, dass Gerhartz bei seinen Ausführungen über den Dialog der Generationen ausschließlich die früheren Generationen von Piloten der Bundeswehr im Blick hatte. Der Versuch, seine Aussage zu skandalisieren, läuft ins Leere. Doch zurück zur Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr im Allgemeinen: aus den genannten Gründen fand offizielles öffentliches Gedenken für im Dienst ums Leben gekommene Bundeswehrsoldaten nicht statt. Trauerfeiern blieben bundeswehrintern. Erinnerungszeichen wie Kreuze oder Namenstafeln wurden nur in den Liegenschaften und ausschließlich auf Initiative von Kameraden angebracht, die persönlich mit den Verstorbenen bekannt waren. Erst nach der Zeitenwende von 1990 und mit dem Umbau der altbundesrepublikanischen Fünfhunderttausend-Mann-Wehrpflicht-Armee zur Armee im Einsatz begannen sich die Dinge auch auf diesem Gebiet zu wandeln. Am 14. Oktober 1993 starb in Kambodscha, wo die Bundeswehr im Rahmen einer UNUnited Nations-Friedensmission engagiert war, der erste deutsche Soldat im Auslandseinsatz. Die Autorin kann jedoch plausibel machen, dass er nicht durch Feindeinwirkung ums Leben kam. Er wurde vielmehr „Opfer eines zufallsbedingten Trunkenheitsdelikts“. Der erste Todesfall, der auf Feindeinwirkung zurückging, ereignete sich am 8. Oktober 2001 während der UNUnited Nations-Mission UNOMIGUnited Nations Observer Mission in Georgia in Georgien. Oberstabsarzt Dr. Dieter Eißing kam ums Leben, als sein UNUnited Nations-Hubschrauber abgeschossen wurde. Sein Tod wurde noch nach herkömmlichem Muster behandelt. Die Trauerfeier fand abseits der Öffentlichkeit statt. Im BMVgBundesministerium der Verteidigung hatte man „Sorge vor negativen öffentlichen Reaktionen“. Zur Änderung dieser Linie zwang schließlich der sehr personalintensive und lang andauernde Einsatz in Afghanistan. Hier starben seit Mai 2003 immer wieder Bundeswehrangehörige durch feindlichen Beschuss oder Sprengfallen. Dies und die nach jedem solchen Ereignis stattfindende umfangreiche mediale Berichterstattung blieben nicht ohne Auswirkung auf das Bild vom Soldatenberuf. Bis 1990 war – ganz im Sinne Baudissins – der Soldat als ein öffentlicher Dienstleister verstanden worden.  Er war zwar militärisch ausgebildet und bewaffnet, grundsätzlich aber nicht anders zu betrachten als der Verwaltungsbeamte oder der Mitarbeiter des Ordnungsamts. Der Einsatz in Afghanistan rückte das in Jahrzehnten mit eher abstrakter Bedrohungslage weitgehend aus dem Blickfeld verschwundene scharfe Ende des Berufs wieder ins Zentrum des Bewusstseins sowohl der Öffentlichkeit als auch und vor allem der Truppe. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass die bis dahin übliche Form des Gedenkens für Soldaten, die im Auftrag des Bundestags für deutsche Interessen gefallen waren, nicht angemessen war. Diese Erkenntnis wuchs von unten. Es war die Truppe, die sich mit der bisherigen Gedenkpraxis zunehmend unzufrieden zeigte. Den letzten Anstoß gab 2007 die Trauerfeier für drei getötete deutsche Polizeibeamte, die in Afghanistan an der Ausbildung afghanischer Polizisten mitgewirkt hatten. Sie fand im Berliner Dom in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Merkel statt und löste große Anteilnahme der Öffentlichkeit aus. Nun ließ sich endgültig niemandem in der Truppe mehr vermitteln, warum Soldaten, die in Ausübung ihrer Pflicht im UNUnited Nations-mandatierten Auslandseinsatz durch Feindeinwirkung starben, kein öffentliches Gedenken zuteilwerden sollte, wenn Polizeibeamte, auf die dasselbe zutraf, ein solches erhielten. So zog man die Konsequenzen. „Die internen Feierlichkeiten auf Kasernenhöfen oder Flugplätzen rückten in den öffentlichen Raum“. Im Juni 2008 wurden erstmals im Auslandseinsatz getötete Soldaten mit einer öffentlichen Zeremonie in einer Kirche im pfälzischen Zweibrücken in der Nähe ihres Heimatstandortes geehrt. Neben der überholten Art des nicht-öffentlichen Gedenkens kam auch die Art, in der das BMVgBundesministerium der Verteidigung den Einsatz gegenüber der Öffentlichkeit kommunizierte, in der Truppe nicht gut an, wie der Bundeswehrverband 2007 bei einer Befragung seiner Mitglieder feststellte. Wenn Feindeinwirkung als Todesursache feststand und es sich somit eindeutig um Gefallene handelte, lehnte man es dennoch im BMVgBundesministerium der Verteidigung jahrelang ab, dieses Wort zu benutzen. Stattdessen hieß es offiziell, die betreffenden Soldaten seien „einsatzbedingt ums Leben gekommen“. Auch in diesem Punkt wurden die Konsequenzen gezogen, als Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung bei der Trauerfeier für zwei Soldaten, die im Oktober 2008 in Afghanistan gefallen waren, erstmals öffentlich von Gefallenen sprach. Darüber hinaus wurde 2009 das zentrale Ehrenmal der Bundeswehr eingeweiht, dessen Errichtung Minister Jung 2006 angekündigt hatte. Es dient dem Gedenken an alle getöteten Soldaten und Zivilbeschäftigten der Bundeswehr. Zurecht identifiziert die Autorin die Entscheidung für die Errichtung dieses Ehrenmals als den „wohl entscheidenden Paradigmenwechsel… Denn erstmals wollte ein Verteidigungsminister… die Toten der Bundeswehr offiziell ins Zentrum staatlichen… Gedenkens… rücken, um so wohl auch zu betonen: Diese Soldaten sind für Deutschland gestorben“. Das Ehrenmal ist in diesem Sinne der Versuch der Sinnstiftung. Bis 1945 erschöpfte sich die Sinnstiftung darin, die Gefallenen als Ansporn zur Rache am Gegner aufzufassen. Die Bundeswehr hat sich von diesem überkommenen Verständnis gelöst und hebt stattdessen hervor, dass die gefallenen Kameraden sich durch die Bereitschaft ausgezeichnet haben, unter der Flagge der Vereinten Nationen Seite an Seite mit Kameraden aus vielen anderen Ländern ihr Leben zu riskieren im Einsatz für eine gute Sache, nämlich die Schaffung und Sicherung des Friedens. Zudem ist das Ehrenmal der Ort, an dem Angehörige und Kameraden dauerhaft die Möglichkeit des Gedenkens an die Gefallenen haben. Diese Möglichkeit besteht darüber hinaus natürlich auch an deren individuellen Gräbern. Seit 2009 kann das Grab eines Gefallenen durch eine entspr. Gravur auf dem Grabstein als „Ehrengrab der Bundeswehr“ gekennzeichnet werden, sofern die Hinterbliebenen dem zustimmen. Die Bundeswehr trägt in dem Fall die Kosten für den Grabstein und die Grabpflege für die Dauer der ortsüblichen Liegezeit. Die Alternative zu dieser Regelung hätte nach USUnited States-amerikanischem Vorbild in der Errichtung eines Ehrenfriedhofs der Bundeswehr bestanden, auf dem alle Gefallenen beigesetzt werden. Auf bundesdeutschen Friedhöfen beträgt die Liegezeit üblicherweise 30 Jahre. In vielen Fällen entscheiden sich die Angehörigen bei Ablauf dieser Frist gegen deren Verlängerung. So scheint bereits heute absehbar, dass wahrscheinlich in den 2040er Jahren die letzten Gräber der in Afghanistan gefallenen Bundeswehrsoldaten verschwunden sein werden. Ein Ehrenfriedhof der Bundeswehr hätte eine unbefristete Liegezeit ermöglicht. Im Hinblick auf langfristige Traditionsbildung wäre das sehr vorteilhaft gewesen. Schließlich ist das Gedenken an die Toten der Bundeswehr seit der Neufassung des Traditionserlasses 2018 elementarer Bestandteil der Traditionspflege. Anstelle eines Ehrenfriedhofs der Bundeswehr besteht seit 2014 in einem Waldstück bei Potsdam der „Wald der Erinnerung“. Die Bundeswehr-Kontingente in den verschiedenen Einsatzländern hatten in ihren Feldlagern spontan Ehrenhaine zur Erinnerung an die gefallenen Kameraden eingerichtet. Diese Ehrenhaine sind bei Rückverlegung mitgeführt und alle im „Wald der Erinnerung“ wieder aufgebaut worden. Außerdem haben Angehörige von Gefallenen Gelegenheit, hier Gedenktafeln an den Bäumen anbringen zu lassen. Die Autorin ist der Meinung, ein derartiger Gedenkort sei durchaus mit dem Grab auf einem Soldatenfriedhof vergleichbar. Eine völlig legitime Meinung, die man allerdings nicht teilen muss. Mancher mag der Auffassung sein, dass es einen großen Unterschied macht, ob die Gebeine der Gefallenen am Gedenkort ruhen oder nicht. Der tote Kamerad in der kalten Erde verpflichtet die Kameraden, die sich zum Gedenken versammeln, vielleicht doch stärker als eine Gedenktafel an einem Baum. Das vorliegende Werk wurde 2019 abgeschlossen und legt den Schwerpunkt der Betrachtung auf die Auslandseinsätze der Zeit ab 2001. Sie machten weitgehende Veränderungen der Gedenkkultur in der Bundeswehr erforderlich, da es erst in diesen Einsätzen Gefallene gab. In ihrem Fazit hält die Autorin fest, die Auslandseinsätze hätten aus der Bundeswehr eine „kämpfende Berufsarmee“ gemacht, „deren Soldaten töten und sterben“, eine Armee, die sich in den Einsätzen „nach und nach…ihre eigenen kämpfenden Vorbilder“ schaffen werde. Mittlerweile scheint die Ära der großen Auslandseinsätze vorüber. Der Einsatz in Afghanistan ist beendet, der in Mali läuft Ende 2023 aus. Auch mit viel gutem Willen wird man diese beiden Einsätze bezüglich der politischen Ziele, die mit ihnen erreicht werden sollten, unterm Strich nicht als vollen Erfolg bewerten können. Das spricht für die Vermutung, dass auf absehbare Zeit UNOUnited Nations Organization, NATO oder EU keine derartigen Einsätze dieser Größenordnung mehr initiieren werden. Es kommt entscheidend hinzu, dass die russische Aggression in Osteuropa die Konzentration aller Kräfte und Mittel der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung zwingend erforderlich macht. Die Bedeutung der Zeitenwende, die mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine eintrat, kann kaum überschätzt werden. Abschreckung ist jetzt für die NATO wieder Trumpf. Auch diese Aufgabe bringt Gefahr für Leib und Leben mit sich. In der Enhanced Forward Presence im Baltikum, die seit 2016 läuft, kam 2018 ein Bundeswehrsoldat bei einem Unfall während einer Übung ums Leben. Ein auf Expansion ausgehender, unberechenbarer Staat in unmittelbarer Nähe des NATO-Gebiets bedeutet für das Bündnis eine enorme Herausforderung. Sehr zurecht hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius daher im Oktober 2023 die deutsche Öffentlichkeit darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit eines bewaffneten Angriffs Russlands auf NATO-Gebiet nicht von vornherein mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann: „Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte…Wir müssen kriegstüchtig werden“. Wie sich die Zeitenwende von 2022 in den kommenden Jahren auf die weitere Entwicklung der Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr auswirken wird, lässt sich nicht vorhersagen. Durch das Ehrenmal der Bundeswehr und den „Wald der Erinnerung“ ist jedenfalls sichergestellt, dass den Gefallenen der Ära der großen Auslandseinsätze dauerhaft das ehrende Angedenken zuteilwird, das sie verdienen. Das war „Angelesen“, das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute zum Buch „Das vergessene Gedenken. Die Trauer- und Gedenkkultur der Bundeswehr“.

von Dr. Christoph Kuhl

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