Chronisten der Gewalt: Kriegs- und Einsatztagebücher-Transkript
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Oberstleutnant d.R.der Reserve Dr. Tauber: Hätten die römischen Legionen ein Kriegstagebuch geführt, dann wüssten wir heute sehr viel mehr über die Vernichtung der XVII, XVIII und XIX Legion unter Varus im Jahr 9 nach Christi. Außerdem wäre es Tacitus sehr viel schwerer gefallen sein, auf Neudeutsch würden wir sagen, Framing der Germanen durchzusetzen, das ja immerhin fast 2000 Jahre Gültigkeit hatte. Von Hermann, dem Cherusker, bis hin zu Arminius ist es ja ein weiter Weg der Neuinterpretation. Guten Tag, mein Name ist Dr. Peter Tauber, ich bin Oberstleutnant der Reserve und beordert am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.
Major d.R.der Reserve Radicke: Ein wunderschönes guten Tag, mein Name ist Timon Radicke, Major der Reserve und Reservedienstleister in der Presse Info hier am ZMSBW. Wir sitzen heute hier zusammen, weil wir in der letzten Woche hier einen Lehrgang absolviert haben, Herr Oberstleutnant Tauber und ich, und zwar den Lehrgang zum Kriegstagebuch-/Einsatz-Tagebuchführer. Was für ein guter Anlass, um genau über dieses Thema heute hier im Podcast zu sprechen.
Tauber: Ja, das wollen wir tun. Was ist das eigentlich? Ein Kriegstagebuch. Was macht eigentlich ein Kriegstagebuchführer? Seit wann gibt es das und warum bildet die Bundeswehr Einsatz- und Kriegstagebuchführer aus?
Radicke: Im Neudeutsch könnte man sagen, sogenannte Spindoktoren, also diejenigen, die Dinge aufschreiben und ein Stück weit auch darüber entscheiden, wie über Ereignisse im Nachhinein gedacht wird, geschrieben wird und wie die vielleicht auch interpretiert werden.
Tauber: Für die offiziellen Kriegstagebücher gilt ganz sicherlich der Anspruch hohe Objektivität, wie das gelingt und ob das realistisch ist. Darüber kann man sicher streiten, aber Geschichte ist eben vielgestaltig und es gibt Geschichtspolitik, also natürlich kann man Kriegstagebücher instrumentalisieren. Es gibt verschiedene Formen, die wollen wir uns ein bisschen anschauen, denn über Kriege gibt es auch noch Streit, wenn die Waffen schweigen. Wie werden sie interpretiert? Welche politischen Narrative stützen sie? Welche werden entwickelt? Und ein ganz gutes Beispiel ist sicherlich die Deutung des 20. Juli 1944, der zunächst in beiden deutschen Staaten in der DDRDeutsche Demokratische Republik und der Bundesrepublik sehr unterschiedlich bewertet und gewichtet wurde. In der Bundeswehr schon sehr früh, eigentlich vom Beginn an, zum Kernbestand der Traditionspflege gehörte, während in Teilen der westdeutschen Gesellschaft die Widerstandskämpfer noch als Verräter geschmäht wurden. Interessanterweise ist es so, dass heute, wieder paradoxerweise rechtsextreme Kreise, diesen Widerstand versuchen, neu zu framen, zu vereinnahmen und daraus ein Widerstandsrecht gegen die aktuelle bundesrepublikanische Ordnung herleiten möchten. Also man sieht, historische Ereignisse und ihre Darstellungen sind nicht statisch, sondern bedürfen der Erklärung, Interpretation, bestenfalls auch der wissenschaftlichen Betrachtung. Dafür braucht es Grundlagen, im Falle von Kriegen oder Einsätzen oder auch großen Übungen von Streitkräften ist da ein Kriegstagebuch sicher hilfreich.
Radicke: So ist das. Herr Oberstleutnant, lassen Sie uns mal an die Begriffsklärung Kriegstagebuch herantreten. Also was ist eigentlich ein Kriegstagebuch? Wir alle kennen Tagebücher und stellen uns unterschiedliche Dinge darunter vor. Sind damit Tagebücher gemeint, die Soldaten während des Krieges geschrieben haben, um ihre persönlichen subjektiven Erlebnisse festzuhalten oder die Niederschriften von Heerführern oder sogar Politikern, um ihr Handeln vor der Nachwelt vielleicht auch zu legitimieren und zu erklären. Es gibt ja auch zahlreiche literarisch wirklich erfolgreiche Kriegstagebücher, die umfangreich bearbeitet und redigiert wurden, um damit auch politische Debatten zu prägen oder die vom Autor sogar genutzt wurden, um heute würde man sagen, am Personal Branding zu arbeiten und ein Werk, das einem da sicherlich sofort einfällt, ist das Werk von Ernst Jünger „In Stahlgewittern“. Jetzt ist es so, natürlich arbeiten Historiker ja mit solchen Quellen und auch für Menschen, die sich für Geschichte interessieren, ist das oft eine interessante Lektüre. Wir werden auf diese Schriften ja gleich sicherlich noch mal einen Blick werfen, aber der Schwerpunkt, den wir heute vor allen Dingen erlegen wollen, ist doch woanders. Wir wollen uns vor allen Dingen auch mit den offiziellen Niederschriften, umgangssprachlich könnte man sagen, mit den Protokollen beschäftigen, die Truppenverbände, Armeen, Streitkräfte verfasst haben, um den Verlauf eines Krieges oder den Verlauf einer Schlacht zu dokumentieren.
Tauber: Ja und wir wollen natürlich mal fragen, wie funktioniert das eigentlich. Und nicht nur in der Bundeswehr gilt, für alles braucht es eine Vorschrift. Darin wird benannt, was in einem Einsatz-Tagebuch oder im Verteidigungsfall auch einem Kriegstagebuch zu verschriftlichen ist und in der aktuell geltenden Vorschrift heißt es dazu unter anderem, Einsatztagebücher dienen dem Nachweis von militärischen Aktivitäten im Einsatz im In- und Ausland, in Kommandobehörden, Dienststellen und Truppenteilen. Ihre Führung erfordert die lückenlose Dokumentation der unter Nummer 201 genannten Ereignisse, um militärisches Handeln transparent und nachprüfbar zu machen. Einsatz-Tagebücher sind elektronisch zu führen und welche Punkte sind da eigentlich genau genannt? Wie wird das definiert? Das Einsatz-Tagebuch, Kriegstagebuch ist ein wichtiges Führungsmittel, heißt es da und dokumentiert Lageentwicklungen und Lagebeurteilungen, dokumentiert Entscheidungen militärischer und ziviler Führer bzw. Führerinnen und deren Umsetzung trägt zur Sicherstellung der Kontinuität im Einsatz bei, dient im Rahmen der Auswertung der Gewinnung von Erkenntnissen für den weiteren Einsatz und die Ausbildung, Lessons learned ist da das Stichwort, dient der Bearbeitung von Anfragen aus dem parlamentarischen Raum und stellt eine wichtige Quelle für die historische Aufarbeitung der Geschichte der Bundeswehr dar. Also man sieht, das sind ganz schön viele Aufgaben, die ein solches Kriegstagebuch/Einsatztagebuch erfüllen soll.
Radicke: Ja, am Ende des Tages, Herr Oberstleutnant, wenn ich das richtig verstehe, ist es vor allen Dingen die Dokumentation auch des militärischen Entscheidungsfindungsprozesses, den ja auch irgendwo jeder Offizier im Rahmen seiner Offiziersausbildung durchläuft. Bevor wir aber jetzt noch tiefer erstmal in diese Vorschrift hineingehen, lassen Sie uns noch mal einen Schritt zurückgehen, lassen Sie uns doch noch mal in die Geschichte zurückgehen und sagen, wir kennen viele wie auch immer geartete Dokumentationen von Kriegen in der Vergangenheit. Wie wurde denn der Krieg in der Vergangenheit überhaupt dokumentiert? Also mal ein Beispiel: Schauen wir mal in die Antike. Denn jeder, der mal Lateinunterricht gehabt hat, liest von Gaius Julius Caesar, der seine Feldzüge gegenüber dem römischen Senat durch seine Kriegstagebücher zu rechtfertigen versucht und damit vor allen Dingen seine politische Macht innerhalb des Triumvirats zu festigen und auszubauen versucht hat. Mit der zunehmenden Industrialisierung von Krieg sind gerade im Ersten Weltkrieg viele bekannte Tagebücher entstanden. Wir kennen Remarques „Im Westen nichts Neues“ oder wir haben gerade schon darüber gesprochen, Jüngers „In Stahlgewittern“. Da spricht man von Werken, die sich in der Darstellung vom Krieg diametral gegenüberstehen. Herr Oberstleutnant, lassen Sie uns mal darauf eingehen, beispielsweise jetzt mal speziell auf Ernst Jünger.
Tauber: Ja, vielleicht muss man auch sagen, das sind natürlich jetzt schon eine Fülle auch von unterschiedlichen Literaturgattungen, die wir da unter dem Sammelbegriff Kriegstagebuch zusammenführen. Also vielleicht kann man so weit gehen, Caesar Schrift als Rechtfertigungsschrift zu beschreiben. Das Buch von Remarque ist ja in dem Sinne kein Tagebuch. Ein Roman mit fiktiven Erzählungen, der aber doch so geschrieben ist, dass er prägend war und ja auch von der Erlebnisgeneration antizipiert wurde. Natürlich ist er von rechtsextremen politischen Kreisen heftig kritisiert worden. Das Buch war dann auch verboten im Dritten Reich, aber es gab eben auch ganz, ganz viele Kriegsteilnehmer, die sich in diesem Buch wiedergefunden haben. Deswegen kann man ihm, glaube ich, trotz der Fiktion einen dokumentierenden Charakter, was das Wesen des Krieges ausmacht, zuschreiben. Und Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ ist natürlich nochmal ein ganz besonderes Buch, bis heute immer wieder rezipiert, auch neulich nochmal 2013, glaube ich, in einer editierten Version erschienen. Und auch hier ist es so, Jünger baut auf seinen eigenen Niederschriften während des Krieges auf, aber das Buch wird erst 1920 veröffentlicht und später nochmal in sieben überarbeiteten Fassungen publiziert. Also man sieht, diese Überarbeitung spiegeln natürlich politische Entwicklungen, vielleicht auch literarische Geschmäcker, eine andere Sicht wieder, die Jünger dokumentiert sehen wollte. So hat er 1924 zum Beispiel ziemlich viele nationalistische Elemente hinzugefügt. Interessanterweise hat er 1934 neben stilistischen Änderungen, von denen ich schon sprach, auch wieder nationalistische Passagen hinaus redigiert. Also man sieht, dass an dem Buch gearbeitet wurde und wahrscheinlich auch, weil Jünger die Absicht hatte, damit Narrative zu setzen, zu stärken. Es geht eben vordergründig um die Schilderung des Fronterlebens eines jungen Stoßtruppführers und mit den typisch militärisch-soldatischen Themen, Kameradschaft. Die Ästhetik des Krieges, die Jünger beschreibt, ist immer wieder Gegenstand von Debatten gewesen, auch von Kontroversen, auch von Kritik und natürlich auch das Bild Jüngers von der Schicksalshaftigkeit des Krieges, Krieg als Naturgewalt, als unausweichliches Momentum. Und hier kann man natürlich trefflich widersprechen und drüber streiten. Aber im Kern geht es natürlich um viel mehr. Stilistisch kann man noch einige Dinge ergänzen. Im Kern ist dieses Buch auch ein politisches Buch und eben nicht nur die Schilderung eines Krieges aus einer vermeintlich individuellen, objektiven Perspektive. Und deswegen war es in der Weimarer Republik und ist es ja teilweise bis heute hoch umstritten von Nationalisten gelobt, von Pazifisten kritisiert. War es eben dennoch ein großer Erfolg, der bis in die Nachkriegszeit, also die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht nach dem Ersten Weltkrieg, als militärhistorische Quelle immer wieder herangezogen wurde, gerade auch wegen der bei Jünger zu finden, Ästhetisierung von Gewalt.
Radicke: Herr Oberstleutnant, Sie sind gerade darauf eingegangen, dass Jünger das Werk mehrfach verändert hat, auch im Nachgang verändert hat. Hat sich dadurch auch die Stilistik verändert oder ist die Stilistik des Werks gleichgeblieben?
Tauber: Ja, natürlich hat die Änderung oder das Hinzufügen von Inhalten auch Einfluss auf die Stilistik. Jünger ist sprachgewaltig, sonst hätten seine Werke nicht nur dieses hier nicht diese Exzeption erfahren. Wer da näher einsteigen will, dem sei wirklich die historisch kritische Ausgabe von 2013, da ist sie erschienen, von Helmuth Kiesel sehr ans Herz gelegt. Und um jetzt auch weiterzugehen, das ist nicht die Art von Kriegstagebüchern, über die wir ja eigentlich heute reden wollen. Trotzdem, wenn das Wort fällt, dann sagen viele reflexartig, ah, „In Stahlgewittern“, Ernst Jünger, das ist auch ein Kriegstagebuch.
Radicke: Wir machen jetzt mal einen Zeitsprung und befinden uns ungefähr 100 Jahre später und wir sprechen nicht mehr über Ernst Jünger, der in den Schützengräben der Westfront Kriegstagebuch führt, sein persönliches Kriegstagebuch führt, sondern wir sprechen über den Bundeswehrsoldaten und Afghanistan-Veteran Markus Götz, während seines Einsatzes in Afghanistan im Jahr 2010. 2021 scheint herausgegeben von ZMSBW das Kriegstagebuch mit dem Titel „Hier ist Krieg“.
Tauber: Ja, vielleicht muss man doch noch mal zurück zu Jünger. Jünger hat gesagt, von einem Buch, das den Namen verdient ist, zu erwarten, dass es den Leser verändert hat. Nach der Lektüre ist er nicht mehr derselbe. Und ich glaube, dass für das Buch, über das wir jetzt ja reden, „Hier ist Krieg“, das hier am ZMSBW editiert und herausgegeben wurde, dass für dieses Buch das gilt. Wer das liest, hat danach einen anderen Blick auf den Einsatz in Afghanistan. Gerade wenn man vorher vielleicht sehr intensiv mit den politischen Umständen sich auseinandergesetzt hat: Was war eigentlich der Kriegsgrund, warum sind wir dahin gegangen, wie viele deutsche Soldaten waren da? Allein die Statistiken sind ja beeindruckend und in den Einsatz-Tagebüchern, in den offiziell geführten Einsatz-Tagebüchern taucht das auch alles auf. Aber hier geht es eben um die individuelle Perspektive. Ein Kriegstagebuch aus der Sicht eines deutschen Soldaten, der in einem der entscheidenden Jahre 2010 in Afghanistan Dienst getan hat, das Karfreitagsgefecht erlebt hat und all das unmittelbar aufgeschrieben hat. Also es ist ein unheimlich wertvolles Dokument, das Christian Hartmann hier editiert hat und Hauptfeldwebel Markus Götz schreibt eben genau das, was er fühlt, was er sieht, was er erlebt und das ist ein unmittelbarer Eindruck, der kann aus den offiziellen Dokumenten wahrscheinlich nur schwer entsprechend vermittelt werden. Also es ist ein unheimlich ehrliches Buch, es ist eine sehr direkte Sprache, die Sprache eines Soldaten, da wird nichts beschönigt. Da geht es um die Stimmungslage, um die Sinnhaftigkeit, um die eigene Motivation, die sich und das merkt man an dem Tagebuch immer wieder ändert, er ist immer wieder herausgefordert, die Kameradinnen, Kameraden sicher auch von den Umständen. Deswegen ist es ganz gut, dass neben dieser unmittelbaren Tagebuchaufzeichnung zwei weitere Texte das Buch ergänzen, einmal eine umfassende Einführung in die Ausgangslage, auch in die taktisch operative Ebene, was den Einsatz im Norden Afghanistan betrifft und natürlich auch nochmal eine Analyse. Christian Hartmann schreibt das sehr anschaulich, wie es überhaupt dazu kam, dass deutsche Soldaten am Hindukusch kämpften.
Radicke: Das Buch schließt dann ja tatsächlich auch mit einer Bilanz, kann man sagen, mit einer sehr informativen Übersicht über alles, was in Afghanistan auch eingesetzt wurde, von Waffen über Waffensystemen, über das deutsche und internationaler Führungspersonal. Das enthält viele Farbbilder, die meistens eben auch persönlich von Markus Götz aufgenommen wurden. Herr Oberstleutnant, wie bewerten Sie die, ich nennen jetzt mal diesen Begriff, die Authentizität, die das auch für den Leser vermittelt, diese Darstellungsform.
Tauber: Für den Leser, und da ist es natürlich spannend, an wen richtet sich das Buch, für den Leser, der sonst im Schwerpunkt wissenschaftliche Analysen liest, Sachbücher, für den wirkt diese Sprache natürlich unheimlich roh, unheimlich direkt, das sind kurze Sätze, das ist so, wie man spricht, so schreibt er auch. Und auch die Unmittelbarkeit des Erlebens, also diese psychische und physische Ermattung, die Soldaten im Krieg durchleben, die damit verbundenen Fragen nach dem Sinn, also wofür, für wen kämpfe ich, das wird sehr anschaulich geschildert und deswegen ist es eben nicht nur ein wissenschaftliches Buch, sondern ein Buch, was wirklich für jeden, der sich für den Krieg in Afghanistan, für die Einsätze der Bundeswehr interessiert, lesbar macht und es ist einfach lesenswert. Also es finden sich eben nicht, wie sonst in offiziellen Dokumenten diese hehren, sich als politischen Zielsetzung, strategische Kalküle. Es ist unmittelbar, es geht um den Moment, um die Situation, um das aktive Handeln, um auch vielleicht eine krisenhafte Situation erfolgreich zu meistern. Und es hat natürlich diesen sehr starken Eigenweltcharakter für Menschen, die nie Uniform getragen haben, die keine Soldaten waren oder sind, ist das ja oft sehr schwer zu verstehen, allein diese habituelle, auch die Sprache im Militär, die auf den ersten Blick vielleicht etwas grob oder roh klingt, aber vielleicht ist gerade das auch das, was das Interesse an diesem Buch eben ausmacht. Vielleicht ist es auch deswegen gut, weil es eben doch auch ein Buch ist, das nicht nur schildert, sondern das gerade mit Blick auf die Bundeswehr auch ein Buch ist, aus dem man lernen kann. Ich glaube, das kann man sagen und deswegen ist es, obwohl unser Fokus jetzt durch den Blick auf Landes- und Bundesverteidigung sehr viel stärker wieder auf klassischen, konventionellen Krieg liegt, das liegt natürlich an dem brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine, bleibt es ein Buch, das zumindest in der Bundeswehr wirkungsmächtig ist, weil die vielen, vielen Tausenden Soldatinnen und Soldaten, die in Afghanistan gedient haben, egal in welcher Mission, glaube ich, sich sehr mit dem, was er schildert, identifizieren können und sagen, genauso ist gewesen, ich habe es ähnlich erlebt, ich habe ähnliche Eindrücke. Und da ist es natürlich so, da ist es eine unheimlich wertvolle Ergänzung. Wir haben ja schon gesagt, das klassische Einsatz-Tagebuch, das dokumentiert, das soll nachvollziehbar Dinge beschreiben. Es hat auch, das ist ja wichtig, in der Vorschrift den Passus, dass man auch Emotionen, Stimmung in der Truppe dort festhalten kann oder soll, aber das ist natürlich sehr viel schwerer, neben offiziellen Dokumenten, Befehlsgebung, Lagebildern, das so zu schildern, wie das Götz gelingt. Und deswegen ist es auch für den politischen Raum, für Untersuchungsausschüsse, für Fragen, für Enquete Kommission, für Debatten in Ausschüssen ein unheimlich wertvolles Dokument, ob die Abgeordneten oder ihre Mitarbeiter das Tagebuch von Götz gelesen haben, das weiß ich nicht, es wäre wünschenswert, denn es vermittelt Eindrücke, die so sicher nicht Eingang in offizielle Einsatz-Tagebücher gefunden haben dürften.
Radicke: Insofern wäre es sicherlich hochinteressant, offizielle Einsatz-Tagebücher neben diesen Erlebnisbericht beispielsweise von Markus Götz einfach mal zu legen, um ein umfangreicheres Bild zu bekommen, oder?
Tauber: Da haben sie absolut recht, Herr Major.
Radicke: Herr Oberstleutnant, wir schauen jetzt tatsächlich mal weg von den literarischen Erzeugnissen hin zu dem, was wirklich auch militärisch und vorschrifttechnisch geregelt sein soll. Wir haben jetzt gelernt, das fasse ich einmal kurz zusammen, dass Kriegstagebücher natürlich subjektiv sind, weil sie natürlich auch das eigene Erleben in den Mittelpunkt stellen. Aber offensichtlich ist eben Kriegstagebuch auch nicht gleich Kriegstagebuch, denn es geht ja heute in Wahrheit, um das offizielle Dokument, um das Kriegstagebuch, das beispielsweise eine Division, ein Korps, eine Armee führt. Und das soll ja möglichst sachlich, zwar unter dem unmittelbaren Eindruck des Geschehenden entstehen, aber eben nach einem nachvollziehbaren Muster auch ein Stück weit reglementiert. Man könnte sagen, so straff wie nötig, so frei wie möglich, lassen Sie uns mal in die Geschichte der Führung von Kriegstagebüchern eintauchen, Herr Oberstleutnant. Wann ist eigentlich überliefert, dass erstmals wirklich, nenn es jetzt mal, regelhaft dokumentiert wurde, was auf dem Gefechtsfeld passiert?
Tauber: Also Hinweise bzw. Vorschriften zur Führung von Kriegstagebüchern oder Kriegsakten lassen sich in der preußischen Armee bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Dann hat es eine Weile gedauert, bis im Jahr 1895 handschriftliche, vermutlich in Form einer Abschrift, Hinweise zum Führen eines Kriegstagebuchs in einer Akte im Bundesarchiv abgelegt sind. Vielleicht ist auch Material, dass wir heute nicht mehr finden, durch die Vernichtung des Kriegsarchivs im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Aber am 18. Juni 1895, da ist dokumentiert oder da sind dokumentiert Bestimmungen über die Führung von Kriegstagebüchern sowie über die Einreichung derselben und der Original Kriegsakten. Also da hat man gesagt, das was gerade geschehen ist, das muss dokumentiert werden. Wir haben ja schon gehört, was heute aus Sicht der Vorschrift dafür ursächlich ist. Da gab es sicherlich Gründe, die galten schon damals. Heute sind auch ein paar hinzugekommen. Ich glaube gerade die Dokumentationspflicht gegenüber dem Parlament, die Bundeswehr als Parlamentsarmee, das hat damals noch nicht so eine große Rolle gespielt. Eher vielleicht zur Selbstrechtfertigung oder auch zur Nachvollziehbarkeit in militärischen Prozessen. Das stand damals sicherlich im Fokus. Aber auch damals stellte sich natürlich schon die Frage, welche Möglichkeiten, welche Gestaltungsmöglichkeiten hat eigentlich derjenige, heute auch natürlich diejenige, die dieses Kriegstagebuch führt und schreibt. Denn am Ende gilt ja auch da trotz allem Anspruch an Objektivität, was ich aufnehme, was ich weglasse, das muss entschieden werden. Also derjenige, der diese Dokumente führt, hat eine enorm hohe Verantwortung und das ist wichtig, damit er möglichst objektiv dokumentieren kann, muss er natürlich, muss sie natürlich Zugang zu allen Unterlagen, Akten, Dokumenten, Kartenmaterial haben. Und da ist der oder diejenige, die das Kriegstagebuch führt, natürlich abhängig vom unmittelbaren Vorgesetzten. Auch was die Einsicht betrifft, wie wichtig die Dokumentierung der Ereignisse ist.
Radicke: Da gehe ich noch einen Schritt weiter. Herr Oberstleutnant, Sie sprechen darüber, dass derjenige, der dieses Kriegstagebuch führt, ein Stück weit auch Entscheidungsgewalt darüber hat, was aufgeschrieben wird und was nicht. Dann sprechen wir doch sicherlich auch über eine entsprechende Ausbildung dessen oder nicht.
Tauber: Ja, grundsätzlich kann man natürlich sagen, jeder Offizier, der des Lesens und Schreibens mächtig ist, muss in der Lage sein, auch ein solches Kriegstagebuch zu führen. Ich glaube, das ist auch so, gleichwohl, wie alle Dinge im Leben: Übung macht den Meister. Und sich vorher bewusst zu machen, worauf es ankommt, die Vorschrift genau zu kennen, vielleicht auch schon mal in einem geschützten Raum das geübt zu haben, nicht sofort in die Situation des Krieges oder des Einsatzes geworfen zu sein mit all den Unwägbarkeiten der Schnelligkeit der Ereignisse. Das schadet sicher nicht und deswegen ist das natürlich interessant, wie klar geregelt ist, was Zweck des Kriegstagebuchs ist. Also natürlich, wer muss eigentlich das Kriegstagebuch führen, in welcher Form, was muss drinstehen, genauso wie ganz konkret natürlich eingeschränkt oder beschrieben werden kann oder sollte, was ist Gegenstand. Also welche Angaben sind wichtig, wie wichtig es zum Beispiel Sollstärken. Und in der Vorschrift, die wir eben schon erwähnt haben von 1895, da waren zum Beispiel die Angaben zu Personen- und Pferdestand noch relevant. Ich glaube, den Pferdestand würden wir heute, vielleicht außer bei den Mulis der Gebirgsjäger, so nicht mehr aufführen, Nachrichten und Befehle, kriegerische Tätigkeiten, Zugehörigkeit. Also da waren die Angaben relativ konkret, was drinstehen sollte, genauso, wann ein Kriegstagebuch abgeschlossen wird, wann es sozusagen zur Archivierung, zur Abgabe an Archive oder andere Dienststellen vorgesehen ist, auch das ist übrigens heute noch geregelt.
Radicke: Das heißt, die grundsätzlichen Vorgaben, von denen wir sprechen, wie Kriegstagebücher zu führen sind, gehen eigentlich heute fast unverändert bis ins 19. Jahrhundert zurück?
Tauber: Genau. Also wir erleben das ja auch gerade mit großem Schrecken in Osteuropa, wesentliche Elemente des Krieges haben sich nicht geändert. Und diese gilt es zu dokumentieren, wenn es zum Beispiel um Gefechtsberichte geht, Verluste, Vermisstenmeldungen, Entwicklungen. Also all diese Dinge sind aufzuschreiben, festzuhalten. Heute natürlich mit anderen Möglichkeiten, damals mit Stift und Zettel, heute digital, mit eben auch der Möglichkeit viel mehr zu sammeln in Wahrheit. Also das, was wir an Dokumenten hinterlegen können, von Bildmaterial, Kartenmaterial, eingestuften Dokumenten, die so ohne weiteres ja auch früher wahrscheinlich gar nicht verfügbar waren. Da hat die Digitalisierung Einzug gehalten und ist sicherlich eine zusätzliche Herausforderung für diejenigen, die dieses Einsatz- oder Kriegstagebuch führen, aber für die Nachvollziehbarkeit und die Dokumentation, gerade auch für künftige Historiker. Und das ist ja durchaus eine Perspektive, die wir hier am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr haben. Ist das spannend.
Radicke: Wir sprechen ja im Ersten Weltkrieg häufig von der Industrialisierung des Krieges und auch von der Automatisierung des Krieges. Hat sich das Kriegstagebuchwesen in dieser Zeit ebenfalls verändert?
Tauber: Naja, also so ein Krieg wie den Ersten Weltkrieg, den hat die Menschheit so vorher noch nicht gekämpft. Und natürlich hat das nicht nur auf taktischer oder strategischer Ebene zur Veränderung geführt. Allein die Dauer des Krieges, die keine der kriegsteilnehmenden Mächte so vorausgesehen hat, hat natürlich eine prägende Folge. Und sicherlich, das sieht man ja auch an anderen Dokumenten, die dieses Kriegsgeschehen beschreiben, ist der Wunsch nach Dokumentationen des Geschehens gewachsen. Sodass auch nach dem Krieg natürlich diese Dokumente nicht einfach zur Seite gelegt worden sind, sondern in der Weimarer Republik, gerade in der Reichswehr, gab es eine sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Geschehenen. Nicht nur unter dem Aspekt der Selbstrechtfertigung in zahllosen Regimentsgeschichten, wie die natürlich auch nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind in Veteranenverbänden etc., sondern ganz offiziell, weil man den Anspruch hatte, aus diesen Erfahrungen etwas abzuleiten, für Vorschriften, für Ausbildung, für die Weiterentwicklung des Kriegsbildes. Und insofern waren die Kriegstagebücher des Ersten Weltkriegs natürlich dort für das Militär selbst eine ganz wichtige und relevante Quelle. Das kann man sicherlich sagen, Herr Major.
Radicke: Wir springen ein bisschen in der Zeit. Es endete dann 1945, der Zweite Weltkrieg. Deutschland hatte zehn Jahre lang gar keinen Militär. In der Bundeswehr folgte dann die Wiederbewaffnung und die Gründung einer Armee, die dann im Kalten Krieg stand, die sich eigentlich tagtäglich auf die mögliche Eskalation eines heißen Krieges vorbereitete. Dabei war sie ja zweifellos eine Armee in der Demokratie, die aber an die militärischen Erfahrungen, der, ich sage jetzt mal, vorangegangenen Zeit gerade auch die Erfahrungen noch von vor 1945 auch anknüpfte. Was bedeutete das für das Thema Kriegstagebuch?
Tauber: Wir haben es ja bereits angedeutet, auch die Reichswehr der Weimarer Republik hatte Vorschriften für das Führen von Kriegstagebüchern, die Wehrmacht auch, dazu gab es immer wieder auch Modifizierung, erneute Bestimmung in Vorschriften. Also die Wehrmacht hat die Vorschrift der Reichswehr weiter genutzt und dann gegebenenfalls nochmal ergänzt oder angepasst. Und die Bundeswehr hat in ihrem Entstehungsprozess natürlich auf militärischen Erfahrungen, sie haben es schon gesagt, aufgesetzt und auch eigene Vorschriften für das Führen von Kriegstagebüchern im Rahmen der Landesverteidigung erstellt. Verschiedene 1964, 1970, 1975, 1982, es gab immer wieder neue Vorschriften bzw. Überarbeitungen dieser Vorschriften und dann eben auch klare Bestimmungen, wie diese Kriegstagebücher zu führen sind, eben auch und daran hat sich bis heute nichts geändert als Tätigkeitsnachweis von Kommandobehörden, Truppenteilen, militärischen Dienststellen im Verteidigungsfall, aber eben auch und das ist im Kalten Krieg sicherlich auch wichtig gewesen, bei großen Truppenübungen von Großverbänden und übrigens gilt das sinngemäß nicht nur für das Heer, das gilt genauso für Luftwaffe und Marine, weil gerade natürlich auch aus den Übungen sich Ableitungen treffen lassen für Ausbildung und künftige Planungen und das gilt übrigens heute auch noch, auch heute, die Vorschrift sieht vor bei großen Übungen, auch bei multinationalen Übungen übrigens führt der deutsche Anteil ein eigenes Einsatztagebuch.
Radicke: Jetzt ist es so, dass wenn wir jetzt mal an die Zeit des Kalten Kriegs zurückdenken, so ist es ja festgelegt beispielsweise in der Vorschrift von 1975, dass grundsätzlich der Einsatz von Reserveoffizieren für die Führung des Kriegstagebuchs vorgesehen ist. Ich würde sagen, Herr Oberstleutnant, da sind wir gleich eigentlich in der perfekten Situation, dass wir dafür eigentlich prädestiniert wären. Jetzt hat die Reserve in dieser Zeit des Kalten Kriegs eine besondere Rolle dabei. Heute gehen wir ja deutlich weiter. Also die aktuelle Vorschrift sieht ja bereits auf Brigadeebene das Führen eines Einsatztagebuchs oder Kriegstagebuchs vor und auch nicht beschränkt auf Reservisten, oder?
Tauber: Da muss man ergänzend nochmal sagen, dass es 1975 eine Modifizierung gab. Damals wurde entschieden, dass auf Regimentsebene kein Kriegstagebuch mehr zu führen sei im Verteidigungsfall, sondern lediglich die Kommandobehörden ein solches zu führen hätten. Und da, in der Tat, ist es richtig, Herr Major, da sollten Reserveoffiziere zum Einsatz kommen. Heute, wie gesagt, ist die Vorschrift sehr viel weiter gefasst und interessant ist natürlich auch, dass die Vorschrift darauf abzielt, auch Offiziere mit einem entsprechenden Hintergrund, also Offiziere, die Geschichte studiert haben, auch Offiziere, die in diesem Bereich eingesetzt sind in der Bundeswehr, dort wirken zu lassen. Und das ist eine Modifizierung, die hat es so in den vorhergehenden Vorschriften auch der anderen deutschen Armee nicht gegeben. Das kann man sicherlich sagen. Also insofern ist das sehr, sehr spannend, weil in der Tat, da sind wir beide jetzt spätestens nach der Absolvierung des Lehrgangs unmittelbar berührt. Ich darf verraten, es war ein spannender Lehrgang. Man hat ein Gefühl dafür, was da alles auf einen einstürzt, wenn es gilt, an einem ereignisreichen Tag, um es neutral zu formulieren, alles festzuhalten, was da so auf einen einströmt. Also ich habe Respekt vor der Aufgabe und ich sage natürlich auch ganz ehrlich, ist ganz gut, wenn wir da nicht zum Einsatz kommen müssen.
Radicke: Das ist definitiv so. Ich würde jetzt gerne noch einmal einen Schritt machen, zurück ein Stück weit in den historischen Vergleich. Also ich finde es zum Beispiel sehr interessant, dass sich das Führen von Kriegstagebüchern in den deutschen Armeen offensichtlich, vor allem bei den militärischen Notwendigkeiten orientiert und nicht an den politischen Rahmenbedingungen. Das wäre also im Wesentlichen eigentlich nur einen Unterschied konstatieren zwischen der Vorschrift beispielsweise für die Wehrmacht und der Vorschriften der Bundeswehr. Und das ist am Ende des Tages das Thema der Rechtfertigung, der Nachvollziehbarkeit des militärischen Handels gegenüber dem Parlament und damit auch der Öffentlichkeit. Also die Parlamentsarmee der Bundeswehr ist ja am Ende des Tages den Bürgerinnen und Bürgern mehr oder weniger auch zur Rechtfertigung verpflichtet. Und das ist ja schon ein interessanter Unterschied. Es besteht ein Interesse im Militär also quasi das eigene Handeln für sich selbst nachvollziehbar zu machen offensichtlich. Auf Neudeutsch würden wir sagen, Sie haben das vorhin schon einmal passend erwähnt, Herr Oberstleutnant, Lessons learned.
Tauber: Das ist aber nicht neu. Das ist in der Tat die Kontinuität beim Thema Kriegstagebuch quer durch alle deutschen Armeen. Aber Sie haben absolut recht. Der andere Punkt, der ist valide, der ist bundeswehrspezifisch und der macht uns sicher auch aus.
Radicke: Das heißt also die eigene Geschichte zu kennen ist eine Voraussetzung für die Ausbildung dieser Tradition, die uns dann quasi eine bewusste Auswahl ermöglicht.
Tauber: Ich würde es anders sagen, nehmen Sie nochmal das Beispiel, des Kameraden Götz und seine Erinnerung an Afghanistan. Dieser Afghanistan-Einsatz, unabhängig seines Endes, ist für diese Bundeswehr prägend, weil so viele Männer und Frauen dort gedient haben. Das macht was mit einer Armee und die spannende Frage, wie das unsere Tradition beeinflusst und verändert, die stellen wir uns ja täglich. Wir haben eine Kaserne nach einem Kameraden benannt, der in Afghanistan gefallen ist. Also das geht aber nur, wenn wir etwas wissen über die Ereignisse, wenn wir sie nachvollziehen können. Dann gibt es Brauchtum und Tradierung durch Erzählungen, aber das muss natürlich in irgendeiner Form nachvollziehbar gemacht werden. Und da helfen Einsatz-Tagebücher natürlich auch. Also neben dem rein militärischen, dem Lernen aus der Situation dienen sie, glaube ich, Neudeutsch könnte man Mindset sagen, wir könnten auch sagen für das innere Gefüge der Streitkräfte, dienen sie als Reflektionsrahmen, um über sich selber auch nachzudenken. Das halte ich für wichtig. Und deswegen kann man dem ehemaligen Kommandeur, des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Herrn Oberst Lange, nur zustimmen, der gesagt hat über das Buch von Markus Götz: „Das Buch wird Teil der deutschen Militärgeschichte. Die Lehren aus Afghanistan werden wir nur dann ziehen können, wenn wir denen zuhören, die den Einsatz erlebt und überlebt haben“. Das ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hat eben sehr früh angefangen, den Einsatz zu begleiten, auszuwerten, zu dokumentieren. Das Buch von Götz, das wir so wunderbar aufbereitet mit Karten und Fotos vor uns liegen haben, so hat er es ja nicht geschrieben. Das waren 172 Seiten in einem Notizbuch in DINDeutsches Institut für Normung A 6 Format. Irgendwann hat er DINDeutsches Institut für Normung A 4 Zettel nehmen müssen, um alles festzuhalten und aufzuschreiben und das in eine Form zu bringen, die es nachvollziehbar macht für uns, die wir nicht dort waren, auch für die deutsche Öffentlichkeit, auch für Menschen, die vielleicht mit jemandem zusammenleben, Familienangehörige haben, die in Afghanistan dienten, dass es eine unheimlich wertvolle Übersetzungsleistung, die eben auch was mit Streitkräften macht. Und Christian Hartmann, der das Buch editiert hat, hat ja deswegen auch gesagt die Aufzeichnungen von Götz mit dieser sehr speziellen Militärsprache vielen Abkürzungen, seien vergleichbar mit einem ungeschnittenen Film. Das Tagebuch sei so Zitat ein Glücksfall für den Historiker. Ich würde sagen auch für jeden, der es liest und die Erinnerungen an den Afghanistan Einsatz und die gesellschaftliche Wertschätzung, da sagt Hartmann zu Recht, die ist viel zu gering und um uns das bewusst zu machen, sind solche Bücher natürlich auch wertvoll. Auch weil sie anders als das offizielle Einsatztagebuch emotional berühren und den unmittelbaren Eindruck schildern. Und ich glaube, das ist natürlich eine Aufgabe für den Einsatz- oder Kriegstagebuchführer, dass er darauf achten muss, Dinge zu objektivieren und sich nicht von der Emotion des Moments vielleicht auch treiben zu lassen beim Festhalten von Dingen.
Radicke: Das heißt aber auch im Nachgang in der Bewertung, in der, ich nenn es jetzt mal salopp, in der Verarbeitung brauchen wir für die Zukunft offensichtlich beides. Einmal das sachliche, das distanzierte, das offizielle Dokument und das ersetzt aber nicht den subjektiven Erfahrungsbericht.
Tauber: Ich würde Ihnen zustimmen wollen, Herr Major, das offiziell geführte Einsatz-Tagebuch oder Kriegstagebuch. Das sollen natürlich die spätere historische Begleitung ermöglichen. Wir haben den Sinn und Zweck, der in der Vorschrift niedergelegt ist, ja schon einmal durchdekliniert und wir hier am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr haben natürlich genau diesen Blick danach nachzuvollziehen, um mit Ranke zu sprechen, wie es eigentlich gewesen ist. Aber es geht weit darüber hinaus, es hat einen Mehrwert für das Militär selbst als Quelle des Lernens und ganz wichtig, dass ist das bundeswehrspezifische den Wunsch nachvollziehbar zu machen als Parlamentsarmee für das Parlament und damit natürlich für die Volksvertretung, für die gesamte Gesellschaft, was wir tun, wenn wir in Einsätze geschickt werden, wenn wir Deutschlands Freiheit irgendwo verteidigen. Und die andere Ebene Bücher wie das von Götz auch die können einen Beitrag leisten, um die Bundeswehr stärker und resilient zu machen. Kriegstüchtig würde unser Generalinspektor General Carsten Breuer wahrscheinlich sagen.
Radicke: Herr Oberstleutnant, ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch. Das hat mir viel Freude gemacht.
Tauber: Vielen Dank Herr Major, kann ich nur zurückgehen.
Radicke: Danke schön.
Das war Zugehört. Der Podcast des ZMSBW zum Thema Chronisten des Krieges Kriegstagebücher mit Oberstleutnant der Reserve Dr. Peter Tauber und Major der Reserve Timon Radicke.