Bohnert Transkript

Bohnert Transkript

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Lesedauer:
48 MIN

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Michael Gutzeit
Sehr geehrte Damen und Herren, willkommen zu unserer neuen Zugehört-Folge heute zum Thema: „Anerkennung aus der Gesellschaft für das Militär und das gegenseitige Verhältnis“. Heute im Studio hier bei mir Herr Oberstleutnant Bohnert. Er ist der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes und Stabsoffizier im Führungskommando der Bundeswehr in Berlin und Herr Dr. Timo Graf aus dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Er ist Militärsoziologe und führt jährlich die Bevölkerungsumfrage des ZMSBW durch. Mein Name ist Michael Gutzeit. Ich bin Major und Leiter der Informationsarbeit hier im Zentrum. Das führt mich gleich zu meiner ersten Frage. Beginnen möchte ich mit Oberstleutnant Bohnert. Herr Oberstleutnant, Sie haben in diesem Jahr sehr viel erreicht, denn wir werden im nächsten Jahr, im Juni 2025, den ersten Veteranentag hier in der Bundesrepublik Deutschland feiern. Meine Frage an Sie ist, braucht es denn das überhaupt?

Oberstleutnant Bohnert
Ja, danke erstmal fürs hier sein. Und es freut mich natürlich, dass wir miteinander sprechen können und Herr Major auch Danke für die Frage. Ich glaube natürlich, dass es einen solchen Veteranentag bedarf, sonst hätten wir uns als Veteranenbewegung insgesamt also Deutscher Bundeswehrverband, Reservisten, Verbänden, Volksbund, Deutsche Kriegsgräberfürsorge viele, viele Veteranenverbände nicht so vehement für einen solchen Tag eingesetzt. Und warum ist der wichtig? Zum einen ist es so, dass wir in vielen anderen Nationen in Europa oder natürlich auch in den USAUnited States of America ein solchen Tag sehen. Also es gibt diese Tage eigentlich überall und hier in Deutschland haben wir ihn eben nicht gehabt, denn die Zeitenwende seit Februar 22, das Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft wird neu austariert. Und da ist natürlich ein solcher Tag etwas, das dazu führen kann, dass Bundeswehr und Gesellschaft enger zusammenkommen, dass die Blackbox Bundeswehr auch für die Gesellschaft geöffnet wird und, dass Soldatinnen und Soldaten auch symbolische Anerkennung und Wertschätzung für das erhalten, was sie für diese Gesellschaft ja letztendlich tun.

Gutzeit
Herr Oberstleutnant, Sie haben gesagt, es ist sozusagen der Veteranentag ein Puzzleteil zum besseren Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft. Sie haben die Bundeswehr als Blackbox bezeichnet. Da frage ich Sie, Herr Dr. Graf, gibt es denn dafür überhaupt wissenschaftliche Befunde, Erkenntnisse? Wie steht denn die Bevölkerung dazu? Ist es so, dass die Gesellschaft die Bundeswehr als Blackbox empfindet?

Dr. Graf
Also Blackbox ist jetzt ein sehr diffuser Begriff, den würde ich jetzt sicherlich so nicht verwenden wollen. Es gibt Einzelaspekte, auf die wir heute sicherlich noch zu sprechen kommen, wie die Einsätze, wo wir auch messen können seit vielen, vielen Jahren. Dass es da geringen Kenntnisstand gibt. Ich würde aber vielleicht auch ganz gerne auf den Veteranentag zu sprechen kommen. Da muss ich auch Herrn Bohnert einfach zustimmen. Es ist eine weitere Möglichkeit für die Bevölkerung mit der Bundeswehr und mit Vertretern der Bundeswehr, in diesem Fall ja auch nicht aktive Ehemalige darunter in Kontakt zu treten. Und unsere Bevölkerungsumfrage, die wir jedes Jahr durchführen, wenn sich da ein Befund unter vielen anderen auch, aber einer ganz zentral herauskristallisiert hat, dann, dass die persönlichen Kontakte zwischen der Bevölkerung und der Truppe, um das mal so zu formulieren, da kommt die Truppe mal mit einem sehr positiven Image weg und besser als bei Medienkontakten, die überwiegen natürlich insbesondere auch seit Aussetzen der Wehrpflicht, aber wann immer Bevölkerung und Truppe direkt, ungefiltert, unvermittelt und nicht über die Medien miteinander in Kontakt kommen, hinterlässt das bei den Menschen einen positiven Eindruck. In diesem Sinne ist das natürlich zu befürworten, dass es einen Veteranentag gibt. Wir haben auch in den vergangenen Jahren schon dezidiert dazu gefragt in der ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Bevölkerungsbefragung und in den letzten Jahren, so die letzten drei, vier Jahre, hatten wir immer eine absolute Mehrheit, die sich schon dafür ausgesprochen hat, dass es einen Veteranentag in Deutschland geben sollte. Aber und die Kritik habe ich schon öfter gehört, warum hat es denn keiner früher dann gefordert? Da muss man sagen, ich glaube, dass diese Frage, was das Initiieren von solchen institutionellen Anlässen auch angeht, da ist einfach der Hauptadressat auch die Politik. Und ich glaube im Fall des Veteranentags hat dann hier Politik parteiübergreifend auch geliefert.

Gutzeit
Wenn ich mich an die Erkenntnisse aus der letzten Bevölkerungsumfrage erinnere, hat die Bundeswehr laut Studie wirklich historisch hohe Sympathiewerte, Vertrauenswerte bekommen. Aber Herr Bohnert, warum braucht es denn dann diesen Tag, wenn eigentlich alles gut ist?

Bohnert
Na ja, Sie müssen natürlich in irgendeiner Art und Weise das auch präsentieren, das mag sein, dass das in der Bevölkerung so wahrgenommen wird. Aber Soldatinnen und Soldaten, die ihre persönlichen Wahrnehmungen nehmen das wohl weniger wahr. Ich glaube, das kann Herr Graf mit seinen Studien vielleicht auch noch mal untermauern. Also das Gefühl, hier in dieser Gesellschaft wertgeschätzt und anerkannt zu sein, haben viele Soldaten eben nicht. Ja, das kriegt man mit, wenn man mit denen spricht. Und wenn man sich in Veteranenverbänden gerade mit Einsatz-Rückkehrern austauscht, dann ist es so, dass denen dieser mögliche Rückhalt der Bevölkerung, den Sie da beschreiben, in den Studien das einfach nicht spürbar ist. Und das ist wahrscheinlich etwas, das eben auch gezeigt werden muss oder gezeigt werden kann.

Bohnert
Ja, es bedarf der Symbolik und Ausdrucksform dieser Anerkennung und Wertschätzung, so die denn denn vorhanden ist und als eine Möglichkeit der Bevölkerung das dann auch zu zeigen. Und die liefern wir jetzt mit einem Veteranen Tag und dann wollen wir mal sehen, was da über die nächsten Jahre wächst. Also ob das wirklich tatsächlich was mit den Studien dann als Erkenntnisse haben, ob das das stimmt. Weil dann wäre es so, dass ja offensichtlich Politik diejenige war, die eher eine, eine skeptische, ich sage mal Einstellung der Bevölkerung voraussetzend, da immer so, ich nenne es mal der Hemmschuh war und gehadert hat, zu viel Bundeswehr zu präsentieren, weil sie der Meinung war, dass Gesellschaft das nicht abkönnen würde.

Gutzeit
Herr Dr. Graf, Herr Oberstleutnant Bohnert meint eher vielleicht diese anekdotische Evidenz, dass sich zum Beispiel Veteranen oder ehemalige Soldaten oder vielleicht auch aktive Soldatinnen und Soldaten ja ihr Leben lang daran erinnern, dass sie einmal vielleicht beschimpft worden sind, manche sagen bespuckt worden sind, aber dass der großen und ganzen Lage überhaupt nicht entspricht.

Graf
Anekdotische Evidenz gibt es sicherlich viel, auch in anderen Lebensbereichen, Erfahrungsbereichen jetzt nicht nur auf die Bundeswehr begrenzt. Aber man muss tatsächlich festhalten, dass das, was Herr Bohnert beschrieben hat, diese Wahrnehmung seitens der Einsatz- Soldaten, Einsatz-Veteranen hinsichtlich der fehlenden oder mangelnden Anerkennung durch die Gesellschaft, insbesondere auch die Bevölkerung ist ja ein gesicherter empirischer Befund. Es gab vom ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr dazu eine Studie mit dem Titel „Leben nach Afghanistan“ von den Kollegen Seiffert und Hess durchgeführt. Es war eine Langzeit Untersuchung: 22. Kontingent ISAFInternational Security Assistance Force und da haben die Befragten auch wirklich zu 8 % und zu 10 % nur gesagt, dass sie sich durch Bevölkerung und Politik anerkannt fühlen für das, was sie in den Einsätzen leisten. Das muss man als Wissenschaftler auch erst mal so anerkennen und kann da nicht von einer Fehlperzeption als solcher Eingangs sprechen.
Das muss man festhalten. Ich glaube, woran sich die Kritik seitens der Soldatinnen und Soldaten auch festmacht und wie sich dieses, dieses Paradoxon ein Stück weit auflösen lässt, ist folgender Umstand: Die Bundeswehr hat als staatliche Organisation, als gesellschaftliche Institution, seit 2000 haben mindestens 75 % der Befragten angegeben, ein positives Verhältnis zur Bundeswehr zu haben. Im abstrakten ja, schön und gut. Kann man so stehen lassen. Wir müssen aber auch anerkennen, dass insbesondere zu ISAFInternational Security Assistance Force ist ja doch auch eine kritische öffentliche Meinung gab. Und natürlich fällt es den Einsatz-Soldaten, die sich mit dem Einsatz zwangsweise identifizieren, unglaublich schwer, diese Differenz zwischen hohen und positiven Image Bundeswehr im Abstrakten, aber der konkreten Kritik an ihrem Einsatz, das differenziert zu betrachten. Die Bevölkerung schafft das hier zu differenzieren, weil die Einsätze nicht zu ihrer Lebens- und Alltagsrealität gehörten. Und die Bevölkerung bewertet das vorrangig als politischen Auftrag und der gefällt oder der gefällt nicht, unabhängig davon, wie das Werkzeug, das dafür zum Einsatz kommt, nämlich Bundeswehr, bewertet wird. Und ich glaube, hier müssen wir und hier tun alle gut daran Bundeswehr, die Truppe insbesondere auch nicht nur die Führung, die Truppe auch Politik, Medien, aber auch die Bevölkerung selber, dass wir uns alle vergegenwärtigen, die Bundeswehr als Organisation Institution ist hoch anerkannt und hier hat es auch in den Afghanistan-Jahren, um es so salopp zu sagen, keinerlei Entfremdung gegeben. Aber der Einsatz wurde doch tatsächlich mitunter kritisch gesehen und das müssen wir festhalten.

Bohnert
Genau jetzt. Jetzt ist es aber so, dass gerade Soldaten, die da sehr intensive Erfahrung diesen Einsätzen hatten, dass sie sich natürlich genau darüber auch identifizieren. Wir sehen das gerade in Veteranenverbänden, dass Einsatz-Veteranen dort schon eine eigene Identität entwickeln und ich sage mal viel aus Ihre Identität aus diesen Einsätzen ziehen, so wie ich es erlebe, als auch jetzt wieder ein bisschen anekdotische Evidenz, ist es schon häufig so, dass man das Prinzip einer Parlamentsarmee in Diskussionen, im Freundeskreis oder auch mit Menschen, die einen auf der Straße ansprechen, doch schon immer wieder erklären muss. Also auch mir ist es schon passiert, dass in Berlin mir Leute hinterher gerufen haben: Hier, raus aus Afghanistan, wo ich nicht drauf reagiert habe. Ich wollte da jetzt keine akademische Diskussion anfangen, aber wo ich im Grunde hätte sagen können, das kannst du ja machen, aber ich bin hier nicht der Adressat, sondern dann ruf das Richtung Regierung oder Parlament im Allgemeinen. Und der Soldat selbst wird als derjenige wahrgenommen, der irgendwie in diesen Einsätzen ist und wird dann eben auch dafür im weitesten Sinne verantwortlich gemacht, so, dass ein Soldat jetzt, wenn ihm so was hinterher gerufen wird oder auf andere Art und Weise da auf kritische Gesellschaft trifft, da eben nicht in diesen zwei Gedanken Schritten sagt. Ja, er spricht mich jetzt an, aber das tut er nur, weil er ja nicht für den Afghanistaneinsatz zum Beispiel ist. Und er weiß nicht, dass er diese Kritik Richtung Parlament richten müsste. Und so weiter. Sondern sich persönlich da erst mal angegriffen fühlt, ist irgendwie auch, ich sage mal nachvollziehbar. Und es gibt ja jetzt schon Verbesserungen. Ja, das höre ich auch von allen Seiten. Wir sehen die Zahlen. Wir sind nun mal seit Aussetzung der Wehrpflicht so ein bisschen verschwunden aus dem öffentlichen Raum. Wir sind durch die Auslandseinsätze, ich sage mal nicht im klaren Bewusstsein der Bevölkerung, so meine Wahrnehmung zumindest gewesen, weil eben abseits der Lebensrealität stattgefunden haben und die intensive Erfahrungen dort in der ganzen Breite hier nicht in Deutschland angekommen sind. Also meine Wahrnehmung, das können sie gerne sozusagen widerlegen oder mit Zahlen dagegensetzen. Und deshalb waren wir eben lange raus und sind als Blackbox so diffus wie dieser Begriff klingen Magen auch ein bisschen wahrgenommen worden. So, jetzt haben wir aber das Bahnfahren in Uniform, wo viele Soldatinnen und Soldaten an den Wochenenden die Bahnhöfe fluten und das kostenfrei und wir sind medial deutlich präsenter. Und es geht jetzt eben auch wieder um Landes- und Bündnisverteidigung, nicht mehr um Einsätze weit außerhalb oder nicht mehr primär um Einsätze weit außerhalb der Wahrnehmungen. Und da ist das Potenzial, dieses Verhältnis neu zu tarieren. Auch in der Praxis glaube ich tatsächlich da.

Gutzeit
Bevor wir das Thema Einsätze abschließe, möchte ich mal kurz nachhaken zu dem, was Sie zu Beginn gesagt haben, und zwar was die persönliche Identifikation und Wahrnehmung, Anerkennung von Soldaten im Einsatz angeht. Herr Dr. Graf können Sie vielleicht kurz, das habe ich in Ihren Studien erkannt und lesen können, was dazu sagen, was die Informiertheit der Bevölkerung und der Zusammenhang mit der Zustimmung angeht und ob sich Soldaten das Identifikationsziel mit einem Einsatz selbst suchen, wenn es nicht von der Politik kommt.

Graf
Also unmittelbar zu den Einstellungen zu Identifikation der Einsatz-Soldaten habe ich jetzt unmittelbar nicht geforscht. Das Interessante ist, dass übrigens die rundherum kritischste Meinung zum Umgang von Politik und Gesellschaft, aber vor allen Dingen von Politik mit den IKM-Einsätzen, also im internationalen Krisenmanagement, darunter fallen ja Afghanistan und Mali insbesondere auch, kommt inzwischen von der Bundeswehr selbst, und zwar in Form des Handbuchs Innere Führung. Und das ist ein Punkt, den ich auch noch mal adressieren möchte. Herr Bohnert, Sie haben gesagt Einsatz-Realität war für die Generation Einsatz Realität, klar, aber nicht für die Bürgerinnen und Bürger, vor allem nicht im Gro. Und wenn Sie irgendwas mitbekommen haben aus Afghanistan oder Mali, dann war es irgendwie Bad-News in der Tagesschau oder sonst wo. Richtig! Sie haben auch gesagt, was wurde denn erklärt zu den Einsätzen? Und da möchte ich einfach mal zitieren aus dem Handbuch Innere Führung: „Die politischen Entscheidungsträger Zitat Anfang haben aufgrund von fehlender Strategie und in der Annahme einer militär-kritischen Gesellschaft die Einsatzziele oft verharmlost und beschönigt.“ Und ich glaube, viel Kritik in der Öffentlichkeit und auch in den Medien hat sich genau an, wie es hier beschrieben wird, einer derartigen Kommunikation Strategie entzündet. Und da heißt es auch weiter im Handbuch Innere Führung, dass das was in den Mandaten stand, oft für die Soldatinnen und Soldaten und da kommen wir jetzt auf den zweiten Punkt, Herr Gutzeit, gar nicht sinnstiftend oder nicht hinreichend sinnstiftend für die Einsatz- Soldatinnen und Soldaten vor Ort war und dass sie sich dann oftmals und das ist ja auch ein stückweit die These von dem Militärhistoriker Sönke Neitzel, dass die sich dann selber in so ein stückweit „Tribal Cultures“, wie er es nennt, geflüchtet haben, um dort selber sinnstiftend aktiv zu werden. Was ich sage mal von oben nicht unbedingt so vorgegeben wurde.

Bohnert
Deckt sich tatsächlich mit meiner Praxiserfahrung in Afghanistan. Ich war 2011 dort als Kompaniechef in Kundus und in der Tat war es zu dieser Zeit so, dass die politischen Zielsetzungen und wir kennen das vielleicht gerade aus den ersten Mandaten mit Menschenrechten, Frauenrechten und so weiter mit der Praxis dessen, was wir dort tagtäglich gemacht haben, wirklich kaum noch was zu tun hatten. Als Offizier war es schon eine, ich nenne es mal relativ herausfordernde Aufgabe, diese Schere, die sich zwischen dem politischen Mandat und der harten Realität am Boden da geöffnet hat, die dann auch sinnstiftend zu füllen. Und das, was Sie da beschrieben haben, ist das, was ich persönlich auch belegen kann. Das habe ich selber so empfunden. Deswegen würde ich auch dieser These von Sönke Neitzel zur Ausbildung von Tribal Cultures zustimmen. Es war so, dass die politischen Vorgaben und Rahmenbedingungen in Deutschland zu dieser Zeit weit weg und fern wirkten und wir uns doch im Kern auf den Auftrag, den wir vor Ort hatten, fokussiert haben. Und im Grunde der politische Rahmen und so weiter, ja, ich will nicht sagen ausgeblendet, weil als Offizier ist man dann natürlich drin verhaftet und wir werden auch dadurch geprägt und unsere Einsatzregeln, die orientieren sich an dem politischen Auftrag. Aber es wirkte doch alles sehr, sehr abstrakt. Und es ist aber eben auch das Gefühl mitgeschwungen, dass wir hier also so war unser Empfinden, das war unsere Identität an einem weit entferntesten Außenposten dieser Bundesrepublik die Drecksarbeit dafür machen, dass es unsere Gesellschaft im weitesten Sinne irgendwie gut geht und sie friedlich leben kann. Und ob das sozusagen dort auch so empfunden wurde, das wage ich mal zu bezweifeln.

Graf
Na, da möchte ich widersprechen, Herr Bohnert, und zwar in dem Punkt auch hier wieder Differenzierung. Ein ganz wichtiger Aspekt. Wir haben ja die Einstellung zu den Einsätzen abgefragt, darunter auch Afghanistan, aber eben auch die Bewertung der Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich dessen, was die Soldaten im Einsatz geleistet haben. Was wir sehen, ist eine kritische Haltung, insbesondere dann auch zu Afghanistan, wo die Sicherheitslage halt auch echt prekär war in den Jahren, aber gleichzeitig auch Anerkennung für das, was die Truppe, wenn man so will, im engeren Sinne, vor Ort geleistet hat. Auch hier wieder die Differenzierung zwischen politischer Auftrag. Nein, das wird mehrheitlich oder überwiegend zumindest abgelehnt. Dennoch Anerkennung für das, was die Soldatinnen und Soldaten vor Ort leisten. Das gleiche als Befund gilt dann auch für Mali. Auftrag? Politischer Auftrag? Mission? Mandat? Großes Fragezeichen seitens der Bevölkerung. Was soll das? Kann uns das jemand erklären? Vermutlich eher nicht. Dennoch Anerkennung für das, was die Truppe vor Ort mit den Mitteln auch insbesondere die hier gegeben wurden, dann tatsächlich geleistet hat.

Bohnert
Es ist halt so, dass viele Soldatinnen und Soldaten aber eben auch auf diesen Einsatz selbst ziemlich stolz waren und also nicht nur auf ihre Leistungen dort, sondern ich sage mal diese Frage der Sinnstiftung, bis zu einem gewissen Grad stellte sich natürlich auch bei Soldaten. Am Ende ist Exekutivorgan und dann muss man, auch wenn man da unten bestehen will, gerade in intensiven Einsätzen, muss man irgendwie sich auch mit diesem Auftrag identifizieren. Das haben viele Soldaten auch getan, so meine Wahrnehmung. Ja, viele sind deswegen auch nach dem katastrophalen Ende, insbesondere des Afghanistaneinsatzes natürlich ziemlich ernüchtert worden und haben noch nachträglichen Sinnverlust erlebt. Aber es ist schon so, dass sie sich auch mit diesem Auftrag, mag eine kognitive Dissonanz, an die man da ausgeglichen hat und das ist auch in diesem Auftrag sehr identifiziert haben und Kritik an diesem Einsatz ja irgendwie dann auch als Kritik an sich selbst wahrgenommen haben. Und am Ende hat es ja, ich meine, ich könnte jetzt hier anekdotische Evidenzen rausknüppeln, von Verwundeten, die gefragt werden Ja gut, was machst du auch da unten? Selbst schuld. Also selbst unterschrieben oder Hinterbliebene, die mit solchen Dingen konfrontiert werden. Was machen die auch in Afghanistan und keine Ahnung. Das sind schon Dinge, die zeigen, dass die Bevölkerung eben nicht, wie irgendwann mal von Peter Struck gesagt, richtig nachvollziehen können, dass die Freiheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt wird.
Diese Verbindung und dann als Krisenmanagement zu meinem Alltag hier in Deutschland, die war eben nicht besonders klar. So und nochmal ich will da auch gar nicht zu negativ sein und auch nicht immer nur auf den Afghanistaneinsatz rumreiten. Gibt ja noch ganz viele andere. Ich sage nur ich nehme auch persönlich wahr, dass sich da seit Februar 22 etwas in dieser Gesellschaft wirklich geändert hat. Also dieses „Danke für Ihren Dienst“, das hör ich hier bestimmt einmal im Monat und teilweise verstehe ich auch gar nicht, wenn die einfach nur „Danke“ zu mir sagen. Irgendwelche Menschen auf dem Bahnhof in Berlin, am Flughafen oder sonst wo, worum es eigentlich geht. Bis mir dann irgendwann einfällt, Ach ja, Uniform an und so weiter, unsere Gesellschaft traut sich scheinbar jetzt wirklich auch öffentlich etwas mehr Anerkennung direkt an Bundeswehrangehörige zu richten, ohne dass sie irgendwie Angst haben, weiß ich nicht, als extremistisch zu gelten. Oder dass die Soldaten irgendwie bösartig sind oder so was. Was weiß ich, wovor Menschen sich da fürchten.

Gutzeit
Herr Bohnert, Sie haben jetzt selbst Stichpunkte geliefert: Jahr 2022 und Zeitenwende, Russlands völkerrechtswidriger Angriff auf die Ukraine. Herr Dr. Graf, haben Sie in Ihren Studien und Umfragen, die ja seit den 90er Jahren durchgeführt werden, irgendwelche markanten Veränderungen dieser Zeitenwende im Verhältnis Bundeswehr und Gesellschaft wahrgenommen?

Graf
Ich habe es ja vorhin schon beschrieben Seit ungefähr 2000 wird das Verhältnis Bundeswehr - Gesellschaft mit einer ganzen Reihe von Indikatoren erfasst: Grundhaltung zur Bundeswehr, Vertrauen in die Bundeswehr, Bewertung des Verhältnisses Bundeswehr Gesellschaft und so weiter und so fort. Was wir sehen ist, dass dieses, diese Grundeinstellung, dieses Grundvertrauen zur Bundeswehr, dass es sich nicht verändert hat. Und es gab ja auch keine Zeitenwende. Umgekehrt gilt aber auch immer die Aussage von vielen Journalisten, die in letzter Zeit auf mich zukommen, Herr Graf, haben die Deutschen Bundeswehr denn jetzt endlich lieb. Da sage ich, die Frage ist schon falsch, denn die Deutschen haben ihre Bundeswehr, nicht jeden Auftrag der Bundeswehr, aber die Deutschen haben ihre Bundeswehr eigentlich schon immer ein Stück weit lieb gehabt. Die Mehrheit definitiv. Hier sehen wir also keine Veränderungen der Beziehungen Bundeswehr - Gesellschaft.
Aber was sich total verändert hat, ist die Einstellung der Bevölkerung und ich glaube auch das Verständnis, dass etwas tiefere Verständnis des neuen alten Hauptauftrags der Bundeswehr, nämlich Landes- und Bündnisverteidigung. Da haben wir in der Vergangenheit, also bis 22 haben wir da ein sehr ambivalentes Meinungsbild zu gehabt, was die Einsätze insbesondere an der NATO Ostflanke angeht, also Baltic Air Policing und die Enhanced Forward Presence in Litauen. Und das hat sich komplett gewandelt, analog zur Bedrohungswahrnehmung durch Russland. Und deswegen glaube ich, dass hier ein tieferer Verständnis Wandel im Gange ist. Dieses ambivalente Verhältnis zu den Einsätzen hat sich gewandelt, denn überwiegend und mehrheitliche Zustimmung, genauso wie dieses ambivalente Russland Bild, das wir hatten sich jetzt gewandelt hat in die klare Erkenntnis, dass Russland eine Gefahr, eine Bedrohung auch unmittelbar für uns und für die europäische Sicherheit darstellt. Das ist der der Haupttreiber. Und da kann man einfach nur zusammenfassen In den letzten 30 Jahren IKM- Einsätze, da war die Truppe hui und der Auftrag irgendwie pfui und jetzt kommt zusammen, was zusammengehört, nämlich hohes Ansehen für die Truppe, aber auch Verständnis, Ansehen und Zustimmung zu deren Hauptauftrag: Landes- und Bündnisverteidigung.

Bohnert
Es ist gut, dass Sie das nochmal Auftrag sagen, weil ich glaube, da muss man sich auch immer wieder daran erinnern. Man sieht es vielleicht an der Äußerung von Annalena Baerbock, unserer Außenministerin, zum Gaza-Israel Konflikt. Zumindest ist ja angedeutet, dass es möglicherweise sein kann, dass wir uns dort auch längerfristig friedenserhaltend oder friedenssichernd einbringen könnten. Also wir sind immer noch in einer Parallelität von Landes- und Bündnisverteidigung, diesem internationalen Krisenmanagement. Es gibt ja auch jetzt noch Einsätze Jordanien, Irak, rotes Meer, keine Ahnung. Und natürlich ist es eine Refokussierung der Schwerpunktverlagerung, und das teile ich. Baudissin, unser Vater der Inneren Führung, hat unsere Führungskultur mal beschrieben als Schicksalsgemeinschaft von Nation und Militär. Bei einem möglichen Krieg auf europäischem Boden ist es eben so, dass die Bevölkerung eben dieses Mal betroffen wäre. Und das ist anders als das in diesen anderen Einsätzen, die wir gerade beschrieben haben, der Fall gewesen wäre.

Graf
Wenn ich da noch mal kurz nachsetzen darf Herr Bohnert. Sehr schön, wie Sie es beschreiben. Also ich habe gerade im Kopf diese Verlaufsgrafiken und da sieht man auch ganz klar, und das haben wir auch abgefragt die Zustimmung zu Erhöhung der Verteidigungsausgaben, also seit 2000 durchgängig, jedes Jahr gefragt und was man da Verlauf sieht, ist, dass in den ich sage mal jetzt salopp in den Afghanistan-Jahren und alles vor dem Ukraine Krieg, da war die Zustimmung zu Erhöhung der Verteidigungsausgaben eher gering. Das stieg dann schon mit der Annexion der Krim 2014, 2015 mit dem Bürgerkrieg in Syrien. Die Menschen haben schon sensibel und realistisch, ich sage mal auch den Ring of Fire, der sich um Europa bildete und den haben die Menschen auch wahrgenommen. Daraus abgeleitet, dann auch schon die Forderung formuliert, an die Politik mehr Verteidigung zu investieren. Aber jetzt natürlich seit 22 noch mal, man muss es so sagen historische Höchstwerte zur Zustimmung und Erhöhung der Verteidigungsausgaben seitens der Bevölkerung. Und da muss man und auf den Punkt wollte ich jetzt eigentlich zu sprechen kommen. In den Afghanistan- Jahren, insbesondere den Jahren von ISAFInternational Security Assistance Force, müssen wir festhalten die Mehrheit der Deutschen wollte nicht mehr Verteidigung investieren. Verteidigung war kein Thema. Bundeswehr, Bundeswehr auch als Verteidigungsarmee war ja nicht relevant. Es war gesamtgesellschaftlicher Konsens, dass wir uns gegen nichts und niemanden würden verteidigen müssen. Wir waren ja angeblich nur von Freunden umgeben und da muss man sagen okay, dann haben wir uns halt als Gesellschaft bewusst entschieden, bestimmte Fähigkeiten abzubauen und haben das Instrument Bundeswehr halt nur noch als Sicherheits, aber nicht mehr als verteidigungspolitisches Instrument begriffen und das voll darauf ausgerichtet mit allen Konsequenzen, die das hier und heute hat.

Bohnert
Und das hat einige Konsequenzen. Die, spüren natürlich unsere Soldatinnen und Soldaten, unsere Ausrüstung, unsere Personallage, was auch immer gucken in jeder Pore. Nur haben wir eben jetzt keine Zeit, das irgendwie großartig noch zu bedauern. Und so weiter, sondern wir müssen jetzt im Dauersprint kriegstüchtig werden und müssen zusehen, dass wir die Bundeswehr auf ein Level bekommen, in dem wir auch wirksam im NATO Raum, natürlich aber auch gegenüber Russland eine wirksame Abschreckung aufstellen können, also eine wahrnehmbare. Meine Frage ist nur, wenn Sie diese Studienergebnisse aufzeigen und was sich seit Februar 22 geändert hat mich. Ich frage mich natürlich, wie nachhaltig das ist. Dann auch jetzt wieder anekdotische Evidenz. Also Sie sind ja der Wissenschaftler, haben die Zahlen oder können es vielleicht ein bisschen prognostizieren. Ich nehme nur wahr, was im politischen Raum und im gesellschaftlichen Raum so ein bisschen diskutiert wird, ohne dass es sehr strukturiert an mich herangetragen würde. Aber ich meine doch, dass es, dass wir bei der Nachhaltigkeit dieser Alarmierung, Alarmiertheit unserer Gesellschaft, ich sage mal vorsichtig sein müssen, aufpassen müssen, dass uns dieses Momentum nicht wieder verloren geht. Denn Russland setzt natürlich alles daran Desinformationskampagnen, Cyberangriffen, Sabotage, Spionage, uns möglichst wieder weg davon zu bringen. Also diese Bereitschaft, die Sie gerade geschildert haben, zum Beispiel Militärausgaben zu erhöhen, die ist ja flankiert durch eine abstrakte Gewöhnung an die Situation, die wir dann Ostflanke haben, und vielleicht auch das latente Gefühl: Naja, so richtig mit meinem Leben hat es ja irgendwie doch nichts zu tun. Klar, jetzt mal ein bisschen Inflation. Wir haben Flüchtlinge im Land, aber ich sehe es in den Medien jeden Tag. Aber irgendwie jetzt. Seit über zwei Jahren gelingt es ja einigermaßen, Russland doch irgendwie in Schach zu halten. Und die Frage ist, ob diese Dinge auch auf lange Sicht einfach Bestand haben werden.

Gutzeit
Herr Dr. Graf, wenn man diese Punkte aufgreift, vor allem die neue Situation und Nachhaltigkeit. Gibt es irgendwelche wissenschaftlichen Erkenntnisse aus Ihren Umfragen, die uns Informationen liefern, wie wir auf diese Bedrohungen, auf diese Herausforderungen antworten können, zum Beispiel durch strategische Kommunikation oder Direktkommunikation, persönliche Kontaktflächen, um eine Resilienz, um einen Widerstand gegen solche Attacken aus der hybriden Kriegführung zu finden.

Graf
Also, bevor ich jetzt auf die Ratschläge für strategische Kommunikation zu sprechen komme, würde ich noch mal ganz gerne zum besseren Verständnis für alle skizzieren, wie die Zeitenwende in den Köpfen eigentlich aussieht und wie sich das eigentlich übereinanderlegt mit der Zeitenwende in der deutschen Verteidigungspolitik. Die Zeitenwende erst mal sie wurde vom Kanzler ausgerufen, er hat die deutsche Zeitenwende noch mal ausgeführt, bei einer Rede in Prag auf europäischem Niveau, das wieder aufgegriffen und dann noch mal sozusagen erhöht auf die globale Ebene mit seinem Beitrag in Foreign Affairs. Und ja, man kann das als Programm verstehen, dann übertragen auf Verteidigungspolitik, und die hat für mich drei Säulen. Der erste Aspekt ist die neue Bewertung Russlands als Bedrohung. Das ist Punkt 1, diese Anerkennung. Der zweite Aspekt ist dann, weil Bedrohung durch Russland, Rückkehr zur Landes- und Bündnisverteidigung. Und der dritte Schritt ist dann, weil neuer Auftrag, für den die Bundeswehr aber nicht so gut ausgestattet ist, bedarf es einer adäquaten Ausrüstung zur Auftragserfüllung. Das ist für mich der Zeitenwende-Dreiklang. Und hinter all diesen drei Aspekten steht die Bevölkerung mehrheitlich. Das heißt die Zeitenwende als Programm für die Verteidigungspolitik, für die Neuausrichtung der deutschen Verteidigungspolitik wird mehrheitlich mitgetragen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Aber, und das können wir ja auch mit unseren Studien herausarbeiten, die letzten beiden Säulen, da, wo es nämlich zur Umsetzung kommt. Erst mal neuer Auftrag und eine Zustimmung dafür. Und dann, wie wird die Truppe dafür ausgestattet? Und da braucht es sehr viel mehr Geld. Das wird getrieben durch die Bedrohungswahrnehmung. Das Problem bei der Bedrohungswahrnehmung ist, dass die relativ volatil ist. Die ist quasi über Nacht 2021 und dann 2022 mit dem Angriff auf die Ukraine, also die vollumfassende Invasion der Ukraine durch die Decke gegangen.
Von heute auf morgen hat sich das gewandelt und wir sehen auch in den weiteren Befragungen, jetzt bei unserer 2023 Befragung, dass bei der Bedrohungswahrnehmung schon so ein Knick wieder nach unten gab. Der ist noch nicht überdramatisch, aber der zeigt uns an, und wir haben im Sommer 23 gefragt, da lief die Sommer-Offensive der Ukrainer, die war mit sehr hohen Erwartungen verbunden.
Wir hatten über ein Jahr Krieg und haben alle irgendwo, vielleicht mit Erleichterung festgestellt, die Russen sind gar nicht so fähig, wie wir das befürchtet haben. Und in dieser Situation auch, dass die Ukrainer weite Gebiete ihres Landes haben befreien können, muss man sagen in dieser Gemengelage ist tatsächlich dann diese Bedrohungswahrnehmung ein Stück weit wieder abgerutscht. Das ist volatil, wenn man sich aber jetzt die jüngsten Befragungen anguckt, 24er Befragung, nicht nur unsere, auch andere Deutschlandtrend und so weiter und so fort, ZDF Politbarometer. Wenn man sich das anguckt, dann sieht man, dass die Bedrohungswahrnehmung jetzt unter Anerkennung der Lageveränderungen, dass die russischen Streitkräfte wieder die Initiative haben in der Ukraine und auch unter Anerkennung der Tatsache, dass die ukrainische Sommeroffensive nicht so viel gebracht hat, nicht so erfolgreich war wie erhofft. Ist die Bedrohungswahrnehmung schon wieder nach oben gegangen und mit dieser Bedrohungswahrnehmung auch schon wieder höhere Zustimmungswerte, nochmal höhere Zustimmungswerte zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Und für mich ist ganz wichtig, dass wir in der politischen Kommunikation auf höchster Ebene, also tatsächlich strategische Kommunikation über alle Kanäle hinweg, dass wir Russland als Bedrohung und das ist der Treiber der Zeitenwende in den Köpfen, dass wir Russland nicht jeden Tag neu bewerten anhand eines Lagebericht und mal eine Analogie zu machen. Wir bewerten ja auch nicht die Klimakrise anhand des täglichen Wetterbericht jeden Tag neu. Das kann nicht sein. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesministeriums für Verteidigung, die haben da ganz klar ausgeführt und ich zitiere: „Ohne inneren Wandel bleibt die Russische Föderation auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für die Euro-Atlantische Sicherheit“. Das muss gesamtgesellschaftlicher Konsens sein, weil wir nicht jeden Tag diese Neuausrichtung unserer Verteidigungspolitik ausgehend und fokussiert auf die Bedrohung Russlands neu verhandeln können. Das kann es nicht sein.

Bohnert
Ja, Herr Graf, da bin ich voll bei Ihnen, da stimme ich Ihnen zu, sowohl als Bundeswehr und auch als Bundeswehrverband sehen wir, dass Russland hier ein permanenter Aggressor, eine permanente Bedrohung für uns auch als Gesellschaft bleiben wird. Und diejenigen, die die Hoffnung haben, dass wir in ein, zwei Jahren hier wieder in friedlichen, rosigen Zeiten leben werden, die werden bitter enttäuscht werden. Im Gegenteil, wir, so der Generalinspekteur, der Verteidigungsminister, müssen bis 2029 kriegstüchtig werden, nicht nur als Bundeswehr, sondern auch als Gesellschaft. Weil die Russen derzeit ihre Depots füllen, ihre Militärstrukturen stärken und die Rüstungsindustrie massiv angekurbelt haben. Und das heißt eben, dass wir es auch machen müssen, um wirksam abschrecken zu können. Also ich sage mal, Ihre wissenschaftliche Erkenntnisse ja, aber der politische Kampf um Ressourcen, um diese, diese erhöhten Verteidigungsausgaben, der wird tagtäglich geführt, auch gegen andere Ressorts, gibt auch andere wichtige Themen. Und mein Gefühl ist, dass so nach und nach diese Debatten eben nicht mehr ganz so ernsthaft geführt werden, wie sie es vor einigen Monaten noch wurden, einem Jahr noch wurden, weil es eben so ein bisschen eine Gewöhnung gibt in diesem Feld. Und wir stehen ja schon unter Angriffen. Sie haben gesagt, und wir haben drüber gesprochen, dass im Krieg folgendes notwendig wäre. Aber zwischen Frieden und Krieg gibt es ja auch eine ganz große Grauzone, die sich Krise nennt. Und irgendwo da, irgendwo auf diesem Kontinuum, befinden wir uns bereits. Wir erleben Cyberangriffe, wir erleben Sabotage und Spionage und wir erleben in riesigem Umfang Desinformationskampagnen, insbesondere bei Social Media, die auch gesellschaftliche Narrative stark beeinflussen.

Graf
Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht, Herr Bohnert. Wir leben ja schon im Konflikt mit Russland, anders kann man es, glaube ich, nicht sagen. Es gibt jeden Tag Hackerangriffe, es gibt versteckte Parteienfinanzierung, Einflussnahmen auf allen Ebenen, Desinformationskampagnen, die viele Bürgerinnen und Bürger erreichen können. Und vor dem Hintergrund, finde ich, ist es auch ein ganz schlimmer Befund. Einer, der wirklich zum Handeln aufruft, dass in unseren Umfragen seit vielen Jahren sehen wir einen negativen Trend bei der Informiertheit über die Einsätze.
Inzwischen ist es eine absolute Mehrheit der Deutschen, die sagt, sie fühlen sich schlecht informiert und da hat sich der Anteil seit 2015 mehr als verdoppelt. Das ist ein ganz fieser Trend, wenn man so will. Und wenn man dann auch noch mal auf den Kenntnisstand zu den Einsätzen, insbesondere auch an der NATO Ostflanke guckt, dann sehen wir, das der gering ist. Nur ungefähr 20 % geben an, schon mal irgendwas von Air Policing oder von IFP gehört zu haben. Es ist ein relativ geringer Anteil in Anbetracht der Tatsache, dass es ja jeden Tag fast darüber Berichterstattungen gibt über verschiedenste Kanäle, insbesondere natürlich von Ukraine Krieg und vielleicht etwas weniger konkret über die Bundeswehreinsätze und Mission, aber nichtsdestotrotz, viele hatten sicherlich irgendwo die Hoffnung in der Bundeswehr, dass Tagesschau quasi Info-Arbeit nicht ersetzt, aber auch ein Stück weit macht und dass das Verständnis über die allgemeine Kriegsberichterstattung dann auch für den Auftrag der Bundeswehr insbesondere an der NATO Ostflanke quasi automatisch abgeleitet werden kann von den Bürgerinnen und Bürgern. Und hier warne ich. Ich glaube, das ist nicht der Fall. Niemand wird der Bundeswehr die Info-Arbeit abnehmen, da muss sie selber dieses dicke Brett bohren. Und ja, Herr Bohnert, Sie haben vollkommen recht. Das ist ein Kampf, den wir tagtäglich kämpfen müssen. Und ich rede dann vielleicht nicht von Kriegstauglichkeit, sondern eher von Wehrhaftigkeit mit Blick auf die Gesellschaft, weil wehrhaftig anders als Kriegstauglichkeit, wehrhaftig kann jetzt, muss jetzt jeden Tag gelebt werden, vorgelebt werden, quasi als Zivilcourage, auch wenn Sie so wollen. Denn was heißt Wehrhaftigkeit hier und heute und jetzt? Es heißt in Social Media, wenn mir ein Post zugeschickt wird oder bei mir im Feed auftaucht, der offensichtlich russische Propaganda verbreitet, dass ich die nicht einfach ignoriere, sondern dass ich den melde oder dass ich dem Adressaten sage: Hey, ich will das nicht empfangen und vor allen Dingen auch, dass ich es nicht einfach unkommentiert oder kommentiere oder wie auch immer einfach weiterleite, vor allen Dingen nicht unreflektiert weiterleite. Das ist ganz wichtig. Das heißt, jeder Bürger muss sich mit dieser Lage auseinandersetzen und kann sein Teil auf einer ganz kleinen Ebene, aber kann sein Teil zur Wehrhaftigkeit dieses deutschen Staates in diesem Konflikt mit Russland beitragen.

Bohnert
Da bin ich voll bei Ihnen. Ich fordere auch immer Soldatinnen und Soldaten auf, sich an solchen Diskussion zu beteiligen, da mitzumischen. Da besteht natürlich immer noch so ein bisschen, manchmal eine Sorge, wenn man unsicher im Umgang mit Social Media ist. Es gibt aber Guidelines, die eigentlich ziemlich klar vorgeben, was man darf. Und man darf als Soldat sich nicht politisch § 15 Soldatengesetz zugunsten einer Partei äußern. Aber das sind ja Diskussionen, die so allgemein sind und so grundsätzlich, dass jeder Staatsbürger in Uniform, jede Staatsbürgerin dort ihre Meinung durchaus kundtun können. Und ich sehe das ähnlich wie Sie diese gesellschaftliche Mitverantwortung, die ist unglaublich wichtig, die zeigt sich auch in anderen Bereichen. Ich kann, ich muss mich irgendwie engagieren im THW, in der Feuerwehr, im Heimatschutz, Reserve, was auch immer es da alles gibt. Ich sollte vielleicht mal in meinen Keller gucken, ob ich da die Dinge, die das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe vorgibt, ob ich die doch alle habe, Taschenlampen, Batterien, Wasservorräte, Konserven und so weiter, um dann zehn Tage überleben zu können, weil sich doch viele immer auf den Staat verlassen. Und ja, ich muss auch die Energie haben und vielleicht ein bisschen Nerven aufbringen, gerade bei Social Media Desinformation entgegen zu treten. Dass jeder, der sich ein bisschen befasst, merkt relativ schnell, dass er dort mit einer Unmenge an ich sage mal Botschaften, Nachrichten konfrontiert wird. Und das ist tatsächlich auch relativ nervig und anstrengend sein kann, dagegenzuhalten. Aber je mehr das tun, desto besser und desto eher schafft man es auch. Fake News Ich sage mal als das zu enttarnen, was sie sind und auch Echokammern und irgendwelche Filterblasen in die Menschen da geraten, wieder zum Platzen zu bringen.

Gutzeit
Herr Dr. Graf, Sie haben gesagt, Tagesschau allein ist nicht genug, sondern Informationsarbeit der Bundeswehr ist eine Kernaufgabe der Streitkräfte. Können Sie denn den Zusammenhang dieser Bedeutung in Ihren wissenschaftlichen Umfragen belegen?

Graf
Ich kann es wissenschaftlich belegen. Ich komme auch gleich auf die Zahlen, aber vor allem die Innere Führung fordert auch, das Verständnis in der Bevölkerung zu befördern und tatsächlich die Einsätze auch an die öffentliche Zustimmung und an das öffentliche Verständnis sozusagen rückzukoppeln. Das ist ganz wichtig. Deswegen ist es inhärent Auftrag der Streitkräfte für ihren Auftrag in der Öffentlichkeit und in der Bevölkerung zu werben und dass sich das lohnt, das lässt sich tatsächlich auch empirisch sehr klar belegen. Wenn Sie die Bevölkerung dritteln; den Teil  der angibt, keine Ahnung von Einsätzen zu haben, in den Teil der sagt so ein bisschen und in den Teil der sagt, ich habe richtig Ahnung, dass ist der geringste Teil. Aber wenn Sie diese Drittelung vornehmen, dann sehen Sie in der Gruppe derer, die angeben keine Ahnung zu haben, auch keine Zustimmung zu keinem Einsatz.
Egal ob Mali, egal LVBV an der Ostflanke, Sie finden keine mehrheitliche Zustimmung. Wenn Sie in die Gruppe derer schauen, die sich in der Mitte platzieren und sagen vielleicht habe ich mal was gehört, aber ich bin nicht der größte Experte. Dann sehen Sie auch ein ambivalentes Meinungsbild zu den Einsätzen, zu allen Einsätzen. Und wenn Sie nur auf die Gruppe, die kleine Gruppe, der selbsternannten Experten, aber das meine ich jetzt nicht despektierlich, sondern derer, die wirklich glauben, sie haben Ahnung davon, wenn sie auf die Gruppe schauen und dann auf die Zustimmungswerte zu den Einsätzen, dann sehen sie absolute Zustimmungswerte. Die sind nicht bei 50% oder 51 %, sondern bei 60, 65, 67 %. Insbesondere bei LVBV. Und das zeigt mir ganz klar, dass es sich absolut lohnt, den Bürgerinnen und Bürgern hier ein maximal umfängliches objektives, belastbares Informationspaket zur Verfügung zu stellen, um sich über die Einsätze zu informieren, um sich über den neuen Hauptauftrag LVBV zu informieren und hier eine belastbare Haltung zu entwickeln, weil diese belastbare Haltung, dass sie die ausbilden, dass ist es auch oder ermöglicht, vielleicht dann in jedem einzelnen Bürger, in jeder einzelnen Bürgerin ein Abwehrmechanismus gegen auch insbesondere russische Desinformation. Ich glaube, daran müssen wir arbeiten, das müssen wir befähigen. Die Bundeswehr tut das schon. Sie informiert schon sehr umfassend über die Einsätze. Ich will also der Infoarbeit hier kein schlechtes Zeugnis ausstellen. Nur muss ich leider mit Blick auf die Zahlen, nämlich derer, die sich gut informiert fühlen und die sind gering, muss ich einfach feststellen, wir haben hier noch ein dickes Brett zu bohren und nein, sich auf Tagesschau und auf die allgemeine Kriegsberichterstattung zu verlassen, reicht hier leider nicht.

Gutzeit
Also wenn ich zusammenfasse, je besser die Gesellschaft informiert ist, desto höher ist Ihre Zustimmung.

Graf
Verständnis schafft Zustimmung.

Gutzeit
Ja, Herr Oberstleutnant Bohnert und Herr Dr. Graf, Sie haben jetzt beide schon über die Rolle des Einzelnen gesprochen. Herr Dr. Graf da möchte ich die nächste Frage Ihnen gegenüberstellen. Und zwar, was haben Sie denn für wissenschaftliche Befunde, was die Verteidigungsbereitschaft des Einzelnen angeht? Was sagen Ihre Studien dazu?

Graf
Also zunächst einmal habe ich ja schon beschrieben die drei Säulen der Zeitenwende, die werden mitgetragen von der Mehrheit der Bevölkerung. Das ist für mich auch schon mal das erste Anzeichen eines Umdenkens in der Bevölkerung in Richtung Wehrhaftigkeit, Das muss ich ganz klar sagen. Weil was kann sich die Politik, die daraufhin arbeitet, Deutschland wieder verteidigungsfähig zu machen. Was kann die sich mehr wünschen, als dass eine ganz klare Bevölkerungsmehrheit dahinter steht und diesen Kurs der Politik unterstützt? So, dann können wir natürlich einen Schritt weiter gehen. Nicht nur Unterstützung für Politik im Abstrakten, sondern auch zum Beispiel beim Wehrdienst. Bei der Wehrdienst-Debatte muss man ganz klar sagen alle Umfragen seit 2023, die mir bekannt sind und das sind ziemlich viele, weil ich das jeden Tag auswerten muss, die zeigen eine absolute Zustimmung für die Wiedereinführung eines wie auch immer der ausgestaltet sein mag Wehrdienstes. Ja, das ist schon mal ein ganz interessanter Befund, weil mir oft, wenn ich meine Befunde zu Zeiten Wende präsentiert entgegengehalten wird Ja, aber die Bürgerinnen und Bürger, die würden ja selber das nicht mittragen, wenn es darum geht, dass sie belastet werden, tatsächlich belastet werden. Und da muss man sagen, ich glaube schon, dass die Deutschen ganz pragmatisch realistisch mit der Zeitenwende umgehen und auch nicht davor zurückschrecken würden, in der Mehrheit sich tatsächlich persönlich zu engagieren. Und wenn wir über Wehrdienst reden, kommt natürlich gleich der Einwand okay, dass in der Gesamtbevölkerung vielleicht ein positives Meinungsbild dazu vorherrscht, kann man sich denken. Aber wie sieht es denn bei den Jungen aus, die es dann ja vermutlich auch betreffen würde, diesen Dienst zu leisten? Und auch da stellen wir fest, dass in unserem Fall in unserer Befragung 41 % sowohl junge Männer wie Frauen, also 16- bis 29 jährige für ein Wehrdienst sind und dass nur ein geringer Teil von denen das explizit ablehnt, ein großer Teil natürlich auch noch unentschieden ist. Aber die kann man überzeugen, die kann man dafür gewinnen. Ich warne aber auch aus so einer allgemeinen Zustimmung für einen Wehrdienst, kann man noch keine klaren Präferenzen herauslesen, was man rauslesen kann aus diesen Zustimmungswerten ist, dass die Mehrheit in der deutschen Bevölkerung auch unter den jungen Menschen offen ist, diese Debatte zu führen, weil sie weiß, es gibt ein Problem zu lösen. Wenn der Wehrdienst auf die eine oder andere Art ausgestaltet wird, kann gut sein, dass sie ein paar Prozentpunkte abhandenkommt. Aber das ändert nichts an dem Befund, dass die Bürgerinnen und Bürger bereit sind, nicht nur die Politik im Allgemeinen mitzutragen, die neue Verteidigungspolitik, sondern auch ihren eigenen Teil dazu zu tun.

Bohnert
So freut mich ja, das zu hören, dass Ihre Studienergebnisse das zeigen. Also vielleicht auch noch mal kurz, wir als Bundeswehrverband sind, was Wehrpflicht angeht, insofern skeptisch, als dass wir sagen, wir wollen erstmal das Modell sehen. Das Konzept, wie man eine solche Wehrpflicht in die Umsetzung wieder einführt in die Bundeswehr. Und das wird natürlich eine große Belastung im weiteren Sinne für die Truppe, aber auch Infrastruktur, Ausbilder, Ausbildungskapazitäten und so weiter. Da fehlt sozusagen noch an der an der klaren Benennung dieser Dinge. Grundsätzlich ist es natürlich eine sehr gute Option, um unsere Personalprobleme wir haben derzeit 20.000 Menschen zu wenig auch dauerhaft zu lösen und Menschen dazu zu bringen, in der Bundeswehr zu dienen. Also wenn Sie jetzt gerade dieses Studienergebnis anführen, das ist halt die eine Sicht. Ich erinnere mich an eine Studie aus dem letzten Jahr in der die Bevölkerung gefragt wurde, ob sie denn bereit wäre, dieses Land zu verteidigen. Also nageln Sie mich jetzt nicht fest, aber wenn ich mich recht entsinne, waren es 5 %, die gesagt haben, ja, sie würden das mit voller Überzeugung tun und weitere 5 %, die gesagt haben, sie würden das nur dann tun, wenn sie dazu gezwungen würden. Also hätten wir dann mal knapp 10 % der Bevölkerung, die im Falle einer Eskalation, also Artikel 5 NATO Vertrag, kollektive Verteidigung wird ausgelöst, dann bereit wären, dieses Land zu verteidigen.

Graf
Also die Umfrage, auf die Sie sich jetzt beziehen Herr Bohnert. Wenn ich mich recht entsinne, dann wurde der Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius, damit konfrontiert, dem Bericht aus Berlin. Es waren 5 %, die dort angegeben wurden. Das ist richtig. Die Frage der persönlichen Verteidigungsbereitschaft, die würde ich doch sehr getrennt behandeln von der Frage und der Bereitschaft, vor allen Dingen dann auch einen Wehrdienst leisten zu wollen. Beim Wehrdienst weiß jeder, das ist angelegt auf eine bestimmte Zeit, und es ist eine Bürgerpflicht. Und was Sie jetzt ansprechen mit der persönlichen Verteidigungsbereitschaft, das ist eine Frage, mit der hat sich, glaube ich, außer, dass man in dieser Befragung damit konfrontiert wird, eigentlich nie jemand mit befasst. Kann man auch gar nicht. Denn auf welches Szenario kommen wir hier zu sprechen? Das eigentlich Zivilisten, wie das auch in der Ukraine ja tatsächlich der Fall war, als Kiew noch angegriffen wurde, das Zivilisten also dann Waffen ausgegeben werden. Da hat ja schon alles versagt, da hat die Bundeswehr versagt, da hat die NATO versagt, Abschreckung hat versagt. Das ist ja ein absolutes Horrorszenario. Okay, vielleicht gibt es ein Horrorszenario. Die Ukrainer haben es erlebt.

Bohnert
Also bei der Bundeswehr sprechen wir vom Most Dangerous Course of Action. Nicht das wahrscheinlichste Szenario, aber zumindest eines, auf das wir uns vorbereiten sollten, weil es eben im Extrem im äußersten Fall auch passiert.

Graf
Gut, dann bleiben wir bei diesem Extremfall, bei diesem Worst Case Szenario. Von mir aus okay. Ich fange aber trotzdem erst mal mit unseren Befunden jetzt auch an von der Bevölkerungsbefragung des ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Damit ist eine ähnliche Frage gestellt, ähnlich. Da ging es auch darum, wären Sie bereit, bei einem militärischen Angriff auf Deutschland, Deutschland mit der Waffe zu verteidigen?
Und wir haben insgesamt 39 % der Befragten, die sagen ja oder eher ja, ich kann mir das vorstellen. Okay, das sind 39 %. Dann hieß es in den Medien, Mehrheit der Deutschen ist nicht bereit, Deutschland mit der Waffe zu verteidigen. Okay, kann man so spinnen, wenn man das möchte in der Darstellung nach außen. Aber man muss genau hinschauen und feststellen wir haben in diesem Fall anders als bei der Wehrpflicht, da waren es 41% bei jungen Männern wie jungen Frauen , die dazu bereit waren. Wir haben bei der persönlichen Verteidigungsbereitschaft eine riesengroße Gender Gap, eine riesen Lücke zwischen Männern und Frauen. Nur 18 % der Frauen sind bereit, Deutschland mit der Waffe zu verteidigen. Es sind 57 % der Männer. Und wenn ich jetzt noch mal mich eingrenze auf so ein bestimmtes Altersband, sagen wir von 20 bis 40, da lasse ich die Teenager weg. Und ich lasse auch jene Männer weg, die vielleicht schon ein bisschen Hüftspeck haben oder nicht mehr die Fittesten sind. 20 bis 40, das ist wirklich eine Gruppe von Fitten. Kann man mal so festhalten. Bei den haben wir 58 % Zustimmung zur Verteidigung Deutschlands mit der Waffe. Und was heißt das mit Blick auf das demografische Potenzial? Das wären 6 Millionen freiwillige Kämpfer in diesem Fall. Und jetzt die Frage umgekehrt, weil sie sagen, wir müssen für ein Worst Case Szenario planen. Können wir 6 Millionen freiwillige Kämpfer auch nur mit dem Nötigsten ausstatten, dass sie russische Streitkräfte, die auch irgendwie ausgestattet sein werden, den irgendwas entgegenhalten können? Weil, wenn ich eins nicht will, in dieser ernsthaften, wichtigen Debatte über den Worst Case, irgendeine Nebelkerzen-Debatte über die Größe des letzten Aufgebots, dass X Millionen nicht genügend sein. Wenn man vom G36, so wird es in den Medien berichtet, 120.000 Stück nachbestellt werden, die in fünf sechs Jahren mal eingeführt sind in der Truppe, da haben wir noch nicht mal für jeden aktiven Bundeswehrsoldaten oder Soldaten ein Gewehr. Wie will ich denn dann bitte die Bevölkerung irgendwie hinreichend bewaffnen? Die müssten sich ja quasi im Baumarkt bewaffnen. Ist es das, wovon wir träumen?

Bohnert
Also grundsätzlich klar, ich kann jetzt auch nicht ad hoc sagen in der Lage wären, hier 6 Millionen Männer mit Waffen auszustatten. Ich vermute schwierig. Allerdings geht es ja auch primär erst mal darum, einfach mal von welchem Szenario reden wir? Worst Case? Kollektiver Bündnisfall? Dann ist das natürlich erst mal eine Aufgabe für die Profis, also die Angehörigen der Streitkräfte, die nicht nur mal eben angebrütet sind, also hier am Wochenende mal kurz eine Waffen Ausbildung hatten, sondern deren Beruf es ist in der Bundeswehr zu sein. Das werden die sein, die primär erst mal Aufgaben bekommen, die unmittelbar in Ostflanke unterrichtet werden müssen oder in Richtung Ostflanke. So, und es gibt dann eine ganze Menge Dinge, die hier in Deutschland passieren müssen. Da geht es um den Betrieb von logistischen Punkten: Autobahn, Schienennetze müssen bewacht werden, Da werden Kolonnen drüber bewegen, wird sich darüber bewegen. Der Heimatschutz ja. Also regional müssen da Dinge bewacht werden usw. Das ist erst mal keine Aufgabe für Militärs, die jetzt tagtäglich geübt haben, ihr Leben lang, wie man in einem Gefecht besteht oder so. Ich gebe natürlich auch recht, so eine Frage also sind erst mal, ich sage mal im weitesten Sinne Ihre Zahlen. Jetzt sind das sehr erfreuliche Zahlen. Also ich frage jetzt hier, wie sieht es aus, wenn die Deutschen wieder verteidigen? Das ist natürlich etwas, was man so richtig wahrscheinlich auch gar nicht beantworten kann als Durchschnittsbürger. Also hat jemand da irgendwie Erfahrung mit, weiß auch, was das bedeutet. Viele würden wahrscheinlich sagen ja, wenn es um mein Haus und Hof, meine Familie geht, dann wären sie eher dazu bereit. Aber was ist dann am Ende wirklich heißt ja, was es dann am Ende wirklich heißt, das ist etwas, was man nicht so ohne Weiteres in einem Fragebogen jetzt beantworten kann, nehme ich mal an.

Graf
Ich würde auch sagen, diese Frage ist so abstrakt. Also auf der einen Seite so spezifisch. Können Sie sich vorstellen, wenn russische Truppen oder andere Truppen, wer auch immer Deutschland angreift? Können Sie sich vorstellen, zur Waffe zu greifen? Auf der einen Seite diese Frage so total spitz und konkret und andererseits so wenig belastbar und so diffus, weil wie genau würde das Szenario aussehen? Wir haben schon besprochen, das ist ein Worst Worst Worst Case Szenario. Alles hat versagt, was der erste Punkt ist. Der zweite Punkt ist: Natürlich kann sich ein Zivilist, der nur Frieden und Wohlstand erlebt hat, kann sich nicht im Entferntesten ausmalen, was Krieg bedeutet. Ich kann mir das nicht ausmalen, was das bedeutet. Und da muss man einfach sagen, das ist wenig belastbar in dem Punkt aus meiner Sicht, was umgekehrt total belastbar ist, was wirklich belastbar ist vor dem Hintergrund vieler Umfragen, nicht nur unserer, ist eben das Mandat seitens der Bürgerinnen und Bürger an Politik. Rüstet die Profis aus mit dem, was sie brauchen. Die Bundeswehr braucht eine Vollausstattung. Das ist das, was die Bürgerinnen und Bürger fordern. Und ich glaube, das ist auch absolut belastbar. Und das ist die Zustimmung seitens der Bevölkerung, mit der die Politik dann auch arbeiten muss.

Gutzeit
Herr Dr. Graf, wie war das in der Ukraine? Wie ist man denn vor der russischen Vollinvasion von der persönlich Verteidigungsbereitschaft ausgegangen? War die hoch, war die niedrig? Wie hat sich das dann in der Realität widergespiegelt?

Graf
Ich selber und auch die Bundeswehr hat keine Befragung in der Ukraine durchgeführt, aber in der Ukraine gab es durchaus durch unabhängige Institute Befragungen verschiedenster Einstellungen zum Staat, zu den Streitkräften, aber eben auch die persönliche Verteidigungsbereitschaft wurde dort abgefragt. Und es hat sich tatsächlich so dargestellt, dass vor der großangelegten Invasion im Februar 22 waren die Zustimmungswerte nicht so hoch. Nicht so hoch, wie man sich das vielleicht erwartet hätte jetzt in der Rückschau, dass man denkt, die Verteidigungsbereitschaft der Ukrainer war schon immer sehr stark ausgeprägt. Die Ukraine ist ja ein Staat mit vielen Defiziten gewesen und auch immer noch, die Menschen sind sich dessen bewusst. Korruptionsbekämpfung hat Vorrang für Politik wie für Gesellschaften. Und die Bereitschaft, die Ukraine vor 22 zu verteidigen, war nicht so hoch ausgeprägt. Aber durch die unmittelbare persönliche Betroffenheit, durch das Eintreten des tatsächlichen Verteidigungsfall ist doch viel ins Rutschen geraten. Aber das meine ich im Positiven. Man muss sich das auch so vorstellen, auch in unseren Befragungen. Warum antworten viele Männer: Ja, ich würde das Land verteidigen, ja die versuchen natürlich der sozialen Erwünschtheit und auch dem männlichen Stereotypen Stück weit zu entsprechen. Das wird in der Ukraine nicht anders gewesen sein. Viele Männer haben vorher im Abstrakten gesagt: Ja, ich werde zur Waffe greifen, ich werde mein Land verteidigen. In jedem Fall. Ich bin so ein Typ. Die wollten diesem Ideal entsprechen, und das sind vielleicht die, die, als es hart auf hart kam, dann sich abgesetzt haben in den Westen und gar nicht gekämpft haben. Umgekehrt Leute, die in den Befragungen vorher sehr skeptisch reflektiert haben, sich gefragt haben, bin ich bereit, dieses Land auch mit seinen vielen Problemen dafür mein Leben zu opfern? Würde ich das tun? Die haben eine Umfrage erst mal gesagt: Nein, das tue ich nicht. Aber wie irgendwann im Februar die Nachricht kam, mein Cousin, mein Bruder, sonst wer im Dorf XY im Osten der Ukraine wurde eingenommen von Russen. Ich habe von meinem Bruder seit Wochen nichts mehr gehört. Durch die persönliche Betroffenheit ist da etwas gewachsen, im Positiven, die Bereitschaft, sich doch einzusetzen. Und deswegen glaube ich so eine Frage wie die persönliche Verteidigungsbereitschaft, so im Abstrakten zu stellen, das meine ich mit wenig belastbar. Und ich glaube, die Ukraine ist jetzt hier ein positives Beispiel, wie dann doch noch so ein bisschen Gesellschaft nach vorne geht und wie Kräfte freigesetzt werden, die man so vorher gar nicht hat messen können. Mit so abstrakten Instrumenten wie einer Befragung.

Gutzeit
Gut, also ich halte fest bei der persönlichen Verteidigungsbereitschaft. Es kommt drauf an, wenn es soweit ist. Heute ist es für viele abstrakt. Aber Herr Oberstleutnant Bohnert, für Sie waren solche Situationen nicht abstrakt, denn sie sind dort gewesen, wo Krieg gewesen ist. Heute vielleicht noch stattfindet. Wie war das für Sie in Afghanistan? Welche Lehren haben Sie aus dem Einsatz gezogen und was können wir davon für das Szenario Landes- und Bündnisverteidigung lernen?

Bohnert
Ja, also erstmal finde ich schon mal gut, dass Sie auch da das Wort Krieg nutzen. Das war ja seinerzeit heiß umstritten, ob man das, was in Afghanistan passiert ist, Krieg nennen durfte. Ich kann nur aus meiner Erfahrung, aus der Erfahrung meiner Vorgänger, Nachfolger sagen, dass für die Soldatinnen und Soldaten am Boden, dass sich natürlich wie Krieg angefühlt hat. So, und ob wir das jetzt juristisch konventionell als Krieg definieren, ist erst mal eine zweite Frage. Wichtig ist, das ist irgendwann 2010, 2011 auch passiert ist, dass das so bezeichnet wurde, wie es war und wie sie es für die Truppe am Boden eben auch angefühlt hat. Und klar gab es eine ganze Menge Lehren, die man aus diesem Einsatz gezogen hat, die wir aus diesem Einsatz gezogen haben, die die Bundeswehr als Ganzes aus diesem Einsatz gezogen hat. Auch Dinge, die sicherlich für Landes- und Bündnisverteidigung weiterhin relevant bleiben. Ich sage mal, es ist tatsächlich so, dass über alle anderen Einsätze hinaus, waren ja auch im Kosovo und ich weiß nicht in Stabilisierungs-Mission in Bosnien und ähnlichem, dass das Militär dort wieder zu dem geworden ist, wofür Militär eigentlich hat. Also wir haben uns als Deutsche noch sehr gern der Illusion des bewaffneten technischen Hilfswerks hingegeben und es wurde ja auch politisch häufig, so zumindest unsere Wahrnehmung kommuniziert, dass die Bundeswehr dort vor allem Brunnen bohrt und Häuser baut und zivil militärische Zusammenarbeit im weitesten Sinne macht und nebenbei auch noch mal eine Waffe trägt. Aber ich sage mal zwischen etwa 2006 beginnend und dann bis 2012 war es doch ein klassischer Kampfeinsatz, bei dem Soldatinnen und Soldaten auch ganz konkret Gefechte geführt, Anschläge erlebt haben, in denen es Gefallene gab, Verwundete gab und so weiter. Und das ist natürlich eine Erfahrung oder alles Erfahrung der Umgang damit, die uns auch für die Szenarien der Landes- und Bündnisverteidigung helfen. Es gab mit den ersten Gefallenen ganz, ganz schreckliche Geschichten, die kriege ich auch im Einzelnen gar nicht mehr zusammen. Also eine ist beispielsweise, dass da mal eine Rechnung für eine Flagge, eine Bundesdienstflagge, die da auf einem Sarg von einem gefallenen Kameraden, den Hinterbliebenen geschickt wurde, hier so von Amtswegen und dort sozusagen das Geld für diese Flagge eingefordert. Alles Dinge, die, weil sie eben nie passiert sind, dann bürokratisch durch diesen Apparat gelaufen sind, von denen wir dann jetzt mittlerweile Gott sei Dank weg sind. Und auch wenn ich sage mal eine, eine reale Landes- und Bündnisverteidigung, qualitativ und quantitativ noch mal ein ganz anderer, ich sage mal eine ganz andere Dimension der Kriegführung wären, sollten wir uns an diejenigen, die dort Kampferfahrung gesammelt haben, halten, sollten uns diesen Geist, der sich da entwickelt hatte, in Teilen der Bundeswehr schon wieder verdrängt wurde. Also eine gewisse, ich sage mal so ein bisschen mehr Richtung Krieger-Ethos und Kampfmoral. Und so weiter. Auch daran kann man sich orientieren, wenn man Truppen ausbildet. Daran sollten wir uns, schätze ich, schon klammern. Und ganz wichtig auch noch die Fortschritte, die wir rasant gemacht haben, was Ausrüstung, Ausstattung insgesamt angeht. Die waren enorm und auch was unsere Einsatz-Versorgung angeht, also die Betreuung von Verwundeten, von Hinterbliebenen und von Menschen, die eine posttraumatische Belastungsstörung hatten oder allgemein traumatisiert waren, die hat doch wahnsinnige Schritte voran gemacht und daran kann man anknüpfen, auch wenn man diese Dinge neu denken muss, weil wie gerade gesagt, die Dimension halt wirklich eine andere ist inzwischen.

Gutzeit
Herr Oberstleutnant Bohnert, also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, aus unseren Einsätzen lernen, unsere Einsätze anerkennen, auch das, was unsere Soldatinnen und Soldaten im Ausland geleistet haben. Ich denke, das ist auch noch mal ein guter Punkt um den Bogen zu schließen. Zur ersten Frage, vielleicht ist der Veteranentag, der jetzt vom Bundestag beschlossen wurde, ein guter Anlass, unsere Einsätze und unsere Kameraden und Kameradinnen nicht zu vergessen. Sehr geehrte Damen und Herren, herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, für Ihr Zuhören. Oberstleutnant Bohnert vielen Dank, Herr Dr. Graf Vielen Dank. Mir war es eine Freude.

Bohnert
Sehr gern.

Graf
Vielen Dank.

von ZMSBw 

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