Audio-Transkription: Dieter Krüger "Verständigung mit Frankreich"

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8 MIN

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Herzlich willkommen zu „Angelesen! Dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. 
Heute stellen wir das Buch von Dieter Krüger „Verständigung mit Frankreich. Das vergebliche Plädoyer des Oberst Dr. Hans Speidel“ vor. Es erschien im Jahr 2021 im Miles-Verlag.

Vor kurzem ernannte der Deutsche Bundeswehrverband zwei Personen zu den bedeutendsten deutschen Vertretern in hohen Funktionen der Nordatlantischen Allianz. Neben dem ehemaligen NATO-Generalsekretär Manfred Wörner gehöre dazu auch der Vier-Sterne-General Hans Speidel. Er lebte von1897 bis 1984 . Die Bundeswehr entschloss sich 1995, Speidel zum Namenspatron einer Kaserne in Bruchsal zu machen. Wer war Hans Speidel?
Der 17jährige aus bildungsbürgerlichem Haus trat im Herbst 1914 als Fahnenjunker in das württembergische Heer ein.  Er nahm als Frontoffizier am gesamten Ersten Weltkrieg teil. Danach setzte er seine Karriere in der Reichswehr der Weimarer Republik und in der Wehrmacht des Dritten Reiches fort. Da er gegen Ende des Zweiten Weltkrieges als Stabschef von Generalfeldmarschall Erwin Rommel dem militärischen Widerstand gegen Hitler nahestand, entging er nur knapp der letzten Mordkampagne des nationalsozialistischen Regimes. Seit 1948 gehörte er gemeinsam mit Adolf Heusinger zu den Militärberatern von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Folgerichtig wurden Speidel und Heusinger zu den wichtigsten militärischen Gründungsvätern der Bundeswehr. Als erfahrener Generalstabsoffizier, Militärdiplomat und promovierter Historiker empfahl sich Speidel für den Posten des Befehlshabers der alliierten Landstreitkräfte in Mitteleuropa. In dieser Funktion wirkte er von 1957 bis 1963 am Ausbau der Militärorganisation der NATO mit. Er gliederte die aufwachsenden Heeresverbände der Bundeswehr in die integrierte Militärorganisation ein. Schließlich verschob er die Hauptverteidigungslinie der NATO vom Rhein in Richtung der innerdeutschen Grenze. Denn nur so ließ sich die Bewaffnung Westdeutschlands gegenüber einer skeptischen Öffentlichkeit rechtfertigen.

Seit den 1990er Jahren war eine ganze Reihe von Kasernen, die nach ehemaligen Wehrmachtoffizieren benannt worden waren, auf öffentlichen und Druck aus dem politischen Raum umbenannt worden. Es war mithin eine Frage der Zeit, bis auch die Traditionswürdigkeit Speidels in Frage gestellt werden sollte – trotz seiner Erfolge beim Aufbau der Bonner Republik im Allgemeinen und der Bundeswehr und NATO im Besonderen. 2017 war es so weit. Die linke „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ in Baden-Württemberg forderte die Umbenennung der Kaserne in Bruchsal. Begründet wurde die Forderung mit dem eher pauschalen Vorwurf, Speidel sei ein Kriegsverbrecher gewesen. Da die Argumente in Form und Inhalt der Propaganda der ehemaligen DDRDeutsche Demokratische Republik gegen die Generalität der Bundeswehr in den 1960er Jahren folgte, wies die Bundeswehr die Forderung zurück. Zu offensichtlich war die Absicht, mit Speidel die Gründergeneration der Bundeswehr und damit deren Tradition als Armee des demokratischen Staates überhaupt  zu diskreditieren. Denn nach damaligem und aktuellem Kenntnisstand hatte sich Speidel im Verlauf seiner militärischen Verwendungen während des Zweiten Weltkrieges nicht in Kriegsverbrechen verstrickt. Allerdings gab es einen heiklen Abschnitt in Speidels Militärbiographie, nämlich seine Tätigkeit als Stabschef des Deutschen Militärbefehlshabers in Frankreich von Juni 1940 bis März 1942. Bereits der französische Staatspräsident Charles de Gaulle hatte seine Forderung an die Adresse des Bundeskanzlers, Speidel als Befehlshaber der NATO-Landstreitkräfte in Mitteleuropa abzulösen, mit dessen Mitwirkung an der Umsetzung von Adolf Hitlers Politik gegen Frankreich begründet.
Vor dem Hintergrund der Traditionsdebatte widmete Dieter Krüger unter dem Titel „Verständigung mit Frankreich. Das vergebliche Plädoyer des Oberst Dr. Hans Speidel. Paris 1940-1942“ eine Studie der Tätigkeit Speidels in Paris. Darin wertet der Zeithistoriker und frühere Abteilungsleiter im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr die schriftliche Überlieferung des Militärbefehlshabers und die historiographische Literatur, nicht zuletzt auch die französische Literatur, zum Thema aus. Er behandelt drei Themenkomplexe:
•    die Politik gegenüber der französischen Regierung,
•    der Kampf gegen die sich formierende französische Widerstandsbewegung (Résistance), und schließlich
•    die Verstrickung des Militärbefehlshabers in die anlaufende Judenverfolgung.
Frankreich hatte am 22. Juni 1940 einen Waffenstillstand mit dem Deutschen Reich geschlossen und sich unter dem Marschall Philippe Pétain eine autoritäre und strikt antikommunistische Regierung gegeben. Die Wehrmacht hatte die gesamte Atlantikküste und Nordfrankreich besetzt. Die französische Regierung in Vichy war im unbesetzten Frankreich relativ autonom. Die besetzte Zone verwaltete sie unter Kontrolle des Deutschen Militärbefehlshabers in Paris. 
In den von Speidel konzipierten Berichten des Militärbefehlshabers an das Oberkommando des Heeres und später das Oberkommando der Wehrmacht plädierte der Militärbefehlshaber für einen Friedensvertrag mit Frankreich. Der völkerrechtliche Schwebezustand nach dem Waffenstillstand sollte unter dem Schlagwort „Neues Europa“ einer Juniorpartnerschaft Frankreichs mitsamt seinem afrikanischen Kolonialreich an der Seite des deutschen Reiches weichen. Die französische Regierung war zwar grundsätzlich zur Zusammenarbeit bereit, erwartete jedoch auch deutsche Zugeständnisse. Mit der faktischen Annexion Elsass-Lothringens hätte sie sich vielleicht abgefunden, weitere Gebietsverluste lehnte man jedoch ab. Die wachsende wirtschaftliche und finanzielle Ausbeutung Frankreichs durch das Deutsche Reich belastete die hungernde und unterversorgte Bevölkerung und förderte deren wachsende Skepsis gegen die Besatzungsmacht und die eigene Regierung. Der Militärbefehlshaber mahnte Berlin, der französischen Regierung entgegenzukommen. Er machte sich viele Interessen der Vichy-Regierung zu eigen, stieß jedoch auf taube Ohren. Speidel warnte im Herbst und Winter 1941/42 davor, dass die vor einem Attentismus der französischen Regierung. Diese warte zunehmend ab, wer am Ende die besseren Karten habe, die Briten oder die Deutschen. Speidel vertrat das rationale Kalkül, Kompromisse mit dem antikommunistischen und teilweise anglophoben französischen Bürgertum zu suchen, um Erfolge der von London aus operierenden bürgerlichen Widerstandsbewegung unter Charles de Gaulle zu vermeiden. Speidels wandte sich dagegen, das Nachbarland unumschränkter deutscher Verfügungsgewalt zu unterwerfen, auszuplündern und seine östlichen Landesteile zu annektieren. Allerdings wollte Hitler keine Juniorpartnerschaft, die ihn zu politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Zugeständnissen gezwungen hätte.
Nahezu zwangsläufig wuchs der Widerstand sowohl gegen die Besatzungsmacht als auch gegen die mit ihr zusammenarbeitende französische Polizei und Verwaltung. Der deutsche Militärbefehlshaber, General Otto von Stülpnagel, orientierte sich an den Vorgaben der Haager Landkriegsordnung und des Kriegsvölkergewohnheitsrechts, auch wenn er beide weit auslegte. Nach dem Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 bildete der kommunistische Untergrund die Speerspitze des bewaffneten Widerstands gegen die deutsche Besatzung. Jungkommunisten verübten Attentate gegen einzelne Wehrmachtangehörige. Das waren Nadelstiche gegen die empfindlichste Stelle der Besatzungsmacht. Sie sollten deren Vergeltungsmaßnahmen auslösen, um eine bewaffnete Volksbewegung herbeizuführen. Der Militärbefehlshaber und Speidel versuchten zunächst erfolgreich, die Vergeltungsmaßnahmen gegen unbeteiligte Kommunisten der französischen Justiz zuzuschieben. Dass diese dabei hergebrachte rechtsstaatliche Grundsätze über Bord warf, wurde von der Besatzungsmacht ausdrücklich begrüßt. Da man der Attentäter zunächst nicht habhaft wurde, ging der Militärbefehlshaber dazu über, unbeteiligte Geiseln zu erschießen.

Wenn man sich nach eigener Ansicht noch im Rahmen der Haager Landkriegsordnung und des Kriegsvölkergewohnheitsrechts bewegte, war die Rekrutierung der Geiseln aus dem Kreis der Kommunisten und insbesondere solcher jüdischer Herkunft keinesfalls mehr rechtskonform. Dabei setzten Hitler und das Oberkommando der Wehrmacht den Militärbefehlshaber mit ihren uferlosen Vergeltungsforderungen unter Druck. Um die kommunistischen Absichten zu durchkreuzen, wollte der Militärbefehlshaber die Massenerschießung von Geiseln durch die Deportation von Kommunisten und Juden nach Osteuropa ersetzen. Hitler wollte nun beides: Erschießungen und Deportationen. Der Militärbefehlshaber versuchte im Sinne seiner oben skizzierten Politik und einer halbwegs erfolgreichen Besatzungsverwaltung, die Geiselerschießungen zu begrenzen. Im Winter 1942 gab General Otto von Stülpnagel entnervt auf. Speidel selbst hatte sich seit November 1941 um eine Verwendung als Stabschef an der Ostfront bemüht.
Das dunkelste Kapitel der deutschen Besatzungspolitik war die Judenverfolgung. Die Militärverwaltung begann bereits 1940, jüdische Unternehmen zu arisieren und die jüdische Bevölkerung zu erfassen. Ein Judenstatut der französischen Regierung, die Einrichtung eines französischen Generalkommissariats für Judenfragen und schließlich einer jüdischen Organisation mit Zwangsmitgliedschaft gingen einerseits auf den Druck der Militärverwaltung, andererseits auf einen eigenständigen Antisemitismus des Vichy-Regimes zurück. Freilich zielte dieser auf eine Art Apartheid-System der Ausgrenzung der Juden als Staatsbürger zweiter Klasse, wie Dieter Krüger meint, nicht auf deren physische Vernichtung. Zunehmend schaltete sich jetzt auch der Repräsentant des Reichssicherheitshauptamtes in Person seines „Judenreferenten“ in die Judenpolitik ein. Sein Ziel war die Deportation zunächst der zugewanderten bzw. emigrierten, dann auch der alteingesessenen Juden nach Osteuropa mit dem Ziel ihrer Vernichtung. Der erste Zug nach Auschwitz rollte erst im März 1942; da befand sich Speidel bereits auf dem Weg an die Ostfront. Speidel argumentierte nach dem Krieg, dass die Judenpolitik nicht in der Zuständigkeit der militärischen, sondern der zivilen Abteilungen des Militärbefehlshabers gelegen habe. Tatsächlich versuchte sich das Militär aus der Umsetzung der Judenverfolgung herauszuhalten. Gleichwohl war Speidel über seine Zuständigkeit für die Exekutivorgane und durch seine Stabsabteilung Ic über die Judenpolitik zumindest informiert und teilweise auch involviert.
Kaum überraschend war Speidel wie nahezu alle hohen Offiziere in die verbrecherische Kriegführung Hitlers verstrickt. Aber justiziable Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat er in seiner Eigenschaft als Stabschef des Militärbefehlshabers in Frankreich nicht begangen. Bei der Bewertung seiner Traditionswürdigkeit sind die Richtlinien der Bundesverteidigungsministerin zur Traditionspflege von 2018 anzuwenden. Danach ist die Tradition der Bundeswehr vor allem aus deren eigener, bald 70jährigen Geschichte zu schöpfen. Zu dieser zählen auch die Gründergenerationen, die fast alle Wehrmachtuniform getragen hatten.

Selbst bei gebotener kritischer Abwägung der Rolle Speidels in der Wehrmacht mit seiner Mitwirkung beim Aufbau der Bundeswehr, so das Fazit Dieter Krügers, überwiegen die Verdienste des Bundeswehrgenerals um die Integration der Bundesrepublik in die Nordatlantische Allianz. Deren existenzielle Bedeutung für die deutsche Sicherheitspolitik damals wie heute erscheint angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine offenkundig.
Das war „Angelesen! Das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute zum Buch von Dieter Krüger, Verständigung mit Frankreich. Das vergebliche Plädoyer des Oberst Dr. Hans Speidel. Paris 1940–1942 vor. Es erschien im Jahr 2021 im Miles-Verlag.

Gelesen von: Christoph Jan Longen
 

von ZMSBw 

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