20. Juli 1944 - Transkript
20. Juli 1944 - Transkript
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Frank Reichherzer: Hallo, hier ist ZUGEHÖRT. Der Podcast des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute begrüßen wir Oberst Professor Dr. Heinemann, der mit uns über den 20. Juli sprechen wird. Der 20. Juli, da ist ganz schnell bei unserem inneren Auge Oberst Stauffenberg in der Wolfsschanze und die Bombe. Aber der 20. Juli hat auch noch eine andere Dimension. Am 20. Juli 1944 fand auch ein Staatsstreich statt.
Winfried Heinemann: Also ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man so dran geht. Da ist nicht auch noch ein Staatsstreich, sondern da ist ein Staatsstreich und damit der stattfinden kann, muss am Anfang ein Attentat stehen. So rum wird ein Schuh draus.
Frank Reichherzer: Herr Heinemann, wie würden Sie das sehen? Gibt es eine Tradition im deutschen Militär, Staatsstreiche umzusetzen? Auf was bauen denn die Verschwörer und Verschwörerinnen auf?
Winfried Heinemann: Also in der Bundeswehr ist es natürlich völlig unvorstellbar. Das ist auch gut so, aber das hat durchaus eine Tradition. Also es gibt schon in Preußen den Belagerungszustand. Bei einer Bedrohung von außen oder auch bei inneren Unruhen. Es kommt in der Weimarer Republik ein paarmal dazu, dass das Militär die vollziehende Gewalt im Inneren übernimmt. Vielleicht nur ein Beispiel: Im November 1923 putschen in München Hitler und der General Ludendorff und der Reichspräsident beauftragt das Militär, die vollziehende Gewalt zu übernehmen und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Und der Chef der Heeresleitung, Seeckt, macht das auch. Und obwohl ihm eine ganze Reihe antidemokratischer Offiziere raten, die Gelegenheit zu nutzen und diesen verhassten demokratischen Laden nun endlich loszuwerden, übergibt er, nachdem das alles abgeschlossen ist, wie sich's gehört, die vollziehende Gewalt wieder an den Reichspräsidenten. Also das ist in der Zeit durchaus nicht ungewöhnlich.
Frank Reichherzer: Deswegen ist es vielleicht auch die Bedeutung des 20. Juli 1944. Wenn ich das jetzt so aus Ihren Ausführungen herauslesen kann, dass ja eigentlich auch nur diese, diese große Widerstandshandlung im Vergleich zu anderen Widerstandsbewegung die Arbeiterbewegung ist, im Exil oder in Konzentrationslagern. Resistenz im Alltag zeigt sich da so eigentlich, wenn man den 20. Juli charakterisieren will, fällt ja auf, dass es ja auch Eliten des Systems sind.
Könnte man das so sagen? Und dass die als einzige einen Staatsstreich umsetzen können.
Winfried Heinemann: Das kann man sicher so sagen. Also alle anderen Formen widerständigen Handelns in allen Ehren, auch dafür haben ja letztlich Menschen ihr Leben riskiert und ihr Leben gelassen. Aber dieser, sagen wir nationalkonservative Widerstand ist letztlich der einzige, der eine reale Chance hat, das System als Ganzes zu stürzen. Und auch hier kommt der Punkt Leute wie beispielsweise Georg Elser haben versucht, Hitler umzubringen, und es wäre der Welt vielleicht viel Unheil erspart geblieben, wenn es ihnen gelungen wäre. Aber dahinter stand eben keine Staatsstreichplanung. Und dann wäre eben an die Stelle von Hitler Goebbels getreten, Göring, Himmler, wer weiß. Der 20. Juli ist der einzige Fall in dieser ganzen Geschichte des sogenannten Dritten Reiches, wo es wirklich eine konzise Planung gibt, wie man das ganze Regime stürzen und durch eine neue Reichsregierung ersetzen kann, die dann auch sofort den Krieg beendet.
Frank Reichherzer: Ja, also der Tyrannenmord verpufft, wenn danach nichts kommt. Ja, das leuchtet mir ein. Wie sehen denn jetzt genau die Planungen des 20. Juli aus für diesen Staatsstreich aus? Also nehmen Sie uns doch mal mit in die Jahre, ja, wann fängt das eigentlich an? Was würde man jetzt überhaupt als wenn ich sie mit in die Jahre nehmen wollte, was wäre denn so ein Punkt, wo man anfangen kann? Es ist ja sicherlich nicht 1944.
Winfried Heinemann: Nee, nee, also das fängt sehr viel früher an, wenn man so will, fängt das schon 1932 an. Im Herbst 1932 prüft die Reichswehr, ob es noch eine Alternative gibt das eben der Reichspräsident nicht Hitler zum Reichskanzler macht, sondern dass man an Stelle der NSNationalsozialismus-Diktatur eine Militärdiktatur schafft. Da gibt es das Planspiel, ob im November 1932 und man kommt zu dem Ergebnis, dass Nein die Reichswehr mit ihren 100.000 Mann dem nicht gewachsen sein würde, wenn sie zugleich die Nationalsozialisten, die Kommunisten und vielleicht sogar eine Bedrohung von außen abwehren müsste. Und auch der Reichspräsident ist zu diesem offenen Verfassungsbruch nicht bereit. Also es gibt schon vor der Machtübertragung an die Nazis erste Überlegungen im Militär. Richtig konkret wird es dann wieder 1938, als Hitlers Kriegspolitik, vor allem seine Politik gegen die Tschechoslowakei droht, das Reich in einen Krieg zu verwickeln. Für diesen Fall ist auch ein Staatsstreich vorbereitet. Da gehen die meisten Beteiligten aber noch davon aus, dass man Hitler verhaftet und einsperrt. Es gibt eine kleine Gruppe, sozusagen die Verschwörung, in der Verschwörung, die damals schon sagt das wird nichts gegen einen lebenden Hitler wird auch die Reichswehr nicht mehr oder dann ja schon die Wehrmacht nicht mehr marschieren. Daher muss er tot sein. Und die von Anfang an davon ausgeht, dass wenn man Hitler mit einem Stoßtrupp verhaften will, dass zu einer Schießerei führt, bei der Hitler umgebracht wird. Ja, und dann gibt es die ganzen Verschwörungen während des Zweiten Weltkrieges, also vor allem in der Heeresgruppe Mitte im Frühjahr 1943, aber eben auch ab Herbst 43 die Staatsstreich Planungen in Berlin. Und auch da gibt es noch die, wie zum Beispiel den früheren Leipziger Oberbürgermeister Goerdeler, die es lieber sehen würden, wenn man Hitler nicht umbringt, weil sie das aus politischen, aus juristischen, aus religiösen Motiven ablehnen. Aber 1944 sind die Militärs, also allen voran Klaus Stauffenberg, völlig klar und sagen nein, die Wehrmacht, das Heer der Wehrmacht, da besteht das Offizierskorps zu 90 % aus Reserveoffizier, den jungen Leutnants aus der Hitlerjugend-Generation. Im Leben werden die nicht gegen Hitler marschieren, solange Hitler noch lebt. Das heißt, ohne ein erfolgreiches Attentat wird der Staatsstreich nicht funktionieren. Und genau das ist das, was wir am 20. Juli erleben.
Frank Reichherzer: Stauffenberg ist ja dann auch einer der Antreiber der Verschwörung. So könnte man es, glaube ich, nennen. Ist das nicht eigentlich im Juli 1944 zu spät? Wenn man das noch mal aufwiegen kann, das Reich befindet sich ja dann doch auch in einer extrem schwierigen militärischen Lage und außerdem einige Kritiker des Widerstandes würden auch sagen naja, ihr habt so spät gehandelt, wie würden Sie das sehen?
Winfried Heinemann: Also Hitler tritt nach Stalingrad nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Er umgibt sich nur noch mit ganz wenigen engen Vertrauten, sodass es ganz schwierig wird, an ihn heranzukommen. Die Attentatsversuch im Frühjahr 1943 an der Ostfront schlagen allesamt fehl, und danach wird es ganz schwierig, noch in irgendeiner Form ein Attentat zu planen. Und erst im Frühjahr, Frühsommer 1944 gelingt es wieder, dass jemand aus der Verschwörung Zugang zu Hitler hat, nämlich Stauffenberg selber. Jemand, der auch bereit ist, das Attentat auszuführen. Einer von denen zum Beispiel, die durchaus gelegentlich bei Hitler vortragen, aber aus religiösen Gründen sagen, dass sie selbst diese Bombe nicht legen können, ist der Generalmajor Stieff. Ein sehr frommer evangelischer Offizier, der sagt ja, er ist in der Verschwörung dabei aktiv, lässt am Ende auch sein Leben, aber er kann die Bombe nicht selber legen. Das heißt, es gibt eben nur ganz wenige, die Zugang zu Hitler haben und die die Bombe auch wirklich legen können. Und am Ende bleibt nur Stauffenberg und das ist für die Staatsstreichplanung im Reich insofern ganz schlecht, als Stauffenberg der stellvertretende Befehlshaber des Ersatzheeres ist und derjenige, der von Berlin aus von seinem regulären Dienstzimmer aus dem Staatsstreich im Reich leiten soll und muss, wenn er denn funktionieren soll.
Und das heißt auch Stauffenberg kann nicht mit der Bombe unterm Arm sich neben den Führer stellen, bis sie explodiert und beide zerreißt. Nein, Stauffenberg muss leben, von Ostpreußen nach Berlin kommen, um dort den Staatsstreich durchzuführen.
Frank Reichherzer: Gehen wir doch mal da in diesem Punkt ein bisschen tiefer. Ich finde es extrem spannend. Wie kann man sich das vorstellen? Wie haben die Verschwörer denn den Staatsstreich genau geplant? Du hast ein Buch geschrieben über eine Militärgeschichte des 20. Juli.
Winfried Heinemann: Ja, wie macht man eigentlich einen Staatsstreich? Vor Jahren habe ich mal beim Wachbataillon in Berlin Vortrag halten sollen über den 20. Juli und habe gesagt, ich könnte das Thema „Wie macht man in Berlin einen Staatsstreich?“ machen. Das fanden die ganz spannend. Natürlich nicht, weil die einen machen wollen, sondern weil sie ja auch dazu da sind, einen zu verhindern. Wie macht man das? Also wir wissen über die Planungen noch aus dem Jahre 1943, auch über die Planung 1938, da stellte man sich das so vor, dass man weiß, in Berlin, in Potsdam sind bestimmte Truppenteile, deren Kommandeure in die Verschwörung eingeweiht sind, und diese Kommandeure setzen ihre Truppenteile in Marsch. Die besetzen das Regierungsviertel. Die verhaften, wer verhaftet werden muss. Da geht man noch davon aus, dass das System von Befehl und Gehorsam wohl funktionieren wird. 38 hätte das vielleicht noch geklappt? 43 bin ich schon nicht mehr so sicher. 1944 werden natürlich ständig Truppenteile verlegt. Von der Front in die Heimat, von der Heimat wieder an die Front. Kommandeure werden versetzt. Also es ändert sich ständig das Personaltableau, es ändert sich ständig die Verfügbarkeit von Truppenteilen. Und da kommt Stauffenberg mit einer genialen Idee. Also die geht auch schon ein Stück weit auf Henning von Tresckow zurück, den Generalmajor, der der andere große Motor der Verschwörung ist, nämlich wir nutzen Planungen für den Fall innerer Unruhen unter dem Stichwort Walküre. Also was passiert eigentlich, wenn die Zwangsarbeiter im Reich, die sowjetischen Kriegsgefangenen, die deutschen Kommunisten plötzlich einen Aufstand machen, vielleicht auch unterstützt durch eine sowjetische Luftlandung? Dann muss das, was an Militär im Reich verfügbar ist, schnell zusammengefasst und dagegen eingesetzt werden können. Solche Planungen gibt es und diese Planungen werden von den Verschwörern jetzt gekapert. Mit diesen Planungen kann man nämlich die jeweils gerade verfügbaren Truppenteile schnell alarmieren und einsetzen. Und das allerdings unter einer Voraussetzung, nämlich dass Hitler tot ist und das zumindest für eine gewisse Zeit.
Die Soldaten glauben, es sei die Partei gewesen, die verhasste Partei oder die noch verhasste SSSchutzstaffel, die also Hitler umgebracht habe. Man muss also eine bestimmte Zeit lang diese Fiktion aufrechterhalten und Hitler muss wirklich tot sein, dann kann das funktionieren.
Frank Reichherzer: Wie sah das genau aus am 20 Juli?
Winfried Heinemann: Bevor wir über den 20. Juli reden, müssen wir noch ein paar Sätze über den 15. Juli sagen. Am 15. Juli fliegt Stauffenberg nämlich schon mal mit der Bombe ins Führerhauptquartier. Und aus Gründen, die wir wohl nie wissen werden, zündet er die Bombe aber nicht. Das ist insofern misslich, als bei der Kalendermäßigen Vorbereitung des Ganzen schon morgens um acht die ersten Truppenteile vorsorglich voralarmiert worden sind und sich zum Teil auch schon in Marsch gesetzt haben. Und das muss man dann erklären mit einer Übung Probealarm. Und der Befehlshaber des Ersatzheeres, der Generaloberst Fromm, der weiß auch was gespielt wird. Der erteilt einen mächtigen Anschiss und belässt es aber auch dabei. Aber die Folge ist, dass man am 20 Juli das, was man eigentlich geplant hat, nämlich morgens um acht die ersten Truppenteile zu alarmieren, nicht schon wieder machen kann. Das heißt, die ganze Vorbereitung läuft schon deutlich verspätet an. Dann, wir wissen es, die Bombe explodiert, aber Hitler ist nicht tot. Es ist vielleicht auch ein Fall, mit dem man nicht gerechnet hat. Und anstatt das Führerhauptquartier nachrichtentechnisch zu isolieren, geben die beteiligten Offiziere aus der, heute würden wir sagen, aus der Fernmeldetruppe die Information, dass Hitler überlebt hat, nach Berlin weiter. Das heißt, ein Teil der Verschwörer weiß schon gegen 13, das Attentat hat stattgefunden, Hitler lebt noch oder wie es einer der Verschwörer am Telefon sagt: Es ist etwas Furchtbares passiert, das Schwein lebt. Deshalb laufen die eigentlichen Staatsstreichvorbereitungen erst so ab 15:30, 16:00 Uhr an und dann dauert es und man kann sich das gar nicht richtig vorstellen. Aber in vielen Wehrkommandos, die jetzt zuständig wären, um in ihren jeweiligen Wehrkreisen die Macht an sich zu reißen, da herrscht noch tiefster Friedensbetrieb.
Der Herr Befehlshaber ist nicht da, der ist ausreiten. Der Herr Befehlshaber ist schon nach Hause gefahren und es dauert seine Zeit, bis diese Alarmierung dann wirklich greift, die eigentlich schon ab 8:00 Uhr hätte laufen sollen, Und ab 17:00 Uhr etwa bringt der Großdeutsche Rundfunk schon die Nachricht, es sei ein Attentat auf den Führer verübt worden. Aber der Führer lebe und jetzt konkurrieren halt die beiden Informationen. Der Dienstweg per Fernschreiber meldet, der Führer ist tot. Der Rundfunk meldet, der Führer lebt. Es greift Unsicherheit um sich. Die Ersten beginnen zu telefonieren, in der Wolfsschanze anzurufen, sich schlau zu machen und damit ist der Staatsstreich zu einem Ende gekommen, bevor er richtig angefangen hat.
Frank Reichherzer: Bezieht der Staatstreich sich eigentlich nur auf Berlin oder muss man ihn noch größer denken?
Winfried Heinemann: Nein, nein. Also der Staatsstreich bezieht sich schon auf das gesamte Reichsgebiet. Dem Befehlshaber des Ersatzheeres unterstehen die Wehrkreiskommandos, die eben in ihrem jeweiligen Wehrkreis zunächst mal die vollziehende Gewalt übernehmen, die zivilen Behörden anweisen sollen. Das heißt natürlich vor allem die Polizei und dafür sorgen sollen, dass also zum Beispiel die SSSchutzstaffel-Führer verhaftet werden, die SSSchutzstaffel-Truppenteile ins Heer eingegliedert werden. Die Parteibürokratie sofort lahmgelegt wird und so weiter und noch weiter. Nicht nur im Reichsgebiet selber, sondern vor allem auch in Paris gibt es eine große Verschwörerzelle, denn das Ziel ist ja nicht nur die Macht an sich zu reißen, sondern dann, wenn man die Macht übernommen hat, auch sofort den Krieg zu beenden, und zwar vor allem im Westen. Das heißt, man muss auch sicherstellen, dass die militärische Führung in Frankreich auf der Seite der Verschwörer ist. Und deshalb gibt es dort sowohl bei dem Befehlshaber, der für die rückwärtigen Gebiete zuständig ist, beim Militärbefehlshaber als auch im Stab der Heeresgruppe B unter Rommel, die die Invasionfront fortführt, Verschwörer, die darauf vorbereitet sind, an diesen strategisch wichtigen Stellen die Macht zu übernehmen und dafür zu sorgen, dass eine Kriegsbeendigung im Westen unverzüglich stattfinden kann.
Frank Reichherzer: Was wären denn noch wichtige Punkte für das Zusammenbrechen des Staatsstreiches in Berlin. Also gibt es da irgendwelche Wendepunkte, die dann auch symbolisch sind? Man hört immer mal das Telefonat, das angebliche mit der Ernst Otto Remer, dem damaligen noch Major, erkennen Sie meine Stimme? Wie würdest du das bewerten? Ich glaube, da hat die neuere Forschung auch einige Punkte, die sie da ein bisschen geraderücken könnte und Mythen auch ein bisschen entzaubern.
Winfried Heinemann: Ja, das ist ganz spannend, weil es hier einen Mythos gibt und noch ein Mythos. Der erste Mythos ist der Remer. Der Remer wird auch tatsächlich dann Oberst zur Belohnung dafür, dass er da an dem entscheidenden Tag den Retter des Vaterlandes gegeben hat. Aber wenn man sich das genauer anguckt, dann ist das mit dem Retter des Vaterlandes soweit auch nicht her. Also der telefoniert wirklich mit Hitler, und da ist es etwa 19:00 Uhr und das Ganze ist in der Dienstwohnung des Reichspropagandaminister Goebbels. Die ist in Berlin, unweit davon, wo heute das Stelenfeld ist, das Holocaust Mahnmal. Von da bis zum Bendlerblock, da würden wir beide keine Viertelstunde brauchen. Aber die ersten Soldaten von Remers Wachbataillon tauchen da kurz vor Mitternacht im Bendlerblock auf. Also so unglaublich eilig hat es der schneidige Remer da nicht gehabt. Also ich glaube, der hat auch eine Zeit lang noch auf beiden Schultern getragen und sich in beide Richtungen abgesichert.
Frank Reichherzer: Ja, was ganz spannend ist, weil er hat ja nun nach 45 spielt ja noch eine politische Rolle in der Bundesrepublik, Vorsitzende Sozialistischen Reichspartei. Da heftet er sich ja die Niederschlagung des Aufstandes ja dann doch sehr stark auf seine Schultern.
Winfried Heinemann: Ja, die Sozialistische Reichspartei ist die erste Partei, die das Bundesverfassungsgericht verbietet, weil das ganz klar eine NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nachfolgepartei ist. Und Remer fischt halt im braunen Sumpf. Und da kommt es gut, wenn man sagen kann, man sei der gewesen, der diesen Aufstand niedergeschlagen hat. Und das hat auch niemand und jetzt kommt der zweite Mythos, das hat ihm auch niemand wegnehmen wollen. In Wirklichkeit gibt es nämlich ein paar Oberstleutnante im Heeresamt, das ist sozusagen der Arbeitsmuskel des Befehlshabers des Ersatzheeres. Die wollen jetzt wissen, was hier eigentlich auf den Fluren ihrer Dienststelle gespielt wird und fragen sich rum und können natürlich auch Rundfunk hören und kriegen mit, die einen sagen so, die anderen sagen anders. Es wird zunehmend deutlich, es gibt hier offenkundig einen Staatsstreich des Militärs und sie haben vorher nichts gewusst, fühlen sich auch von Stauffenberg, dem General Olbricht, dem Oberst von Mertz, so ein bisschen betrogen, vielleicht hinters Licht geführt und sehen natürlich auch die Gefahr, dass sie da in eine Sache mit reingezogen werden, mit der sie eigentlich nichts zu tun hatten. Und die bringen sogar zu einer kleinen Schießerei auf den Fluren. Soweit man weiß, wird Stauffenberg noch mal verwundet, bis sie dann die Verschwörer ihrerseits festsetzen und damit den Staatsstreich beenden. Also das sind, wenn man so will, die eigentlichen. Und die sind auch alle Oberst geworden. Die haben nur nach dem Krieg alle immer konsequent erzählt, sie wären Oberst geworden, weil sie ohnehin hätten Oberst werden sollen. Und nein, sie hätten überhaupt nicht und keineswegs und zum Teil sogar wider besseres Wissen. Bei einem wissen wir, dass er sich seine Personalakte hat kommen lassen, die noch mal angesehen hat. Und in der Personalakte steht auch klar drin Beförderung zum Oberst, Sonderaktion 20 Juli. Und trotzdem hat er seiner Familie immer erzählt Nein, da wäre nichts gewesen. Bis zu seinem Tod hat er nie zugegeben, dass er Oberst geworden ist, weil er an der Niederschlagung des Aufstandes führenden Anteil hatte.
Und warum hat das Regime selber das auch so dargestellt? Ja, das Heer gilt den Nazis eigentlich als reaktionär und ist verhasst. Der Major Remer aber ist ein fanatischer Nazi. Das ist einer von dieser nachwachsenden Offizier Generation, von der wir gerade schon mal gesprochen hatten und den kann man halt auch der Öffentlichkeit als großen Helden vorführen. Er stammt aus Neubrandenburg und wird zum Beispiel Ehrenbürger der Stadt Neubrandenburg. Diese Ehrenbürgerwürde hat die Stadt erst nach 1990 zurückgenommen. Also Remer, den kann die Nazipropaganda als Held herausstellen. Dahinter müssen die anderen Heeresoffiziere, die irgendwo am Schreibtisch arbeiten, alle zurückstehen, weil die entsprechen nicht dem Idealbild des Dritten Reiches vom Offizier.
Frank Reichherzer: Ja, das ist, glaube ich, auch ein wichtiger Punkt, führt uns jetzt auch ein bisschen weg von den Ereignissen, schon so in die Richtung der Bewertung des Ganzen. Aber bevor wir dahin kommen, Sie haben gerade das Stichwort NSNationalsozialismus-Propaganda eingeworfen. Aus meiner Beobachtung des 20. Juli des Widerstandes scheint mir doch zu sein, dass diese Erzählung die Narrative und die Deutung, die die Propaganda oder auch Hitler selbst in seiner Rede in der Nacht vom 20. auf den 21 Juli bringt, dass die doch sich irgendwie sehr hartnäckig zu halten scheinen.
Winfried Heinemann: Es liegt in der Natur der Sache, dass das Regime natürlich zunächst die Informationshoheit hatte. Hitler spricht im Rundfunk, der völkische Beobachter berichtet, es wird über die Prozesse berichtet. Es erweist sich relativ schnell als kontraproduktiv, dass man da großes Publikum einlädt, weil die Prozessführung durch Freisler so ist, dass selbst der Partei nahestehende Beobachter das nicht gut finden und eher politisch ablehnende Leute wie zum Beispiel der damalige Luftwaffen Oberleutnant Helmut Schmidt, der in einer solcher Sitzung mit dabei sein muss, sich völlig angewidert fühlt und seinen nächsten Vorgesetzten bittet, dann nie wieder hin zu müssen. Also diese unmittelbare Beobachtung der Prozesse durch die Öffentlichkeit, das reduziert man sehr schnell, so dass man das, was an Informationen rauskommt, kontrollieren kann. Und diese Informationen haben noch ganz lange bis in die 50er Jahre hinein die Wahrnehmung von Attentat, Staatsstreich, Umsturzversuch bestimmt. Noch in den 50er Jahren glaubt ein riesiger Teil der bundesdeutschen Bevölkerung, dass ohne diese Verschwörung, ohne diesen militärischen Widerstand das Dritte Reich vielleicht den Krieg hätte gewinnen können.
Frank Reichherzer: Das sehen wir ja jetzt schon in dem Bereich der Bewertung. In die ich gerne noch mal mit Ihnen gehen würde. Wie würden Sie denn jetzt aus der Sicht des Historikers, 80 Jahre nach dem Attentatsversuch, nach dem gescheiterten Attentatsversuch und auch nach dem gescheiterten Staatsstreich eben diesen beurteilen?
Winfried Heinemann: Also ich würde noch ein, zwei Sätze sagen wollen über die Nachwirkungen während des Dritten Reiches. Noch mal zu der Frage: Zu spät? die wir vorhin ja schon mal hatten. Wenn man die Verlustzahlen der Wehrmacht sich anguckt, dann entfällt etwa die Hälfte aller Wehrmachtstoten auf die fünf Kriegsjahre vom Herbst 39 bis zum Sommer 44 und die andere Hälfte auf die zehn Monate danach. Das heißt hätte man den Krieg im Sommer 1944 beenden können, wäre vielleicht die Hälfte aller Wehrmachtstoten nicht gefallen. Städte wie Dortmund, Dresden, Potsdam sind erst nach dem 20. Juli tatsächlich in Schutt und Asche gesunken. Auch das hätte vermieden werden können. Also auch ein später Widerstand wäre immer noch besser gewesen als gar kein Widerstand.
Frank Reichherzer: Winfried Heinemann, es ist ja doch ein sehr spannender Punkt. Die Verlustzahlen auf deutsche, aber auch auf alliierter Seite, die in der letzten Phase des Krieges doch sehr hoch sind. Hätten die Alliierten denn eigentlich Frieden mit dem Deutschen Reich gemacht, wenn der Staatsstreich erfolgreich gewesen wäre? Und andersherum gefragt, wie war denn die Wahrnehmung des Attentats und des Staatsstreiches im Ausland?
Winfried Heinemann: Also die Alliierten hatten sich ja relativ früh auf die Forderung nach unconditional surrender, also nach bedingungsloser Kapitulation, verständigt. Und vor dem 20 Juli hat es eine ganze Reihe Versuche gegeben, die Westalliierten, die Briten, die Amerikaner dazu zu gewinnen, dem Widerstand irgendwelche Zusagen zu machen. Und da haben die sich immer strikt geweigert. Das ist aus deren Sicht auch verständlich. Die konnten auch von außen nicht so genau sehen, ob das wirklich eine ernst zu nehmende Widerstandsbewegung war oder vielleicht auch nur ein geheimdienstliches Spiel der NSDAPNationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei und ihres Sicherheitsdienstes. Die Verschwörer haben darauf gehofft, dass nach erfolgreichem Staatsstreich die Dinge anders aussehen würden. Den Verschwörern war völlig klar mit Hitler und den anderen Verbrechern würde nie jemand Frieden schließen. Auch deshalb war einfach ein Machtwechsel notwendig, wenn Friede überhaupt möglich werden sollte. Wie gesagt, wer sollte denn mit Hitler nach allem, was gewesen war, noch Frieden schließen? Völlig unvorstellbar. Und es gab unter den Verschwörern die, die noch Illusionen hatten, wozu man die Alliierten alles bewegen konnte, Goerdeler gehörte dazu. Der dachte noch, im Osten würde es die Reichsgrenzen von 1914 geben, Südtirol und Elsass-Lothringen bleiben beim Reich. Da hat Stauffenberg nur den Kopf geschüttelt. Der wusste ganz genau, dass aller Voraussicht nach an der bedingungslosen Kapitulation nichts mehr vorbeigehen würde. Und dass das alles Quatsch war. Also da hat es schon auch die gegeben, die klar gesehen haben, wir sind geschlagen und wir werden an einer Besetzung des Reiches und auch an Gebietsverluste im Osten nicht vorbeikommen. Das haben viele schon gewusst. In Wirklichkeit führt das Scheitern des Staatsstreichs zunächst mal zu einem Machtzuwachs für die SSSchutzstaffel, langfristig aber auch für die Partei, denn die SSSchutzstaffel übernimmt das Ersatzheer. Damit ist Himmler der uneingeschränkte Machthaber im Innern. Aber die Verantwortung für den Volkssturm überträgt Hitler schon wieder jemand anderen, nämlich den Gauleitern, so dass das, was für das Dritte Reich charakteristisch ist, diese vielen miteinander rivalisierenden Strukturen und Dienststellen und Einrichtungen, das setzt sich fort, das setzt sich fort bis zum absoluten Kriegsende. Ja und dann für die Geschichte der Bundesrepublik ist eine Geschichte der Wahrnehmung, des Widerstandes eine Geschichte der Bundesrepublik im Kleinen. Wie gesagt, in den 50er Jahren, nehmen viele Menschen noch immer den Widerstand als Landesverrat war. Das beginnt erst zu kippen, als es dem Braunschweiger Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gelingt, Otto Ernst Remer wegen seiner Hasspropaganda Wahlkampfreden in der Lüneburger Heide vor Gericht zu stellen und wirklich zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt zu kriegen. Dann beginnt so das Umkippen. 1954 hält Bundespräsident Heuss in Berlin eine Ansprache aus Anlass des zehn Jahrestages. Da spielt aber auch eine wichtige Rolle, dass es ja 1953 in der DDRDeutsche Demokratische Republik den Versuch eines Volksaufstandes gegeben hat. Und die bundesrepublikanische Politik zieht da schon auch Vergleiche. Also es geht um ein Aufstehen gegen ein Unrechtsregime. Jetzt ist es aber auch etwas schwierig. Wenn man sich nämlich die politischen, auch die militärischen Zielvorstellungen vieler Verschwörer anguckt, dann sieht die durchaus nicht so auf die parlamentarische Demokratie aus. Das kann man ruhig heute so sagen. Wie macht man das also dann, dass man diese Form von Widerstand für sich als traditionswürdig reklamiert, auch wenn sie politisch vielleicht in eine ganz andere Richtung geht? Das macht man, indem man das Ganze auf die moralische Ebene hebt. Also es entsteht zum Beispiel ein Buch mit 64 Biografien, veröffentlicht von Annedore Leber und Willy Brandt. Annedore Leber ist die Witwe des im Widerstand umgekommenen Sozialdemokraten Julius Leber und Willy Brandt natürlich, der damalige regierende Bürgermeister von Berlin und spätere Bundeskanzler. Das Gewissen steht auf. Es geht jetzt um Gewissen. Es geht um die Frage haben Menschen ehrenhaft gehandelt? Also es geht weniger um konkrete Ziele als um eine moralische Rechtfertigung. Und das hält sich lange durch bis weit in die 60er Jahre hinein. In den 60er Jahren fangen dann einige vorwitzige Nachwuchshistoriker an, noch mal am Lack zu kratzen und darunter eben doch nach den politischen Zielvorstellungen zu schauen. Hans Mommsen und Hermann Graml vom Institut für Zeitgeschichte sind da somit die ersten. Und siehe da also so ganz ist das nicht identisch mit dem, wofür die Bundesrepublik steht. Und dafür ernten sie übrigens wütende Proteste. Also wer auf diese Art am Denkmal kratzt, der macht sich zunächst mal keine Freunde. Trotzdem wird dann in den 70er Jahren immer offener danach gefragt. Und das wird dann auch das Problem. Wenn ich die nämlich alle als moralische Helden darstelle und plötzlich kommt einer und sagt: „Aber sie waren auch an den Verbrechen des Regimes beteiligt.“, dann habe ich ein Problem.
Frank Reichherzer: Das macht es genauso spannend, finde ich, am 20. Juli und ihn zu betrachten, dass keiner als Held oder als Widerständler geboren wird, sondern die Wege in den Widerstand, die am 20. Juli so deutlich werden, das Mitgehen mit dem Regime. Ab wann sind eigentlich die Kipppunkt in den Widerständlern und auch Widerständlerinnen, wo man zu dem Punkt kommt bis hierhin und nicht mehr weiter? Deswegen glaube ich, dass genau diese Verzahnung von Mitmachen teilweise auch Rollen im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg einzunehmen, aber dann auch die, die Wendepunkte, die sind doch hier viel deutlicher und auch klarer. Und auch für die Forschung, denke ich, so interessant. Und wenn wir jetzt den 20. Juli aus der Erinnerungskultur wieder zurück in die Wissenschaft bringen, so wie Sie das getan haben, finde ich, das ist ein extrem wichtiger Punkt, zeigt uns auch viel und kann spannendere Geschichten erzählen, als das vielleicht einige Hollywoodblockbuster kennen. Sondern wir kommen ja viel näher auch an eine Geschichte des Nationalsozialismus und auch ein richtigeres Bild von Mitmachen, Wegschauen, aber dann auch Handeln. Das, glaube ich, ist etwas, was den 20. Juli auch als Forschungsgegenstand so spannend macht. Und das ist auch ein Punkt, den wir hier auch in Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr mit einem Dossier, das Sie auf unserer Homepage finden können, wo Sie sich dann auch noch tiefer über den 20. Juli informieren können. Was wären denn Ihre Literaturtipps für unsere Zuhörer, außer Ihrem Buch?
Winfried Heinemann: Ja, mein Buch würde ich natürlich auch empfehlen, aber das gehört sich nicht so, also gut, als Einstiegsdroge denke ich, es ist immer noch Peter Hoffmanns Stauffenberg-Biografie. Die ist nicht mehr ganz neu, aber sie ist voller Fakten. Sie ist flüssig geschrieben und auch durchaus spannend. Manchmal wird man sich ein bisschen mehr Interpretation wünschen, aber die würde ich jeden, den das Thema ernstlich interessiert, empfehlen. Wer es ein bisschen eingängiger haben möchte, dem würde ich empfehlen Nils Schröder, 20. Juli 1944, Biografie eines Tages. Das ist ein Graphic Novel, aber sehr gründlich recherchiert, sehr solide gearbeitet und auch insofern rundum empfehlenswert für den, der so etwas mag. Wissenschaftlern würde ich vielleicht Linda von Keyserlingk Buch empfehlen, Eine ganz kleine Clique. Das ist eine Netzwerkanalyse, die zeigt auf, wer eigentlich mit wem wie verbunden war. Sie zeigt übrigens auch auf, wie viele Verschwörer von der Gestapo nie erfasst worden sind und deshalb überlebt haben. Das ist inhaltlich eine echte Bereicherung der Widerstandsforschung gewesen, als das erschienen ist. Und es ist auch methodisch für die Geschichtswissenschaft eine Bereicherung. Ich glaube, diese Netzwerkanalyse, die hier somit das erste Mal zur Anwendung kommt, das ist ein einen Forschungstool mit Zukunft. Also die drei Bücher kann man sicher für die jeweilige Zielgruppe guten Gewissens empfehlen.
Frank Reichherzer: Winfried Heinemann Vielen Dank! Danke, dass Sie uns mit in den 20. Juli in eine Militärgeschichte des 20. Juli genommen haben und dass wir auch einen tieferen Einblick in das, was man vielleicht als Operation oder Unternehmen, besser gesagt Walküre, kennengelernt hat. Vielen Dank! Ich habe mich sehr gefreut und auch ein Sie an den Endgeräten. Schalten Sie wieder ein, wenn es heiß zugehört. Der Podcast des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.