"Seines Wertes bewusst! General Josef Kammhuber" Transkript

"Seines Wertes bewusst! General Josef Kammhuber" Transkript

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Herzlich willkommen zu „Angelesen! Dem Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Heute stellen wir den Beitrag von Wolfgang Schmidt über den ersten Inspekteur der Luftwaffe mit dem Titel „Seines Wertes bewusst“! General Josef Kammhuber“ vor. Er findet sich in: Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biografien. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Helmut R. Hammerich und Rudolf J. Schlaffer, S. S. 351-381. Er erschien im Jahr 2011 im Oldenbourg-Verlag. Seinen Spitznamen „Wurzelsepp“ verdankte er vermutlich einer Karl-May-Figur, die nach ihm benannte „Linie“ aus Radarstellungen und Nachtjägern im Zweiten Weltkrieg machte einen Teil seiner Bekanntheit aus. Zudem war er der erste und einzige Inspekteur der Luftwaffe, der den Rang eines Vier-Sterne-Generals bekleidete. Die Rede ist von Josef Kammhuber. Der Veteran beider Weltkriege wurde 1896 in Burgkirchen (Oberbayern) geboren, war 1914 Kriegsfreiwilliger und diente in der Königlich Bayerischen Armee bei den Pionieren sowie bei der Infanterie. Danach wurde er in die Reichswehr übernommen, im Rahmen der geheimen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion dort zum Militärpiloten ausgebildet und erreichte in der Luftwaffe der Wehrmacht 1943 den Dienstgrad „General der Flieger“. Nach Kriegsende und Kriegsgefangenschaft betätigte er sich als Weinhändler, wurde dann in die Luftwaffe der Bundeswehr übernommen, war von 1957 bis 1962 deren erster Inspekteur und gehört somit zur Gründergeneration der Bundeswehr. Er starb 1986 im 89. Lebensjahr in München.

Warum wurde er Inspekteur der Luftwaffe der Bundeswehr? Wie tief gründete seine Verankerung im Vergangenen und wie weit ging die Anpassung an die neue Zeit? Waren die politischen Bedingungen, unter denen die Bundeswehr von altem, kooperationsbereitem Personal inszeniert wurde, allenfalls Etikett und kaum verinnerlicht? Unter diesen Fragestellungen untersucht der Historiker Wolfgang Schmidt den Lebensweg Kammhubers. Wie alle höheren Offiziere der Wehrmacht, die in die Bundeswehr übernommen werden sollten, musste sich auch Kammhuber den Fragen des Personalgutachterausschusses stellen. Alle Bewerber mussten ihre persönliche Bewertung des 20. Juli 1944, also des Attentates auf Adolf Hitler, abgeben. Genau hier, wie auch bei anderen Fragen zum Leben Josef Kammhubers, beginnt das Problem der historischen Zunft: Die Akten des Ausschusses sind nicht erhalten. Nämliches gilt für einen nicht geringen Teil von Kammhubers militärischem Wirken bis 1945. Hier gibt es leider nur Bruchstücke, hier muss auf andere Quellen zurückgegriffen werden. Zudem hat Kammhuber selbst einen großen Teil seines eigenen Briefwechsels vernichtet.

Warum wurde er Inspekteur der Luftwaffe der Bundeswehr? Adolf Heusinger, der spätere erste Generalinspekteur der Bundeswehr, antwortete auf die Frage eines USUnited States-Soziologen, welche Generale der Wehrmacht denn für die künftige Bundeswehr in Frage kämen:  solche, die über „Erster-Weltkriegs- und Reichswehr-Erfahrung“ verfügten. Denn es bedurfte „Fachleute für Organisation, inneres Gefüge und Ausbildung“. Das Reservoir allerdings bewertete er als eher durchmischt: „Nazis, angepasste Opportunisten und jene, die Widerstand geleistet hätten“. Der Soziologe bewertete die Aussage dahingehend, „dass für Heusinger die Experten aus dem Kreise der Generale mit opportunistischer Haltung kommen würden“. Für Kammhuber sprach seine fachliche Qualifikation. Der Weltkrieg-I-Veteran hatte bereits zu Reichswehrzeiten eine geheime und nicht so genannte Generalstabsausbildung absolviert.  Er hatte sich im Truppenamt mit Luftkrieg befasst, war im Reichsluftfahrtministerium eingesetzt, hatte mit Luftrüstung zu tun, wurde Kommodore eines Kampf- sprich Bombergeschwaders und schließlich verantwortlich für die deutsche Nachtjagd gegen die alliierten Bomber. Er hatte damit bis 1943 an hoher Stelle Nachtjäger, Radar, Gefechtsstände, Flugmeldedienst und in Teilen auch die Flak zu koordinieren. Von 1943 bis 1945 diente er in Norwegen. Er galt als glänzender Organisator, war von seinen Fähigkeiten sehr überzeugt, oder wie es im Titel heißt, sich „Seines Wertes bewusst“, war zielstrebig, durchsetzungsstark und hielt an einer einmal getroffenen Entscheidung beharrlich fest. Zudem war er nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft bereit, mit den Alliierten zu kooperieren. So fertigte er im Rahmen der USUnited States Historical Division Studien zur jüngsten Luftkriegsgeschichte und zum Luftkrieg an. Er erhielt im neugegründeten Amt Blank 1955 zunächst einen Sachverständigen-Vertrag, in dessen Rahmen er ebenfalls eine Studie zum zeitgenössischen Luftkrieg und zu einer künftigen Luftwaffe, insbesondere zur Heimat-Luftverteidigung anfertigte. Deren Titel lautete: Einsatz und Führung der bodenständigen Luftverteidigung unter besonderer Berücksichtigung der Bodenabwehr und ihrer Zusammenarbeit mit der Luftabwehr“. Zudem kannte er Adolf Heusinger noch von seiner Generalstabsausbildung bei der Reichswehr. Kammhuber wurde nach Absolvierung einer viermonatigen Eignungsübung am 1. Oktober 1956 als Generalleutnant in die Bundeswehr übernommen und wurde 1957 Inspekteur der Luftwaffe.

Wie tief gründete seine Verankerung im Vergangenen und wie weit ging die Anpassung an die Bedingungen der neuen Zeit? Wolfgang Schmidt unterscheidet hier ganz zu Recht zwischen dem militärischen, damit auch strategischen und taktischen und dem politischen Denken Kammhubers. Als Inspekteur hatte er 1959 vor Generalen und Stabsoffizieren der Luftwaffe intern geäußert: „Es geht bei der Ausrüstung der Luftwaffe mit A[tom]-Bomben und A[tom]-Raketen darum, ein Verteidigungs-deterrent zu schaffen. Während der Angreifer seine Angriffe auf das militärische Potential richten wird, muss der Verteidigungsdeterrent darauf abgestellt sein, den Feind in seiner Bevölkerung und Wirtschaftskraft dort zu treffen (also ausgemachte Terrorwirkung). Unter diesen Aspekten muss die Ausstattung der Luftwaffe mit Atom-Bomben erfolgen. Durch entsprechende Dislokation und ein entsprechendes hardening muss sichergestellt sein, dass bei einem feindlichen A-Angriff einige Verteidigungswaffen überleben, um den vernichtenden Schlag gegen den Lebensraum des Feindes zu führen“. Diese Forderung nach atomarer Bewaffnung könnte, diese Frage stellt Schmidt, als „Merkmal eines modernisierungsgeleiteten Denkens“ gewertet werden. Ähnliches galt für seine Überlegungen zur Luftverteidigung. Dort hatten „Flieger, und Flugmeldewesen“ ein „Ganzes (Teamwork)“ zu bilden. Daher war ihm ein Frühwarnsystem so enorm wichtig, denn, „Sinn der Heimatluftverteidigung ist der Schutz unseres Vaterlandes“, so Kammhuber 1956. Gleichsam war ihm und den meisten anderen Planern klar, dass eine solche Luftwaffe und eine solche Heimatluftverteidigung nie allein, sondern nur gemeinsam mit den NATO-Partnern, speziell mit den Amerikanern, möglich war. Somit waren deren „Technologie, Organisation, Ausbildung und Einsatzverfahren“ zu übernehmen. „Kammhuber wusste um den zentralen Stellenwert der Technik“, der aber, so Schmidt, nicht allen Luftwaffenoffizieren bewusst war. Die Anfangsplanungen der Luftwaffe unter Kammhuber musste allerdings der aktuellen Situation angepasst werden, sie galt in der NATO als zu stark national „und die Defensive augenscheinlich zu stark akzentuierend. Denn es galt die Strategie der massiven Vergeltung, wozu eine starke atomare Bewaffnung notwendig war. Kammhuber erklärte 1959 den Kommandeuren der Luftwaffe: „Alle Offiziere der Luftwaffe sind damit vertraut zu machen, dass die Luftwaffe mit dem Ziel aufgestellt wird, einen Atomkrieg zu führen. Ein konventioneller Krieg ist bei der russischen Überlegenheit an konventionellen Waffen nicht denkbar“. Die Folge war die Suche nach einem Waffensystem, das als Träger für Atomwaffen geeignet war.  Die Entscheidung fiel unter der militärischen Verantwortung Kammhubers zugunsten der F-104 G „Starfighter“. Hier allerdings verfiel er in klassisch deutsches militärisches Denken, wonach Rüstung mit Blick auf den Gegner sich nicht nur in Zahlen, sondern auch in einem „Plus an moralischen Kräften“ äußere, durch die „das Gleich- oder Übergewicht“ angestrebt werden könne. Er ging davon aus, dass die Luftwaffe den Starfighter schon beherrschen werde.  Vor den ersten Strahlflugzeugführern der Luftwaffe beschwor er 1956 nicht das nun entstandene Neue. Er sprach mit Blick auf die Luftwaffe vom „Tag ihrer Wiedergeburt“. Zudem lag er mit seiner Betonung der atomaren Dimension auf der Linie des Bundesministers der Verteidigung Franz Josef Strauß, der die Beförderung Kammhubers zum (Vier-Sterne-) General durchsetzte. Kammhuber war bekannt dafür, dass er an einmal getroffenen Entscheidungen festhielt. Den sich langsam abzeichnenden Wandel von der Massiven Vergeltung zur Flexiblen Reaktion mit stärkeren politischen und diplomatischen Möglichkeiten sowie einer Betonung der konventionellen Kräfte war nicht mehr in seinem Sinne.

Waren die politischen Bedingungen, unter denen die Bundeswehr von altem, kooperationsbereitem Personal inszeniert wurde, allenfalls Etikett und kaum verinnerlicht? Schmidt arbeitet mit Blick auf die Jahre bis 1945 zum einen Kammhubers „generalstabsmäßigen Realitätssinn heraus, der sich auch und gerade im Krieg darin zeigte, dass er grundsätzlich gehorsam war, fachlich gegebenenfalls widersprach aber immer loyal war. Schmidt nennt das „Gehorsam im Widerstreit als ein vor allem im Erfahrungsraum Krieg nicht zu sprengendes Loyalitätsdispositiv“. Zum anderen verweist Schmidt darauf, dass Kammhuber „neben Einsatzbereitschaft und trotz rationalem Erkennen der militärischen Lage eine hohe Regimeloyalität [aufwies], die auf das Trauma 1918 und die Dolchstoß-Legende zurückzuführen“ sei. Allerdings war Kammhuber wohl auch in der Endphase des Krieges kein Fanatiker. Strauß sprach ihm 1961 zwar „militärpolitisches Denken“ zu. Allerdings schien Kammhuber die Bedingungen von Militär in einer parlamentarischen Demokratie und insbesondere das Recht des Bundestages nach den entsprechenden Meinungsbildungsprozessen über den Haushalt zu beschließen, nicht so recht verinnerlicht zu haben. So soll Kammhuber wiederholt Bedenken seiner Mitarbeiter hinsichtlich der Finanzierbarkeit von Rüstungsgütern mit den Worten „fragen Sie nicht immer nach dem Geld, das bekomme ich schon“ zurück- und zurechtgewiesen haben. Die Offiziere des eigenen Führungsstabes „kritisierten seine schiefe Perzeption des Finanzrahmens einer innerhalb demokratischen Strukturen politisch eingehegten Streitmacht“. Hinzu kam die Überbetonung des „ich“, die wohl auf Ablehnung stieß: „ich kaufe Flugzeuge, ich habe mit dem Kanzler gesprochen, ich befördere usw.“.  Dazu gesellte sich ein gewisser Kulturpessimismus, der damals innerhalb der militärischen Führung nicht unüblich war. Kammhuber beklagte 1960 die „geistige Schwäche und politische Armut des Westens zum Schutze der Freiheit“. Diese müssten, so der General weiter, „überwunden werden“. Er forderte von den Kommandeuren der Luftwaffe, „Kampf-Einheiten zu schaffen, die den Willen zur Verteidigung und zum Schutz der eigenen und der westlichen Freiheit haben und als ihr höchstes Ziel ansehen“. Schmidt stellt die Frage, ob dies als Zeichen eines persönlichen demokratischen Wandlungsprozesses gewertet werden kann. Er stellt allerdings fest, dass es darauf keine befriedigende Antwort gibt, u.a. aus Quellenmangel. Schmidt schlägt vor, dass sich ein solcher Antwortversuch immer „daran messen“ lassen muss, „wie Kammhuber seine loyale Rolle bis 1945 bewertet haben mag“. Ganz im Gegensatz zu Heusinger aber liegt ein solches Dokument aus der Feder Kammhubers schlicht nicht vor.

Laut Wolfgang Schmidts Abschlussbilanz zeigt Kammhubers Lebenslauf beispielhaft, dass er zu den Teilen der militärischen Elite gehörte, denen militärfachlich das Umdenken und das Zurechtfinden in den neuen Verhältnissen wenige Probleme bereitete. Schmidt führt das darauf zurück, dass sich in dieser Zeit Luftkriegsmittel sowie ihr Einsatz ständig veränderte und somit auch neue Lösungen gefunden werden mussten. Dies äußerte sich besonders bei Kammhuber im „erkennbare[n] rasche[n]  und nachhaltige[n]  Umschwenken auf die und das Beharren auf der nuklearen Linie […]“. In diesem Punkt kann er als damals „moderner“ General gewertet werden. Allerdings erkannte er die „politischen Tragweiten des militärischen Handelns – willentlich oder wissentlich -, wenn es außerhalb der Sphären machtpolitischer Ordnungsvorstellungen lag“ eher weniger. Die Idealvorstellungen „des politischen Offiziers einer Armee in der Demokratie“, wie sie Generalleutnant Wolf Graf von Baudissin forderte, aber erfüllte Josef Kammhuber eher nicht.  Er war „in diesem Sinn nur bedingt ein moderner General“.

Der Aufsatz von Wolfgang Schmidt erschien 2011 in einem Sammelband, in dem es aus historischer Warte um die Gründergeneration der Bundeswehr ging. Die neuen Traditionsrichtlinien von 2018 gab es damals natürlich noch nicht, zudem fragte der Aufsatz nicht nach der etwaigen Traditionswürdigkeit General Kammhubers. Mit Blick auf den neuen Erlass aber kann festgestellt werden: Kammhuber ist eine hochinteressante Person aus den Anfangsjahren der Bundeswehr. Es lohnt sich in jedem Fall sich im Bereich der Forschung und der historischen Bildung mit ihm zu beschäftigen. Gerade die Einführung der F-104 G Starfighter bietet viele Erkenntnisse für den Zusammenhang zwischen Politik, Militärstrategie und dem Organisationsinteresse der Luftwaffe. Das Militärfachliche dominierte stark, das politische Mitdenken und das demokratische Bekenntnis waren eher weniger ausgeprägt. Gleichwohl ist Kammhuber eine herausragende Figur der Gründergeneration der Bundeswehr mit großen Verdiensten für den Aufbau der Deutschen Luftwaffe und deren Integration in die NATO. Dies ist umso verdienstvoller, als die Luftwaffe in der damaligen Strategie der Massiven Vergeltung die wichtigste Teilstreitkraft der Bundeswehr war.

Das war „Angelesen! Das Buchjournal des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.„ Heute zum Beitrag von Wolfgang Schmidt „Seines Wertes bewusst“! General Josef Kammhuber vor Er findet sich in: Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biografien. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Helmut R. Hammerich und Rudolf J. Schlaffer, S. S. 351-381. Er erschien im Jahr 2011 im Oldenbourg-Verlag.

Gelesen von Harald Potempa

von Harald Potempa

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