Zehn Jahre in Mali - Das ernüchternde Ende
Hauptmann Dr. Torsten Konopka ist Lehrbeauftragter an der Professur Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam und hat zum Thema „Deutsche Blauhelme in Afrika“ promoviert. In seiner Arbeit betrachtet er den zehnjährigen Einsatz der Bundeswehr im westafrikanischen Mali. Der Text gibt seine persönliche Einschätzung und Meinung wider.
Mit dem Abzug der letzten deutschen Kräfte aus dem westafrikanischen Mali im Dezember 2023 endete nach dem Einsatz in Afghanistan zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre ein Auslandsengagement der Bundeswehr auf ernüchternde Weise. Ohne die nominell gesetzten Ziele, das friedliche Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen, den Aufbau stabiler staatlicher Strukturen und einen autarken malischen Sicherheitssektor erreicht zu haben, hatten die sich 2020 beziehungsweise 2021 an die Macht geputschten malischen Militärs in der fortwährenden Präsenz internationaler Einheiten – inklusive der deutschen – keinen Nutzen mehr gesehen.
Trotz einer sich stetig verschlechternden Sicherheitslage kündigten sie das Engagement im Sommer 2023 einseitig auf. Dass es zur Entzweiung zwischen der malischen Militärregierung und insbesondere den westeuropäischen Staaten kam, ging neben nicht zu verkennenden innermalischen Herausforderungen bei der Beilegung interner Konflikte und nur zögerlicher Absichten zu grundlegenden Reformen auch auf ein mangelndes Verständnis westeuropäischer Entscheidungsträger für lokale Belange und eine nicht zu erkennende Bereitschaft zurück, den Forderungen der malischen Administration – selbst vor der Machtübernahme der Militärs – im vollen Umfang zu entsprechen.
Ursachen und Konfliktverlauf
Die Präsenz internationaler Truppen in Mali ging auf einen Konflikt im Norden des Landes zurück. Ausgebrochen war dieser Anfang 2012, nachdem der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi 2011 im Zuge einer NATO-Intervention gestürzt wurde und anschließend Hunderte, teils schwer bewaffnete malische Kämpfer aus Libyen nach Mali zurückkehrten, die zuvor für Gaddafi gekämpft hatten. Die überwiegend aus der Ethnie der Tuareg stammenden Kämpfer schlossen sich nach ihrer Rückkehr mit einem Teil der nordmalischen Bevölkerung zusammen, der aufgrund einer empfundenen Marginalisierung sowie fehlender wirtschaftlicher und politischer Teilhabe unzufrieden mit der Politik der Zentralregierung war.
Gewaltsam strebten sie nach größerer politischer Unabhängigkeit ihrer Region. Unterstützung erhielten sie von dschihadistischen Kämpfern, die seit Ende der 1990er-Jahre im Norden Malis operierten. Durch einen Militärputsch Ende März 2012 in der Hauptstadt Bamako im Süden Malis zusätzlich geschwächt, hatte die malische Administration dem Aufstand wenig entgegenzusetzen. In kürzester Zeit eroberten die bewaffneten Gruppen alle wichtigen Städte Nordmalis. Am 6. April 2012 riefen die Rebellen ihren eigenen Staat „Azawad“ mit ihrer neuen Hauptstadt Gao aus.
Das Bündnis zwischen Sezessionisten und Dschihadisten währte aber nur kurz. Nach Meinungsunterschieden über das weitere Vorgehen drängten die Dschihadisten die nach territorialer Unabhängigkeit strebenden Rebellen im Laufe des Jahres aus den meisten Gebieten zurück. Im Januar 2013 gingen sie im Zentrum Malis selbst in die Offensive.
Auf Bitten der malischen Übergangsregierung intervenierten die ehemalige Kolonialmacht Frankreich (Opération Serval) und afrikanische Kräfte (AFISMAAfrican-led International Support Mission to Mali, African-led International Support Mission to Mali) umgehend militärisch, um den Vormarsch der Extremisten Richtung Süden zu stoppen. In kürzester Zeit befreiten die internationalen Truppen die größten Städte Nordmalis und ebneten den Weg für ein größeres internationales Engagement zur Stabilisierung des malischen Staates und zur Reform von dessen Sicherheitssektor.
Internationale Konfliktbewältigung
Bereits am 12. Oktober 2012 hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (United Nations Security Council, UNSC) seine Mitgliedstaaten und ausdrücklich auch die Europäische Union (EU) in Resolution 2071 dazu aufgerufen, die malischen Sicherheitskräfte dabei zu unterstützen, die Einheit und die territoriale Integrität Malis wiederherzustellen bzw. aufrechtzuerhalten.
In Reaktion darauf beschloss der Rat der Europäischen Union am 17. Januar 2013 die Aufstellung einer zunächst auf ein Jahr begrenzten Ausbildungsmission: der European Union Training Mission in Mali (EUTMEuropean Union Training Mission Mali). Ursprüngliches Ziel der Mission war es, durch Beratung und Ausbildung von zunächst vier – später acht – malischen Gefechtsverbänden zur Stärkung der malischen Streitkräfte beizutragen.
Das Mandat der EUTMEuropean Union Training Mission Mali wurde in den folgenden Jahren fünf Mal verlängert und entsprechend der (sicherheits-)politischen Entwicklungen in Teilen – aber stets nur zögerlich – angepasst, zuletzt im März 2020 mit einer Laufzeit von vier Jahren bis zum Frühjahr 2024. Anstelle einer nur zentralisierten Ausbildung in Koulikoro, rund 60 Kilometer nordöstlich von Bamako gelegen, erfolgte ab dem dritten Mandat eine zunehmend dezentrale Ausbildung malischer Einheiten in den unterschiedlichen Garnisonen des Landes. Dies war zuvor schon länger von den Missionskommandeuren gefordert worden.
Neu im fünften Mandat war auch die Beratung und Ausbildung von Streitkräften der Nachbarstaaten, insbesondere in Burkina Faso und der Republik Niger, wo sich zwischen 2018 und 2022 auch die Spezialkräfte der Bundeswehr mit der Joint Special Operations Task Force (JSOTF) Gazelle engagierten.
Im April 2013, parallel zum Beginn der EUTMEuropean Union Training Mission Mali, beschloss der UNSC zur Ablösung der AFISMAAfrican-led International Support Mission to Mali in Resolution 2100 die Aufstellung einer eigenen Stabilisierungsmission: Die Mission Multidimensionnelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali (MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali). Ihre Stärke belief sich nominell zunächst auf 11.200 Soldatinnen und Soldaten sowie 1.440 Polizistinnen und Polizisten. Ab dem 1. Juli sollte sie zunächst die Ballungszentren Nordmalis stabilisieren, beim politischen Übergang helfen und in ihrem Stationierungsraum die Zivilbevölkerung schützen.
Von Beginn an erhielt die Mission dazu ein robustes Mandat. Unter Bezug auf Kapitel VII der UNUnited Nations-Charta war sie autorisiert, alle erforderlichen Mittel, also auch militärischen Zwang, zur Durchsetzung ihres Auftrags anzuwenden. Ausdrücklich davon ausgenommen war jedoch jede Form der Aufstandsbekämpfung. Diese wurde den vor Ort verbleibenden französischen Truppen – aus der Opération Serval wurde im August 2014 die Opération Barkhane – überlassen.
Angesichts ihrer Zielsetzung geriet aber auch die MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali von Beginn an ins Visier dschihadistischer Gewalt. Die Dschihadisten waren durch die französisch-afrikanische Intervention zwar stark dezimiert, aber nicht besiegt worden. Infolge von Hinterhalten mit improvisierten Sprengfallen, Selbstmordanschlägen oder Raketen- und Mörserangriffen verloren bis Ende 2023 über 170 Angehörige der MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali ihr Leben. So viele wie noch nie zuvor in einer UNUnited Nations-Mission. Zwar konnte 2015 zwischen der malischen Regierung und einem Teil der im Norden Malis aktiven Gruppen ein Friedensvertrag unterzeichnet werden, da dieser aber nicht die Dschihadisten umfasste, blieb die Lage angespannt. Seit 2015 nahm die Gewalt insbesondere im Zentrum Malis erneut zu. Lokale Dschihadisten begannen darüber hinaus auch Teile Burkina Fasos und Nigers zu destabilisieren.
Die MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali, die nach 2015 vorrangig die Umsetzung des Friedensvertrages unterstützen sollte, hatte dieser Entwicklung – auch aufgrund fehlender Unterstützung der malischen Administration – nur wenig entgegenzusetzen. In Teilen fehlten ihr schlicht die Fähigkeiten und – trotz einer zumindest nominellen Aufstockung auf bis zu 13.289 Soldatinnen und Soldaten sowie 1.920 Polizistinnen und Polizisten – das Personal, um ihr Mandat auf einem Gebiet mit etwa der doppelten Größe Deutschlands effizient ausfüllen zu können. Durch die asymmetrische Kriegführung ihrer Gegner wurde ein beträchtlicher Teil der Mission im Selbst- und Konvoischutz gebunden. Ihr Wirken außerhalb der – teilweise vielen vereinzelten – UNUnited Nations-Basen und den größten Ballungsräumen blieb daher beschränkt, was ihrem Ansehen in der malischen Gesellschaft nachhaltig schadete.
Die Mitglieder des UNSC lehnten es derweil ab, der MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali ein offensiveres Mandat zu geben und die UNUnited Nations-Truppen, wie von malischer Seite erhofft, neben ihren Streitkräften kämpfen zu lassen. Als sich die an die Macht geputschten malischen Militärs Ende 2021 Hilfe aus Russland suchten und zusammen mit russischen Kräften gravierende Menschenrechtsverletzungen begingen, entzweiten sich die malische Militärregierung und die internationale Gemeinschaft vollends.
Da die Vereinten Nationen unwillig schienen, den (Sicherheits-)Interessen der malischen Militärs zu entsprechen, dafür aber immer stärker den schleppenden politischen Übergang zu einer Zivilregierung sowie die Menschenrechtsverletzungen der malischen Streitkräfte und ihrer russischen Partner anprangerten, sah die malische Militärregierung keinen Nutzen mehr in der MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali. Ende Juli 2023 forderte sie das sofortige Ende der Mission. Ohne Zustimmung des Gastlandes blieb den Vereinten Nationen keine andere Wahl, als ihre Truppen bis zum 31. Dezember 2023 abzuziehen. Zuvor hatte sich die malische Militärregierung bereits mit Frankreich überworfen. Die letzten Soldaten der Opération Barkhane verließen das Land im August 2022.
Die Beteiligung der Bundeswehr an der EUTMEuropean Union Training Mission Mali
Die Bundesrepublik avancierte in der EUTMEuropean Union Training Mission Mali von Beginn an zu einem der prägendsten Truppensteller, der wichtige Fähigkeiten einbrachte, diplomatisch beziehungsweise politisch aber auch für Beschränkungen sorgte. Vier Mal stellte Deutschland den Kommandeur der EUTMEuropean Union Training Mission Mali, durchweg wurden Schlüsselpositionen in der Mission besetzt und insbesondere mit der Übernahme der medizinischen Versorgung zwischen 2013 und 2020 eine ihrer wesentlichsten Komponenten gestellt.
Gleichzeitig gingen aber auch einige der größten Beschränkungen der Mission mit auf die zurückhaltende und risikoaverse Haltung der deutschen politischen Entscheidungsträger zurück. Hierunter fielen zunächst der Stationierungsort der Mission in Koulikoro im Süden, fernab der Konflikträume im Norden.
Im Laufe der Zeit hatte die malische Armee immer größere Probleme, ausreichend Trainingsteilnehmer bereitzustellen. Ausgefallene Lehrgänge und beschäftigungslose EU-Ausbilder waren die Folge. Zum Missfallen der malischen Administration war die EUTMEuropean Union Training Mission Mali auch nicht mit der Lieferung von Waffen und weiterem, dringend benötigtem militärischem Gerät verbunden, obwohl die malische Armee gravierende Verluste zu beklagen hatte: Laut Angaben der Vereinten Nationen waren es zwischen 2016 und 2021 über 1.000 Gefallene und rund 1.300 Verwundete.
Die größte Hypothek der Mission war aber wohl das europäische Verbot, die ausgebildeten malischen Truppen in den Einsatz begleiten zu dürfen. Eine enge Bindung an die malischen Kräfte und ein Verständnis für deren Bedürfnisse war so nur bedingt möglich. Auch wenn ab 2016 immer häufiger in der Fläche ausgebildet wurde, Deutschland gepanzerte Fahrzeuge des Typs Casspir lieferte und der Mission im fünften Mandat die „Begleitung [der malischen Truppen, T.K.] ohne Exekutivbefugnisse bis zur taktischen Ebene“ erlaubt wurde, erschwerten die politischen Auflagen der europäischen Mitgliedstaaten den Erfolg der Mission.
Die Hinwendung der malischen Militärs zu Russland ist vor diesem Hintergrund auch den europäischen Regierungen selbst anzulasten. Offenkundig waren sie nicht im notwendigen Umfang willens oder in der Lage, die malische Administration im gesamten Spektrum zu unterstützen, während sich diese ihrer Auffassung nach in einem durch äußere Ereignisse, nämlich der NATO-Intervention in Libyen, aufgezwungenen Konflikt befand und sich lediglich verteidigte. Allerdings hatten beide Seiten auch von Beginn an unterschiedliche Vorstellungen, wen es zu bekämpfen galt. Während die EU die Dschihadisten als Bedrohung erkannte, sah sich die malische Administration in erster Linie von den nominell säkularen Rebellen herausgefordert, mit denen sie Ende 2023 wieder offen in den Konflikt trat.
Die Beteiligung der Bundeswehr an der VN-Mission MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali
Von Beginn an beteiligte sich die Bundesrepublik auch an der UNUnited Nations-Mission MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali. Drei Transall-Transportmaschinen und ein Airbus A-310-Tankflugzeug, deren Auftrag seit Anfang 2013 die Versorgung der französischen beziehungsweise afrikanischen Interventionskräfte war, wurden im Juli 2013 der MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali unterstellt. Bereits ein Jahr später verzichteten die Vereinten Nationen jedoch schon wieder auf die Dienste der betagten Transall.
Die Stärke der deutschen MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali-Beteiligung fiel im Oktober/November 2014 auf sechs Soldatinnen und Soldaten. Überwiegend handelte es sich hierbei um Angehörige des Stabes der UNUnited Nations-Mission und einige Analysten in der zunächst unter niederländischer Führung stehenden Nachrichtenkomponente der „All Source Information Fusion Unit“ (ASIFUAll Sources Information Fusion Unit). Den substanziellen deutschen MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali-Einstieg mit zunächst nominell bis zu 650 Soldatinnen und Soldaten brachten die Bundesressorts erst im Spätsommer/Herbst 2015 auf den Weg.
Insbesondere zur Entlastung der sich aus dem Einsatz zurückziehenden Niederlande wurden Anfang 2016 auf Beschluss des Bundestages unter anderem deutsche Aufklärungs-, Sicherungs- und Unterstützungskräfte in den Norden Malis entsandt. In Gao kamen sie – räumlich getrennt von den restlichen, überwiegend afrikanischen und asiatischen MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali-Kräften – im niederländisch geführten Feldlager „Camp Castor“ unter. Ende 2017 übernahmen die deutschen Truppen das Feldlager nach der Anhebung der nationalen Obergrenze auf bis zu 1.100 Soldatinnen und Soldaten sogar in gänzlicher Verantwortung.
Bereits zu Beginn des Jahres hatte die Bundeswehr auch die zuvor von den Niederländern für den Sektor Ost der MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali gestellten luftbeweglichen Fähigkeiten für eineinhalb Jahre durch NHNATO-Helicopter-90-Transport- und Tiger-Kampfhubschrauber ersetzt. Im Juli 2017 stürzte einer der Kampfhubschrauber während eines Einsatzes nordöstlich von Gao durch einen technischen Defekt ab. Beide Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Zusätzlich verübten im Juni 2021 Dschihadisten rund 180 Kilometer nordöstlich von Gao einen Selbstmordanschlag auf abgesessene deutsche Kräfte. Zwölf deutsche und ein belgischer Soldat wurden teils schwer verwundet. Neben mehrfachen Vorfällen, bei denen deutsche Kräfte mit Kleinwaffen beschossen wurden, verdeutlichten diese Ereignisse eindrücklich die kontinuierliche Bedrohung des deutschen Kontingentes.
Trotz des beachtlich erscheinenden Engagements traf die nach den Putschen 2020/21 immer offener gegenüber der MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali geäußerte Kritik seitens der malischen Militärregierung zu einem großen Teil auch auf das deutsche Kontingent zu. Die malischen Militärs hatten offensive Aktionen der MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali und deren größere Präsenz in der Fläche gefordert. Zudem beklagten sie zu viele nationale Auflagen, die das Wirken der MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali erschwerten und einen fehlenden Informationsfluss, insbesondere von Aufklärungsergebnissen an die malischen Einheiten.
In der Tat standen viele deutsche Kräfte den Vereinten Nationen gar nicht direkt zur Verfügung, sondern dienten lediglich der Versorgung des deutschen Kontingents und der anderen europäischen Partner im Camp Castor. Laut Statistik der UNUnited Nations besaß die Bundesrepublik nie mehr als 700 Soldatinnen und Soldaten in der Mission. Im Unterschied zu den Vereinten Nationen rechnete die Bundeswehr beispielsweise auch das Personal am Flughafen in Niamey (Niger) zum deutschen Einsatzkontingent. Letzteres betrieb dort seit 2016 einen nationalen Lufttransportstützpunkt zur logistischen Versorgung und zur operativ-taktischen Unterstützung des deutschen Verbandes. Der malischen Bevölkerung oder dem malischen Militär kamen diese nationalen Kräfte allenfalls indirekt zugute, nicht aber als sichtbare Sicherheitsfaktoren in der Fläche.
Diejenigen deutschen Kräfte, die das Feldlager verließen, waren wiederum stark durch nationale Reglements beschränkt. Wie bei den meisten anderen europäischen Streitkräften limitierten enge zeitliche Vorgaben zur möglichen Verwundetenversorgung die – im Gegensatz zu vielen anderen Nationen bereits sehr große – Bewegungsfreiheit der gut ausgerüsteten deutschen Truppen. Allein aufgrund des riesigen Einsatzgebietes beschränkte sich diese ohne größere Vorbereitungen immer auf einen gewissen Radius um ihr Feldlager in Gao, während sich das Einflussgebiet dschihadistischer Gruppen außerhalb der Städte stets vergrößerte.
Wenig Nutzen sahen die malischen Militärs auch in den von Deutschland seit Ende 2016 der UNUnited Nations-Mission bereitgestellten Aufklärungsdrohnen des Typs Heron. Nach eigenen Angaben erhielten die wöchentlich in Gefechten stehenden Malier von diesen kaum Informationen. 2022 begannen sie, deren Nutzung durch hohe Auflagen zu unterbinden. Flüge mussten mindestens 72 Stunden im Voraus angemeldet und die finale Starterlaubnis noch einmal vom Kommandeur der malischen Streitkräfte in Gao eingeholt werden.
Zudem sperrte die malische Administration im Norden und Zentrum des Landes ganze Luftraumsektoren für eigene Operationen, sodass ein – in deutschem Verständnis – effektiver Einsatz der deutschen Aufklärungsfähigkeiten nicht mehr möglich war. Im Mai 2023 beschloss der Bundestag angesichts dieser Rahmenlage von sich aus – bei gleichzeitiger Nichtverlängerung der deutschen Beteiligung an der EUTMEuropean Union Training Mission Mali – den deutschen MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali-Einsatz zu beenden, obwohl die Sicherheitslage so schlecht war wie nie zuvor: 2023 starben im Konflikt weit über 5.000 Menschen, mehr als in jedem vorhergehenden Jahr, darunter einige Hundert bei Operationen malischer und russischer Kräfte.
Bewertung des deutschen militärischen Engagements
Nicht alles lief schlecht in den Einsätzen in Mali. Mit ihrem zehnjährigen Engagement trug die Bundeswehr dazu bei, die 2012/13 akut bedrohte Existenz des malischen Staates zumindest vorübergehend zu sichern. Insbesondere in und um Gao trugen die deutschen Soldatinnen und Soldaten bei der Mehrheit der dortigen Bevölkerung zu einem besseren Sicherheitsgefühl bei. Im Rahmen der EUTMEuropean Union Training Mission Mali unterstützte sie im wahrsten Sinne des Wortes ein europäisches Gemeinschaftsprojekt, an dem sich fast alle europäischen Staaten beteiligten und in dem täglich europäische Partnerschaft gelebt wurde. Nachhaltig verändern konnten die internationalen Truppen aber nur wenig. Dies wiederum lag nicht unbedingt an den Streitkräften selbst, sondern in erster Linie an der politischen Rahmenlage ihrer Entsendung.
Angesichts der komplexen Sicherheitslage lässt sich fragen, ob die Entsendung einer UNUnited Nations-Mission jemals das richtige Instrument war, um die Sicherheitslage in Mali zu stabilisieren. Es gab nie einen von allen Konfliktakteuren akzeptieren Friedensplan, die Gefahr dschihadistischer Gewalt blieb immer bestehen. Deutschland war mit Ausnahme der Jahre 2011/12 und 2019/20 kein Mitglied im UNSC und hatte nur geringen Einfluss auf die konzeptionelle Ausgestaltung der Mission. Wie andere Nationen auch, stellte die Bundesregierung den Vereinten Nationen dringend benötigte Fähigkeiten aber eher zögernd und mit nationalen Auflagen zur Verfügung. Eine Führungsrolle – außerhalb ihrer europäischen Blase – nahm die Bundesregierung nie ein, obwohl sie nicht müde wurde zu betonen, wie bedeutend die deutsche Präsenz in Mali sei.
Den deutschen Truppen in Gao fiel es wiederum schwer, sich als Teil der MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali zu identifizieren, agierten sie doch abgeschottet von den restlichen afrikanischen und asiatischen Truppen in einem eigenen Camp, ohne jedoch über eine eigene Raumverantwortung zu verfügen. Im Gegensatz zu vielen anderen Nicht-NATO-Staaten lackierte die Bundeswehr ihre Fahrzeuge auch nur selten im Weiß der Vereinten Nationen oder trug deren blaue Kopfbedeckungen. Nicht selten sprachen Analysten daher von einer Zweiteilung der MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali und einer europäischen „mission within the mission“.
Die europäischen Beschlüsse zur EUTMEuropean Union Training Mission Mali hatten die deutschen Entscheidungsträger dagegen vollends mitzuverantworten. Die Beibehaltung der konzeptionellen Defizite über Jahre hinweg müssen auch sie sich anlasten. Die Entscheidung zur Aufstellung eines von der EUTMEuropean Union Training Mission-Führung seit Ende 2015 erhofften und von der Bundeswehr bereitsausgeplanten Ausbildungszentrums für die malischen Streitkräfte in Sévaré (Zentralmali), das den malischen Bedürfnissen entgegengekommen wäre und die Bundesrepublik zur unumstrittenen Führungsnation der Mission gemacht hätte, kam zu spät und wurde nicht mehr umgesetzt.
Nach den Putschen von 2020/21 fielen einige deutsche Politiker indes verstärkt durch maßregelnde Äußerungen gegenüber den malischen Militärmachthabern und Forderungen nach schnellstmöglichen Wahlen auf. Auch wenn diese im demokratischen Verständnis berechtigt erschienen, verkannten die politischen Repräsentanten, dass die bloße Abhaltung von Wahlen im malischen Kontext keine Änderung der Strukturen hervorbringen konnte und von der Mehrheit der malischen Bevölkerung auch nicht als vordringlich erachtet wurde. Einer Umfrage der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung von 2022 zufolge befürwortete die malische Bevölkerung im Durchschnitt eine Transitionsphase von rund 44 Monaten. Zugleich zeigte sich die Mehrheit – vor allem in der Hauptstadt Bamako – mit dem Kurs der Militärregierung zufrieden. Rücksicht auf solche nationalen Belange nahm die Bundespolitik jedoch nicht.
Auch führten nicht der schleppende Friedensprozess, die Militärputsche oder die bereits in den Jahren 2013 bis 2021 wiederholt aufgetretenen Menschenrechtsverletzungen der malischen Sicherheitskräfte zum Überdenken der deutsch-malischen Beziehungen, sondern in erster Linie die Kooperation zwischen der malischen Militärjunta und russischen Kräften. Weil sie über ein Jahrzehnt nicht bereit gewesen waren, den malischen (Sicherheits-)Forderungen zu entsprechen, lag es auch an den Europäern und damit auch an den deutschen Repräsentanten selbst, dass sich die neuen malischen Machthaber andere Partner suchten.
Ihr in Mali vielfach als moralisch herablassend empfundenes – und von der malischen Militärregierung geschickt zur Festigung ihrer Position nach innen genutztes – Auftreten führte im Anschluss zum Bruch zwischen Westeuropäern und malischen Akteuren und zur massiven Beschränkung der EU-Mission sowie zum Ende des gesamten UNUnited Nations-Engagements. In der Rückschau wirkt das deutsche militärische Mali-Engagement daher wie ein großes Missverständnis, vor dessen Hintergrund der Abzug der deutschen Soldatinnen und Soldaten überfällig erschien.
Literaturtipps
Frankreich, Deutschland und die EU in Mali. Chancen, Risiken, Herausforderungen von Stefan Brüne, Hans-Georg Ehrhart, Heinz-Gerhard Justenhoven (Hrsg.): Baden-Baden 2015
Rebuilding Mali’s army: the dissonant relationship between Mali and its international partners von Denis M. Tull in: International Affairs, 95 (2019) 2, S. 405-422
Deutschlands Beteiligung an Einsätzen des UNUnited Nations-Peacekeeping. Der Fall MINUSMAUnited Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali von Markus Kaim in: ZFAS, 15 (2022), S. 307-326