61. Internationale Tagung für Militärgeschichte (ITMG)

Podiumsdikussion: Rechts(un)sicherheit in militärischen Auslandseinsätzen. Ein bericht

Podiumsdikussion: Rechts(un)sicherheit in militärischen Auslandseinsätzen. Ein bericht

Datum:
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4 MIN

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Die Abendveranstaltung mit einem Vortrag von PDPrivatdozent Dr. Marxsen und anschließender Podiumsdiskussion widmete sich der Frage nach der Rechts(un)sicherheit in militärischen Auslandseinsätzen.

Abendveranstaltung - 61. ITMG

Graphic Recording der Abendveranstaltung "Rechts(un)sicherheit: Grauzonen des Rechts und Auslandseinsätze der Bundeswehr" der 61. ITMG

ZMSBw/Nadine Rossa

Rechtssoziologie als Schlüssel

Professor Dr. Alfons Bora, Inhaber des Lehrstuhls für Rechtssoziologie an der soziologischen Fakultät der Universität Bielefeld, leitete in den Abend mit einer kurzen Geschichte der Rechtssoziologie ein und erläuterte nicht nur, was diese im Allgemeinen, sondern welchen Beitrag die Rechtssoziologie zum Tagungsthema auch speziell auf dem Feld der (Il)legalität militärischer Gewalt leistet. 

Rechtliche  Regularien für das Handlen von Soldaten und Soldatinnen

Dr. Henning de Vries vom ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr schloss daran mit einer kurzen Einführung in die Diskussionen um die verfassungsrechtlichen Entscheidungen zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr in den 1990er Jahren ein und spann den Bogen zu den Rules of Engagement, die zwar kein humanitäres Völkerrecht sind, jedoch das Verhalten der Soldatinnen und Soldaten und damit die Anwendung militärischer Gewalt im Einsatz regulieren sollen.

Notwendigkeit eines klaren Rechtsrahmens

PDPrivatdozent Dr. Christian Marxsen vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht votierte in seinem Eröffnungsvortrag über Grauzonen des Rechts und Auslandseinsätze der Bundeswehr dafür, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr einen klaren Rechtsrahmen brauchen und markierte in seinem Vortrag die zentralen Unsicherheiten, die sich für Soldatinnen und Soldaten, aber auch aus institutioneller Sicht, ergeben. Neben den verfassungs- und völkerrechtlichen Voraussetzungen für die Auslandseinsätze der Bundeswehr, die bereits die rechtlichen Grauzonen verdeutlichen, machte er dies an zwei konkreten Beispielen – den Evakuierungsmissionen und dem Einsatz gegen den IS"Islamischer Staat" – plakativ verständlich. 

Er blieb jedoch nicht bei der Benennung der Grauzonen und sich daraus ergebender Rechtsunsicherheiten stehen, sondern bot gleichfalls Lösungsvorschläge zum Umgang mit diesen. Vier Fragen strukturierten dabei seine Überlegungen, die sich an die Ursachen der Rechtsunsicherheiten, deren normative Bewertung, der Unbestimmtheit des Völkerrechts und den Entwicklungsmöglichkeiten richteten. Zwei seiner zentralen Vorschläge waren zum einen eine Stärkung der gerichtlichen Kontrolle und die Möglichkeit, Auslandseinsätze auf ihre verfassungs- und völkerrechtliche Konformität hin überprüfen zu können und zum anderen eine Reform der Wehrverfassung der Bundesrepublik Deutschland.

Komplexität in der Praxis 

Dr. Jeannine Drohla, Referentin im Bundesministerium der Verteidigung im Referat für Rechtsfragen der Auslandseinsätze und Völkerrecht, begann ihren Impulsvortrag mit dem Verweis auf die Komplexität allein der Definition von Grauzonen und Rechtssicherheit. Sie verwies darauf, dass der Grad der Rechtssicherheit und die Akzeptanz der Grauzonen divergieren können. Auch wenn das Recht die unabdingbare Grundlage für die Bundeswehr sei, vertrat sie die These, dass eine stärkere gerichtliche Kontrolle, wie von Dr. Marxsen gefordert, nicht unbedingt mehr Handlungssicherheit bedeuten würde. Sie erläuterte zudem den Ablauf vom Mandat für einen Auslandseinsatz über den Operationsplan zu den Rules of Engagement bis hin zur Taschenkarte für Soldatinnen und Soldaten.

Normenkollision im Einsatz

Oberstleutnant Dr. Hans-Peter Kriemann, Projektbereichsleiter Einsatzgeschichte im Forschungsbereich Einsatz am ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, beleuchtete in seinem Impulsvortrag die Bedeutung von Rechts- und Handlungssicherheit für die Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz nicht nur aus der Perspektive des Zeithistorikers, sondern auch aus dem Blick des Soldaten. Er verwies auf die Diskrepanz zwischen strategisch-politischen Vorgaben, die sich auf die operative Ebene übersetzte und dem soldatischen Alltagserleben im Einsatz. Er beschrieb die Einsatzrealität als Normenkollision“.

Verrechtlichung: Zwischen Handlungssicherheit und Möglichkeitsräumen

Die drei Impulsvorträge führten pointiert in das komplexe Thema der rechtlichen Grauzonen ein und waren bestens als Grundlage für die anschließende von Dr. de Vries moderierte Gesprächsrunde geeignet. Dr Marxsen, Dr. Drohla und Oberstleutnant Dr. Kriemann diskutierten nicht nur die in den Vorträgen aufgeworfenen Thesen und Vorschläge, wie beispielsweise die Forderung nach mehr juristischer Kontrolle unter dem Gesichtspunkt, ob diese lähmend oder hilfreich sei,  sondern auch Fragen wie: Was ist höher zu werten - Politik oder Recht? Fehlt der Bundesrepublik eine große Strategie auf deren Basis man von vornherein mehr Rechts- und Handlungssicherheit schaffen könnte? Welche alternativen Wege gibt es, um aus den Grauzonen herauszukommen? Wird die Verrechtlichung des Krieges in Anlehnung an die Thesen des Rechtshistorikers Samuel Moyn zu einer Ermöglichungsbedingung von militärischer Gewalt? Und wie sieht es eigentlich mit Einsätzen der Marine zum Schutz kritischer Infrastruktur außerhalb der eigenen Hoheitsgewässer aus?

Die spannende, fundierte und durch Fragen aus dem Publikum angereicherte Diskussionsrunde schloss einen von der Auswahl der Vortragenden bis hin zur technischen Umsetzung rundum gelungenen Abend ab, der die Komplexität der rechtlichen Grundlage der Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Folgen, die sich für die Einsatzrealität der Soldatinnen und Soldaten daraus ergeben, verdeutlichte.

Zur Podiumsdiskussion ist kein Video verfügbar.

von Kerrin Langer

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