Panel 4a: Military Cultures of Violence. Ein Bericht
Panel 4a: Military Cultures of Violence. Ein Bericht
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Welchen Einfluss haben kulturelle Faktoren auf das Militär und die Anwendung von Gewalt? Die DFG-Forschungsgruppe „Military Cultures of Violence“ untrsucht die als von den Zeitgenossen als illegitim empfundene physische Gewalt in Kriegs- und Friedenszeiten. Das Panel gab Einblicke in aktuelle Forschung und legte die unterschiedlichen und sich wandelnden Maßstäben der Legitimität und Illegitimität von Gewalt und den Bedingungen ihrer Transformation offen.
Military „cultures of violence“
Zu Beginn stellte Sönke Neitzel das DFG-Projekt »Military Cultures of Violence« vor, dem alle Vortragenden des Panels angehören. Die Forschungsgruppe untersucht militärische Gewaltkulturen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart und deren Einfluss, insbesondere auf das Begehen von Kriegsverbrechen. Militärische Gewaltkultur meint hierbei die Gesamtheit physischer Gewaltpraktiken des Militärs in Krieg und Frieden, an der Front, in der Etappe sowie im Hinterland, schließt jedoch auch die Diskurse um die Legitimität und Illegitimität dieser Gewaltakte mit ein.
Im Rahmen des Projektes lösen sich die Forschungsarbeiten von einzelnen, exzessiven Fällen verbrecherischer Gewaltausübung und betrachten Gewaltkulturen des Militärs in vergleichender Perspektive über längere Zeiträume hinweg. Der Fokus liegt hierbei auf den regulären Streitkräften, da diese die wesentlichen Träger der Kriegsgewalt waren und die Gewaltsamkeit gerade irregulärer Truppen und Verbände bereits gut untersucht ist.
Wie hoch ist der Einfluss von Gewaltkulturen des Militärs auf das Verüben von Kriegsverbrechen, insbesondere im Verhältnis zum jeweiligen situativen Kontext, zu bewerten? Gab es überhaupt spezifische, nationale Gewaltkulturen, wie die ältere Forschung insbesondere für den deutschen Fall herausgestellt hat? Oder ist vielmehr von einer übernationalen Gewaltkultur des Militärs auszugehen? Solchen und weiterführenden Fragen gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DFG-Projektes nach.
Für das Panel legten die Vortragenden den Fokus auf den Umgang mit Kriegsgefangenen.
Gewalt gegen Kriegsgefangene 1792-1815
Lange vor dem Humanitären Völkerrecht hatte in Europa ein Konsens über zivilisierte Formen der Kriegsführung bestanden, der die Schonung gefangener feindlicher Soldaten einschloss. Dennoch kam es insbesondere in den ersten Jahren der Revolutionskriege mehrfach zu Massakern an Kriegsgefangenen durch französische Truppen, so etwa bei der Niederschlagung des Aufstandes in der Vendée 1793-1796 und in Jaffa 1799. Erst ab 1805 gingen die Übergriffe zurück. Vergleichbare Vorfälle sind für das österreichische Militär nicht belegt.
Diesen Unterschied im Umgang mit Kriegsgefangenen führte Gahlen auf mehrere situative Faktoren, aber auch auf Elemente der Gewaltkultur im österreichischen Militär zurück.
So wähnte sich Frankreich in einem existenziellen Kampf um die Errungenschaften der Revolution, der auch Verstöße gegen den Konsens zivilisierter Kriegführung legitim erscheinen ließ. Das Aufpeitschen nationaler Leidenschaften beförderte dies noch. Hinzu kam, dass französische Truppen fast ausschließlich Krieg im Feindesland und häufig gegen Partisanen führen mussten, was ihre Gewaltsamkeit steigerte. Unter Napoleon, der in den Gefangenen eine wertvolle »Verhandlungsmasse« sah, gingen die Tötungen ab 1805 schließlich zurück.
Das österreichische Militär dagegen traf selten auf irreguläre Kämpfer und führte überwiegend auf eigenem Staatsgebiet oder dem der Verbündeten Krieg. So konnte auch eine Versorgung der Kriegsgefangenen sichergestellt werden. Hinzu kamen mentale Dispositionen. So sei es Österreich nicht um die Vernichtung des Feindes, sondern um die Wiederherstellung der dynastischen Ordnung gegangen. Die strikte Disziplin im österreichischen Heer und die eingeübte Schonung von Gefangenen in früheren Kriegen stellten als Teil der Gewaltkultur einen weiteren Einflussfaktor dar.
Zusammenfassend stellte Gahlen fest, dass die Gewaltexzesse der französischen Streitkräfte auf die Anfangsjahre der Revolutionskriege und auf bestimmte situative Kontexte beschränkt blieben. Zu einer Brutalisierung des österreichischen Militärs, zu einer Gewaltspirale, kam es nicht.
Britische und kanadische Kriegsverbrechen 1914-1918
Zum Abschluss des Panels trug Alex Kay zu britischen und kanadischen Kriegsverbrechen gegen Kriegsgefangene an der Westfront des Ersten Weltkrieges vor. Gefangene feindliche Soldaten sollten, so hielt es die Haager Landkriegsordnung fest, schonend behandelt werden. Die Bestimmungen fanden auch Eingang in der Neuauflage des »Manual of Military Law« von 1914, mit dem das Commonwealth in den Krieg zog.
Dennoch stellte die Erschießung sich ergebender feindlicher Soldaten das häufigste Kriegsverbrechen britischer und kanadischer Soldaten im Ersten Weltkrieg dar. Zur Begründung führte Kay ein ganzes Bündel unterschiedlicher Einflussfaktoren an.
Ein wesentlicher Faktor war die extreme Gewalterfahrung britischer und kanadischer Soldaten in der Schlacht an der Somme 1916. Diese setzte eine Gewaltspirale in Gang, die Tötungshemmungen abbaute. In der Folge nahmen Erschießungen sich ergebener deutscher Soldaten zu. Dies galt insbesondere für die kritische Phase des Übergangs vom Kombattanten zum Kriegsgefangenen. Die Frage, wann genau der Soldat den rechtlich geschützten Status des Kriegsgefangenen für sich in Anspruch nehmen konnte, war in der Praxis oft nicht klar zu beantworten.
Hinzu kam die Einführung neuer dezentralisierter Angriffsverfahren in den britischen und kanadischen Streitkräften, wodurch die einzelnen Truppenverbände größere Eigenständigkeit erhielten und sich der Kontrolle der Oberbefehlshaber teilweise entzogen.
Zusätzlich hatte die britische Propaganda seit Kriegsbeginn insbesondere den deutschen Kriegsgegner dehumanisiert und Rachegelüste für (tatsächliche wie vermeintliche) deutsche Kriegsverbrechen gefördert. Angriffsbefehle, die unter Verletzung der Haager Landkriegsordnung dazu aufforderten, keine Gefangenen zu nehmen, wurden mit dem Argument verteidigt, dass diese die Aggressivität der eigenen Soldaten und damit die Erfolgschancen der Operation begünstigen würden. Die Versorgung von Kriegsgefangenen wurde in diesem Zusammenhang als Belastung dargestellt.
Die Erschießung von gefangenen feindlichen Soldaten wurde weiter durch einzelne kommandierende Offiziere toleriert, teilweise sogar bewusst gefördert. Das wurde zwar nicht zur Regel, war als Phänomen des Fronteinsatzes jedoch als legitime Maßnahme akzeptiert. Zu einer militärstrafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung der Täter kam es daher zumeist nicht. Belege für die systematische Tötung von Kriegsgefangenen liegen allerdings nicht vor.
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