Panel 2: Globale Entwicklung von (Il)Legalität in Krieg und Konflikt. Ein Bericht
Panel 2: Globale Entwicklung von (Il)Legalität in Krieg und Konflikt. Ein Bericht
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Wann ist militärische Gewalt legal? Wann ist ein Krieg gerechtfertigt? Antworten auf diese Frage sind selten eindeutig, meist sind sie heftig umstritten. Die Vortragenden diese Panals geben einen Einblick in verschiedene Legalitätsdiskurse um bewaffente Konflikte. Damit legen sie die Komplexität der „Rechtmäßigkeit“ von Gewalt in der Weltordnung in unserer Gegenwart und der Vergangenheit offen.
Sanktionskriege: Die unilaterale militärische Durchsetzung internationaler Normen
Den ersten Vortrag hielt Prof. Dr. Christopher Daase, Inhaber der Professur des Arbeitsbereichs Internationale Organisationen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Vorstandsmitglied und Programmbereichsleiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung zum Thema Sanktionskriege: Die unilaterale militärische Durchsetzung internationaler Normen, oder wie er präzisierte, zur Problematik der dezentralen Umsetzung dieser Normen. Die grundlegende Problematik sei, dass es keine supranationale Organisation gebe, die das Völkerrecht und Sanktionen gegen eventuelle Normverletzungen durchsetze. Damit stelle sich die Frage, wer diese Sanktionen, gegebenenfalls auch mit militärischer Gewalt, in die Tat umsetze und mit welcher Legitimierung dies stattfinde.
Er führte diese Problematik am Beispiel der sogenannten Sanktionskriege näher aus. Sanktionskriege, so Daase, seien dezentrale militärische Maßnahmen von einzelnen Staaten oder einer Staatengruppe zur Durchsetzung internationaler Normen und der Stärkung des Völkerrechts. Er beleuchtete zunächst die wissenschaftliche Diskussion, in der Positionen von der Ächtung des Krieges bis zum Recht zum Krieg zur Durchsetzung von Normen vertreten werden. Eine wichtige Frage sei dabei zum einen, ob militärische Gewalt illegal und illegitim ist, wenn beispielsweise der UNUnited Nations-Sicherheitsrat als Organ der kollektiven Sicherheit blockiert ist. Zum anderen werde diskutiert, ob einzelne Staaten trotz der völkerrechtlichen Problematik auf Basis einer politischen Legitimität das völkerrechtliche Fehlverhalten anderer Staaten durch militärische Gewalt sanktionieren und somit internationale Normen durchsetzen dürfen.
Anhand von sieben Beispielen zeigte er, dass es innerhalb der internationalen Ordnung keine grundsätzliche Ablehnung des Mittels Sanktionskrieg gibt. Allerdings, so Daase, habe besonders der Irakkrieg 2003, dessen Legitimierung durch die USUnited States-Regierung auf einer Lüge basierte, Zweifel an der Möglichkeit der dezentralen Normendurchsetzung bestärkt. Sanktionskriege blieben dabei als Mittel eine Ausnahme, die er damit positiv als ungenutzte Möglichkeit des Völkerrechts bewertete.
Institutionalisierung des humanitären Völkerrechts: Eine Zumutung für internationale Politik?
Dr. Henning de Vries, einer der Mitorganisatoren der Veranstaltung und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, bewegte sich mit seinem Vortrag zur Institutionalisierung des humanitären Völkerrechts: Eine Zumutung für internationale Politik? im Grenzbereich zwischen Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften und Soziologie.
Ausgangspunkt seines Vortrags war das als konflikthaft und widersprüchlich erscheinende Verhältnis zwischen humanitärem Völkerrecht, das militärische Gewalt einschränkt, auf der einen und der internationalen (Macht)Politik auf der anderen Seite. Dieser Widerspruch werde, so de Vries, jedoch nicht durch die Beteiligten konstituiert, sondern der Konflikt zwischen Recht und Politik konditioniere die Akteure - Recht und Macht trügen somit zur globalen Ordnungsbildung bei.
Nach einer eingehenden Beschreibung des Verhältnisses von Recht und Macht als „kommunikativem Widerspruch“ erläuterte er diesen am Beispiel des Wandels in den Überlegungen zum Prinzip der militärischen Notwendigkeiten, während er in einem dritten Schritt die Institutionalisierung des humanitären Völkerrechts vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses von Recht und Politik diskutierte. De Vries schloss seinen Vortrag mit dem prägnanten Fazit, dass erst die gegenseitige Zumutung und daraus entstehende Aushandlungsprozesse und Erwartungsstrukturen, globale Ordnungsbildung, wie etwa das institutionalisierte Völkerrecht, ermögliche.
Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden
Im letzten Beitrag des Panels sprach Dr. Markus Thurau, ebenfalls vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, über den Paradigmen- oder, wie er in der anschließenden Diskussion präzisierte, den Perspektivwechsel vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden im Denken und der Lehre der christlichen Kirchen in Deutschland im 20. Jahrhundert. Er beleuchtete dabei nicht die realistische, sondern die idealistische Perspektive auf die Frage nach der Entwicklung von (Il)Legalität in Krieg und Konflikt.
Anhand des Nachdenkens innerhalb der katholischen Kirche im 20. Jahrhundert über die Rechtmäßigkeit von Krieg vor dem Hintergrund der Lehre des gerechten Kriegs zeichnete er die Entwicklungslinie zur Idee des gerechten Friedens eindrücklich nach. Im Ersten Weltkrieg, so Thurau, lieferten deutsche katholische Kirchenvertreter noch eine moralische Gewaltlegitimation für den Krieg, der als Verteidigung und als aufgezwungener Krieg gewertet wurde. Die Deutung als gerechten Krieg und ungerechten Frieden in der Zwischenkriegszeit verhinderte dann die in der christlichen Lehre eigentlich angelegte Versöhnung. Allerdings meldeten sich bereits zu diesem Zeitpunkt auch kritische Stimmen zu Wort, die darauf verwiesen, dass unter den Bedingungen des modernen Kriegs überhaupt kein gerechter Krieg mehr zu führen sei.
Die rechtmäßige Anwendung von militärischer Gewalt
Jedoch konnte sich Thurau zufolge diese Meinung innerhalb der katholischen Kirche erst nach dem Zweiten Weltkrieg als Mehrheitsmeinung durchsetzen und eine Veränderung der Lehre hin zum Gegenmodell des gerechten Friedens bewirken, das sich inzwischen beispielsweise in der katholischen Kirche, der EKD und dem internationalen Ökumenischen Rat als Leitmotiv finde. Gewaltanwendung sei jedoch auch im Konzept vom gerechten Frieden weiterhin als letztmöglich anwendbares Mittel vertreten. Im Vordergrund, so Thurau, stehe jetzt jedoch der Einsatz für den Frieden durch Abrüstung, die Stärkung internationaler Organisationen und der internationalen Rechts- und Friedensordnung. Auf den zweiten Weltkrieg folgte somit nicht nur die völkerrechtliche, sondern auch die moralische Ächtung des Krieges, wobei das Ziel der Beschränkung von Gewalt auf ein notwendiges Minimum im Konzept des gerechten Friedens seinen Ausdruck fand.
In den sich jeweils an die Vorträge anschließenden Diskussionen wurden Fragen der Effektivität von wirtschaftlichen Sanktionen als Folge des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, das Ringen zwischen realistischen und idealistischen Perspektiven auf das Kriegsvölkerrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts, sowie der Einfluss des Abwurfs der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki auf den Perspektivwechsel in den christlichen Kirchen aufgegriffen. Das gelungene Panel verdeutlichte somit eindrücklich die Komplexität der Frage nach der rechtmäßigen Anwendung von militärischer Gewalt und stellte diese in den Kontext der Frage nach der (Il)Legalität von Krieg in den letzten 150 Jahren.
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