Bernhard R. Kroener wird 75
Bernhard R. Kroener wird 75
- Datum:
- Ort:
- Potsdam
- Lesedauer:
- 9 MIN
„Ein derartiges Fach gehört nicht [sic!] an eine Universität“ ?
Der Mitbegründer der neueren deutschen Militärgeschichte, Prof. em. Dr. Bernhard R. Kroener, feiert seinen 75. Geburtstag.
Militärhistoriker sind gefragt. Sie erklären Zusammenhänge, Abläufe und Hintergründe von Krieg und Frieden. Sie fragen, in welcher Beziehung Militär, Staat und Gesellschaft zueinander standen und stehen. Sie untersuchen die Ursachen und Entwicklungen von Gewaltkulturen. Sie analysieren, wie Militär und Krieg perzipiert und projiziert werden. Und sie beschreiben nicht zuletzt Gewalt und Leid im Krieg.
Dass Militärhistoriker hierzulande in Talkshows, Podcasts und anderen Formaten gesucht sind und gehört werden, hat nicht nur mit der ständigen Präsenz von Krieg und Gewalt in unseren Medien und der aktuellen Berichterstattung zu tun – so wie aktuell mit dem Ukraine-Krieg. Es ist nicht zuletzt auch das Ergebnis einer etablierten Forschung und Lehre an deutschen Universitäten, die eine Vielzahl von Expertinnen und Experten hervorgebracht hat. Maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hat Prof. em. Dr. Bernhard R. Kroener, der am 24. Februar seinen 75. Geburtstag feiert.
Frühe Jahre
Bernhard R. Kroeners biographische Wurzeln liegen im katholischen Rheinland - was man bis heute in der Stimme erahnen kann. In Vallendar 1948 als jüngster von drei Brüdern geboren und in Bonn aufgewachsen, leistet er zwischen 1968 und 1969 seinen Wehrdienst als „Fernmelder“, zuerst beim Fernmeldebataillon 262 in Lissingen und anschließend beim PSK-Sende-Bataillon 701 in Andernach. Den Streitkräften bleibt er später als Reserveoffizier eng verbunden, unter anderem durch mehrfache Verwendungen im Militärattachéstab in Paris. Berührungen zum Militär finden sich auch in der Familie, unter anderem bei seinem Vater, der als ehemaliger Wehrmachtsoffizier nach dem Krieg als Bundeswehrbeamter Karriere macht und den Aufbau der Wehrverwaltung maßgeblich mitgestaltet. Die Werte von Qualität, Solidität und Nachhaltigkeit prägen sich dem jungen Bernhard R. Kroener ein – den historischen Mercedes des Vaters fährt die Familie bis heute. Später wird er immer wieder auf die Erfahrungen seiner Familie zu sprechen kommen, verbunden mit Fragen, die ihn ein Leben lang beschäftigen: wie prägen Militär und Krieg Gesellschaften, wie stark wirkt die militärische Organisation auf den Menschen und wie groß ist der Einfluss des Menschen auf die Organisation?
Zur Militärgeschichte des Ancien Régime
Als Kroener 1969 an der Universität Bonn sein Studium aufnimmt, sind diese Fragen noch nicht bestimmend. Anfangs interessiert er sich für Medizin, wechselt dann aber schnell zur Neueren Geschichte, Politikwissenschaft und Archäologie. Schon hier wird deutlich, dass wissenschaftliche Erkenntnis für ihn immer mit thematischer Breite, Neugier und dem Mut zum interdisziplinären Denken verbunden ist. Durch seine akademischen Lehrer Stephan Skalweit und Konrad Repgen ermuntert, geht er 1974 nach Paris und erforscht die Rolle der französischen Provinzintendanten im späten 17. Jahrhundert. Dort trifft er André Corvisier, den Doyen der neueren französischen Militärgeschichtsforschung, der den Begriff der „militärischen Gesellschaft“ in die Wissenschaft eingeführt hat. Kroener lernt bei ihm, dass strukturelle Gewalt ein bestimmender Faktor in der gesamten Frühen Neuzeit ist und dass der Soldat oft Täter und Opfer zugleich sein kann. Vor allem erkennt er den Wert einer Forschung, die Militär nicht auf Feldzüge und Operationsführung reduziert, sondern immer nach dem Kontext fragt und die Verknüpfung zu Nachbardisziplinen sucht.
Diese Erkenntnisse verändern den Blick auf sein Dissertationsprojekt, und so wechselt er den Fokus von den Provinzintendanten auf die Versorgung des französischen Heeres Mitte des 17. Jahrhunderts. Mit „Les Routes et les Etapes - Die Versorgung der Armeen in Nordostfrankreich (1635-1661). Ein Beitrag zur Verwaltungsgeschichte des Ancien Régime“ wird er 1978 in Bonn und Paris promoviert, um schon kurz darauf im Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg i.Br. (MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt) eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter anzutreten.
Im Militärgeschichtlichen Forschungsamt: Freiburg – Potsdam
Schnell muss er hier lernen, dass sich persönliche Neigungen nicht selten amtspolitischen Interessen unterzuordnen haben. Die Idee, sich mit einer Arbeit über die frühneuzeitliche Reichsarmee weiter zu qualifizieren muss er verwerfen. Die Leitung des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt hat mit dem talentierten Nachwuchswissenschaftler etwas völlig anderes vor: Mit dem Reihenwerk „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ muss „das Amt“, wie es von vielen bis heute genannt wird, ein wissenschaftliches Mammutprojekt bewältigen. Nicht nur der gewaltige Umfang, sondern vor allem Multiperspektivität und Methodenvielfalt sind die größten Herausforderungen. Bernhard R. Kroener soll sich mit der so genannten „Personalbewirtschaftung der Wehrmacht im Krieg“ beschäftigen. Das vordergründig trockene Thema, erweist sich für ihn als Glücksfall. Auf breiter empirischer Basis beschreibt er erstmals umfassend die Organisationsprinzipien der Erfassung, Mobilisierung und Ergänzung der „personellen Rüstung“ und ordnet sie in den Kontext totalitärer Herrschaft ein. Mit dem ersten Abschnitt dieser gewaltigen Forschungsleistung (veröffentlicht im Reihenwerk als Band 5/1 „Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs“, Stuttgart 1988) wird Bernhard R. Kroener 1990 an der Universität Freiburg i.Br. habilitiert.
„Netzwerker“ zur Frühen Neuzeit
In den Folgejahren erweist sich Bernhard R. Kroener auch als „Wissenschaftsmacher“. So gründet er 1995, zusammen mit seinem langjährigen Assistenten und Freund Ralf Pröve, den „Arbeitskreis Militärgeschichte Frühe Neuzeit e.V.eingetragener Verein“, dessen Vorsitz er bis 2004 inne hat. Zur gleichen Zeit gibt er als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats entscheidende Impulse für den Aufbau des „Museums des Dreißigjährigen Krieges“ in Wittstock an der Dosse, das 1998 eingeweiht wird. Sein Interesse an pädagogisch durchdachten Vermittlungskonzepten zeigt sich in der wissenschaftlichen Begleitung weiterer Museums- und Ausstellungsprojekte, die mit den Jahren immer mehr zunehmen, u.a. als Mitglied der Gründungskommission des Hauses der Brandenburg Preußischen Geschichte in Potsdam, als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats im Wehrgeschichtlichen Museum in Rastatt, als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Kunstausstellung des Europarates „1648 - Krieg und Frieden in Europa“ in Münster und Osnabrück und nicht zuletzt als Beiratsmitglied für die Neugestaltung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden. Hier, wie in der akademischen Lehre, erweist sich Bernhard R. Kroener als brillanter Übersetzer wissenschaftlicher Themen in allgemeinverständliche Formate, die nicht simplifizieren, sondern schlüssig erklären und denen es gleichwohl nie an gebotener Gründlichkeit fehlt.
Die gleiche Handschrift findet sich in Bernhard R. Kroeners akademischer Lehre. Viele, die ihn in Seminaren, Vorlesungen und Kolloquien erleben durften, erinnern sich bis heute an seine ansteckende Leidenschaft, seinen stets druckreifen Ausdruck und seine großartigen pädagogischen Fähigkeiten.
Der erste Ordinarius für Militärgeschichte in Potsdam
1997 übernimmt er die Stiftungsprofessur für Militärgeschichte an der Universität Potsdam: die bis heute einzige Professur für Militärgeschichte in Deutschland. – Rufe an andere Universitäten hatte er zuvor abgelehnt. – Der genius loci von Potsdam ist für Bernhard R. Kroener zeitlebens Gegenstand wissenschaftlicher Deutung und Einordnung. Beispielhaft steht dafür sein noch in Freiburg herausgegebener und bis heute sehr lesenswerter Sammelband „Potsdam. Staat, Armee, Residenz“ (Berlin 1993). Am Beispiel der alten preußischen Residenz- und Garnisonstadt wird klar, dass die Kontinuitäten und Brüche militärischer Normen, Wertvorstellungen und Traditionen immer auch soziokulturell und politisch eingeordnet werden müssen und dass diese Prozesse oft einen langen Atem haben.
Potsdam war noch in anderer Hinsicht ein idealer Ort für die militärgeschichtliche Forschung. Mit der Ende 1992 getroffenen Entscheidung des BMVgBundesministerium der Verteidigung, das MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt von Freiburg i.Br. nach Potsdam zu verlegen, ergab sich nun in der brandenburgischen Landeshauptstadt die einzigartige Chance, das wichtigste außeruniversitäre Forschungsinstitut zur Militärgeschichte mit der einzigen Professur für Militärgeschichte zu vernetzen. Die Tatsache, dass der Lehrstuhlinhaber ein ehemaliger Angehöriger des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt war und somit bereits enge persönliche, teilweise freundschaftliche Kontakte bestanden, begünstigte das Etablieren neuer Strukturen. Dazu gehörte die Betreuung zahlreicher Promotionen und Habilitationen von Angehörigen des MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt durch Bernhard R. Kroener sowie seine Vermittlung zu anderen Kolleginnen und Kollegen der Universität Potsdam. Das MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt und die Professur für Militärgeschichte arbeiteten auch auf anderen Feldern eng zusammen: sei es bei der Realisierung von Veröffentlichungen, der Abstimmung über kostenintensive Neuanschaffungen im Bibliotheksbereich oder der Möglichkeit von Praktika für Studenten im Forschungsamt. Der wichtigsten wissenschaftlichen Fachzeitschrift, der vom MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt/ZMSBwZentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr herausgegebenen „Militärgeschichtlichen Zeitschrift“, stand Bernhard R. Kroener lange Jahre als Mitherausgeber zur Verfügung.
Militärgeschichte am „Genius Loci“ Potsdam
Die institutionelle Zusammenarbeit mit dem MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt findet 2007 ihren Höhepunkt in der Gründung des gemeinsam mit der Universität Potsdam betriebenen Studiengangs „Military Studies“. In der konzeptionellen Arbeit zeigt sich einmal mehr Bernhard R. Kroeners Geschick, verwaltungsseitige Voraussetzungen zu schaffen, damit sich wissenschaftliches Denken und Handeln entfalten können. Konsequenterweise bittet ihn die Philosophische Fakultät der Universität Potsdam schon 2004, das Amt des Dekans zu übernehmen. Bernhard R. Kroener drängt sich nicht danach, aber er verweigert sich auch nicht und übte das Amt erfolgreich und hoch geachtet aus bis 2010 – so lange, wie keiner seiner Vorgänger.
Noch beeindruckender ist die Tatsache, dass trotz aller akademischen und administrativen Verpflichtungen die Forschung nie zu kurz kommt – seine Familie und seine engsten Freunde wissen, wieviel Selbstdisziplin er sich dabei abnötigt. In der Fortsetzung seiner grundlegenden Studien zur Personalbewirtschaftung der Wehrmacht knüpft er mit einer Arbeit an, die einen der einflussreichsten, interessantesten und umstrittensten Wehrmachtsgeneräle in das Zentrum der Betrachtung rückt. Mit „‚Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet‘. Generaloberst Friedrich Fromm. Eine Biographie“ (Paderborn 2005) legt Bernhard R. Kroener nicht nur einen mehr als tausendseitigen „Ziegelstein“ vor. Es gelingt ihm ein Meisterwerk moderner deutscher Militärgeschichtsschreibung, ein Aufriss deutscher Gewaltgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In ihm rückte er die atemberaubende Aufrüstung der Wehrmacht, die deutschen Planungen für den Zweiten Weltkrieg, ihr strategisches Scheitern und am Ende der militärische Widerstand gegen Hitler in ein neues Licht gerückt werden. Mit „Fritze Fromm“, wie der Autor im engeren Kollegenkreis sein Opus Magnum gerne bezeichnet, will Bernhard R. Kroener einen persönlichen Schlusspunkt seiner intensiven Befassung mit der Wehrmacht und dem Zweiten Weltkrieg setzen: Es ist eine Zeit die ihn immer faszinierte und fesselte, deren Ursachen er auf den Grund gehen wollte und die ihn, mit all ihrem unsagbaren Leid und ihren Verbrechen, immer wieder zutiefst erschütterte.
Nach seinem Dekanat löst er noch seine Zusagen ein und verfasst in kurzer Zeit zwei konzise Bände in der renommierten Enzyklopädie Deutscher Geschichte zu „Militär, Staat und Gesellschaft im 20. Jahrhundert“ (2011) und zu „Kriegswesen, Herrschaft und Gesellschaft im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit“ (2013).
Im März 2013 verabschieden sich die Philosophische Fakultät und das Historische Institut der Universität Potsdam im Auditorium Maximum mit einem Festakt und einer Festschrift seiner Schüler, Freunde und Kollegen. Und Bernhard R. Kroener schließt mit einem Vortrag in der ihm eigenen, zuweilen schelmischen Art: „Ein derartiges Fach gehört nicht an eine Universität“ (Ranke). Militärgeschichte in Potsdam – ein Rückblick in heiterer Gelassenheit.“
(Un-)Ruhestand
Noch einmal packt er Neues an und zieht kurz nach seiner Emeritierung mit seiner Frau zurück nach Südbaden. In Mengen-Schallstadt hatte er schon zu Freiburger MGFAMilitärgeschichtliches Forschungsamt-Zeiten glückliche Jahre verbracht, das geliebte Frankreich vor der Haustür, und jetzt sind die Kinder und Enkel in der Nähe. Bernhard R. Kroener bleibt produktiv. Sein jahrelanges Projekt, die Edition des zwischen 1938 und 1943 verfassten Diensttagebuchs beim Befehlshaber des Ersatzheeres, hat er mit großer Beharrlichkeit und der Unterstützung vieler Helfer vor Kurzem abschließen können. Vermutlich im Oktober 2024 wird es in fünf Bänden in Druck gehen. Eine Geschichte seiner ursprünglich aus Schlesien stammenden Familie, von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zu Bernhard R. Kroeners Geburt, ist gerade abgeschlossen – Chapeau!
Wie kaum ein anderer hat Bernhard R. Kroener die deutsche Militärgeschichtsforschung über mehr als 40 Jahre geprägt und ihr entscheidend zur Anschlussfähigkeit an unseren Universitäten verholfen. Das gewaltige Spektrum seiner Forschung spiegelt sich in zahlreichen Veröffentlichungen, deren teilweise programmatische Titel fast schon sprichwörtlichen Charakter haben: von den „Kriegsgurgeln, Freireutern und Merodebrüdern“ der Frühen Neuzeit bis zu den „Frontochsen und Etappenbullen“ des 20. Jahrhunderts. Nicht viele Militärhistoriker haben in ihrer akademischen Laufbahn ein ähnlich weites Feld beackert. Noch weniger haben einen nachhaltigeren wissenschaftlichen Ertrag eingefahren. Beides kann Seinesgleichen suchen. Bei alledem ist Bernhard R. Kroener immer eines geblieben: ein liebenswerter, humorvoller und persönlich bescheidener Mensch.